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DER DEUTSCHE MENSCH
"Der Deutsche hat von allen Reizen
Die exquisitesten vereint;
Womit die andern einzeln geizen
Bei ihm als ein Bouquet erscheint.
Von allen Reizen ist's ein bißchen,
Doch immer grad'das Beste nur..."
Das steht fest, daß die Ausländer keine anständigen Deutschen sind. Dabei haben wir uns seit Menschengedenken alle Mühe gegeben. Einerseits in der Beeinflussung fremder Kulturen, wo sich Schwächen zeigten. Andererseits in der Bewahrung und gelegentlichen Übernahme von Elementen, deren Vorzüge gerade uns nicht verborgen bleiben konnten. So erkennen wir bis heute neidlos die Vorzüge des Christentums an, die unsere Vorfahren ziemlich schlagartig davon überzeugten, welche matten Götter sie sich mit Wotan und Donar zugelegt hatten. In solchen Dingen lassen Deutsche seit jeher Vernunft walten; und wo sie andernorts fehlt, drängen wir schon auch einmal in diese Lücke. Der Export der Weltraumfahrt durch Wernher von Braun zeugt genauso davon wie die Tatsache, daß so manche sogenannte Kulturnation kein eigenes Wort für "Zeitgeist" kennt. Doch gehen wir systematisch vor - im übrigen eine unverkennbare Eigenart von Dichtern und Denkern - und sortieren wahllos die Vergleiche, auf deren Ergebnisse es ankommt. Methodisch kontrolliert läßt sich - die deutsche Universität beweist es - nämlich immer noch am leichtesten einem Erkenntnisinteresse Genüge tun.
Essen und Trinken
Das "deutsche Beefsteak" machte in Amerika einen Siegeszug und ward in Erinnerung an seine Herkunft "Hamburger" genannt. Unter dieser Bezeichnung haben wir es auch heute wieder gerne und lassen uns durch die kleinen Veränderungen in der Zubereitung nicht abschrecken. In unserer unübertrefflichen Bereitschaft, die ganze Welt als Angebot an unseren höchstpersönlichen Geschmack zu würdigen, war aber auch manchmal ein entschiedenes Nein fällig. In bezug auf das in vielen Ländem wahllos verdrückte Katzenschaschlik sind wir - zu Recht - konservativ geblieben. Daß dahinter ein gerüttelt Maß an Verachtung von fremden Sitten stünde, behaupten zwar immer wieder die notorischen Nestbeschmutzer. Doch wie können die ihre Hetztiraden aufrechterhalten, wenn sie die von Deutschen regelmäßig verzehrten "Toast-Hawaii", "serbischen Bohnensuppen" und "Spaghettis-Bolognese" (das -s essen wir mit!) vor ihrem geistigen Auge entstehen lassen? Im Grunde zeichnet den Deutschen in dieser Sphäre doch nur jene Fähigkeit aus, die ihn unterscheiden lehrt: Er wählt aus; und er nimmt das Preiswerte.
Deshalb gibt es auch so viele heimgekehrte Urlauber, die äußerst geschickt und ganz billig lauter gutes Zeug verspachtelt haben - und genauso viele, denen das genaue Gegenteil geglückt ist. Deshalb drängen wir täglich beim Abendbrot auf das Reinheitsgesetz fürs Bier und riechen gezuckerten Wein gegen den Wind. So behalten wir, offene Weltbürger, zugleich den Sinn fürs Bodenständige und Bewährte, wenn es besser ist als das Zeug der anderen...
Familie
Da sind wir Deutschen ganz eigen. Fur die erste Phase des liebenden Sich-Begegnens gestatten wir uns eine Leidenschaft, wie sie ansonsten dem Südländer und der Schwedin eignet. Die Ehe streben wir - als Individuen wie statistisch gesehen - genauso wie der Russe in seinem sprichwörtlichen Sinn für geplante Verhältnisse an. Danach teilen wir uns die Leidenschaft schon etwas rationeller ein, suchen krampfhaft nach gemeinsamen und neuen Interessen, soweit es die Kinder erlauben. Kräche und Eifersuchtsdramen pflegen wir, so gut das mitteleuropäische Klima es unserem Naturell gestattet. Und der Nachwuchs erscheint uns - hier können wir unseren dialektischen Geist nicht verleugnen - teils als Glück, teils möchten wir ihn an die Wand hauen. Wenn uns und zwar beiden Geschlechtern - die Suche nach einem eigenen Interesse oder Hobby (das Bedürfnis haben wir an den Amerikanem sofort verstanden) Erfolg bringt, geben wir den Verstand aus diesem Grund auf. Damit es jeder merkt, kleben wir die einschlägigen Belege aufs Familienauto - als Wapperl. Der dabei zustandekommende Humor ist dann freilich dem mehr kollektivistisch erzogenen Russen schwer verständlich.
Sport und Kultur
Faust und Beckenbauer sind ein Begriff. Uns Deutschen ist zwar nicht genau klar, wovon und wieso. Aber beiden scheint ihr Welterfolg recht zu geben, dem letzteren ganz besonders, nämlich im Vergleich zu den Blamagen der deutschen Fußballer heute. Und während die Bundesliga samt Bundesauswahl heute das Recht auf einen Sieg, das für uns Deutsche immer von den Sportreportern eingeklagt wird, oft enttäuscht, hat Beckenbauer mit der damaligen Elf meist gewonnen. Hier offenbart sich ein eigenartiger Zug des deutschen Menschen. Während die Italiener immer für italienische Radler, Fußballer und Olympioniken sind, gehen wir davon aus, daß unsere gewinnen müßten. Und wenn sie vergeigen, schimpfen wir auf sie - und haben deswegen auch, bei allem Ärger, vor den anderen Respekt, die wir sonst verachten. Sport, der nicht der nationalen Repräsentation dient, ist für uns Deutsche zweitrangig und nicht so aufregend. Höchstens der Lokal-Patriotismus gibt noch etwas her - in Deutschland soll immer die Mannschaft gewinnen, wo man zufällig wohnt.
Diese für den Fremden vielleicht unverständliche Sitte ist nicht weiter von Belang - wir verstehen es ja auch nicht, daß die Spanier immer für ihre Nationalidioten sind, obwohl sie gute Spieler für daheim ewig von uns kaufen. Inzwischen hat jedenfalls auch der höhere Kulturbetrieb die Sache begriffen. Wenigstens punktuell wird da - wie im Sportstudio nach dem deutschen Hand-, Fuß- und Volleyball - auch nach dem deutschen Film, Schlager und Philharmonikerwesen gefragt. Manchmal gibt es sogar schon Preise dafür. Das ist gerecht, wenn man bedenkt, in welcher Tradition die deutsche Kunst steht. Auch das ist ein auffälliger Zug an unserer Kultur: Für jeden Scheiß haben wir eine eigene Tradition, auf die man sich berufen kann. Es ist erstaunlich, wie brauchbar, auch und gerade auf dem Felde der Wissenschaft, der älteste Kram für die heutigen Gedanken ist. Nur Marx ist für die Volkswirtschaftslehre zu alt, sonst kann man über Atomkraftwerke und Bomben mit Kants Ethik reden und forschen, oder mit Aristoteles (ein Grieche!) über die Umwelt. Die deutsche Universität ist in einer Krise, weswegen keine deutsche Elite zustandekommt. So selbstkritisch ist der Deutsche, daß er das zugibt und nicht "die Masse" mag. In allem eben unverwechselbar.
Arbeit
Dasselbe Bild. Weniger als der Japaner langt er hin, der deutsche Arbeitsmann. Dafür streikt er aber auch viel seltener - als der Engländer, Franzose und Italiener. Herauskommen tut deutsche Wertarbeit, weil hier eben genau so viel und so wenig gearbeitet wird, wie es fürs Geschäft gut ist und was die deutsche Wirtschaft verlangt. Eine Zeitlang haben viele Ausländer versucht, für uns die Wert- und Drecksarbeit zu machen; jetzt gibt es prompt Arbeitslose jede Menge und ein Ausländerproblem dazu. Sie passen eben doch nicht her. Da haben die Politiker schon recht. Leider zu spät. Ob der Deutsche zu faul ist oder tüchtig, ist eine schwere Frage. Der Deutsche erkundigt sich diesbezüglich in den konjunkturbewußten deutschen Zeitungen. Oft hört man von ihm: "Es gibt eben überall solche und solche. Ich bin ein solcher - und mit anderen kann man vielleicht Sachen erleben." Nach der Arbeit denkt der Deutsche logisch.
Politik und Staatsleben
Auf diesem Gebiet sind wir kritisch und mit keiner Führung so recht zufrieden. "Leider kann man nichts ändern, aber ein bißchen mehr Ordnung und Recht würde manchem nicht schaden..." - diesen Seufzer hört man in Deutschland immer wieder. Eigenartigerweise macht das unsere Demokratie sehr stabil, zumal es dem Deutschen gefällt, wenn sich seine Regierung auf ihn beruft, ihn deckelt und in der Welt herumfuhrwerkt, daß es nur so scheppert. Dafür sucht sich dieser teutonische Menschenschlag in Wahlen immer nur die Besten aus - und mit glücklicher Hand findet er auch stets die Richtigen! Die machen es ihm recht, dem Volk, loben es fürs Mitmachen und für seine Vernunft, so daß wir einen sozialen und inneren Frieden haben, um den uns die ganze Welt beneidet. Tja, wenn der Neid und die anderen nicht wären, was könnte aus uns noch alles werden. Einmal hat man es ja gesehen, als es eine gesamtdeutsche Olympiamannschaft gab. Aber das gehört in den Sport und wird sich erst regeln, wenn die drei Teilungen - Deutschlands, Europas und der Welt - weg sind. Über mangelnde Behinderung konnten Deutsche ja noch nie klagen...
Sitte, Sauberkeit und Ansehen
Unvergleichlich. Das merken Deutsche sofort, aufgrund ihrer Anlage zum Vergleich, die ihnen zur Neigung geworden ist. Daß sie dabei treudoof und opportunistisch ihren nationalen Pflichten nachkommen, ahnen diese Abziehbilder noch nicht einmal. So sterben sie vielleicht aus.