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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1984 erschienen.

Honnecker blieb drüben
"UNSERE DEUTSCHLANDPOLITIK WAR UND IST ERFOLGREICH"

Also sprach Kanzler Helmut Kohl. Verhandeln sei das Gebot der Stunde. Auf nichts käme es angesichts der "gespannten Großwetterlage" so an wie auf Gespräche. Die Bereitschaft zum Dialog wurde mit jeder neuen Rakete unterstrichen und von der anderen Seite verlangt. Von der "Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen für den Frieden" war da die Rede. Sind da die Absagen nicht ein empfindlicher Rückschlag für die Friedensbemühungen der Bundesregierung? Bricht nun doch eine neue Eiszeit in den Ost-Westbeziehungen an?

Keineswegs! Der Kanzler ist zuversichtlich, sein Vize voller Hoffnung und Dregger mitsamt Fraktion keineswegs überrascht. Und das nicht, weil sich's für Regierungen nicht gehört, Niederlagen zuzugeben. Die Bundesregierung mußte ganz einfach keine einstecken.

Honecker wie Schiwkoff hab en gleich mit der Absage den Wunsch vorgetragen, später zu kommen, und wollten die laufenden Beziehungen im übrigen ausdrücklich nicht beeinträchtigt wissen. Die Erklärungen waren peinlich bemüht, die Absagen nicht als Affront zu formulieren. Die Härte der Bonner Politik, mit der man sich konfrontiert sah, nahm man zwar zur Kenntnis, reagierte darauf aber nicht in der diplomatischen Form, wie es der Schwere der eigenen Vorwürfe an die Bonner Adresse entsprochen hätte. So will man die Tür offenhalten für die Fortsetzung "nützlicher Beziehungen."

Damit ist der Beweiszweck, daß der Osten bzw. ein Teil davon trotz der Raketen gesprächsbereit, also auf "uns angewiesen" ist, auch mit der Absage erfüllt. Ganz offensichtlich hat die Bundesregierung damit auf jeden Fall gerechnet. Nicht erst die Lässigkeit, mit der man die Absage kommentierte (Kohl: "...für ihn peinlicher als für uns... Unsere Deutschlandpolitik war und ist erfolgreich."), verweist auf die Gewißheit daß die andere Seite ein starkes Interesse an der Pflege und am Ausbau der Sonderbeziehungen hat. Schon die Strategie, den Geladenen laufend zu brüskieren, hat damit kalkuliert, daß der Besuch entweder unter der Bedingung laufender Infragestellung der DDR-Souveränität wie ihrer Blockzugehörigkeit stattfindet oder eben deswegen ausfällt.

Die Bundesregierung war denn auch nicht faul, ihre Sicht der Dinge an die große Glocke zu hängen, daß man sich gerade in der Frage der richtigen Reaktion auf die westlichen Raketen im östlichen Lager nicht einig ist, daß die "Satelliten" nicht strammen sowjetischen Kurs steuern. Der große Bruder mußte die Abweichler gewaltsam zur Raison rufen. Sie durften nicht so, wie sie gewollt hätten. "Bild" hat Tschernenkos nächtlichen Anruf abgehört: "Towarisch Erich, du darfst nicht nach Westdeutschland." Na klar, das wäre ein Triumph für Kohl und Co. gewesen, wenn der DDR-Staatsratsvorsitzende trotz der unverschämten Bedingungen, die ihm von der Bundesregierung aufgemacht wurden, angereist wäre und obendrein auch noch ein paar politische Zugeständnisse in Aussicht gestellt hätte, die "Durchlässigkeit" der "widernatürlichen" deutsch-deutschen Grenze betreffend. Aber daß der Erich kein ordentlicher Staatsmann und seine Zone kein souveräner Staat ist, das läßt sich auch vorführen, ohne daß er sich vorführen läßt.

Schließlich war die Absage kein deutsches "Nein", sondern ein russisches "Njet". Denn wenn die Partner der Sowjetunion so sehr gegen ihre von uns definierten Interessen verstoßen, dann kann das nur an ihrer mangelnden Selbstbestimmung liegen. Da waren sich Regierung und Opposition einig. Kohl: "Es steht für mich außer Frage, daß sowohl Schiwkoff als auch Honecker gerne in die Bundesrepublik gekommen wären, aber Moskau habe dies nicht zugelassen." Brandt: "Eine Deutschlandpolitik, die positiv und konstruktiv sein will, muß sich auch nach der sowjetischen Seite absichern." Ein eigenständiges nationales Interesse der DDR entdeckt die BRD nur da, wo es sich gegen die östlichen Bündnispartner richtet. Der Beweis ist da nicht schwer: Die Russen haben Honecker nicht in die BRD ausreisen lassen. Daß Regierungsbeschlüsse der DDR in Moskau gefaßt werden, will auch Brandt wissen, der es nicht lassen kann, mit seinen ostpolitischen Erfahrungen anzugeben. Zu mehr als der Demonstration mangelnder DDR-Souveränität taugen sie allerdings nicht. Denn praktisch kommt es beim Ziel der neuen Ostpolitik gar nicht auf die "sowjetische Seite" an.

Um die Beziehungen anzuleiern, brauchte Brandt sehr wohl die UdSSR. Die bedingte Anerkennung jetzt auszunützen und auf Basis der geschaffenen Abhängigkeiten auch der UdSSR - einen Keil ins sozialistische Lager zu treiben, heißt gerade, auf alle vermeintlichen und wirklichen Differenzen der sowjetischen Partner zu ihrer Führungsmacht zu setzen. Und deshalb ist der nächste Besucher schon ins Visier genommen. Der Außenminister, dem man in den "erregten" Zeiten allenthalben Besonnenheit und Mäßigung bescheinigt, spekuliert schon jetzt über die "Handlungsfreiheit" des Rumänen Ceausescu, schimpft ihn ganz nebenbei einen Stalinisten, moniert, daß in seinem Land einiges geändert gehöre (innenpolitisch "nicht besonders flexibel"), und lobt ihn ganz offen dafür, daß er westlichen Wünschen aufgeschlossen ist ("außenpolitisch ausgesprochen flexibel"). In der CDU sieht man seinen Besuch gleich als "Test der Handlungsfreiheit der Sowjetsatelliten" an. Ob der nun kommt oder nicht, eins steht fest: die SU kann dabei nur verlieren. Bleibt er zuhause, dann ist er eben Satellit. Kommt er nach Bonn, dann wird er dort als Beweis für die Attraktivität des Westens für die Staaten des Warschauer Pakts rumgeführt.

Da verkündet der Vorsitzende des innerdeutschen Bundestagsausschusses Reddemann (CDU) großzügig eine Reihe von Unverschämtheiten:

"Der deutsche Staatsbürger Honecker kann die deutsche Stadt Bonn ohne weiteres besuchen. Im übrigen könne und wolle man ihn nicht daran hindern, wenn er diese Absicht habe, denn 'als Deutscher genießt er hiar völlige Freizügigkeit."

Nicht bloß, daß er ihm den respektgebietenden politischen Titel streicht, er behandelt ihn gleich als Bürger einer gesamtdeutschen BRD für die Bonn als Hauptstadt gar nicht gedacht ist in die der Staatschef der DDR ja auch gar nicht dürfte. Und obwohl er ihn als solchen gar nicht reinlassen möchte, präsentiert er ihm die Bonner Forderungen für das Regierungsprogramm der DDR. Politiker wie Bahr, die, ganz fortschrittlich, dem Osten seine "mittelalterlichen" Repräsentationssehnsüchte ("Die sind da sensibler.") erfüllen möchten, erklären damit natürlich nur, daß diese Anerkennung nichts bedeute, am "wirklichen Status" Berlins etwa aber auch gar nichts ändere. Genauso ist es kein Zugeständnis an die DDR, wenn CDU-Minister Windelen erklärt, über eine "Respektierung der DDR-Staatsbürgerschaft" ließe sich reden. Die BRD ist sich des Erfolgs bei der Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche im eigenen und gegen das andere Bündnis so sicher, daß man auf eine Methode zur Demonstration dieser Ansprüche auch einmal verzichten kann. So kann man mit der DDR verkehren unbeschadet des Ziels ihrer langfristigen Beseitigung.

Die Herabsetzung der Besucher aus dem Osten hat also Methode. Allenthalben wird das bundesdeutsche Desinteresse an normalen Beziehungen bekundet. Von Gemeinsamkeiten wird nur geredet, um der anderen Seite vorzudefinieren, was sie für "unsere" Gemeinsamkeit zu tun und zu lassen hat. Systematisch wird die andere Seite in die Position des Bittstellers gebracht, weil man sich sicher ist, die Früchte sozialliberaler Entspannungspolitik einfahren zu können. Das Interesse der DDR an diesen Beziehungen sei "ökonomisch größer". Das Interesse der Bundesrepublik sei demgegenüber "menschlich motiviert und von der Nation gesehen" (Dregger). Das von der west-deutschen Ostpolitik in Szene gesetzte Sonderinteresse der DDR innerhalb des Comecon bildet die offene Kalkulationsgrundlage für die Erpressungsmanöver Bonner Politik. Von wegen, die Sowjetunion würde "das westliche Lager auseinanderdividieren". Im Gegensatz zu den zeitweiligen Hoffnungen der SU, so manches Sonderinteresse im Westen zu entdecken, dem die USA und die NATO schaden, sind die westlichen Spaltungsversuche im Ostblock recht erfolgreich, wie man an Rumänien sieht. Oder könnte sich jemand vorstellen, die BRD wäre 1980 nach Moskau zur Olympiade gefahren und würde die Teilnahme an den NATO-Manövern verweigern?

Freiheit für alle Gefangenen!

Vor und nach der Absage ist kaum ein Tag vergangen, an dem nicht immer grundsätzlicher verkündet wurde, daß man sich das östliche Lager nicht bieten lassen will und darf:

"Was uns stört - und alle Gutwilligen rund um den Erdball stören sollte -, ist die unannehmbare Lage für die Menschen in der DDR. In Weimar sind die Gedanken nicht frei; Männerstolz vor Königsthronen ist dort lebensgefährlich - auch literarisch - nicht erlaubt ... Die deutsche Frage ist... zuerst eine Freiheitsfrage. Deutschlandpolitik heißt: Freiheit, Menschenwürde, Freizügigkeit... Mehr als Freizügigkeit ist von der DDR zu fordern. Allem voran, daß sie einstellt die Militarisierung des öffentlichen Lebens, die Erziehung zum Haß und den Druck auf die Gewissen." (Rainer Barzel)

Die Zuständigkeitserklärung für die Untertanen der DDR-Regierung. trägt sich vor mit der Sicherheit, daß DDR-Auswandererströme durch westdeutsche Ausländerbehörden reguliert gehören, daß den Sachsen dasselbe herzliche Verhältnis zur Bundeswehr verordnet werden muß wie den Niederbayern, daß Zweck der Erziehung eine abgrundtiefe Abneigung gegen kommunistische Machthaber sein muß und daß ostdeutsche Kriegsdienstverweigerer nichts lieber täten als den Friedensdienst in der Bundeswehr. Es dürfte die Menschen drüben erleichtern, daß "der Bundeskanzler selbstverständlich verpflichtet ist, sich auch Gedanken zu machen über die deutschen Menschen in Osteuropa". Diese Pflicht haben sich die deutschen Politiker nicht nur ins Grundgesetz geschrieben; Barzel betrachtet die Zerschlagung des Ostblocks glatt als "Wiedergutmachung, die wir diesen Völkern schulden" und steckt, wie der Kanzler vor den Vertriebenen, gleich die Grenzen ab: "von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer". Das Selbstbestimmungsrecht der Völker kennt eben keine Grenzen. Am Ende atmet selbst die Sowjetunion befreit auf, wenn man ihr die Last des "Satellitengürtels" abnimmt, aus den Satelliten fest im westlichen Bündnis verankerte Staaten macht:

"Die Zeit wird kommen, zu der man in Moskau eine nüchterne Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen wird. Sie wird ergeben, daß die andauernde Beherrschung der im Zweiten Weltkrieg militärisch besetzten Gebiete, Staaten und Völker für Moskau und den Kommunismus iu teuer ist... Die militärischen, ideologischen und wirtschaftlichen Interessen der Sowjetunion erfordern den drückenden Satellitengürtel in Europa nicht." (Barzel)

Der Revanchismusvorwurf ist hier wirklich "dumm und ungerechtfertigt". So beschränkt sind unsere Herrschaften nicht, ihnen geht es um mehr!