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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1984 erschienen.

Systematik


TÜRKEN RAUS! ODER: DIE REGIERUNG SORTIERT IHR MENSCHENMATERIAL...

<p>"Ausländer, Person, die eine andere als die Staatsangehörigkeit ihres Aufenthaltslandes besitzt. Ein A., der das gewährte Gastrecht verletzt, kann ausgewiesen werden." (dtv-Lexikon). Eine lückenhafte Definition, denn erstens ist es gar nicht so leicht für eine Person mit einem anderen Paß als dem deutschen, überhaupt hereinzukommen in unser Inland, geschweige denn darin beliebig zu verbleiben; und zweitens kann sie auch unter Aufkündigung des Gastrechts ausgeladen werden, weil nicht dieses gilt, sondern zwei Formulare namens Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis. Dann trifft z.B. folgendes Stichwort zu: "Gastarbeiter, ausländische Arbeitnehmer, die <em>auf</em> <em>Zeit</em> in der Volkswirtschaft tätig sind." Zur Zeit befindet der bundesdeutsche Staat, daß in seinem Gebiete entschieden zuviele Ausländer sind, und wird entsprechend tätig. Allerdings nicht wegen der Volkswirtschaft, wenngleich sich die deutschen Opfer dieser Veranstaltung vormachen (lassen), an ihrem Los seien die Türken schuld. Deshalb gibt es nur wenige unter ihnen, die die Ausländerpolitik der Regierung nicht für einen Dienst am deutschen Arbeitnehmer halten.</p>

Die Regierung macht den Ausländern im Land das Leben schwer. Nicht allen Ausländern, versteht sich. US-Boys im bewaffneten Staatsdienst kann sie nach wie vor nie genug über den großen Teich herüberholen. Ausländische Staatsoberhäupter, Sportler und Chefdirigenten sind immer willkommen. Aus dem unfreien Osten anreisende Dissidenten sind offiziell gerne gesehen - kommen diese allerdings von etwas weiter südlich; sind es nicht Kommunismus und Sowjetmacht, gegen die ihre "abweichenden Meinungen" sich richten, sondern ehrenwerte, weil verbündete Diktaturen; handelt es sich gar um Opfer eines Rassismus, der der Bundesregierung kein Aufhebens wert ist: dann kriegen sie es mit einem demokratischen Asylrecht zu tun, das ihnen außer der Fortsetzung ihres Opferdaseins keine Chance läßt. Soweit sie nicht gleich abgewiesen oder nach kurzem Ausweisungsproxeß abgeschoben werden nach neuer Rechtslage brauchen sich Urteil und Vollstreckung in einem Ausweisungsverfahren um ein gleichzeitig laufendes oder sogar positiv abgeschlossenes Asylanerkennungsverfahren nicht zu kümmern! -, werden sie unter Bedingungen eingelocht, die eine Handvoll Tamilen z.B. am Neujahrsmorgen dieses Jahres nicht überlebt hat. In den Lagern wird noch den armseligsten Tröpfen der Vergleich aufgezwungen, ob sie es daheim am Ende nicht doch besser hatten als in der Obhut des freiheitlichsten Asylrechts, das Deutschland je gesehen hat. "Die BRD darf als Asylland nicht attraktiv werden!" heißt die erklärte Politik; und die wird erfolgreich in die Tat umgesetzt. Zum Schutz des Asylrechts und der wahren Asylfälle, versteht sich. Nur ein politisch linientreues und hartgesottenes Gewissen, das erprobtermaßen frei ist von jedem Anflug einer materiellen Vorteilsrechnung, soll in den "Genuß" des bundesdeutschen Menschenrechts auf Zuflucht vor auswärtiger politischer Verfolgung gelangen. Dabei krepiert natürlich so mancher - nebenher oder auch freiwillig mit einem Sprung aus dem Fenster des Verhandlungssaals für seinen Ausweisungsprozeß.

Ausländerhinaussäuberung...

Sehr kompromißlos bekämpft da die Bundesregierung die "Neuentstehung" von "Problemfällen", von denen sie schon viel zu viele im eigenen Lande weiß: die eins-komma-fünf Millionen Türken nämlich, denen sie die freiheitliche "Suche nach Glück" durch Lohnarbeit zugestanden hat. Zwar weiß niemand, wie viele davon "zu viele" sind, alle will niemand rausschmeißen. Und zu einem Maßstab für derartige Rechnungen mag sich schon gar niemand bekennen. Daß es aber insgesamt zu viele sind, steht fest; und dieses Urteil trifft im Bedarfsfall jeden einzelnen.

Zwar gibt es sehr viele, die schon so lange im Land sind, daß sie ein gewisses Recht auf eine zweijährlich zu erneuernde Aufenthaltserlaubnis erworben haben. Über solchen Rechtsansprüchen steht aber allemal, ganz rechtmäßig, das Ermessen gewisser Ämter. Und diese Ämter sind schon in sozialliberalen Zeiten mit allen nötigen Schikanen ausgestattet worden, um den "Türkenüberschuß" zu bekämpfen, selbst ohne förmliche Ausweisungsverfahren. Frau und Kinder nach Deutschland nachkommen zu lassen oder als Türke der "2. Generation" eine Braut aus der alten Heimat zu importieren, das ist ein Grundrecht von anderer Art als jenes Menschenrecht auf "Familienzusammenführung", das so gern gegen "Ostblock"-Staaten geltend gemacht wird - am liebsten, um deren Unmenschlichkeit anzuprangern, wenn sie einen zweistelligen Verwandtschaftsgrad für kein gutes Emigrationsargument halten. Bei türkischer "Familienzusammenführung" handelt es sich um ein Recht, das im wesentlichen aus den vielfältigen Bedingungen besteht, unter denen es nicht gewährt wird. Wenn z.B. die Ehe weniger als 1 Jahr besteht - in Bayern gilt eine 3-Jahres-Frist, ironischerweise genau der Zeitraum, der, von den Ehegatten getrennt verbracht, nach gültigem Scheidungsrecht den Tatbestand nachgewiesener Zerrüttung der Ehe erfüllt. Oder wenn die Kinder zu alt sind - Innenminister Zimmermann dringt da bekanntlich auf die 6-Jahres-Grenze. Oder wenn nicht genügend Wohnraum nachgewiesen werden kann. Oder wenn ein schwäbischer Amtmann in einem Probediktat zu viele Schreibfehler entdeckt...

... rechtsstaatlich...

Vor allem aber wird's für Türken wacklig, wenn sie ihren Job verlieren. Das Arbeitsrecht gebietet, daß sie erst dann in einen neuen Job vermittelt werden dürfen, wenn garantiert kein Einheimischer oder EG-Ausländer dafür in Frage kommt; das Ausländerrecht kennt als einen von 11 Ausweisungsgründen die Abhängigkeit von der Sozialhilfe, und demnächst soll bereits der Empfang von Arbeitslosenhilfe dafür ausreichen. Bei so wohlgeordneter Rechtslage, die die Bundesregierung sich selbstverständlich auch durch die EG-Assoziation der Türkei nicht durchkreuzen läßt, müssen - oder zumindest: sollen - hiesige Türken sich geradezu beschenkt vorkommen, wenn ihnen das großherzige christlichsoziale "Angebot" gemacht wird: Unwiderrufliche Heimkehr, ohne Zurücklassung eines einzigen Familienmitglieds - das Schicksal Halbwüchsiger ohne Türkisch-Kenntnisse zählt da nichts! -, gegen Einsendung aller Nachweise eines endgültig vollzogenen Grenzübertritts bis Erde Juni '84: Dafür werden die Einzahlungen in die Rentenversicherung ohne 2-jährige Wartezeit erstattet. (Ohne Arbeitgeberanteile, versteht sich: ein glänzendes Rentenkassengeschäft am Rande!) Bis Mitte dieses Jahres ist arbeitslos gewordenen oder auf Kurzarbeit gesetzten Türken, die sich auf diese Weise in die Türkei haben verabschieden lassen, sogar noch eine "Prämie" "nachgeworfen" worden: 10.500 DM, plus 1.500 DM pro exportiertes Kind, aber abzüglich 1.500 DM für jeden angefangenen Monat, den sie noch vier Wochen nach ihrer Kündigung in der BRD zugebracht haben. Gut 10.000 Türken haben dieses staatliche Trinkgeld mitgenommen - nicht weniger als 300.000 Türken, einschließlich hierzulande aufgewachsener Kinder, ist die Bundesregierung dank solcher "Anreize" bis Mitte des Jahres per Saldo losgeworden.

Jeder weiß oder kann sich leicht klarmachen, wie saudumm diese kalt abgeschobenen Leutchen jetzt in ihrem Geburtsland dastehen: mit einem Haufen türkischer Kröten, mit denen sich keine "Existenz gründen" läßt; den anatolischen Varianten von Arbeitslosigkeit entwöhnt, aber ohne Alternativen; mit Kindern, die aus dem Ruhrgebiet oder Westberlin nur im Urlaub herausgekommen sind - den Zwang, die Kinder mitzunehmen, hat ja kein Minister auf ein "Nachzugsalter" von 6 Jahren begrenzt! Der Schaden für die Betroffenen ist also klar genug.

...und mit tiefstem Bedauern

Weniger klar die andere Seite: Inwiefern steht die bundesdeutsche Republik ohne diese türkischen Einwohner jetzt eigentlich besser da? Was für ein "Problem" waren sie denn, die 300.000 "Problemfälle", die unser sauberes Staatswesen jetzt so erfolgreich losgeworden ist?

Die Regierung der geistig-moralischen Erneuerung beantwortet diese Frage mit einer christlich-demokratischen Heuchelei von eindrucksvoller Frechheit. Sie zeigt auf ihr Volk - das den neuen staatlichen Umgang mit den "Gastarbeitern" und ihren Familien natürlich schon seit der sozialdemokratischen Wiedereinführung des Visumzwangs für Türken längst mitgekriegt hat und daraus seine Schlüsse zieht. Sie verweist auf die "wachsende Ausländerfeindschaft" und leitet daraus für sich die Pflicht ab, dieser die Grundlage zu entziehen. Man ist ja schließlich zivilisiert und kann Ausländerhaß und Rassismus überhaupt nicht leiden. Was ist also zu tun? Man komplimentiert die Anlässe des nationalistisch-rassistischen Anstoßes besser gleich hinaus! Das müssen doch auch die Türken einsehen, daß ihr Weggang das einzig erfolgversprechende Mittel ist, der bösen Parole "Türken raus!" entgegenzutreten!

Kein "Argument" der Ausländerfeindschaft und des antitürkischen Rassismus läßt die Bundesregierung aus; sie nimmt sie alle für sich in Anspruch - als "bedauernswertes Volksvorurteil", das man nur so bekämpfen könne: Man unterstellt es als selbstverständlich - womit seine Verbreitung erst vollends garantiert ist - und trägt ihm Rechnung; mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns, aber...

Denn Unrecht mag eine demokratische Regierung ihrem Volk auch wieder nicht einfach geben, wenn dessen politischer Wille das 110%oige Echo der Regierungspolitik ist!

Und: Was haben sie gegen die Türken, die guten Deutschen?

...im Namen des Volkes...

Die anderthalb Millionen Türken in Westdeutschland und Westberlin könnten doch eigentlich mit ihren altertümlichen Großfamilien sehr schön den bundesdeutschen Geburtenrückgang ausgleichen, das angebliche Verwaisen unserer wohnlichen Städte und Dörfer verhindern, für Rentenzahlungen geradestehen, die Mannschaftsdienstgrade der Bundeswehr auffüllen... Diese anderthalb Millionen Mitmenschen haben nur einen entscheidenden Fehler, der sie für all diese schönen Aufgaben irgendwie doch untauglich macht:

Türken sind keine Deutschen!

Ein guter Deutscher spürt das einfach; jeder auf seine Weise und alle an allem.

- Die Frauen tragen Schleier und Pluderhosen, wundern sich furchtbar über halbnacktes weibliches Straßenpublikum und sind ihren Männern untertan. Nun schreckt zwar auch die westdeutsche Mode vor keiner Unförmigkeit zurück; die Nacktbader möchte mancher christliche Stadtrat am liebsten verhaften lassen; und eine Ehrenrettung der braven Hausfrau, die sonst nichts, also vor allem doof ist, hat die "Wende"-Regierung mit ihrem Familientrainer Geißler schon auf die Tagesordnung gesetzt. An Wurffreudigkeit kommt die Türkin geradezu dem Ideal des Ministers nahe. Doch:

- Türken sprechen nix gut deutsch; die deutsche Literatur (Goethe! Schiller!!) kann man ihnen nicht anvertrauen. Sicher, was man fürs Fernsehen braucht ("das ist Spitze!"), eignen sie sich schon an. Und welcher deutsche Student oder Professor liest schon noch vollständige Bücher - oder versteht sie womöglich? "Nix gut" ist kein schlechteres Deutsch als eine "nicht zielführende Problemlösungsstrategie". Und daß die Gedanken, die ein Türke auf deutsch auszudrücken vermag, dümmer wären als die Geistesblitze, denen die echten Deutschen Sprachdenkmäler setzen - die "sich in Gang befindliche Hochschulreform" der Frau Willms z.B. -, ist schlichtweg ausgeschlossen. Aber trotzdem:

- Türken verstehen sich nicht auf die deutsche Kultur. Ihre Musik ist anders und ihr Essen, ihre Vorstellungen von Wohnkomfort und vom Guten, Wahren, Schönen... Nun darf man auch unter lauter Deutschen weder das eine noch das andere Publikum nach dem Unterschied zwischen Nena und Haydn fragen. Mit "ursprünglichem Volkstum" schiebt sich längst nichts mehr, wo folkloristische Vereine und Trachtengruppen dessen Pflege übernommen haben - und mit ihren Auftritten nur einen Beweis führen, nämlich daß es darum auch überhaupt nicht schade ist. Und auf moralischen Tiefsinn verstehen sich türkische Moslems bestimmt nicht schlechter als deutsche Gottesanbeterinnen. Aber damit hat man gleich schon das Nächste:

- Türken halten stur an ihrem Islam fest und treten nicht einmal zu Beerdigungszwecken einer anerkannten Staatskirche bei. Sicher: Was für dümmeres Zeug sollten sie ihrem Mohammed wohl glauben als die Gefolgsleute des Ayatollah in Rom oder die lila gefärbten Jesus-Bekenner? Was mag umgekehrt der demokratische Alltag der Lohnarbeit von den mohammedanischen Sonntags- (resp. Freitags-) Predigten praktisch übriglassen - außer der konfessionsübergreifenden Schafsmoral geduldiger Unterwerfung, des verhohlenen Neids und eines im Jenseits getrösteten Gerechtigkeitsfanatismus? Schließlich und endlich gibt auch das einem christlich-demokratisch regierten deutschen Bürger zu denken:

- Türken sind irgendwie noch gar nicht richtig reif für die Demokratie. Sie neigen "den Extremen" zu, haben das Menschen, recht auf die freie, gleiche und geheime Wahl eines Helmut Kohl nie voll genießen dürfen und sind vor allem die Tugend der Toleranz nicht gewöhnt. Meinen durchaus gute deutsche Stammtischfaschisten. Deswegen und wegen ein paar Foltersitten braucht die Türkei zwar noch lange nicht aus der NATO auszutreten; in jener Weltgegend wird das schon genau das Richtige sein für die Verteidigung der Freiheit. Aber das ist es eben: Uns steht ein Urteil über die türkischen Sitten zu - und nie und nimmer umgekehrt!

Denn wenn alle zu Rate gezogenen Maßstäbe für die Andersartigkeit und Fremdartigkeit der Türken nichts taugen, dann zeigt das nur, daß die Unterscheidung zwischen "uns" und "den andern" eben gar , keine Maßstäbe braucht, sondern selber der oberste Maßstab ist. Sie sind nun einmal keine "von uns", sind hier nicht "zu Hause". Deswegen ist denn auch das Schlimmste, was ein Türke sich hierzulande überhaupt zuschulden kommen lassen kann, gar nicht seine Fremdartigkeit - sofern man sie ihm überhaupt ansieht -, sondern gerade das Umgekehrte: sich so aufzuführen, als gehörte er hierher, als wäre er "einer von uns" und hierzulande "zu Hause". Denn damit verstößt er erst eigentlich gegen den allerheiligsten Grundsatz, auf den alle rassistischen "Beweisführungen" hinauslaufen:

Türken haben hinter den Deutschen zurückzustehen!

Im Zeichen dieses Grundsatzes wird gerade das Allergewöhnlichste zum Beweis störendster Fremdartigkeit:

- Wenn ein Türke, oder sonst einer von den Ausländern, die hier bestenfalls geduldet sind, eine Wohnung sucht und dabei Erfolg hat, dann hat er nicht einfach Glück, die besseren Beziehungen oder mehr Geld übrig gehabt. Indem er getan hat, was täglich Hunderttausende tun, hat er zugleich ein Rechtsgut verletzt, das vor keinem Gericht einzuklagen ist: Er hat "uns" "die Wohnungen weggenommen". Dieser Urteilsspruch steht nicht bloß solchen Volksgenossen zu, die sich monatelang erfolglos auf dem Wohnungsmarkt umgetan haben. Wer immer von einem "Wohnungsmangel" hierzulande weiß, der darf die Mieter falscher Nationalität als die Schuldigen dingfest machen.

- Wenn ein Türke hinter einer deutschen Frau her ist, dann ist das noch schlimmer als wenn ein Volksgenosse sich nichts aus den erreichbaren Frauen macht. Durch die zuständige Nationalität dividiert, ist an einem ansonsten fur stinknormal erachteten und geforderten Geschlechtsleben eben überhaupt nichts normal. Eine Art Übergriff liegt vor. Und selbst wenn alles in legale Bahnen mündet, ist das Ergebnis bestenfalls etwas so Anrüchiges wie - eine "Misch-Ehe"! Um das ein bißchen pervers finden zu dürfen, muß kein deutscher Ehemann seine Gattin - oder umgekehrt - zuvor gut behandelt haben.

- Wenn ein Türke arbeitet und einen Lohn bekommt, und gleichzeitig finden etliche hunderttausend Deutsche keine Anstellung und stehen blöd da, wie es in unserem glorreichen Sozialstaat über Arbeitslose beschlossen und festgelegt ist: dann hat der Türke den Deutschen den Arbeitsplatz geklaut. Keinem anderen normalen Lohnarbeiter gegenüber bilden sich einheimische Arbeitslose - oder deren nationale Anwälte - eine solche Konkurrenzsituation ein. Da muß schon noch ein besonderer Gesichtspunkt hinzutreten, unter dem der staatlich verwaltete Arbeitsmarkt angeblich die Falschen begünstigt: die Beamten z.B., weil sie nicht einfach gefeuert werden können; oder die Behinderten - im Vergleich mit denen fällt ja sogar hartgesottenen Lohnarbeitern die sonst strikt abgeleugnete Wahrheit ein, daß auch sie von ihrer Arbeit ruiniert werden. Ausländer zu sein: das ist für sich schon Gesichtspunkt genug. Der Verdacht auf falsche Sortierung richtet sich ganz unbesehen gegen türkische Lohnarbeiter, sobald deutsche Volksgenossen noch nicht einmai mehr einen Lohn und eine "Chance" bekommen, sich nützlich zu machen - als wäre da nicht irgendwo noch eine untemehmerische Kalkulation dazwischen...!

In diesem Fall hat das geschädigte Interesse bzw. seine patriotische Betrachtung sogar einen rechtlichen Anlialtspunkt für seine Schuldzuweisung. Das "Arbeitsförderungsgesetz" macht es ja tatsächlich zur Pflicht der Arbeitsämter, freie Stellen erst dann an Nicht-EG-Ausländer zu vergeben, wenn sich dafür partout kein Inländer finden will. Diese gesetzliche Diskriminierung braucht aber noch nicht einmal bekannt zu sein. Für gute Deutsche geht sie allemal in Ordnung. Denn die fragen sich und andere ja ohnehin nur danach, ob die vielen Türken im Land nicht in einen unverdienten Genuß kommen. Und mit dieser Frage ist auch die Sonderbehandlung des fremdländischen Menschenschlags eine ausgemachte Sache.

Was steht Türken in "unserem" Staat eigenlich zu?

Das ist ein moralisches Problem, welches sich für eindeutige Antworten vorzüglich eignet. Dabei gehen die Antworten über die juristischen, vom Staat längst praktizierten "Lösungen" weit hinaus. Was kümmert denn die tatsächliche Benachteiligung, die das deutsche Recht einem hier lebenden Ausländer spuren läßt, wenn ein Nationalist seinen Staat wider alle Erfahrung als Dienstleistungsbehörde betrachten will! Und zwar als eine, die sich seinen Ansprüchen mehr oder minder gerecht anbequemt. Solch eine Sichtweise entdeckt an jedem Türken, der auf dem Müllauto trittbrettfährt und abends seine Wohnung aufsperrt, lässig eine Vernachlässigung der deutschen Arbeitslosen. Und die Klage, die laut wird, ist mit Kritik am Staat, der die Opfer schafft, nicht zu verwechseln. Sie kommt ja gleich als Forderung an die Politik daher; verlangt wird die entschlossene Durchsetzung von als fällig akzeptierten Opfern, aber an den Richtigen. Das sind in diesem moralischen Wahn von Leuten, die genauso wenig zu melden haben wie jeder Türke, eben die anderen.

Dieser Glaube ist leider mehr als eine falsche Auffassung vom Lauf der Welt. Er ist der unrealistische, aber einzige Gesichtspunkt der Zustimmung und des Mitmachens, den die freiheitliche Klassengesellschaft und ihre ordnende Gewalt ganz egalitär auch ihren weniger erfolgreichen Massen eröffnen. Er ist das allgemeine Prinzip aller Versuche, aus dem gesetzlich organisierten Zwang, sich in die paar Alternativen des kapitalistischen Alltags zu fügen, für sich "das Beste" herauszuholen. Weil man keine andere Chance hat, das Gegebene als Chance nehmen: Das ist der ganze theoretische und praktische Kunstgriff, auf dem der hartnäckige Irrtum beruht, die Unterscheidung zwischen In- und Ausländern, also der Staat überhaupt, wäre m seiner einheimischen Bürger willen eingerichtet.

Enttäuschungen sind dieser verkehrten Hoffnung so sicher wie das Amen in der Kirche. Ob Wohnungssuche, Ehe oder Arbeit: Überall ist eine bestimmte Klasse von Staatsbürgem immerzu damit konfrontiert, daß die staatliche Intervention das Leben keineswegs leichter macht. Für sie organisiert der staatliche Schutz des Eigentums, der Sittlichkeit und der Vertragstreue im Gegenteil lauter Beschränkungen und Nachteile. Ebenso sicher ist allerdings, daß die alltägliche Enttäuschung über ausbleibende Wohltaten des nationalen Rechtswesens die Täuschung nicht aufhebt, in deren Namen der Alltag beurteilt wird. Der eingebildete Anspruch auf staatliche Dienste wird durch seine praktische Zurückweisung nicht klüger, sondern verewigt sich - als Beschwerde.

Wo einem Lohnarbeiter das denkbar härteste Urteil ausgestellt wird, nämlich das: nach den Maßstäben und für die Bedürfnisse der nationalen Gesellschaft, von der seine Existenz abhängt, überflüssig zu sein - da wächst nicht die Kritik an den Bedürfnissen dieser Gesellschaft und an den Maßstäben der nationalen Macht. Da nimmt im Gegenteil die Klage überhand, die Staatsgewalt nähme ihre "eigentlichen" Verpflichtungen - zu denen diese sich nie bekannt hat! - gegenüber ihrem eigenen Volk nicht ernst genug. Dabei macht sich ein anständiger deutscher Arbeiter oder Massen-Anwalt noch nicht einmal darüber etwas vor, worauf es der "eigenen" Nation und Staatsgewalt tatsächlich ankommt in all ihrer angeblichen Fürsorge für ihre Leute. Die Beschwerde operiert stets mit dem Hinweis auf selbstlose, für andere und "die Allgemeinheit" lohnende Dienste, die man erbracht hätte; a ist sogar einmal die Bezugnahme auf die Arbeiterklasse geläufig und genehmigt, als deren Mitglied man schließlich, rücksichtslos gegen sich selbst, "Deutschland wieder aufgebaut" hätte. Die Erinnerung an die Härten des geschätzten Vaterlands will aber immer wieder nur auf die schmeichelhafte Lüge hinaus, damit hätte man sich, persönlich oder als Mitglied der nationalen Arbeitsarmee, ein Recht auf praktisch merkliche Würdigung bewiesener Dienstbarkeit erworben. Als verkehrt gelten Recht und Gesetz, nicht weil sie den Arbeitsdienst höchst unerfreulich organisieren, sondern o nach ihren Festlegungen die Dienste eines Ausheimischen in Anspruch genommen werden - die eines Einheimischen, der außer seiner Abhängigkeit von Benutzung nichts zu bieten hat, aber nicht. a wird die antikritische Beschwerdeführung sogar zur konstruktiv-faschistischen Anklage - bis hin zu der durchaus populären Idiotie, bei uns würde viel zu viel, im Grunde alles bloß für die Ausländer getan; man müßte geradezu ein Nichtsnutz oder ein Türke sein, um es sich in diesem pflichtvergessenen Staatswesen gut gehen lassen zu können...

Diese Art B eschwerde ist klassenübergreifend. Selbst wenn ihr Ausgangspunkt irgendeine klassenspezifische Betroffenheit ist: Ihr ganzer Inhalt besteht in dem Idealbild eines wohlgeordneten, den eigenen Untertanen vor allem anderen verpflichteten Gemeinwesens. Zu diesem Ideal bekennen sich, aus was für persönlichen Beweggründen auch immer, Zahnärzte und Amtsräte ebensogut wie Arbeiter und Arbeitslose mit ihren Existenzsorgen, und keineswegs bloß Kleinunternehmer mit ihrem Ärger über die ausländische Konkurrenz oder Pfaffen mit ihrer Abneigung gegen Mohammedaner. Nach Bedarf stimmen da auch die Manager mit ein, die gleichzeitig durch ihre kosmopolitische Vorurteilslosigkeit gegen Arbeitermaterial mit Knoblauchgeruch und vor allem mit ihren harten Kriterien für die ausreichende Nützlichkeit von Arbeitsplätzen und deren "Besitzern" das "Ausländerproblem" gerade überhaupt erst schaffen.

Nationalismus mit Vorwürfen bezüglich der Behandlung von Ausländern: das ist der Inbegriff staatstreuer Enttäuschung und Kritik, ebenso wie für alle Klassen auch für sämtliche Lebenslagen. So wenig die Staatsgewalt irgendetwas ausläßt aus ihrem reglementierenden Zugriff, so wenig verzichtet das staatsbürgerliche Urteil im Bedarfsfall irgendwo auf die Beschwerde, der obrigkeitliche Zugriff wäre den Falschen zugute gekommen, den Schlechten und den Andern und eben nicht dem treuen Volk. Wenn der eingebildete Anspruch auf Begünstigung durch die "eigene" Staatsmacht sogar den angeblichen Intimbereich erfaßt - ein Türke hat einfach kein Recht auf eine deutsche Frau und eine fremdländische "Schlampe" nicht auf einen ehrlichen deutschen Mann! -, so ist das keine "Entgleisung". Da zeigt sich nichts als die Hemmungslosigkeit, mit der ein staatsbürgerliches Rechtsbewußtsein die anspruchsvolle Allzuständigkeit der Staatsgewalt widerspiegelt. Rassismus ist eben wirklich nichts als zuende "gedachte " Vaterlandsliebe.

Natürlich gibt es in unserer demokratischen Gesellschaft auch genügend wohlmeinende Zurückweisungen nationalistischer Ausländerfeindschaft:

Man soll die Türken nicht immer nur schlecht machen!

Beispielhaft ist da etwa die dem "Türkenproblem" gewidmete Nummer der IG Metall-Zeitschrift "metall" mit dem programmatischen Titel "Für uns geschuftet - und jetzt raus?" (Nr. 9/83 vom 29. April 1983). Beispielhaft allerdings vor allem für die fatalen Fehler, die notwendigerweise zur Anwendung kommen, wenn Nationalisten die Opfer des Nationalismus in Schutz nehmen.

- Erstens operieren diese Ausländerfreunde, ohne sich etwas Böses dabei zu denken, mit dem nationalistischen Haupt- und Generalschwindel: einem "wir", das all die Unterschiede, auf die es ankommt hierzulande, kurzerhand beiseite wischt. Wer ist denn der "uns", für den die Türken sich nach Auffassung dieses Gewerkschaftsblattes so treu abgerackert haben? Hat die IG Metall sie etwa eingestellt und ausgenutzt? Haben die von den DGB-Gewerkschaften vertretenen Arbeiter die Erträge der Arbeit ihrer türkischen Kollegen nach Hause abschleppen dürfen? Der legendäre türkische Müllmann: Haben "wir" dem seine Arbeitsbedingungen und seinen Lohn zudiktiert - oder ein kommunales Sparprogramm?! Nützliche Dienste werden sie schon geleistet haben, die türkischen Lohnarbeiter. Aber sollte ausgerechnet einer Gewerkschaft völlig entgangen sein, wem diese Dienste nutzen, daß der Ertrag proletarischer Dienste sich nach dem Geschäft bemißt, das damit zu machen - bzw. der Ersparnis, die damit zu erzielen - ist, und nicht nach den Vorteilen des Käufers bzw. Steuerzahlers?

Die Unternehmer und "Arbeitgeber" der Nation sind die einzigen, die mit Fug und Recht behaupten könnten, sie seien das "uns", für das die Türken "geschuftet" haben - folglich kommen sie auch nicht auf einen solchen philanthropischen Quark. Von jeder anderen Fraktion der bundesdeutschen Gesellschaft und vor allem von den Arbeitern behauptet, ist das "für uns" eine Lüge. Diese ausländerfreundliche Heuchelei schwindelt sich hinweg über die Konkurrenzsituation, in die Lohnarbeiter durch ihre Anwender zu jedem ihrer Klassengenossen praktisch gebracht werden. Wie sollte sie da gar noch gegen die nationalistische, türkenfeindliche Deutung dieser Konkurrenzsituation aufkommen?

- Noch fataler ist allerdings - zweitens - der Gesichtspunkt, unter dem da die Türken einer wohlwollenden Würdigung durch das vaterländische "Wir" aller guten Deutschen anempfohlen bzw. unterzogen werden. Dieser Gesichtspunkt heißt "geschuftet" - und damit soll ein Ehrentitel ausgesprochen sein. Liebevoll werden Details uui dem Arbeits- und Alltagsleben des unteren Proletariats der westdeutschen Nation ausgebreitet - nicht um sie zu kritisieren oder auch nur darüber Beschwerde zu führen, sondern um damit die Tugend derer zu beweisen, die sie aushalten und alles mit sich machen lassen. Zur Anwendung kommt da der lupenrein faschistische "Schluß" von den Härten des Dienstes, zu dem ein Mensch gar keine Alternative hat, auf die zuverlässige Güte des derart dienstbaren Meinschenmaterials. Damit, so lautet die turkenfreundliche Ermahnung, hätten die zu Unrecht ungeliebten Ausländer sich doch eine gewisse Gleichwertigkeit mit einem gebürtigen Deutschen (v)erdient.

Auch diese wohlmeinende Frechheit blamiert sich natürlich sogleich. An einem Faktum nämlich, das jeder kennt und im Normalfall für gar nicht anstößig befindet: Natürlich arbeitet ein Lohnarbeiter für seinen Lebensunterhalt, also um des Geldes willen und nicht aus Liebe zu den Nutznießern des Hergestellten. Selbst der dümmste Türke ist nicht in die BRD gekommen, weil er so furchtbar gerne deutschen Bürgern ihren Dreck wegfegt, sondern um Geld zu verdienen. Und da soll ausgerechnet das absurde Kompliment, irgendwie wäre es mit den Türken doch ein bißchen umgekehrt, einen Nationalismus erledigen, der jedem ausländischen Lohnarbeiter jede verdiente D-Mark neidet?!

Die Zurückweisung der populären Ausländerfeindschaft, ob gewerkschaftlich, kirchlich oder durch sonstige Moralismen inspiriert, kritisiert nie die Maßstäbe dieses Wahns: das nationale "Wir" und die Hochschätzung des Dienens am "Ganzen", diesem moralischen Zufluchtsort für alle materielle Enttäuschung. Diese Maßstäbe werden übernommen und sollen den Ausländern zugute gehalten werden. Letztlich wären die meisten Türken in moralischer Hinsicht doch ganz gute Deutsche: Das ist das verrückt nationalistische Beweisziel, das der Kampf gegen "übertriebenen" Nationalismus sich setzt. Vom Sortieren können und können sie eben nicht lassen, die alternativen patriotischen Gemüter. Und umgekehrt: Welcher eingefleischte Türkenhasser leistet sich denn nicht die ihm persönlich bekannte Ausnahme des anständigen Türken, gegen den eigentlich nichts einzuwenden wäre - wenn nur alle so wären...?!

...nach seiner Verfügbarkeit für letzte Dienste

Die moralischen Illusionen ihres Volkes sind jeder Regierung sehr recht - vor allem deswegen, weil sie dadurch zu nichts verpflichtet wird. Keine Regierung macht sich von den Idealen abhänigig, in deren Namen sie regiert; sie nützt sie aus.

Das ist bei der Beschwerde über "die Ausländer" - die wie gute Deutsche behandelt würden, während die guten Deutschen... nicht anders. Wenn es die Lage auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt gebietet, setzt jede Regierung sich über nationalistische Einwände der ausländerfeindlichen Art ebenso gelassen hinweg wie bei der Stationierung verbündeter Soldaten. Solche Einwände haben dann einfach keine Konjunktur. Auch dann noch nicht, wenn der Menschenbedarf des nationalen Arbeitsmarkts zurückgeht und eine steigende Anzahl überflüssig gemachter Lohnarbeiter den Nationalismus zu seinen türkenfeindlichen Beschwerden anregt. Erst wenn denen von oben, aus den Sphären der offiziellen Politik Recht gegeben wird, existiert ein wirkliches, anerkanntes "Türkenproblem", das umsichtige Innenpolitiker "rechtzeitig entschärfen" müssen.

Wieder einmal: Die "Arbeitsplätze"...

Den Grund für einen solchen Übergang bildet nie der "überfüllte" Lohnarbeitermarkt. Sicher, die amtliche Politik, Türken massenhaft nach Hause zu schicken, ist der wesentliche Bestandteil der christlich-liberalen "Beschäftigungspolitik". Gerade daran wird aber doch deutlich, daß die Regierungspolitik sich nicht im entferntesten an dem Zweck mißt, Lohnarbeitern einen standesgemäßen Lebensunterhalt zu verschaffen. Gemeinsam mit den Unternehmern und dem DGB, der pflichtschuldigst vor der Gewöhnung erst an eine, dann an zwei, inzwischen an drei Millionen Arbeitslose "warnt" - haben sich die Bonner Wirtschaftspolitiker bestens mit einer ansehnlichen "Reservearmee" als dem neuen Normalzustand auf dem "Arbeitsmarkt" eingerichtet. Diesen Zustand geben sie keineswegs leichtfertig preis! Das "Türken-Heimschicken" mag gut sein für die Ideologie unermüdlicher staatlicher Fürsorge für die Arbeitslosen; es mag auch gut sein für eine Entlastung der staatlichen Sozialversicherungskassen. Deswegen ist die - ungerührt vermehrte - Arbeitslosenzahl aber noch lange kein Grund für ein aufgeklärtes Staatswesen, den "Arbeitermarkt" zu entvölkern, geschweige denn nach völkischen Gesichtspunkten.

...die "aussterbenden" Deutschen

Die "bevölkerungspolitischen" Zielsetzungen der "Wende"-Regienng werden in einer anderen, rein von oben aufgebrachten Ideologie schon deutlicher. In der Sorge nämlich, daß "die Deutschen aussterben". Oder auch in der Alternative, vor die Innenminister Zimmermann die zugereisten Türken angeblich stellen will, nämlich entweder ganz die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben oder ins Reich ihrer türkischen Obrigkeit heimzukehren. Das lächerliche Lamento über eine dahinschwindende Zahl deutscher Volksgenossen, vorgebracht unmittelbar neben der Sorge um eine überhandnehmende Zahl von Türken hierzulande - und von Menschen auf dem Globus überhaupt -, dokumentiert den Rassismus, zu dem die Regienng des Familienministers Geißler sich ganz unbefangen bekennt. Die - angesichts des regierenden Personals erst recht naheliegende - Frage, was an einem Deutschen eigentlich so schätzenswert sein soll im Vergleich zu den "überzähligen" Exemplaren anderer Menschensorten, wird durch Zimmermanns "Rein-oder-Raus"-Idee vergleichsweise unideologisch beantwortet. Diese Alternative enthält ja kein Versprechen auf Einbürgerung, gewährt keinem Türken eine Wahlfreiheit. Zimmermanns Behörden und die seiner Länderkollegen behalten alle Entscheidungsfreiheit darüber, wen die BRD als Bürger haben will und wen alles nicht. Und für diese Entscheidung bleibt es bei der Maxime: "Die BRD ist kein Einwandenngsland!" Eine "Sanienng" des "überalterten" deutschen Volkskörpers durch frisches Türkenblut ist also nicht geplant. Verdeutlicht wird aber der wirkliche Gesichtspunkt, unter dem türkisches Menschenmaterial einer deutschen Regienng eben doch nicht so recht ist wie deutsch geborenes. In einem sehr elementaren Sinn geht es der Regienng darum, daß die Leute, die in ihrem Land redlich und ohne materielle Ansprüche tun, was von ihnen verlangt wird, außerdem noch und überhaupt ihre eigenen Untertanen sind.

Der demokratische Rassismus

Dieses Kriterium kann unmöglich der Sorge oder gar der Feststellung entstammen, Türken, Jugoslawen und sonstige Ausländer wären im zivilen und geschäftlichen Leben womöglich doch weniger brauchbar als Pfälzer, Friesen oder Sachsen. Es handelt sich um einen staatlichen Maßstab, der die gesamte Sphäre des zivilen und geschäftlichen Lebens - also auch die dort längst stattgefundene "Integration" - insgesamt in ihrer Bedeutung relativiert. Dort mitzumachen, ist eben und gilt vor allem als eine Sache der Berechnung; eines ökonomischen Kalküls, das Nachteile nur um größerer Vorteile willen in Kauf nimmt. Auch für türkische Lohnarbeiter geht diese Rechnung zwar nur im Vergleich mit dem nackten anatolischen Elend, in Wahrheit also nicht auf. Aber wie könnte das einer Regierung einleuchten, die für verelendete Asiaten, die in Westberlin landen, die Kategorie des "Wirtschaftsflüchtlings" erfunden hat! Im zivilen Bereich gestattet und beschützt die bürgerliche Staatsgewalt jedermanns Erfolgsstreben - im Rahmen der Gesetze des Eigentums und der Menschenwürde des Lohnarbeiters. Also nimmt sie diesen gesamten Bereich als Eldorado des Egoismus - und nicht als letztgültige Bewährungsprobe staatsbürgerlicher Loyalität.

Deren Kriterium heißt, ganz kompromißlos: Dienst ohne Vorteil - sogar ohne die verkehrte Hoffnung darauf, daß er sich auszahlt. Und dieser Maßstab schlägt auf alle Fälle gegen alle Ausländer aus, die aus wirtschaftlichen Beweggründen hergekommen sind - wie trostlos auch immer es um ihren Materialismus bestellt sein mag. Dies um so mehr, als es ja immerhin auch noch eine Entscheidungshoheit der türkischen Behörden über ihre auswärtigen Untertanen gibt. Diese Hoheit über ihr Volk wird den Machthabern in Ankara auch gar nicht bestritten - im Unterschied etwa zu den "Ostblock"-Staaten, die fast alle über irgendeinen Volksteil gebieten auf den die Bonner Regierung Besitzansprüche angemeldet hat. Die DDR-Regierung verfügt bekanntlich überhaupt nur über unrechtmäßig verhinderte Bundesdeutsche; auf die erstreckt sich logischerweise sogar die westdeutsche Wehrüberwachung, sobald sich Mitglieder der einschlägigen Jahrgänge einmal diesseits der "Demarkationslinie" sehen lassen. Dem Bündnispartner Türkei gedenkt die Bundesregierung sein Staatsvolk nicht streitig zu machen - eben deswegen haben seine abgewanderten Arbeitskräfte aber auch die geringsten Aussichten der BRD als vollwertige Bürger genehm zu sein.

Denn das schließt, in den verbleibenden 80er Jahren offenbar mehr denn je, solche letzten Dienste ein, für die eine demokratische Regierung sich nur auf eine garantiert berechnungslose, am besten ehen angeborene Zugehörigkeit zum eigenen Untertanenbestand verlassen mag. Die zuverlässigsten staatsbürgerlichen Sortierungsgesichtspunkte bietet für "schwere Zeiten" immer noch - der offizielle Rassismus.

"Wir riefen Arbeitskräfte - und es kamen Menschen"

So Max Frisch, Schweizer Dichter, und mit ihm alle mitfühlenden Völkerfreunde.

Während die "Bild"-Zeitung ihrer Leserschaft "Ein Herz für Kinder" vorschreibt, befaßt sich der eine Etage weiter oben angesiedelte Menschenfreund mit einem problematischeren Menschenschlag: "Ein Herz für Gastarbeiter". Vor lauter Anteilnahme kommt die Frage gleich gar nicht mehr auf, was es damit auf sich hat, daß Millionen ausländischer Arbeiter hierzulande und anderswo unter den elendesten Bedingungen arbeiten und leben. Um so prosaische Fragen wie mehr Lohn, Schutz vor staatlichem Zugriff, anständige Wohnungen usw. geht es da nicht einfach. In diese niederen Ebenen verirrt sich der philanthropische Geist ja auch nicht angesichts der heimischen Arbeiter, warum dann ausgerechnet bei den auswärtigen! Der eigenen Führungsmannschaft und den Herren der Wirtschaft, die das lebende Arbeitsmaterial ins Land geholt haben und seine Anwendung organisieren, wird etwas ganz anderes zur Last gelegt als die zweckmäßige kapitalistische Benutzung und entsprechende politische Verwaltung: ein Versäumnis nämlich, eine grundlegende Täuschung über den Charakter der Mannschaft, die man sich da ins Land geholt hat. Beim Interesse an dienstbaren Händen, das solche Menschenfreunde partout nicht kritisieren wollen, soll das vergessen worden sein, was Dichter und andere moralisierende Geistesmenschen für die vornehmste Bestimmung eines jeden halten und dem Staat beim Umgang mit dem eigenen Volk zugutehalten, die Bestimmung, "ein Mensch" zu sein und als solcher gewürdigt und anerkannt zu werden. Ausgerechnet die Abstraktion von allen Verhältnissen, in die Untertanen so gestellt sind, wird als der wahre Charakter der Ausländermannschaft ihrer 'bloßen' ökonomischen Dienstbarkeit entgegengestellt und dem Staat zur pfleglichen Berücksichtigung anempfohlen. Und nicht nur ihm. Der feinfühlige Anwalt der Würde eines jeden, auch des ausländischen Menschen, kann nicht umhin, "uns allen" - die er ja auch dafür verantwortlich macht, daß "Arbeitskräfte gerufen" wurden - ins Gewissen zu reden: "Wir alle" lassen es an der entsprechenden Ehrfurcht vor fremdem Menschsein fehlen, achten im Fremden nicht den Gleich gestellten... kurz: leisten uns eine ganz und gar rückständige Einstellung. Damit ist das "Problem" mit diesen Menschen in unserer Gesellschaft nicht -zu lösen. Denn daß aus dem Unterschied der Staatszugehörigkeit lauter "Schwierigkeiten" entstehen müssen, leuchtet dem Menschenfreund sofort ein - zu lösen wären sie doch nur mit mehr gutem Willen und einer zivilisierteren Einstellung. Auf diesem Feld entdeckt der kritische Geist dann auch die wahren Versäumnisse des Staates: bei der Bereinigung der "Schwierigkeit" nämlich, der Arbeitskraft auch noch Anerkennung als "Mensch" zukommen zu lassen, gehen die Politiker mit schlechtem Beispiel voran. Moraltriefende Solidaritätsbekundungen a la Willy Brandt, bedauern die Worte über unerträgliche Wohnverhältnisse, Aufrufe zum weihnachtlichen Gansessen mit Türken - das kann man von den obersten Repräsentanten des "Wir alle" schon erwarten. Darüber hinaus - und erst recht, wenn die Politiker nicht so mitziehen - hat auch das sonstige Volk seinen Beitrag zur moralinsauren Reinigung der Demokratie von schmutzigen Flecken zu leisten. Wenn jeder die Gesinnung "Mein Freund ist Türke", "Ich bin kein Andorraner" öffentlich am Revers trüge, das wäre doch was für so ein modellhaftes Staatswesen wie die BRD. So aber dürfen "wir uns" nicht wundern, wenn die Politiker zwischen (demonstrativ geheuchelter) Ohnmacht und Gleichgültigkeit stecken bleiben. So ist die Schuldfrage geklärt. Und der humanistische An kläger und Appellant an das Bessere in seinem Staatswesen ist fein heraus: Seinem notorisch guten Gewissen hat er Genüge getan mit seinem Aufruf. An ihm kann's nie und nimmer liegen, hat er doch allen anderen ein schlechtes Gewissen anempfohlen und ist ihnen damit moralisch immer schon voraus. Den "Gastarbeitern" nützt das einen Scheißdreck - dem Staat, der sie nach Bedarf holt und heimbefördert, aber schon.