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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1984 erschienen.

Systematik

Diesmal aus Äthiopien
NEUES VOM HUNGER

Gehungert wird rund um die Welt und rund um die Uhr. Verhungert in statistisch ergiebigen Zahlen wird zur Zeit in Kenia, Mosambik, Mali, Mauretanien, Niger, im Tschad, im Sudan, in Uganda, Gambia, Obervolta, Bangla Desh und Brasilien, sowie in den USA. Die Hungertoten des Monats kamen diesmal aus Äthiopien.

Was an ihnen so Besonderes ist, sagt die "Bild-Zeitung" auf ihre erfrischend direkte Art:

"Das marxistische Regime leistet sich eine der größten Armeen von Afrika. In der Wüste hungern indes die ungeliebten Nomaden... Äthiopien ist Verbündeter der Sowjets."

Bei so einer feinen Art Hunger lohnt sich denn auch spektakuläres westliches Eingreifen ganz unbedingt. Es ist ja schier unglaublich, wie selbstlos man im Westen ist, wenn man hier sogar für die Opfer der anderen Welrmacht ein Herz hat.

Die öffentlich ausgewalzte Genugtuung über den angeblichen Offenbarungseid einer russenfreundlichen Regierung ist das eine. Die Gelegenheit, daß man nunmehr, Herbst '84, die über zwei Jahre andauernden Bitten der äthiopischen Regierung um Nahrungsmittellieferungen erhört, will aber auch ausgeschlachtet sein. Unter dem Motto: Die Hilfsgüter müssen an die richtigen Stellen kommen! wird der äthiopischen Regierung und den Russen die Zuständigkeit für ihr Land schon einmal ein Stück weit abgenommen:

- Die britische Regierung richtet eine Luftbrücke ein und inspiziert das Terrain.

- Das Bundesverteidigungsministerium stellt Flugzeuge und Spezialfahrzeuge für unwegsame Strecken zur Verfügung. Die Bedienungsmannschaften gehören selbstverständlich dazu. Eine von Bundesentwicklungsminister Warnke ausgeschickte Truppe von Fachleuten hat die Lage schon im Griff.

- Eine internationale Kommission soll in Äthiopien selbst die Verwaltung und den Transport der EG-Lieferung regeln. Auf die dortige Regierung sei kein Verlaß, heißt es. Ob der Wunschkandidat für den Vorsitz Willy Brandt, auch an Ort und Stelle auf die Negerfütterung aufpaßt, ist angesichts seiner vielfältigen Bemühungen, die Opfer des Imperialismus zu anständigem Benehmen anzuhalten, unwahrscheinlich. Muß aber auch nicht sein.

- Als Bedingung für ihre "humanitäre Hilfe " präsentieren die westlichen Regierungen den Machthabern in Addis Abeba die Forderung, die Kämpfe gegen die Rebellen einzustellen, die dem prosowjetischen Regime die Herrschaft streitig machen.

Mit "schneller, unbürokratischer Hilfe für Millionen vom Hungertod bedrohter Menschen" hat das Ganze also herzlich wenig zu tun. Sehr viel dagegen mit Erpressung einer mißliebigen Regierung, der es auch nichts nützt, daß sie jahrelang versucht hat, mit den weltwirtschaftlich so knapp gehaltenen Mitteln die Resultate des Kolonialismus ein wenig zu korrigieren. Viel wichtiger ist, daß der Verbündete der Sowjetunion am Horn von Afrika ein Stück weit unter EG-Verwaltung gestellt wird.

Der Grund für die Dauer-Hungersnot in Äthiopien

darf bei dem ganzen westlichen Mitleidgetue nicht interessieren. Daß Millionen keine Chance haben, ihre notwendigsten Lebensmittel zu produzieren, liegt nämlich weder an einer besondcren "Negernatur" noch am ausbleibenden Regen. Hinter allem Eßbaren oder der bloßen Hoffnung darauf herlaufen, und, wenn man sich nicht mehr auf den Beinen halten kann, teilnahmslos auf den Tod warten - so etwas kommt nicht "von Natur". Seit jeher pflegt die Menschheit, sich mit eigener Arbeit Lebensmittel zu verschaffen, und in "von Natur aus" ungeeigneten Landstrichen läßt sie sich meist erst gar nicht nieder.

Es waren die Regierungen der westlichen Industrienationen, die da schon seit Generationen ganze Arbeit geleistet haben und dabei waren die zufällig dort Lebenden schon immer eine lästige Angelegenheit. Lästig deshalb, weil sie sich mit ihren Viehherden und ihrer altertümlichen Landwirtschaft fast immer am falschen Platz herumgetrieben haben. In den Gegenden nämlich, die schon die italienischen Kolonialherren für die Anlage von Zuckerrohr- und Obstplantagen brauchten und in denen später, zu Zeiten der "Unabhängigkeit" mit amerikanischem und europäischem Kapital Kaffeeplantagen angelegt wurden. Da mußten die Eingeborenen halt abziehen in andere Gegenden. Wenn dort dann der Wald verschwindet, der Boden immer weniger hergibt und schließlich auch kein Regen mehr fällt, haben sie eben Pech gehabt.

Auch die neue "moskaufreundliche" Herrschaft "durfte" das Land mit Hilfe von westlichen Krediten "weiterentwickeln". Darin besteht nämlich die Hauptsünde russischer Völkerfreundschaften: Die große Sowjetunion verfügt gerade über die Geschäftsmittel nicht, von denen die westlichen Nationen ihre Entwicklungsländer so gründlich abhängig gemacht haben. Sie benötigt weder Rohstoffe in nennenswertem Umfang, noch kann sie in Devisen zahlen oder gescheit, also in westlicher Währung, kreditieren. Über eine unternehmungslustige Geschäftswelt, die auswärts alles, was geht, zu Geld macht, verfügt sie schon gleich gar nicht. So durfte das Land unter der "sowjetischen Knute" weiter von westlichen Geschäftsbedingungen abhängig bleiben und die Produktion von Exportgütern ausweiten - Kaffee z.B. - und zwar um so mehr, je weniger bei fallenden Weltmarktpreisen dafür gezahlt wird. Die BRD ist selbstverständlich einer der wichtigsten Handelspartner Äthiopiens. Und die EG ist so großzügig, neben dem immer weniger ertragreichen Kaffee auch Viehhäute en gros abzunehmen - von dem Vieh, das sich die dummen Neger, wie man weiß, immer in viel zu großer Zahl halten, solange bis die Böden überweidet sind und es endgültig für Mensch und Tier nichts mehr zu fressen gibt.

Gründe für den Hunger

kennt die aufgeklärte Welt im Falle Äthiopien allerdings auch wieder ganz viele. Immer dann, wenn Schuldzuweisungen an die zuständige Regierung gefragt sind, - Aufständische gibt es - das ist ja wohl selbstverständlich bei so einem Regime. Und noch viel selbstverständlicher, daß westliche Geheimdienste auf dem Umweg früher über Somalia, jetzt über das nördliche Nachbarland Sudan, dafür sorgen, daß den Aufständischen die Kriegslust und die Kriegsmittel nicht ausgehen.

- Das Regime bildet sich auch noch ein, dagegen anstinken zu können und leistet sich wahrhaftig ein Militär!

"Statt sich um Bewässerungssysteme zu kümmern, leistete sich diese Regierung einen langwierigen Bürgerkrieg und - industrielle Prestigeobjekte"! (Frankfurter Allgemeine)

Typische Ostblockmißwirtschaft. Bei genauerem Nachzählen haben sich genau 4 "Prestigeobjekte " gefunden: Das Regime hatte sich die Produktion von Baumaterialien, Elektrizität, Transportmitteln und Treibstoffen vorgenommen - nach "FAZ"-Gesichtspunkten offensichtlich der schiere Luxus oder Größenwahn, wenn die vom Freien Westen zugestandenen Handelsgewinne dafür nicht reichen.

- Und schließlich herrscht auch noch Armut. Jetzt schickt man ihnen tonnenweise Getreide, und sie haben nicht einmal die Infrastruktur, Transportmittel, Treibstoffe, um das Zeug zu transportieren. Nicht einmal ein Straßennetz - was die Waffen für die Rebellen und die Fernsehteams für die Hungerleichen zwar noch nie daran gehindert hat, an ihren Bestimmungsort zu kommen. Aber als Argument gegen die prosowjetische Regierung taugt das allemal.

In diesem Sinne, im Namen von Marktwirtschaft und Freiheit, wird das "Revolutionsregime" in Addis Abeba zur Verantwortung gezogen, theoretisch und praktisch. Die Unkosten in Form von ein paar Millionen ohne Überlebenschance werden auch noch einer nützlichen Verwendung zugeführt. Denn, auch wenn sie es nicht wissen, sie verrecken doch nicht ganz umsonst.

"Es bleibt jedoch die unerfreuliche Tatsache bestehen, daß es nicht in der Macht der Spender liegt, Äthiopien die Folgelasten der Entscheidungen seiner eigenen Regierung in den letzten 10 Jahren zu ersparen." (Washington Post)

Jetzt machen die Herrschaften, deren Geschäft in aller Welt für Elend sorgt, im Namen aller Hungertoten Propaganda für die Festigung und Ausdehnung ihrer weltweiten Verantwortlichkeit.

Alle helfen dem Hunger

I. Die Weltpolitiker

Indem sie bedauern, daß sich gewisse Investitionen nicht mehr lohnen. Weil deswegen schon wieder haufenweise Leute krepieren, verwandeln sich die Kapitalanlagen von gestern in ein einziges Ernährungsprogramm, das man heute leider nicht mehr fortsetzen kann.

"Keine US-Gelder für Agrarfonds

Die Verhandlungen über die Beiträge des Internationalen Agrarentwicklungsfonds (IFAD), der die ärmsten Länder der Welt unterstützt, sind in Paris gescheitert...

Da die OPEC-Gruppe wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten ankündigte, daß sie ihren Beitrag von 450 auf 195 Millionen kürzen wolle, beschlossen die westlichen Geldgeber ebenfalls, ihre eigenen Zahlungen von 610 auf 415 Millionen zu senken." (Frankfurter Rundschau)

"FAO - seit '82 deutsche Beiträge gesperrt

Der Vorsitzende des AA-Ausschusses des Deutschen Bundestags, Rudi Walther (SPD) erklärte, das Sperren sei als "Signal" gedacht, um einen Druck auf die FAO auszuüben, ihre Effizienz zu verbessern und auch eine 'externe unabhängige Evaluierung ihrer Programme und Projekte' vorzunehmen." (Neue Zürcher Zeitung)

"Wird EG-Hilfe an die Dritte Welt erhöht?

Entscheidung in Bonn verschoben

Die AKP-Staaten hatten zu Beginn der Verhandlungen über ein neues Lome-Abkommen eine Aufstockung der Mittel auf mindestens 18,6 Milliarden Mark erwartet. Die Entwicklungsländer argumentierten, mit Mosambik und Angola seien zwei weitere Staaten dazugekommen. Zu berücksichtigen seien auch ein Bevölkerungswachstum in den AKP-Staaten um zwanzig Prozent und die wesentliche Verschlechterung der allgemeinen Wirtschaftslage besonders in Afrika...

Finanzminister Stoltenberg verweist dagegen auf die Grenzen der Absorptionsfähigkeit der Entwicklungsländer für die Hilfe und auf die Stärke des Dollars, die sich günstig bei den Empfängerstaaten auswirke." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

II. Menschen mit einem gewissen Hang zur Würde, die den Sinn des Hungers erkennen und am Sonntag feierlich ihre Werke betrachten

"Weizsäcker zum Erntedanktag

Hunger ist eine Not, die jeden Menschen mehr quält als jeder andere Mangel. Er verletzt die Würde des Menschen." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

"Kanzler kauft Erntedankteller

Bundeskanzler Helmut Kohl gehört zu den ersten Bundesbürgern, die in Bonn den Künstler-Teller "Ernte in Afrika" der Deutschen Welthungerhilfe für 40 Mark kauften. Bundesernährungsminister Ignaz Kiechle (CSU) überreichte Kohl den in bunten Farben gestalteten Teller, der zu Gunsten der humanitären Arbeit der Deutschen Welthungerhilfe verkauft wird. Auch andere Kabinettsmitglieder erwarben Teller. Kohl lobte das Engagement der Deutschen Welthungerhilfe. 'Die Bekämpfung des Hungers in der Welt ist eine vorrangige Aufgabe, an der wir alle mitwirken müssen', erklärte der Kanzler. Er appellierte an die Öffentlichkeit, diesen Teller zu erwerben." (Süddeutsche Zeitung)

"Vereinte Nationen zum Hunger in Afrika...

Die Generalversammlung hat sich für die feierliche Form der Deklaration statt einer Resolution entschieden, um der Bedeutung des Themas gerecht zu werden... Die afrikanischen Staaten erkennen an, daß vorrangig sie selbst verantwortlich seien für die Überwindung der Krise..." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

III. Undank

Bei soviel rührendem Bemühen kann man dann aber andererseits auch wohl erwarten, daß die Beschenkten alles fressen, was die EG-Beamten bei einer Entrümpelung ihrer Lagerhallen loswerden wollen. Letztes Jahr gab es schon den Ärger mit den Russen, die sich zu fein waren für unsere gute, mit Kokosfett versetzte Weihnachtsbutter. Jetzt werden auch noch Neger geschmäcklerisch:

"Speisefett als eine unerwünschte Spende...

Ein Sprecher des UNO-Hochkommissariats: 'Wir werden weiter Fett an die Flüchtlinge verteilen. Sie können damit machen, was sie wollen.' Er berichtete, die EG habe 250 Tonnen Fett gespendet, ohne zu fragen, was die Flüchtlinge wirklich brauchen, nämlich Bohnen und Maismehl." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Es hat gegessen zu werden, was auf den Tisch kommt - oder wir fragen uns einmal ganz kritisch nach dem Nutzen unserer Hilfe, ob sie auch wirklich hilft und das Problem nicht viel tiefer liegt:

IV. Verhungern hilft

"Tod in Äthiopien

...Menschenleben werden gerettet - aber wofür? Für ein besseres Leben? Die Wahrheit ist: Je mehr Menschen gerettet werden, um so schlimmer wird die nächste Hungerkatastrophe ausfallen. Denn in dem Maße, in dem der ohnehin schon enorme Bevölkerungsdruck auf das bebaubare Land noch zunimmt, sinken die Überlebenschancen der Menschen - und zwar auch jener Menschen, die jetzt noch nicht hungern. Es hört sich unerträglich an, aber es stimmt: Der Hungertod der einen ist die Zukunftschance der anderen." (Süddeutsche Zeitung)

Die schlichte Wahrheit, daß die Hilfe nichts nützt, also keine ist, läßt sich auch verwenden. Hier einmal für bevölkerungspolitische Weitsicht made in Germany.