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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1984 erschienen.

Systematik


AGENTEN ZUR UNTERHALTUNG

Die Welt der Spione und Agenten bietet dem Publikum einiges an Unterhaltungswert - natürlich weitgehend losgelöst von Grund und Zweck subversiver Tätigkeit im öffentlichen Dienst. Der Agent ist der letzte vorstellbare Abenteurer, noch dazu mit Orden und Pensionsberechtigung. Ihn hemmen weder das Straf- noch das Bürgerliche Gesetzbuch, und die Verkehrsregeln sind zum Durchbrechen da. Es ist der Duft der großen weiten Welt von Freiheit und Abenteuer, der sich hier filmisch und als Thriller inszenieren läßt. Das wird dann je nach Geschmack so variantenreich-eintönig von der Unterhaltungsbranche dargeboten wie aktuell im jüngsten Filni der James-Bond-Streifen ("Sag niemals nie") oder in der Fernsehserie "Smiley's Leute" nach dem Roman von John Le Carre.

I. 007 oder leben und sterben lassen

"Naßgeworden ? - Macht nichts, mein Martini ist trocken geblieben." (Sean Connery als James Bond)

Die Realität der Geheimdienste des Freien Westens interessiert die Bond-Filmer und ihr Publikum ebenso wenig wie den Italo-Western die Durchsetzung des Gewaltmonopols beim Staat in den USA. Der Agent ist - neben seiner "license to kill" - mit allen physischen und charakterlichen Merkmalen ausgestattet, die es braucht, um sich bei Frau und Feind durchzusetzen. Dazu stellt ihm das britische Empire das Geld - und alle denk- bzw. undenkbaren technischen Mittel vermittels der Trickabteilung der Filmgesellschaft zur Verfügung. Daß das Ganze sich im Dienst des Guten gegen das Böse auf der Welt abspielt, versteht sich so sehr von selbst, daß auf jeglichen "differenzierten Realitätsbezug" verzichtet werden kann. Die westliche Staatenwelt wird bedroht - nicht von den Russen, sondern von einem verbrecherischen Einzelnen, den nicht-autorisierter Machthunger treibt, weswegen er der US-Army 2 Cruise Missiles klaut, die Bond am Happy-end erfolgreich in die zum Einsatz solcher Erpressungs- und Kriegsmittel allein berufenen Hände zurücklegt. Daß es im "Geheimdienst ihrer Majestät" mindestens ebenso brutal zugeht wie bei den "Mr. Largos", wird nicht skrupulös "vermittelt", sondern ist einfach die klare moralische Geschäftsgrundlage. Da fällt nicht nur für den Helden Pflicht und Genuß problemlos in eins; da kann man auch als Zuschauer Späße wie die Eliminierung der feindlichen Agentin bis auf die rauchenden Sandalen in Ruhe genießen und Hauptdarsteller Connery bewundern, wie er selbst mit Toupet und eingezogenem Bauch die feindliche Schwachstelle Weib knackt.

II. Smiley's Leute oder Spione, die in die Kälte gehen

"'George, du hast gewonnen', sagte Guillam, als sie langsam zum Wagen gingen. 'Ja, tatsächlich, es sieht so aus.'"(John Le Carre, Smiley's People)

John Le Carres Geschichten um seinen Oberspion George Smiley zehren demgegenüber von einem penetranten "Realismus", der sich den "persönlichen Erfahrungen" des ehemaligen Whitehall-Ministerialbeamten Le Carre verdanken soll. Natürlich würde deshalb niemand einen Roman lesen, vielmehr ist es die Psychologisierung des Agentenberufs, die die weltweite Le-Carre-Gemeinde mit George Smiley fühlen läßt. Ein alternder Superprofi des Gewerbes, stets gelascht von karrieresüchtigen, inkompetenten Ehrgeizlingen, die skrupellos Smileys "Lieblingsschüler" opfern, nur um vor dem Minister gut dazustehen. Le Carre füllt endlose Seiten mit den grüblerischen Selbstzweifeln seines "tragischen" Helden (im Fernsehfilm als kotzlangweilige Kamerafahrten über das Buchhaltergesicht des Alec Guiness umgesetzt), nur um für ein "anspruchsvolles" intellektuelles Publikum auch noch das letzte der gängigen Klischees des Feindbilds für den Beweis moralischer Überlegenheit des Westens über die östlichen Ritter der Finsternis "eindringlich zu gestalten". Während der Normalmensch seinem Alltagsleben nachgeht, der Normalpolitiker mit seiner Eitelkeit und Unfähigkeit ständig die Nation zugrunde richtet, ruiniert George Smiley sein Eheleben und dispensiert sich vorübergehend von seinen feinen Manieren als Gentleman aus Patriotismus, hinter dem alles Private zurücktreten muß. Was seine Sache heiligt, obwohl er zu ihrem Sieg zu genau den gleichen Mitteln greifen "muß" wie die Gegenseite, ist eben die Sache: Britain expects every man to do his duty! Indem so wenigstens einer, nämlich "good old George" die Fahne hochhält, reinigt er alle Flecken, die unwürdige Diener der eigenen Seite auf ihr hinterlassen. Umso grandioser der Sieg über den Erzfeind "Karla" vom KGB, den Smiley über einen gänzlich unerwarteten menschlichen Zug am Russen - die Liebe zu seiner Tochter - einfängt. Zum politischen Erfolg gesellt sich der moralische in Form eines tiefen Leidens an den Brutalitäten, die das Vaterland unerbittlich einfordert. Dessen Dank bleibt natürlich aus - ein Pluspunkt mehr auf dem moralischen Konto des Helden. Unausgesprochen, aber umso eindeutiger die Botschaft: Bei uns bewegt sich selbst der Untergrund - unerkannt mitten unter uns - auf dem Boden der freiheitlichen Ideale und bringt einsame Charaktere hervor, die für uns von Berufs wegen noch im schmutzigsten Geschäft nichts als ihre Pflicht tun.