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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1984 erschienen.

Volkszählungsurteil
DER STAAT DARF NUR, WAS ER BRAUCHT!

Mit seiner Bemängelung des Volkszählungsgesetzes hat das BVG nach den Worten der liberalen Presse ein "großes Urteil" gefällt. Denn es machte sich gleich doppelt um die Sache der Freiheit verdient.

Erstens, indem es der Regierung auf die Finger klopfte:

"Diesmal kam aus dem Bonner Innenministerium kein Muckser mehr." (Zeit)

und zweitens, indem es die Bürgerrechte fortentwickelte:

"Der Datenschutz erhält Verfassungsrang." (Zeit) -

Hilfe vom Großen Bruder

Zu den vornehmiten Errungenschaften demokratischer Herrschaft gehört es, sich ganz viel darauf zugute zu halten, daß man sich als freier Bürger garantiert nur das gefallen zu lassen braucht, was Rechtens ist. Das ist zwar eine ganze Menge, aber keineswegs beliebig. Für das rechte Maß sorgt die Rechtsprechung mit ihrer obersten Instanz in Karlsruhe (laut "Süddeutsche Zeitung" das "mächtigste Gericht der Welt").

Das BVG ist wie jedes Gericht ein Organ staatlicher Herrschaftsausübung und daher nie und nimmer deren Schranke. Daß seine Domäne aber nicht die geschäftlichen Konflikte oder Mord- und Totschläge der Bürger sind, sondern das staatliche Handeln selber, läßt jedes Demokratenherz höher schlagen: Hier kann nicht nur Frau Klein oder Herr Häßlich recht, sondern sogar die Bundesrepublik Deutschland unrecht bekommen. Diese Formalie nun, daß der Staat unterliegt, läßt übersehen, daß er vor Gericht und damit gegen sich selbst unterliegt: daß also der Staat hier keineswegs den Schwanz einzieht, sondern daß er seine eigenen, in der Verfassung niedergelegten Prinzipien zur Geltung bringt, indem er seine aktuellen Taten damit vergleicht und gegebenenfalls korrigiert.

"Schon die Verhandlung im April über eine einstweilige Anordnung gegen die Zählung macht deutlich, daß auch die Sache uon Minderheiten Rechtens sein kann." (Spiegel)

Auf die Minderheit, die der Journalist hier zwecks Stilisierung der Angelegenheit in einen Sieg der Ohmacht über die Macht bemüht, kommt es dem BVG aber überhaupt nicht an. Jemand mag wollen, was er will: Als Antragsteller beim BVG figuriert er als Anlaß für eine Prozedur, die die Regierungsmaßnahmen grundrechtskonform macht. Egal, ob der Gesetzgeber noch ein paar Nachbesserungsschritte auferlegt bekommt - das Endergebnis ist ein juristisch einwandfreies Gesetz, also die Legitimität seines Handelns. Damit ist die Sache des Antragstellers am Ende; er ist es, der keinen Muckser mehr macht.

Und dieses Ergebnis hat er, um überhaupt seinen Antrag stellen zu können, schon vorwegnehmen müssen. Es ist eben ein Unterschied, ein privates oder auch politisches Interesse zu verfolgen oder sich die Verfassungsmäßigkeit von Staatsaktionen zum Anliegen zu machen. Das schönste Beispiel für diesen Unterschied bietet die gleichzeitig erfolgte Ablehnung einer Anordnung gegen die Raketenstationierung durch das BVG. Wer überzeugt ist, daß die Nachrüstung einen sowjetischen Präventivschlag nach sich zieht, und dann der Regierung vorwirft, nicht daß sie sein Leben und seine Gesundheit verletze, sondern sein diesbezügliches Grundrecht, der verdient die trockene Antwort aus Karlsruhe, daß jener Präventivschlag immer noch Entscheidung Moskaus, diese aber nicht verfassungsrechtlich zu würdigen, sondern durch die Regierung in Bonn verantwortlich einzuschätzen sei.

Politik läßt sich mit dem BVG also nicht machen. Es sorgt für die Rechtmäßigkeit der Politik. Für Parteipolitik eignet sich - das BVG aber schon:

"Zimmermann mußte letzte Woche in Karlsruhe eine Schlappe einstecken, wie sie schlimmer nicht hätte ausfallen können." (Spiegel).

Als Argument gegen die Bonner Wende reicht es offenbar, einer ihrer führenden Figuren einen Mißerfolg zu bescheinigen; und dieser Nutzanwendung des BVG-Urteils tut es keinen Abbruch, daß das Volkszählungsgesetz noch von der sozialliberalen Koalition gemacht und unisono von allen Parteien ab gesegnet worden ist.

Ein Schutzbrief für den Datenschutz

Urteile des BVG sind Konkretisierungen der Grundrechte, was wohlmeinende Beobachter dann jeweils für einen Fortschritt der Freiheit halten. Sie haben recht. Allerdings nimmt dann die Freiheit durch die Vermehrung der Bestimmungen zu. Im vorliegenden Fall wurde aus dem allgemeinen "Persönlichkeitsrecht" das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" abgeleitet:

"Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Einschränkungen dieses Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig." (BVG-Urteil)

An und für sich ist diese Selbstbestimmung genauso wie der grüne Rechtsidealismus "Meine Daten gehören mir" ein Unsinn. Denn bei dieser eigentümlichen Materie "meine Daten" handelt es sich, dem Possessivpronomen zum Trotz, nicht um einen möglichen Gegenstand meines Handelns. Wie soll das denn aussehen, daß ich z.B. mit meinen Geburtsdaten mache, was ich will? "Meine Daten" sind vielmehr Wissen über mich, das andere haben und verwenden. Sinn macht das hier gewährte Freiheitsrecht nur relativ zu den Freiheiten, die sich andere, namentlich der Staat, bei der Beschaffung und Benutzung von Informationen zu meiner Person herausnehmen. Gegenstand dieser Grundrechtskonkretisierung ist also die Kooperation des Bürgers mit dem datenerhebenden Staat. Die Pflicht dazu wird dann, wie in der Verfassung üblich, auch explizit in Form einer Einschränkung genannt. Diese Ausnahme ist aber eben keine Ausnahme, sondern der logische wie historische Grund der vorliegenden Verfassungsinterpretation: Ausgehend davon, daß der Staat etwas will, wird gefragt, wie der Bürger "grundsätzlich" dazu steht, und auf diese Weise die Praxis des Staats für legitim erklärt.

Diesen Verpflichtungscharakter unterstreicht auch die Ideologie demokratischen Verkehrs, mit der das BVG seine Rechtsfindung untermauert.

"Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht abruschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden." (BVG-Urteil)

Diese "stärkste Passage des Urteils" (Spiegel) gibt sehr berechnend dem Fehler des Protests recht, der die Informiertheit des Staates dafür verantwortlich macht, daß er über seine Bürger Gewalt besitzt. Sogar so weit gehen die obersten Richter der Nation in ihrem Trosturteil, daß sie auf die Freiheit des einzelnen ein Lied singen. Ihrem Urteil zufolge ist sie bewahrt und zur Blüte gebracht, wenn die entsprechen den Stellen immer nur wissen, was sie für die gerade anstehende Benutzung der Menschheit brauchen. Diese Daten, die ohnehin schon längst erhoben und jedem Rechtszweifel enthoben sind, darf der Staat allerdings auch per Volkszählung neu sortieren und vervollständigen.

Das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" ermächtigt also den Staat, von seinen Bürgern Auskunft zu verlangen, wenn dies bloß im allgemeinen, d.h. in seinem Interesse ist, und wenn er nur bei der Abwicklung den gehörigen Respekt vor der Persönlichkeit bekundet.

Um mehr als ein paar demonstrative Zeremonien handelt es sich bei diesem Respekt wirklich nicht. Die in der Presse herausgestellte Liste der Einzelsiege des Datenschutzgedankeris ist ein Hindernis nur für den überaus fiktiven "Schnüffelstaat", den die Kritiker des "Volksverhörs" an die Wand malen. Für die reale Bundesrepublik, in der die Bürger brav arbeiten, Steuern zahlen, Wehrdienst leisten etc. und entsprechend verwaltet werden, deswegen keine "Totalüberwachung" nötig haben, bedeutet der Karlsruher Beschluß einfach mehr Aufwand, also einen Posten mehr in der Rubrik, die im Sozialkundebuch "Preis der Freiheit" heißt. Um seines demokratischen Charakters willen leistet sich der Staat jetzt eben 10 Dateien statt einer einzigen, oder er setzt nicht seine Steuerfahnder bei der Volkszählung ein, selbst wenn ihm dadurch ein paar kleine Sünder durch die Lappen gehen.

Die Sehnsucht nach

Datenschutz

- ist ziemlich lächerlich. Wer soll sie denn schützen? Und vor wem? Die Antwort heißt beide Male: Staat (Bürokratie, Behörden, Ämter...). Und was soll da geschützt werden? Daten sind doch Kenntnisse - und um sie zu "schützen", muß man sie erst einmal haben. Im Klartext also: Der Staat muß Bescheid wissen, um dann immer das zu vergessen, was ihm gerade im gegebenen Zusammenhang nichts angehen soll...

- ist ziemlich verharmlosend. Sie verwechselt nämlich die Zwecke, die der moderne Rechtsstaat mit seinem Menschenmaterial verfolgt, und das Recht, das er sich nimmt und über seine Leute erläßt, und die Gewalt, mit der er sich durchsetzt, mit den Kenntnissen, die er für die Abwicklung des Ganzen auch noch braucht.

Alle "warnen" sie vor dem Atomkrieg. Bald wird es keinen Berufsstand mehr geben, der nicht seine Anzeige mit vielen vielen Unterschriften veröffentlicht hätte. Jüngst haben Informatiker noch eine extra scharfe Warnung ausgegeben:

"Informatiker warnen vor dem programmierten Atomkrieg."

Wäre demnach ein unprogrammierter Atomkrieg besser, weil dann keine Computerfehler aufkommen könnten, oder ist diesen Leuten die Dummheit eingefallen, weil sie Informatiker sind? Auf jeden Fall ist die abschließende Parole gelungen. Sie kann für die Verrücktheit aller dieser Anzeigen stehen:

"Ohne unser NEIN sind wir nicht Opfer, sondern MITTÄTER!"

Genau, denn 'Mit unserem NEIN sind wir nur noch Opfer'. Aber mit gutem Gewissen, denn "wir" haben ja davor gewarnt.