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Die Affäre Kießling/Wörner/Kohl
EIN DEMOKRATISCHER SKANDAL - UND SEIN ENDE
Für einige Tage wurde aus dem dynamisch-fähigen Verteidigungsminister Wörner ein Schandfleck der Nation. Was hatte sich der Mann eigentlich zuschulden kommen lassen?
Was hat Wörner Falsch gemacht?
- Er hat einen General entlassen - unter strikter Einhaltung der einschlägigen Gesetze und aus dem in diesen Kreisen denkbar ehrenwertesten Grund: Ein mögliches Sicherheitsrisiko "unserer" Wehrmacht wurde beseitigt. Soweit also völlig korrekt. Wörners Pech: Er hat sich dabei auf einen Geheimdienst verlassen, von dem im Nachhinein jeder Zeitungsleser weiß, daß er schlampig arbeitet. Bloß der zuständige Minister hat es vorher noch nicht gewußt. Peinlich, peinlich!
Aber erstmal halb so schlimm; der gute Manfred ist schließlich kein Anfänger im Geschäft. Er setzt zur Klärung der Angelegenheit eine Untersuchungskommission ein. An sich ausgezeichnet, "schonungslose Aufklärung" ist immer gut und zeugt von Führungsstärke. Wenn nur seine politischen Konkurrenten von der Opposition und in den eigenen Parteireihen nicht Morgenluft gewittert hätten, der Nation wäre ein 'Skandal Wörner' glatt erspart geblieben. So aber haben sie sich entschlossen, die 'Argumente' des Ministers nicht mehr gelten zu lassen. 'Argumente', für die er noch dazu dauernd seinen eigens dafür bezahlten Pressesprecher vorschickte.
Eine kritische Öffentlichkeit, der bekanntlich nichts widerlicher ist als das Breittreten von Skandalen, ist da selbstverständlich sensibel. Seiten- und serienweise hat sie ab jetzt schon immer gewußt, daß der General ein "unschuldiges Opfer" ist. Der Chef der Hardthöhe ist von nun an der "kopf- und glücklose Verwalter eines Apparats, den er nicht voll im Griff hat."
- Das ist zwar bedenklich, macht aber den Skandal noch lange nicht komplett. Vollends zur Skandalnudel wurde Wörner durch die Art und Weise, wie er "Licht in die Affäre Kießling bringen" wollte. Trifft der Mann als einer der höchsten Würdenträger der Republik sich doch tatsächlich in Regierungsgemäuern (bei überbackenem Geflügel!) mit einem dubiosen, schwulen Ausländer. Infamerweise versucht er sich auch noch abzusichern, organisiert das Ganze als Dreier und holt Staatssekretär Schreckenberger aus dem Kanzleramt dazu. Das hätte nun wirklich nicht sein müssen, noch dazu, wo der oberste Chef gerade auf "schwieriger" Waffentour in Nahost weilte. Und der dickste Hund. Dem Schweizer Skandalmacher werden wahrhaftig auch noch die Spesen für seinen Bonn-Trip aus der Staatskasse bezahlt. (Kein Wunder, daß die Bundeswehr schon bei der Munition knausern muß.)
Bei soviel ministerieller "Ungeschicklichkeit" stellen die Kollegen vom Kabinettstisch erstmal klar, daß sie nicht informiert waren - es war also wirklich eine "Ungeschicklichkeit" ihres Kollegen. Für die Partei greift Generalsekretär Geißler zur bewährten Masche: Zuerst wird gemeldet: "Die Partei steht nicht mehr hinter dem Minister." Dann wird entschieden dementiert. So was schafft Handlungsfreiheit. Die Schwesterpartei aus Bayern kriegt zusehends Oberwasser. Die Opposition fordert zum 85sten Mal den Rücktritt des Ministers. Der Kanzler gondelt immer noch über den See Genezareth.
Die deutsche Presse von "Bild" bis "Spiegel" jault auf. Kurz: "Die Würde der Nation ist in Gefahr." Der Wichtigtuer der Nation, Rudolf Augstein, findet es unerträglich, daß "ein aus der Schweiz eingeflogener Wichtigtuer, dem ein Günther Kießling wohl kaum die Hand gereicht hätte, mit dem Verteidigungsminister am Tisch sitzt". Der Herausgeber des "Spiegel" spielt die Ober-Moraltante der Nation: "Die Szene in der General Kießling angeblich zu Hause war..., sie sitzt jetzt auf Kosten der Bürger bei der Staatsmacht zu Tisch."
(Nur nebenbei, lieber Rudi, seit wann hat denn "unser führendes, liberales Nachrichtenmagazin" Berührungsängste gegenüber irgendwelchen schummrigen Szenen? Keine neuen "Spiegel"-Reports über Sex mit Kindern, Touristen und "Randgruppen" geplant? Und die angeblich schwulen Neigungen des Verteidigungsministers im Artikel neben Deinem Kommentar?) Und überhaupt, was soll eigentlich das so ganz und gar Ungewöhnliche und Unerträgliche dieser Ministerrunde ausgemacht haben?
- Um einen bekannten Skandalemacher und Intriganten soll es sich bei dem noch dazu homosexuellen Schweizer gehandelt haben?
Na und, welche Sorte Menschen trifft ein amtierender Minister denn sonst den lieben langen Tag? Dagegen nimmt sich der harmlose Schweizer Angeber doch wie ein Waisenknabe aus. Intrigieren und Heucheln ist einem Minister so vertraut wie seine eigene Hosentasche, sonst hätte er es schließlich nicht bis zum Minister gebracht. Zweitens muß er deshalb ständig auf die Intrigen inner- und außerhalb seiner Partei aufpassen, sonst bleibt er nicht lange auf seinem Sessel. Drittens kriechen ihm doch jeden Tag Journalisten in den Arsch und saugen jedes Ministerwort von seinen Lippen. Schließlich würde der Politik ohne diese tägliche Selbstdarstellung ihre ganze demokratische Würde abgehen. Den Rest des Tages trifft er sich mit Waffenschiebern aus dem In- und Ausland. Das ist sein Job. Und daß es in dieser Hinsicht auf der Hardthöhe nicht anders zugeht als im "Hause Lambsdorff", dürfte spätestens seit der 'Lockheed-Affäre' klar sein. Der damals amtierende Minister hieß übrigens Strauß, bekanntlich einer unserer fähigsten Politiker, der seitdem das Problem hat, sich immer wieder vor Einberufungsbefehlen auf die Hardthöhe drücken zu müssen.
- Die "Szene" soll sich in den "heiligen Hallen der Staatsmacht" herumgetrieben haben?
Und welches Unheil hat sie dort angerichtet? Die Würde eines Ministers besudelt, der über ein Waffenlager verfügt, das zum Terror gegen eine ganze Staatenwelt ausreicht. Und die Ehre eines Generals befleckt, von dem die Bundeswehr sich im Ernstfall "vertrauensvoll" zum Töten und Sterben abkommandieren lassen soll. Es gibt schließlich entscheidene Unterschiede zwischen der Kölner oder Züricher Halbwelt und der Bonner Polit-Szene. Letztere zeichnet sich erstens durch einen erheblich größeren Organisationsgrad und die Höhe der Summen, um die es geht, aus. Und zweitens hat sie mit der Macht praktischerweise auch immer die Moral auf ihrer Seite; deren Maßstäbe legt sie nämlich fest.
Was also bleibt übrig vom 'Skandal Wörner'?
Außergewöhnlich oder skandalös war keine einzige seiner Taten. Er hat als Führungsperson. "Schwäche gezeigt"; das heißt, er hat seinen Konkurrenten innerhalb und außerhalb der Partei Anlaß geboten, ihn ins Gerede zu bringen. Ins Gerede einer Öffentlichkeit, die mit ihrem ganzen Repertoire an erfundenen 'Führerqualitäten' an seiner Person herumgemäkelt hat und die gleichzeitig in jedem Kommentar betont, daß das (von ihr munter produzierte) Gerede und Geschreibsel die eigentlich schädliche nationale Verunsicherung sei.
Hätten sie doch einfach die Schnauze halten sollen! Keine Sau hätte den 'Skandal' vermißt, dem deutschen Volk wäre mit der trostlosen Berichterstattung eine der "härtesten Verunsicherungen der Nachkriegszeit" erspart geblieben. Aber so einfach darf man es sich in einer 'lebendigen Demokratie' nicht machen. Viel schöner ist es nämlich, Minister Wörner auch noch als Opfer des selbstinszenierten Skandals zu beklagen - unter dem Motto: "Tragische Figur". "Ausgerechnet einer der fähigsten Minister verunsichert unsere Bundeswehr." Denn der "Oberbefehlshaber in Friedenszeiten hat bei der ersten Belastungsprobe versagt." (sinngemäß "FAZ", "Süddeutsche", "Rundschau", ARD, ZDF...) Und worin besteht sie diese Verunsicherung? Schießen die Raketen schlechter? Parieren die Soldaten weniger? Wissen sie am Ende nicht mehr, wo der Feind steht?
Solche "Kleinigkeiten" stehen selbstverständlich außer Frage, um so vehementer kann man sich der "großen Politik" zuwenden:
Was sollte Kohl richtig machen?
In einem Punkt waren sich die führenden Köpfe der deutschen Öffentlichkeit einig:
"Der Kanzler muß handeln!"
Wenn's weiter nichts ist. Diesen Herzenswunsch der Untertanen wird der Mensch doch wohl noch hinkriegen.
Und schon ging's los. Per Funk läßt der Chef direkt aus Israel, wo er gerade feste am Handeln war (mit Waffen nämlich), vermelden, er beabsichtige "gleich nach seiner Rückkehr sehr schnell und sehr klar zu handeln". Der nächste Tag ist mit interessanten Präzisierungen der Nachricht durch den Regierungssprecher ausgefüllt. Der Kanzler werde nicht nur "schnell und klar", sondern auch noch "sachlich, überlegt und keinesfalls unter Druck" handeln. Gelächter kommt bei diesen Mitteilungen auf Bundespressekonferenzen nicht auf. Im Gegenteil, hunderte erwachsene Journalisten schreiben fein säuberlich mit, um hinterher in packenden Kommentaren die Frage zu wälzen: Hat der Kanzler schon gehandelt oder nicht?
Bei diesen Ansprüchen ist nicht viel falsch zu machen. Kohl soll regieren, und genau das hat er gemacht: Aufgepaßt, daß seine Souveränität keinen Schaden nimmt. Die Spielregeln kennt er in- und auswendig. Dieses Geschäft macht schließlich den Großteil der "Arbeit" eines Regierungschefs aus. Das "politische Umfeld in der Partei" muß sondiert werden. Wie sieht's mit der parteiinternen Konkurrenz aus? Wer will dem Chef an den Karren fahren? Was sagt der Landesverband Baden-Württemberg, wenn der 'Schwabe' fliegt? Welcher Deal ist mit der FDP zu machen? Kurz: Wie sind lästige Konkurrenten wie Strauß, die den ganzen Tag dasselbe umgekehrt treiben, geschickt abzuschmettern?
Der Kanzler hat also gehandelt
Er hat sich seiner 'Hausmacht' versichert, was offensichtlich nicht allzu schwer war. Leute, die seine 'Meinung' abgewartet haben, gab's genug. Mit dem dicken Genscher wurde mit Blick auf Lambsdorff ein Stillhalteabkommen getroffen. Und schon kann Kohl mit Augenaufschlag verkünden: "Wörner ist ein ungewöhnlich kenntnisreicher und engagierter Minister mit großer Sachreputation!" Das Intermezzo des Ministers als Skandalfigur ist damit beendet. Die Polit-Christen wissen, wo's lang geht, und stellen sich drauf ein. Alle 'Argumente', mit denen Wörner als untragbar befunden wurde, gelten als nicht gesagt. Nach dem Motto, "kehre auf den Ausgangspunkt zurück", ist aus der 'Staatssicherheitsaffäre' eine 'persönliche Ehrenangelegenheit' zwischen Minister und General geworden. Geißler, der bekanntlich schon immer dementiert hatte, daß die Partei nicht mehr hinter Wörner steht, schildert die neue Lage: "Die salomonische Leistung eines besonnrnen Staatsmanns, der sich einen fähigen Mann nicht aus dem Kabinett schießen läßt." Der Kanzler setzt im Fernsehen noch ein Selbstlob drauf: "Ich habe den schwereren Weg gewählt und nicht den leichteren."
Die Opposition macht das, was sowieso jeder von ihr erwartet, fordert Rücktritt - bis es irgendwann langweilig wird, weil sich keine regierungsinternen Streitereien mehr ausnutzen lassen.
Die Presse macht (teilweise) noch auf beleidigt. Wochenlang hat sie jeden Furz, der in Bonn gelassen wurde, breitgetreten und die Streitereien um Amt und Würden im Lager der Machthaber zur "Lebensfrage der Nation" erklärt. Und jetzt entscheiden die jenigen, die das Sagen haben, daß der Zirkus zu Ende ist. Das lassen sich Leitartikler der "Süddeutschen Zeitung" und der "Frankfurter Rundschau" nicht gefallen zwei oder drei bissige Kommentare zum Abschluß sind das Mindeste.
Denn eigentlich kann die Öffentlichkeit doch aufatmen. Der Kanzler hat regiert, der Minister hat Sachkenntnis, der General läuft wieder für zwei Monate mit vier Sternen durch die Gegend, Rogers ist ihn los, und die Presse selbst ist endlich von der Drangsal erlöst, das deutsche Volk mit Skandalgeschichten verunsichern zu müssen.
So einfach geht 'große Politik', wenn die Regenten von ihrem Volk so verwöhnt werden wie hierzulande. Die einzigen 'Schwierigkeiten', mit denen unsere Machthaber zu kämpfen haben, bereiten sie sich wechselseitig. Der Rest an 'Regierungsarbeit' ist lässig abzuhaken: Die 'Nachrüstung' geht genauso zügig voran wie das Zusammenstreichen von 'Sozialleistungen', mit der Wirtschaft geht's aufwärts, mit den Arbeitslosen auch. Diese Resultate politischer 'Sacharbeit' führen nicht zu Skandalen.
Solange einzig die Konkurrenzrangeleien der Machthaber spannend und interessant sind, funktioniert die Macht im Lande glänzend und reibungslos - und umgekehrt.
Den Schlußstrich fürs Volk
hat die "Bild"-Zeitung gezogen. Der pensionierte britische 4-Sterne-General Sir John Hackett brachte endgültig Licht in die Angelegenheit mit dem deutschen 4-Sterne-General: "KGB heckte Kießling- Affäre aus."
Na klar, wer denn sonst?
"Bild" hatte es ja schon immer geahnt. Aber die anderen Pressekollegen mußten unbedingt wertvolles Zeitungspapier verschwenden, um das Volk mit der Sorge um eine anständige und wirklich fähige Führungsmannschaft zu 'verunsichern', anstatt gradlinige 'Feindaufklärung' zu betreiben.
Und das, obwohl, für jeden anständigen Deutschen offensichtlich, alle Merkmale eines typisch sowjetischen Anschlags vorliegen. Erstens und vor allem schaut aus dem 'Skandal' weit und breit nicht der geringste Vorteil für die Sowjetunion heraus. So sind nur die Russen: heimtückisch bis auf die Knochen! Zweitens war die 'Affäre Kießling' von langer Hand vorbereitet. Bereits "Anfang der 60er Jahre wurden auf jüdischen Friedhöfen in Deutschland zahlreiche Grabsteine umgeworfen... vom KGB angezettelt." (Sir John in "Bild") Und drittens weiß man noch nicht mal, wer jetzt eigentlich der KGB-Agent ist: Wörner, Kießling, der MAD oder schon wieder einmal ein Mann aus dem Kanzleramt? So verunsichern die Russen den deutschen Bürger!
Also, Deutsche, aufgepaßt!
Der Feind steht im Osten - und im eigenen Lager: Friedensbewegung, Neo-Nazis, DGB, "Süddeutsche Zeitung", "Spiegel", "Stern", SPD sowieso... -, was immer auch passiert, es ist der Beweis!
Die Bundestagsdebatte zur "Affäre Wörner"
am 8. Februar zog einen "vorläufigen Schlußstrich" unter Aufbietung des kompletten Repertoires demokratischer Widerlichkeiten. Der Kanzler faßte die geballte Arroganz der Macht in die kurzen Worte: "Ich habe überhaupt keine Probleme mit der Koalition. Sie steht mit allen ihren Stimmen hinter mir." Ansonsten "beantworte ich nur die Fragen, die ich für richtig halte". Die Mehrheit steht, leckt mich am Arsch, Hohes Haus! Beifall beim Stimmvieh. Die Opposition schickte ihren internationalen Würdenträger Brandt an die Rampe, der den Vorwurf, der CDU-Staat sei eine das Ansehen der Bundesrepublik schädigende "Bananenrepublik", in die Welt gesetzt hatte und sich nun über das entsprechende "Echo in der Weltpresse" Sorgen zu machen vorgab. Deshalb sei Wörner "untragbar" und sein Kanzler eine Flasche, der allerschlimmsten Sünde schuldig, nämlich die Ehre der Nation befleckt zu haben. Brandt zitierte Alfred Dreggers makabres Planspiel, demzufolge "im Falle eines Krieges ja der Bundeskanzler Oberbefehlshaber" sei, als Argument gegen Wörner. Was will also die Opposition in der Republik: im Kriegsfall eine einwandfreie Kommandostruktur! Die GRÜNEN boten ihren obersten Bramarbasierer auf, Herrn Josef Fischer aus Frankfurt. Das von den Grünen ins Parlament eingebrachte "kritische Potential" erschöpft sich allem Anschein nach darin, die Befehlshaber der zweitgrößten NATO-Macht als "Wachsfigurenkabinett" vorzuführen und sich für jeden Minister einen literarisch-bildungsbürgerlichen Necknamen einfallen lassen zu können. Ein Grüner entdeckt 1984 öffentlich seine Liebe zu einem Bundeswehrgeneral, verteidigt den "Menschen Kießling" gegen einen "wehrverliebten Minister", beschwert sich über "Biedermänner" in der Regierung in ganz unverhohlener Sehnsucht nach Weltmännern, damit das Regiertwerden wieder zum Genuß wird für anspruchvolles Alternativbürgertum.