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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1984 erschienen.
KULTURNOTIZEN
Das Imperium schlägt zurück
Die "Challenger"-Mission der NASA von Anfang Februar bot der einschlägigen Presse in der BRD Anlaß zu Spekulationen, ob die Russen, die ohnehin an allem schuld sind, nicht auch noch in der Stratosphäre ihre Interventionsfinger im Spiel haben. Nachdem die Raumfährenbesatzung zwei sündteure Erdsatelliten und einen Forschungsballon im Higher-and-Fire-Verfahren ins Unendliche gejagt hatte, fragte "Bild am Sonntag" mißtrauisch: "Sollten doch die Russen ihre Finger im Weltraumspiel haben?" Deutschlands Oberteleskopwart Professor Kaminski kam den BamS-Leuten soweit entgegen, wie es nur irgendwie ging: "Kaum. Dazu sind die Sowjets noch nicht in der Lage." Vorsorglich stellte er jedoch gleich einmal die Kräfteverhältnsse im luftleeren Raum klar: "Und wenn es tatsächlich einmal dazu kommen sollte, dann würden die Amerikaner mit ihrer ausgefuchsten Elektronik die ganzen sowjetischen Weltraumsysteme durcheinander bringen." Anschließend ist dann Major McCandless frei und völlig losgelöst durchs Schwerelose gesegelt. "Das Risiko, plötzlich nicht mehr wenden zu können und als menschliche Monde ins Unendliche des Alls zu verschwinden" war laut BamS "allerdings enorm". Wenigstens im All einmal "ein hilflos treibender" Truppenteil der US-Army - das darf nicht mal im Weltraum passieren! Denn wem nützt das? Doch nur dem "rückständigen Sowjetimperium"...
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Schon gehört, was das Deutsche Fernsehen in seiner bekannt überparteilichen Art herausgefunden hat? Die Russen starten doch tatsächlich Raketen und lassen die dann auch noch einfach so rumfliegen. Ein eindeutiger Fall von "Verschmutzung des Weltraums durch russische Wegwerfraketen"! Was denken sich die Ostler eigentlich? Wie gut, daß unsere Raum-Pflegeexperten unterwegs sind und in ihrem "Rucksack" das nötige Gerät mitführen, die globalen Schmutzfinken zu orten und ihren Dreck wegzuputzen.
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Ein zeitgemäßes Gebet
hat nach den Worten von US-Präsident Reagan "eine ähnlich große Kraft wie die einer Atomrakete", meldete die 'Katholische Nachrichtenagentur' (KNA) am 3. Februar nicht ohne Genugtuung über die von kompetenter Seite bestätigte TNT-Wirkung ihrer Hauswaffe. "Würde man die Summe der Gebete aller hier im Saale Versammelten zusarnmenfassen", führt Reagan beim "Nationalen Gebetsfrühstück" vor Regierungsmitgliedern und Vertretern des diplomatischen Korps fort, "welche Gewalt würde da zusammenkommen?" Dies ist natürlich nicht als neues Rüstungsprogramm zu verstehen, demzufolge bei US-Raketen ab sofort die Atomsprengköpfe durch Gebetbücher ersetzt werden. Denn das Gebet ist laut Reagan nur "das erste und wichtigste Mittel, zu dem wir Zuflucht nehmen, um die Probleme der Welt zu lösen". Zur Endlösung bleiben die anderen Mittel natürlich gefechtsklar. Scharf wandte sich der Präsident dann noch gegen "das gegenseitige Morden im Namen Christi". Das darf nur die NATO. Amen!
Aber glauben...
Horoskope und Astrologie hat das Zentralorgan der katholischen Kirche, der "Osservatore Romano", verurteilt. "Die Astrologie steht im Gegensatz zur christlichen Moral, und die Wissenschaft hat seit geraumer Zeit schon bewiesen, daß es keinerlei Verbindung zwischen dem Stand der Sterne und dem Schicksal der Menschen gibt." Wie erinnerlich, hat das wissenschaftliche Hauptwerk der katholischen Moral, "Die Bibel" (erschienen im Heilig-Geist-Verlag, Rom o.J.), schon seit geraumer Zeit nachgewiesen, daß das Schicksal der Menschen vom Stand der Verbindung zwischen einem gewissen Herrn Gott, seinem Sohn und einer zahmen Taube abhangt. Und anders als die Astrologie hat diese Sorte Konjunkturforschung ihren von allen Nachbardisziplinen anerkannten Stammplatz an den Universitäten.
...macht selig!
99 französische "Märtyrer" hat Papst Johannes Paul II. am 19. Februar im Petersdom feierlich seliggesprochen. Es handelt sich um Contras aus der Französischen Revolution, die erschossen worden sind, weil "sie sich geweigert hatten, einem Gesetz zuzustimmen, das die Unterstellung des Glaubens unter die staatliche Autorität vorsah." Aus aktuellern Anlaß, dem Schulstieit zwischen Kirche und Mitterrand-Regierung, läßt der Vatikan 99 schwarze Luftballons am französischen Glaubenshimmel aufsteigen und eröffnet damit feierlich den Kulturkampf um die unschuldigen Seelchen der gallischen Schulkinder.
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Nekrologisches
78jährig starb Manes Sperber in Paris. Er kam von der Psychoanalyse zum Kommunismus und deswegen auch wieder hinaus. Fragte sich der Adler-Schüler in Wien allen Ernstes, ob nicht "Kriege schlicht entstanden" seien, weil "die Menschen dem Grau des Alltags, des Privaten machtvoll entfliehen wollten - gleichviel wohin", so brach er später mit dem Kommunismus, weil er die gesamte Komintern als Anschlag auf seine sensible Dichterexistenz erlebte. "Traum und Realität, Theorie und Praxis, Geist und Macht" - dieser "fundamentale Zwiespalt" soll die Menschheit seit Jahrtausenden beuteln. Sperbers "Träne im Ozean" personifiziert die jeweils erste Abteilung in ihrer lautersten Gesinnung, während die zweite in pervertierter Form im 20. Jahrhundert immer aus Moskau kommt. Sein Bruch mit der Kommunistischen Partei war so die biographische Konsequenz eines Mißverständnisses. Als endlich unorganisierter "Zeuge des Jahrhunderts" versorgte er den organisierten Antikommunismus mit Belegen aus seiner "Lebenserfahrung". Damit hat der Mann 3 Bände Autobiographie ("Bis man mir Scherben auf die Augen legt") und einen autobiographischen Roman gefüllt und zuguterletzt noch den Friedenspreis der westdeutschen Buchhändler gekriegt. Aus diesem Anlaß wagte es ein "ebenso törichter wie unverschämter deutscher Autor" (so Reich-Ranicki im Nekrolog der FAZ über Bernt Engelmann), diese "humane Stimme" (Joachim Kaiser in der "Süddeutschen Zeitung") wegen ihres politischen Aufrufs für mehr Raketen gegen den Osten zu kritisieren. So durfte Sperber bis zum Schluß seiner in seinem gesamten Werk zusammengestrickten Legende treubleiben, er sei ein "ewig unzeitgemäßer" Autor.
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Während Bao-Bao, der andere Zoo-Bär von Berlin, "den Tod seiner Partnerin möglicherweise gar nicht bemerken" wird, ist unter den possierlichen Menschenkindern von Berlin "große Trauer" ausgebrochen. Um ein Vieh namens
TIAN-TIAN
("Himmelchen" Pandabär).
Den gefühlvollen, anteilnehmenden Würdigungen dieser Exilchinesin schließt sich die menschenverachtende MSZ-Redaktion nicht an. Und zwar aufgrund der gesicherten Erkenntnis, daß Erleuchtungen wie
"Wir alle stehen völlig unter einem Schock!" (Der Zoo-Direktor)
"eine der großen Persönlichkeiten der Stadt" (Weizsäcker, Präs. in spe)
unmöglich einem Bär zur Last gelegt werden können. Das Tier hat sich zeitlebens um die Bambusvertilgung verdient gemacht und kann überhaupt nichts für die Verblödung einer Gattung namens "homo sapiens". Wenn letzteres Geziefer die Erfindung des Buchdrucks dazu mißbraucht, ärztliche Bulletins über den Gesundheitszustand eines lebendigen Polit-Präsents zu veröffentlichen, ist die Todesursache des tapsigen Opfers kein Rätsel mehr. Das Tier ist an Verzweiflung über den Geisteszustand seiner geschäftstüchtigen und drolligkeitssüchtigen Umwelt zugrunde gegangen. Diese Umwelt hat selbst das Abbeißen eines Fotografenfingers nicht als Mahnung verstanden, sondern als Anlaß zu Schlagzeilen. Tian-Tian hat dieses menschliche Interesse an ihrer unschuldigen Bärennatur weder verstanden noch ertragen. Mit ihrem Freitod setzte sie ein Zeichen - leider schon wieder ein vergebliches - für ihre maßlose Verachtung der Tierliebe. Jetzt kommt ihr Bild auf Raketen!
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Kristiane Allert-Wybranietz
beweist mit ihren "Verschenktexten", daß Lyrik auch und gerade in schweren Zeiten die Menschen erreicht: mit 3 Gedichtbänden aktuell in der "Spiegel" -Bestsellerliste, auflagenmäßig Michael Ende über- und Simmel fast eingeholt! "Diese Texte bereiten Entzücken", so ihr Verleger Körner, und "werfen alle Vorurteile über rnoderne Lyrik über den Haufen." Frau Allert gestaltet alle klassischen lyrischen Topoi in zeitgemäßer Metaphorik. So notierte sie folgendes zum Fluglotsenstreik: "Ich möchte zu dir fliegen, / doch meine Propeller sind zerbrochen / an den Felsen der Angst... Ich möchte dich streicheln, / aber ich habe keine Landeerlaubnis; / die Hemmungen im Tower geben / die Landebahn nicht frei." Das sind keine "nichtssagenden Sprachspielereien", sondern das Urerlebnis zerstörter Kommunikation in poetische Sprache gebannt. Daß das politisch-engagierte Gedicht nach Brecht in der plakativen Botschaft erstarrt sei oder im unverbindlichen Experiment, diese Konvention der etablierten Literaturkritik widerlegt Frau Allert in ihrem Band "Trotz alledem" auch durch folgendes, offensichtlich den "Tagesthemen" der ARD gewidmete Gedicht: "22 Uhr 30. / Ich möchte jetzt spazierengehen. /... Nur - / Wohin soll ich jetzt gehen? / Allein? Ohne Angst? / Als Frau, 1980 / in Deutschland?" Diese Lyrikerin verweigert sich den allzu einfachen Antworten. Auch und gerade "als Frau" will sie "in Deutschland 1980" nicht einfach zu Hause bleiben. Im Wunsch, "jetzt spazierengehen", verleiht sich die Neugier, das wache Selbstbewußtsein jenseits und gegen die "Angst", bewegenden Ausdruck. Ein bohrender Anspruch an die Welt, der an anderer Stelle es wagt, über bloße "Reformen am System" hinausgehende Lösungen anzudeuten: "In mir zerrt der Sturm / an jungen Mauern. / Aufruhr. Hart. /... Ich kämpfe für den Tag, / an dem die Sonne aufgeht, / und Liebe einzieht / in alle Herzen." Die Erinnerung an die "junge Mauer" durch Berlin, an das "Harte" der deutschen Teilung, wird hier im Sonnen-Symbol transzendiert zur ewigen Hoffnung der Deutschen nach dem Tag der Wiedervereinigung, an dem über die platte Tagespolitik hinaus "Liebe in alle Herzen einzieht". Mit hellwachen Augen registriert die Allert-Wybranietz die defizitäre Emotionalität des Geschehens, das wir allzu leichtfertig 'Weltpolitik' nennen: "Immer mehr / legen / ihre Gefühle /in die Tiefkühltruhe. / Ob sie glauben, / dadurch ihre Haltbarkeit / zu verlängern?" Und eine fast schon wieder romantische Ironie benennt die Bruchstellen des modischen Rückzugs in die neue Innerlichkeit, wenn er nicht ausreichend versichert ist: "Zwei Glasmurmeln / aus dem Kinderspiel /... so schön verziert und / so zerbrechlich. / Das sind wir /... Vielleicht sollten wir eine / Glasbruchversicherung abschließen?" Die adornitische Aporie, ob man denn nach Auschwitz noch Gedichte schreiben könne, widerlegt hier eine junge Lyrikerin durch - Gedichte!
(Alle Zitate aus: Allert-Wybanietz, Trotz alledem. Lucy Körner Verlag, 17. Aufl., Platz 4 der "Spiegel"-Bestsellerliste Anfang Februar 1984)
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Die Affäre Kießling/Wörner als Film!
Nach der Doppelausschlachtung des Falles Bachmeier durch den deutschen Film konnte es nicht ausbleiben, daß auch die Bonner Staatsaffäre dieser geschäftstüchtigen Branche als Sujet für einen kassenfüllenden Streifen gerade recht kam: Bereits im März will Peter Zadek mit den Dreharbeiten für "Hurra, ich regiere noch!" beginnen. Luggi Waldleitner produziert und Erich Kuby hat das Drehbuch schon fertig. "Es wird eine ätzende Komödie", verriet Zadek, und "die betreffenden Herren werden schon merken, daß sie gemeint sind." Manfred Wörner heißt bei Kuby Manfred Hörner und wird von 007-Sean-Connery gespielt. "Mich interessiert dabei vor allem die Rolle seiner Frau. Davon hat man aus keiner Zeitung was erfahren", meinte Zadek, der dafür Barbara Valentin engagiert hat. "Der Kießling ist ein Charakter. Wir sind froh, den Heinz Rühmann gewonnen zu haben." Kuby will bei den Dreharbeiten dabeisein, um zu verhindern, daß "mir Herr Zadek nicht die politische Dimension des Falles, wenn auch brilliant, weginszeniert". Der Kanzler wird im Film nur über dazwischengeschnittene Fernsehaufnahmen vorkommen. "Dafür gibt es einfach keinen Schauspieler, den man uns geglaubt hätte" (Zadek).