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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1984 erschienen.

Systematik

Nicaragua
DIE FREIHEIT LÄSST KEINE WAHL

"Die USA beschuldigen den Sandinismus, er sei gleichbedeutend mit Totalitarismus, Marxismus-Leninismus und dem cubanisch-sowjetischen Vormarsch in der Region. Nehmen wir an, diese Analyse stimmt, dann wird das Volk am 4. November seine Stimme abgeben für den Totalitarismus, den cubanisch-sowjetischen Einfluß und den Marxismus-Leninismus. Wir haben uns bisweilen unklar ausgedrückt. Der Imperialismus hat uns den Gefallen getan, uns zu sagen, was wir sind. Ohne den US-Krieg gegen uns hätte sich die Wahlfrage für uns überhaupt nicht gestellt. Eine Revolution braucht solche überflüssigen Spielchen nicht." (Comandante Bayardo-Arce),

Das wissen sie also, die Sandinisten, daß Wahlen so ziemlich das letzte sind, was ihr Volk braucht. Immerhin hat es eine Revolution gemacht, um sich der Herrschaft des Somoza-Clans zu entledigen, und damit seinen Willen sehr nachdrücklich zum Ausdruck gebracht. Für alle Sachen, die jetzt anstehen - die Felder bestellen, damit's was zum Beißen gibt, die weitgehend zerstörte Produktion wieder aufbauen und sich gleichzeitig gegen die Contras mit ihren US-Auftraggebern und Unterstützern zur Wehr setzen - dafür ist ein demokratischer Wahlzirkus überflüssig wie ein Kropf.

"All denen, die immerzu freie Wahlen für Nicaragua fordern, geht es auch um etwas ganz anderes, als um die angeführten Probleme:

die Gegner des Sandinismus fordern Wahlen, um durch einen Sieg ihrer Mannschaft die Revolution rückgängig zu machen;

- die "Freunde" Nicaraguas, hierzulande vor allem in der SPD organisiert, wollen sich bestätigen lassen, daß dieses Land sich ihres Wohlwollens würdig erweist, indem es sich mitten im Krieg den "Luxus von Wahlen" (Willy Brandt) leistet und dementsprechend einiges kosten läßt.

Dennoch haben die Comandantes Wahlen angesetzt. Und der Gang der Ereignisse beweist, daß auch der Imperialismus sie als höchst "überflüssiges Spielchen" behandelt, wenn das erwünschte Ergebnis dabei nicht herauskommt.

- Bis zum Februar dieses Jahres forderten die USA samt ihren Bündnispartnern in Europa und in Mittelamerika die Sandinisten auf, sich "freien Wahlen zu stellen".

- Im Februar 1984 setzte die Junta den Wahltermin fest und garantierte allen politischen Parteien die uneingeschränkte Beteiligungsmöglichkeit.

- Im März forderte das rechte Oppositionsbündnis Coordinadora Democratica die Aufhebung des Ausnahmezustandes für die Dauer des Wahlkampfes.

- Im April sicherte die Regierung die Erfüllung dieser Forderung mit Ausnahme der Kampfzonen zu und garantierte überdies allen Parteien finanzielle Unterstützung beim Wahlkampf und Sendezeiten in Rundfunk und Fernsehen.

- Im Juli stellte die Opposition den Exilpolitiker Cruz als Präsidentschaftskandidaten auf, der aus seinem US-Exil ganz offensichtlich mit genauen Instruktionen Washingtons nach Managua zurückkehrte. Cruz forderte nämlich in Managua, daß die sandinistische Regierung die bewaffneten Somozisten als "gleichberechtigte nationale Kraft" anerkennen und mit ihnen den "Dialog" aufnehmen sollte. Als Voraussetzung für Wahlen um die Besetzung der Staatsorgane sollten die Sandinisten sich mit Leuten "arrangieren", die mit dem erklärten Ziel kriegführen, den nicaraguanischen Staat kaputtzumachen! Die Weigerung der Comandantes, mit "den Mördern unseres Volkes auch noch zu verhandeln, diente der Coordinadora als Anlaß, aus dem Wahlvorbereitungsgremium auszuziehen. Cruz kehrte nach Washington zurück und rief die Nicaraguaner zum Wahlboykott auf.

- Bis zum 5. August, dem Stichtag für die Abgabe von Wahlvorschlägen, hatten allerdings 5 andere Oppositionsparteien, die den Rückzug des Cruz-Bündnisses kritisierten, ihre Kandidatur angemeldet. Die Regierung lud internationale Beobachter ein, darunter auch US-Senatoren und entzog den Coordinadora-Vereinen den offiziellen Parteienstatus, zu dessen Erhaltung übrigens auch in der BRD die Beteiligung an Wahlen verlangt wird.

- Ende August kam Cruz erneut nach Managua zurück und verlangte eine Verlängerung der Anmeldefristen.

- Ende September verlängerte der Oberste Wahlrat auf Antrag der Regierung die Anmeldefrist bis zum 1. Oktober. Jetzt verlangte die Coordinadora eine Verschiebung der Wahlen um 90 Tage, um "ausreichend Zeit für den Wahlkampf" zu haben. In der proamerikanischen Oppositionszeitung "La Prensa" forderten die Anti-Sandinisten als weitere Wahlbeteiligungsbedingung die "vollständige Pressefreiheit".

Sprecher der US-Regierung halten die Wahlen in Nicaragua "für keinen Schritt zur Wiederherstellung der Demokratie" im Lande und fordern die Oppositionsparteien ausdrücklich auf, sich nicht an ihnen zu beteiligen. Sie setzten auf die Contra-Banden, die sie inzwischen vom CIA erfolgreich vereinigen ließen. Im Unterschied zu Teilen der demokratischen Opposition in Nicaragua schätzen die US-Demokraten den Volkswillen der Nicaraguaner realistisch genug ein, so daß sie dem Sandinismus nicht zu einem propagandistischen Erfolg einer Bestätigung durch Wahlen verhelfen wollen. Der Witz besteht gerade darin, daß der Beschluß der sandinistischen Regierung, sich freien Wahlen zu stellen (was übrigens kaum eines der Regimes in Lateinamerika riskiert, die zu den "verläßlichen Freunden der USA" gerechnet werden), es den USA geraten erscheinen läßt, ihre Opposition im Lande zum Boykottieren zu veranlassen. So bleibt sie politisch "glaubwürdig", d.h. für die USA brauchbar als "demokratische Alternative " zum Sandinismus.