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Dieser Artikel ist in der MSZ 11-1984 erschienen.

Systematik

Tarifrunde im Öffentlichen Dienst
BILLIGTARIFE FÜR DIE EWIGEN NACHZÜGLER

Minister Zimmermann hat zur zweiten Verhandlungsrunde sein Angebot für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst vorgelegt: 2,8% mehr Lohn ab Januar 85, 180 DM Abschlag für die letzten vier Monate dieses Jahres, macht ca. 2,5% mehr Lohn - und sonst nichts: kein Vorruhestands- und kein Arbeitszeitsvorschlag. Ein "honorables Angebot", lobt sich der Minister.

Die ÖTV hatte 5% mehr Lohn, 10 zusätzliche bezahlte freie Tage pro Jahr und eine Vorruhestandsregelung gefordert und im Vorfeld getönt:

"Wer darauf spekuliert, unsere Forderungen in ein 'Entweder-Oder'aufspalten zu können, wird auf unser striktes Nein stoßen."

Und, hat sie strikt Nein gesagt zu Zimmermanns Lohnsenkungsversprechen? Keineswegs!

"Das Nulldiktat ist weg"

"Dies ist ein großer Erfolg der Gewerkschaft." vermeldete die Gewerkschaftsvorsitzende Wulf-Mathies. Noch vor jeder ernsthaften Verhandlung, von gewerkschaftlichem Druck ganz zu schweigen, will die Arbeitervertretung bei der nach ihren Worten so arbeiterfeindlichen Regierung schon den entscheidenden Durchbruch erzielt haben. Und der besteht in einem Angebot noch unterhalb der offiziellen Inflationsrate. So billig geht das: Man regt sich demonstrativ über die frechen Sparappelle der Politchristen und Zimmermanns öffentliche Nullrundenforderung auf; und schon hat der Zimmermann eigenhändig sein Tabu gebrochen, das die Gewerkschaft ihm untergeschoben hat. Auch wenn das Angebot noch unter den 3% liegt, die längst im Haushalt '85 für Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst veranschlagt sind. Egal, was noch rauskommt, für die ÖTV kann nichts mehr schiefgehen. Für die von ihr Vertretenen ist allerdings bereits jetzt alles schiefgegangen.

Die Gewerkschaftsforderungen

waren von vornherein auf nichts anderes als auf solch ein öffentliches Spektakel berechnet. 5% mehr Lohn, das ist eine ordentliche Lohnforderung - im Vergleich zur Metall- und Drucktarifrunde nämlich. Damit ist auch schon der Beweis erbracht, daß die ÖTV auf die Finanzen ihrer Mannschaft achtet - den Billigsttarifen der anderen Gewerkschaften sei Dank. Was stört's schon, wenn damit der Lohnverlust beschlossene Sache ist. 10 freie Tage pro Jahr sollen der ganz "besondere Einstieg in die 35-Stunden-Woche" im öffentlichen Dienst sein. Mit schlichter Urlaubsverlängerung darf man das keinesfalls verwechseln, weil diese Tage nach dem Willen der ÖTV keinesfalls im Block vergeben, sondern übers Jahr gestreut werden sollen: nicht mal ein Tag pro Monat! Nein, diese freien Tage wären ganz eindeutig eine Wochenarbeitszeitverkürzung, weil es die ÖTV genau ausgerechnet hat: Das macht nämlich haargenau 38,5 Stunden pro Woche. Zwar wird weiterhin mindestens 40 Stunden gearbeitet. Aber auch bei der Metall- und Druckindustrie ist es ja so, daß die 38,5-Stunden-Woche eine reine Rechengröße für flexible Arbeitszeit ist. Warum dann nicht auch mal ein paar Tage so verrechnen, wenn es der Gewerkschaft schon völlig gleichgültig ist,

ob tages-, wochen- oder jahresweise weniger Arbeitszeit verlangt wird! Dem öffentlichen Arbeitgeber hat die ÖTV auf diese Weise jedenfalls signalisiert, daß sie es mit ihrem "Einstieg" in die "Wochenarbeitszeitverkürzung" nicht sonderlich ernst meint. Drittens - und darauf kommt es ja eigentlich an - schafft eben diese Form des Einstiegs ganz viele Arbeitsplätze. Das weiß die ÖTV nämlich ganz genau, auch wenn sie gleich dazusagt, wie der Staat die Arbeitszeit besser nutzen kann: intensiver und länger!

"Im öffentlichen Dienst hat die Wochenarbeitszeitverkürzung in Form von zusätzlichen bezahlten freien Tagen eine besondere Beschäftigungrwirkung. Dabei ist sicherzustellen, daß sie weder zu weiteren Belastungen der Beschäftigten noch zu vermehrten überstunden führt." Wenn sowieso keiner mehr an die Lüge vom Beschäftigungseffekt glaubt, dann ist die ÖTV-Version auch nicht unglaubwürdiger, oder! Egal, ob und wieviel Tage am Ende übrigbleiben; ihre Verantwortung für die Arbeitslosen hat die ÖTV jedenfalls demonstriert und den Zimmermann an seine Verantwortung erinnert, mehr Menschen mit viel Arbeit und wenig Lohn zu beglücken.

Das offene Geheimnis der Gewerkschaftstaktik

verrät der CDU-Mann im DGB-Vorstand, Fehrenbach:

"Politisch etwa darauf zu spekulieren, man könne im öffentlichen Dienst erheblich hinter den Abschlüssen der gewerblichen Wirtschaft zurückbleiben, wäre absurd, dumm und töricht."

Man kann also dahinterbleiben. Und die ÖTV hat sich längst darauf eingerichtet, wenn sie in aller Bescheidenheit verlangt, "Anschluß zu halten an die allgemeine Entwicklung der Einkommen und an die bisher erreichten Arbeitszeitverkürzungen". Offenbar ist den Tarifexperten der ÖTV das "Argument" Zimmermanns nur zu geläufig, der Staat könne "nicht Arbeitszeitverhürzungen von Steuerzahlern finanzieren lassen, die selbst als Arbeitnehmer diese Vergünstigung nicht haben". Finanzieren will der Steuerzahler immer nur, was die Politiker für nötig halten; und die wollen sparen - jedenfalls an allen Sozial- und Personalkosten, höhere Bedienstete und Politiker selbstverständlich ausgeschlossen. Die Gewerkschaftsoberen haben sogar ihre eigene Berufungsinstanz für ihre Rücksichtnahme auf den öffentlichen Arbeitgeber:

"Eine Forderung, die das bei der IG Metall und der IG Druck und Papier erreichte Ergebnis übersteigen würde, würde weder bei den Mitgliedern, noch in der Öffentlichkeit Verständnis finden." Deshalb muß man "das bei IG Metall und Drupa erreichte Ergebnis... auf den öffentlichen Dienst übertragen."

Was macht's, wenn bei dieser "Übertragung" noch einmal gehörige Abstriche passieren. Weniger bescheiden als Metall- und Druckgewerkschaft will die ÖTV keinesfalls sein. Umgekehrt: Was bei denen nominelles "Kampfergebnis" war, das macht die ÖTV, und zwar bloß rechnerisch, zur "Ausgangsforderung" - also zur "Verhandlungsmasse", von der noch gehörig abgestrichen wird. Die ÖTV hat sehr bewußt darauf verzichtet, den ausgelaufenen Manteltarifvertrag schon im Frühjahr zu kündigen und gemeinsam mit IG Metall und IG Druck für einen "Einstieg" zu streiten. Nein, so darf man Solidarität nicht mißverstehen. Statt dessen macht sie mit den mageren "Erfolgen" des Arbeitskampfes der Kollegen von den Industriegewerkschaften Tarifpolitik. Dabei geht sie davon aus, daß die Mitglieder bei der Lohnforderung und bei der Arbeitszeit- und Beschäftigungsdebatte schon längst auf keinerlei falsche Gedanken mehr kommen und höchstens noch darauf hoffen, vor allzu großen Einkommensverlusten verschont zu bleiben. Denn die verantwortungsvolle Devise der ÖTV lautet ja nicht erst heute: Es war schon immer etwas teurer, im öffentlichen Dienst beschäftigt zu sein.

Kein Wunder, daß Minister Zimmermann bei soviel Rücksichtnahme von der Gewerkschaft eine Blankounterschrift unter sein "Sparprogramm" und den öffentlichen Verzicht auf jede Arbeitszeitforderung verlangt. Der Streit kann noch heiter werden - gerade weil er nur noch ums Ansehen der Gewerkschaft geht. Dabei kann ja die Politik nur gewinnen.