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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1984 erschienen.

Die Republik dreht durch - mit Tempo 100
DIE VORLÄUFIG ÜBERZEUGENDSTEN ARGUMENTE FÜR UND GEGEN TEMPO 100

Pro

Die Automotoren halten länger; die Abnutzung der Autobahnen aber ihre kontinuierliche Benutzung eher gesichert.

Bei Tempo 100 statt z.B. 110 finden um ein Drittel mehr Chauffeure einen Arbeitsplatz. Ältere Autos, Schrottwagen und Kleinwagen finden wieder vermehrt Anwendung, entlasten so die Schrotthalden und vermehren die Arbeitsplätze der Kleinwagenhersteller. Auf dem Tachometer können mehrere Striche und Zahlen eingespart werden.

Alle Berufstätigen stehen früher auf (Morgenstund hat Gold im Mund), kommen ausgeruht und ungehetzt an ihrer Arbeitsstätte an; nach getaner Arbeit haben sie schon auf dem Heimweg genügend Zeit, sich zu entspannen und die so verlängerte Freizeit ohne Hast zu planen. Rentner, ältere Witwen und Teilarbeitsunfähige wagen sich wieder auf die Autobahn.

Wiesheu wäre nie ins Gefängnis gekommen, weil er bei allgemeinem Tempo 100 den schwarzen Block vor sich nie hätte erreichen können. Der vor allem bei Politikern nicht zu umgehende Alkoholgenuß wäre sehr viel ungefährlicher, da 1,99 Promille für Tempo 100 in der Regel ausreichend sind.

Die menschliche Psyche braucht zu ihrer Stabilisierung das gleichmäßige, ruhige Rollen mit einer runden Zahl. Tempo 100 für alle stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl und verhindert den zermürbenden Kampf der Klein-PS-Halter mit den Turborittern, der nur zu Neid, Stolz und Aufregung führt.

Hasen, Rehe, Radfahrer und Igel können wieder unbehelligt die Autobahn überqueren, weil das neue Tempo ihrer eigenen Laufschnelligkeit näherkommt.

Bei Tempo 100 nähme der Streß der Politiker ab, sie hätten im Auto länger Zeit, ihre Reden durchzulesen, und würden nicht unvorbereitet ins Parlament kommen. Das würde dem afghanischen Volk mehr zugute kommen als jettende Abgeordnete, die ohne rechtes Konzept wild auf den Russen rumhacken.

Die bisher noch zu wenig bekannte Dunkelziffer der Abtreibung mit dem Auto (Höchsttempo, Überhitzung sämtlicher Nerven, plötzliche Vollbremsung) nähme ab. Im Gegenteil wäre bei Tempo 100 die fruchtbare, liebende Vereinigung der Geschlechter wieder möglich. Tempo 100 aus Liebe zum deutschen Kind.

Die Bundeswehr könnte bei ihren militärischen Bewegungen auf Deutschlands Straßen ihren verhaltenen, defensivcn Charakter zeigen. Die unsinnige und teure Produktion von überzüchteten, überschnellen Panzern würde eingestellt und so mit Tempo 100 auch der Frieden gesichert.

Bei Tempo 100 würde man viel mehr von der Landschaft, von der Heimat, vom deutschen Wald sehen. Die Freude an grünen Bäumen wie auch das Entsetzen über kranke würde die Liebe zum Wald stärken und das Umweltbewußtsein schärfen.

Schnellfahrer sind unverantwortlich. Sie vergiften mit ihrem zweifelhaften Vergnügen zwischen 180 und 200 ohne Rücksicht auf die Steuerzahler den Wald. Außerdem sind sie meistens egoistisch.

Contra

Durch ihren längeren Aufenthalt im Freien rosten die Karosserien eher. Die Reparaturkolonnen der Autobahnen verlieren ihre Arbeitsplätze. Leere Autobahnen, unerläßlich für das Rosten und Durchatmen der Straßenflächen, bleiben aus.

Die Chauffeure kündigen, weil sie keinen Arbeitsplatz wollen, der langweilig und nicht leistungsorientiert ist. Mercedes und Porsche machen dicht, vernichten tausende von Arbeitsplätzen, weil sie nur noch für die Formel I produzieren. Die Menschen verlieren das Gefühl für größere Zahlen; das zementiert die Borniertheit derer, die nicht bis drei zählen können.

Unausgeschlafene neigen dazu, wenn nicht schon im Auto (bei dem Tempo), dann aber am Arbeitsplatz einzunicken. Das verschlechtert das Betriebsklima um 30%. Mütter und Kinder rechnen noch später mit Vaters Rückkehr von der Arbeit und stellen planlose Sachen an. Das Familienoberhaupt verliert die Kontrolle über seine Familie. Rentner, ältere Witwen und Teilarbeitsunfähige haben auf der Autobahn sowieso nichts zu suchen. Statistisch verstärkt sich bei Menschen über 65 die Veranlagung, gerade bei niederen Tempi das Gefühl für die Geschwindigkeit zu verlieren. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr für den Straßenverkehr.

Wiesheu hätte wahrscheinlich noch mehr schwarze Blöcke gesehen und abgeräumt, weil die drei Liter Alkohol viel länger Zeit gehabt hätten, das Fahrgefühl zu verwirren. Gerade bei 1,99 Promille kommt es darauf an, zügig und im Nu die nächste Kneipe zu erreichen, um sich dort vom Wirt ein Taxi bestellen lassen zu können.

Die menschliche Psyche ist ohne ein gewisses aggressives Element nicht zu denken, was ohne zeitweilige Entladung zu Verklemmungen führt. Die Autobahn mit 180 Sachen ist der rechte Platz für die Befriedigung dieses Grundbedürfnisses, das an anderen Orten - etwa in der Familie oder in der U-Bahn - häufig zu Komplikationen führen kann. Es ist statistisch erwiesen, daß schnelle Fahrer und Fahrerinnen ausgeglichener sind und auf Mitmenschen freundlicher zukommen. Besitzer von Turboschlitten leiden nur zu 0,5% unter Potenzstörungen.

Das Wild, das sich längst an die schnellen Zeiten gewöhnt hat, verendet elendig.

Politiker, die einen 12-14-Stundentag haben, kommen zu spät zu ihren Lokalrunden und zur Bundestagsdiskussion über Afghanistan. Das zwingt sie, bei teueren Flugzeugen Zuflucht zu suchen, was wiederum Anlaß ist, sich heimlich Spenden zu verschaffen.

Es gibt keinen statistischen Beweis, daß mit schnellen Wagen mehr abgetrieben wird als mit langsamen. Es ist noch nicht einmal bewiesen, ob überhaupt regelmäßig mit Autos abgetrieben wird. Das Verhältnis der Geburtenhäufigkeit zum Tempo verhält sich erwiesenermaßen genau umgekehrt. Prof. Hackethal hat in zahlreichen Gesprächen mit Autofahrern beiderlei Geschlechts herausgefunden, daß sich bei Verheirateten mit Tempo 100 schon nach kurzer gemeinsamer Wegstrecke nichts mehr schiebt.

Die aktive Kampfbereitschaft der Soldaten würde eingeschläfert. Sie bräuchten viel länger bis zur Zonengrenze und würden so die Ruhe der Bürger über die Maßen stören. Im übrigen ist es unpassend, die Diskussion um das Tempo auf den Autobahnen mit militärischen Angelegenheiten zu vermischen.

Gerade die langweilige und dauernde Sicht der Autobahnränder mit ihren verrotteten Bäumen führt zu Fehleinschätzungen. Man übersieht so, wieviel Wald noch gesund ist, und untergräbt so die Liebe zum deutschen Wald. Überhaupt eine böswillige Unterstellung, daß der schnelle Fahrer seinen Wald nicht liebe und nicht, wenn er sein Ziel erreicht hat, einen genießenden Blick auf die deutsche Landschaft werfe.

Gerade das langsame Vorbeifahren an den Bäumen setzt diese viel länger den schädlichen Stoffen aus. Im übrigen wird erst getestet, ob es überhaupt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Waldsterben gibt. Neulich wurde bekannt, daß es Waldgebiete gibt mit hoher Sterblichkeitsrate, die nie ein Auto, geschweige denn Tempo 180 erlebt haben. Autofahrer mit schnellen Wagen sind nicht egoistisch, sondern tun unser Bestes, indem sie so schnell fahren, wie es geht. Das ist ihr legitimes Recht, fördert den Aufschwung und setzt dem zunehmenden Pessimismus im Lande den Fortschritt entgegen. Auch Autofahrer, die gern schnell fahren, bringen Opfer. Sie hängen dies aber nicht an die große Glocke.