Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1984 erschienen.

Der Katalysatorbeschluß
EIN GUT KALKULIERTES STÜCK UMWELT

Die Bundesregierung hat mit ihrem bislang gut einjährigen Entscheidungsprozeß in Sachen Auto-Abgasreinigung keine gute Presse. Was da aber an Kritik zu vernehmen ist, blamiert sich durchaus an der umweltpolitischen Ausgewogenheit des Kabinettsbeschlusses vom 19. September. Denn die - volkswirtschaftlichen - Kriterien dieses Beschlusses teilt noch fast jeder Kritiker.

Der "Ankündigungsminister" Zimmermann soll seine "Glaubwürdigkeit" verlieren, ja sich eigenhändig zum "Bluff-Minister" (Süddeutsche Zeitung) abgestempelt haben. Die Regienng soll "umgefallen" sein, und das auch noch nach "allzu langem Zögern". An Standfestigkeit gegenüber den EG-Partnem fehle es ihr, und sie sei nicht einmal in der Lage, der Auto- und Mineralölindustrie in deren eigenem wohlverstandenen Interesse die dringend notwendigen Orientienngsdaten für ihre Investitionsentscheidungen in Sachen Abgasentgiftung an die Hand zu geben; statt dessen lasse sie sich von kurzsichtigen Lobbyisten einwickeln.

Und schließlich - der "Spiegel", das tonangebende umweltpolitische Staatsorgan, brachte es an den Tag - ist der jüngste Beschluß noch nicht einmal endgültig, bedarf noch der Zustimmung der Bundesländer und der EG-Kommission. Versagen auf der ganzen Linie also?

Gemessen an den umweltpolitischen Ansprüchen der kritischen Öffentlichkeit wohl nur sehr bedingt. Denn darin sind sich alle verantwortungsbewußten Instanzen unserer Waldnation einig: Unser National-Wald, bekanntlich der Urquell des Reichtums der deutschen Volksseele, muß erhalten werden, ohne daß darüber die wahre nationale Reichtumsquelle, das kapitalistische Geschäftsleben, Schaden leidet.

So hatte denn der oberste Schützer der Nation vor rassischer, politischer und physikalisch-chemischer Umweltverschmutzung den Beifall auf seiner Seite, als er den obligatorischen Katalysatoreinbau für Neuwagen ab 1.1.86 forderte. Wenn's nun auch frühestens 1989 so weit ist, umweltpolitische Erfolge zeitigt diese "mutige Ankündigung" schon heute. Die Kritik etwa an der Rücksichtnahme auf den Faktor Strompreis in der Produktionskostenkalkulation der Industrie und auf die Kapitalamortisationsrechnungen der Kraftwerksbetreiber, deren sich die "Großfeuerungsanlagenverordnung" mit ihren üppigen Übergangs- und Ausnahmeregelungen befleißigt, ist ziemlich in den Hintergnnd gerückt. Und auf die Proportionen, in denen Kraftwerks- und Industriefeuenngsanlagen einerseits, der PKW-Verkehr andererseits an der Luftverschmutzung beteiligt sind, mag nicht einmal mehr die Auto-Industrie hinweisen. Es bleibt an uns, sie in Erinnerung zu rufen: Die beiden Hauptschadstoffe, Schwefeldioxid (SO2) und Stickoxide (NOx), die beide direkt - als Gas - und mittelbar als "saurer Regen" - nicht nur die Gesundheit der Bäume zerstören, sind mengenmäßig etwa je zur Hälfte an den Schädigungen beteiligt. Das SO2 kommt fast ausschließlich aus Kohlefeuerungen, die Stickoxide etwa zur Hälfte ebenfalls aus Feuerungsanlagen, zur Hälfte aus Verbrennungsmotoren, d.h. aus dem Verkehr. Von diesem letzteren Anteil entfallen ca. 60-70% auf Personenwagen. Das ist natürlich allemal genug, um etwas gegen die giftigen Abgase zu tun. Der Gesundheitszustand von Großstadtbewohnern hätte da durchaus auch vor 20 Jahren schon einigen Anlaß geboten.

Aber hier geht es ja nicht um das Leben in der Großstadt und seine bekanntlich höheren Lebensrisiken, sondern um die durch den Wald repräsentierte nationale Umwelt, durch deren Schädigung sich jeder Deutsche als Staatsbürger ganz unmittelbar betroffen fühlt, lange bevor er aus seiner periodischen Bronchitis oder sonstigen eindeutigen Krankheiten einen gescheiten Schluß zieht.

Eine passende Gelegenheit also, am Beispiel des Massenkonsumguts "Auto" durch eine gezielte Inanspruchnahme ihres Geldbeutels den Leuten die Einsicht nahezubringen, daß "Umweltschutz nicht zum Nulltarif" zu haben sei. Diese Einsicht und Opferbereitschaft haben grüne Umweltfreunde zwar auch hinsichtlich der Kosten der Rauchgasentgiftung der Kraftwerke bekundet. Höhere Strompreise, Waldpfennig etc., damit auch die 6 Mrd. DM für die Filteranlagen sich für die Kraftwerksbetreiber als gewinnträchtige Investitionen auszahlen? Aber immer, für den deutschen Wald ist uns kein Opfer zu groß.

Da der Strompreis aber vor allem ein Element der industriellen Kostenkalkulation ist, ändert alle individuelle Opferbereitschaft nichts: Eine Produktionskostensteigerung kostet bekanntlich Arbeitsplätze = schmälert die Gewinne.

Die Klassen-Logik dieser Argumentation ist eindeutig: "Umweltschutz kann nicht umsonst sein" - für diejenigen, die ihren Lebensunterhalt aus dem Zu-Markte-Tragen von Arbeitsvermögen und Gesundheit bestreiten. "Umweltschutz darf die Kostenbelastung nicht erhöhen" - für die Wirtschaft, deren Beitrag zum Gemeinwohl in der profitablen Anwendung ihres Kapitals besteht.

Wer zahlt den Katalysator?

In der Autoabgasfrage ist dieses Prinzip durch den Kabinettsbeschluß zunächst bestens gewahrt. Die Kosten des Katalysators fallen beim "Endverbraucher" an, die Autoindustrie könnte mit dem zusätzlichen Gebrauchswert "abgasentgiftet", für den offenkundig ein gesellschaftliches Bedürfnis besteht, ein zusätzliches Geschäft machen - wenn es da nicht das ziemlich begrenzte zahlungsfähige Bedürfnis derjenigen Mehrzahl potentieller Autokäufer gäbe, deren Zahlungsfähigkeit unter dem Titel Arbeitskosten seit längerem kontinuierlich reduziert wird. Und für die Behauptung auf einem kontrahierenden Markt ist der Verkaufspreis das entscheidende Konkurrenzmittel, kommt es auf die Senkung der Produktionskosten mehr als je an. Um diesen ziemlich banalen Kern drehen sich die derzeitigen politischen Kalkulationen von Bundesregierung, Autoindustrie und EG-Kommission.

- Mit Katalysatorautos, die nicht teurer sind als Modelle ohne Abgasreinigung, ließe sich zwar ziemlich schnell die Abgasemission senken, aber kein Geschäft machen;

- Damit die Katalysatorwagen für die Industrie ein gutes Geschäft werden, muß der weitere Gebrauch alter Autos zu einem schlechteren Geschäft gemacht werden. D.h. durch staatliche Maßnahmen wird ihr Betrieb so verteuert, daß auch diejenigen beschleunigt zum Kauf eines Neuwagens gezwungen werden ("marktwirtschaftliche Anreize zum Umweltschutz schaffen", heißt das übrigens heutzutage), die zwar ein Auto notwendig brauchen, aber jede dafür aufgewandte Mark dreimal umdrehen müssen. Da hat man sich einiges einfallen lassen: Erhöhung der KFZ-Steuer und der Mineralölsteuer auf bleihaltiges Benzin, auf Anregung der Mineralölindustrie (die sich damit Umrüstungskosten bei den Tankstellen spart und ein besseres Geschäft mit dem Supertreibstoff macht), zudem wahrscheinlich ein Verkaufsverbot bleihaltigen Normalbenzins. Und die moderne Umwelt-Ökonomie hat sicher noch mehr auf Lager. Daß da nebenbei für den Staatshaushalt weit mehr hereinkommt, als ihm auf der anderen Seite an "Vergünstigungen" für Katalysatorautos rechnerisch entgeht, wird mittlerweile offen zugegeben.

- Damit das Geschäft mit dem Katalysator aber nicht doch womöglich von der skrupellosen ausländischen Konkurrenz durch ein Ausnutzen der so noch weiter begrenzten zahlungsfähigen Nachfrage durch Niedrigpreise für Autos ohne Katalysator beeinträchtigt wird, muß deren Einbau vom Staat als allgemeine Konkurrenzbedingung der Autoindustrie verbindlich gemacht werden.

- Solche formell gleichen Konkurrenzbedingungen lassen sich aber von den verschiedenen Autounternehmen je nach ihrem Produktionskostenniveau unter den neuen Gegebenheiten ganz unterschiedlich ausnutzen. Die japanische und westdeutsche Industrie haben wegen der schon laufenden massenhaften Katalysatorbestückung für den Absatz in Japan und den USA klare Vorteile gegenüber den englischen, französischen und italienischen Autokonzernen, die schon bisher auf den amerikanischen und japanischen Markt verzichtet haben, weil sie nicht in der Lage waren, mit den dort geltenden Abgasbestimmungen ein Geschäft zu machen. Würde ihnen durch die Katalysatorpflicht auch in der BRD das Geschäft verhagelt, wäre das vom deutschen Standpunkt aus natürlich kein Schaden, sondern eröffnete die erfreuliche Perspektive einer wunderbaren relativen Markterweiterung. Aber:

- Die einseitige staatliche Festsetzung solcher Bedingungen gilt als EG-Vertragswidriges Handelshemmnis, das mit Vergeltungsmaffnahmen beantwortet werden kann. Kein Markt mehr für VW in England, Frankreich, Italien?

"Harte Verhandlungen" stehen also für Zimmermann an. Worüber? Wie weit die BRD ihre europäischen Partner erpressen kann, die Verschlechterung der Konkurrenzposition ihrer Autoindustrie hinzunehmen. Oder auch: wie weit, sich der für diese Verschlechterung zu zahlende Preis in Sachen Agrarmarkt, EG-Haushalt etc. drücken läßt. Und das ist denn auch der heißeste Punkt im innenpolitischen Streit um "Katalysator 1986, 1989, 19??". Ist die Bundesregierung gegenüber den EG-Partnern entschieden genug aufgetreten? wird gefragt. Die handfeste, von Grünen, SPD und CSU-Förstern gleichermaßen geteilte Vision dahinter heißt: Die EG-Partner werden es angesichts der vom Waldsterben aufgewühlten deutschen Öffentlichkeit nicht wagen, der deutschen Autoindustrie ihre Geschäfte zu vermasseln. Das ist doch eine Botschaft ans Ausland, wenn die politökologisch gewitzten Deutschen tönen: Wir sind zu jedem Opfer für unseren Wald bereit, da bringen wir auch gerne und wieder einmal Opfer für das Durchstehen eines Handelskonflikts mit den anderen EG-Staaten um die Konkurrenzvorteile der deutschen Industrie. So geht tatsächlich das sagenhafte Programm in Erfüllung:

"Durch Umweltschutz zu neuem Wirtschaftswachstum" (Wirtschaftswoche, 28.9.84)

Das Geschäft schützt die Umwelt immer noch am besten!