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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1984 erschienen.

Blüms Gesetzesentwürfe zum Arbeits- und Sozialrecht
BESCHÄFTIGUNGSCHANCEN FÜRS KAPITAL

Die neuen Gesetze zur "Beschäftigungsförderung", zur Arbeitszeit, zum "Jugendarbeitsschutz" und zu den Schwerbehinderten fügen der auf dem Gebiet der Einschränkung "staatlicher Sozialleistungen" theoretisch wie praktisch ungemein erfolgreichen (Selbst)Kritik des Sozialstaats ein neues Kapitel an: einige Abteilungen des Arbeits- und Sozialrechts wurden als "beschäftigungshemmend" entlarvt und im Zuge liberal-konservativer "Beschäftigungspolitik" diesem ernsten Vorwurf entsprechend abgeändert.

Zwar hat ganz offenkundig kein soziales Recht die umfängliche Produktion von Arbeitslosen, Frühinvaliden und sonstigen Sozialfällen verhindert; die Nutznießer des Arbeitskräfteüberschusses, der krankmachenden Arbeit und des Pauperismus haben offenbar stets Mittel und Wege gefunden, mit den entsprechenden "Schutz"Vorschriften schöpferisch umzugehen und mit ihnen gut zu leben.

Die Beförderung ihrer kleinen Umwege in den Rang geltenden Rechts zeugt allerdings von einer verschärften Auffassung über soziale Wohltaten seitens Politik und Öffentlichkeit: nicht nur unnütz soll der Rechtsschutz für Arbeiterinteressen sein, sondern für diesen geradezu schädlich und der Grund der "neuen Armut". Blüms öffentlich nachgebetete Propaganda bedient sich gleich einer doppelten Lüge: Erstens hätte der Arbeiter alle Rechtsvorteile genossen; zweitens seien ausgerechnet die für die Arbeitslosen verantwortlich.

"In Wahrheit haben sich Reglementierungen und überzogene Schutzbestimmungen längst gegen diejenigen gerichtet, die eigentlich geschützt werden sollten: die Arbeitnehmer und vor allem die Arbeitslosen." (Süddeutsche Zeitung)

Weil

"die Arbeitsmarktstatistiken randvoll sind mit Opfern einer Schutzpolitik, die Gutes will und Schlechtes schafft" (Die Zeit),

soll das neue Beschäftigungsförderungsgesetz

"Sperren abbauen, die der Einstellung von Arbeitslosen im Wege stehen... Manches von dem, was als Schutz für die gedacht ist, die Arbeit haben, erweist sich auf der anderen Seite als Barriere..." (Blüm selbst)

Laut Blüm zu dem Zweck, "Zugangsbrücken zum Arbeitsmarkt" zu bauen, wird der

"Abschluß befristeter Arbeitsverträge erleichtert".

Diese sollen, anders als früher, nun auch für nicht-befristete Tätigkeiten zulässig sein und dürfen

"bei Unternehmensgründungen mit einer Höchstdauer bis zu zwei Jahren abgeschlossen werden", und zwar "ohne daß es eines rechtfertigenden Grundes für die Befristung und ihre Dauer bedarf." (Bulletin d. Bundesregierung v. 24.8.84)

Es wird also nunmehr ganz offiziell rechtsstaatlich eine Arbeitermannschaft eingerichtet, deren Vertragsverhältnis von jedem Kündigungsschutz gereinigt ist, die frei nach betrieblichem Bedarf, zusätzlich zu der - dadurch natürlich zu verkleinernden - Stammbelegschaft geheuert und gefeuert werden kann, ohne den "Zwang" einer rechtlichen Begründung. Ganz nebenbei wird die Kündigung für Schwerbehinderte erleichtert und die Anzahl der Betriebe, auf die das Kündigungsschutzgesetz gar nicht erst angewendet wird, dadurch vergrößert, daß bei der Belegschaftsgröße, bis zu der Betriebe vom Kündigungsschutzgesetz ausgenommen sind, die Teilzeitbeschäftigten nicht mehr mitzählen.

Da die Einstellung von Arbeitslosen bekanntlich nicht etwa daran scheitert, daß die Zahlung eines noch so mageren Lebensunterhalts per Lohn als unrentabel fürs Kapital betrachtet wird, sondern

"an den Ängsten der Unternehmer, daß man sich notfalls kaum noch von ihnen trennen könnte" (Die Zeit),

müssen ihnen dringend ihre Ängste genommen werden. Unmittelbar einsichtig also, daß das Heer der Arbeitslosen nur dadurch verkleinert werden kann, daß man den Hinauswurf der Arbeitsplatz-"Besitzer" noch mehr erleichtert.

Als weitere Attraktion ("Teilzeitarbeit wird attraktiver!", Bulletin) hat der Gesetzentwurf

"Einen besseren rechtlichen Schutz für Teilzeitarbeiter"

zu bieten.

"Sie sollen im Arbeitsverhältnis vor Ungleichbehandlung geschützt werden. Teilzeitarbeit kann auch für Männer attraktiv werden." (Bulletin)

Sie wird, arbeits- und versicherungsrechtlich die Entwicklung der letzten Jahre nachvollziehend, als alternativer Normalfall anerkannt:

"Die Zahl der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer hat seit einer Reihe von Jahren erheblich zugenommen..." (Blüm)

Die Normalität besteht darin, daß solche Jobs dringend von Leuten gesucht werden, die mit einem Verdienst in der Familie nicht mehr zu Rande kommen und deshalb einen Lohn akzeptieren, von dem man nicht leben kann. Dies tut aber nichts zur Sache, da es dem Gesetz erklärtermaaen um die "Beschäftigung" geht und nicht um deren ausreichende Entlohnung. Deshalb wird dieser Zustand auch allein dadurch "sozial verträglich" (Blüm) gemacht, daß bei geteiltem Job die "gegenseitige Vertretungspflicht" beschränkt wird. Die andere Form der Teilzeitarbeit der "kapazitätsorientie-variable Arbeiter" ("Kapovaz"), wird dadurch zur Normaleinrichtung, daß "ihm seine Einsatzzeit mindestens vier Tage im voraus angekündigt wird." (Bulletin) Selbstverständlich darf der Arbeiter auch, wenn ihm das der Betrieb entsprechend nahelegt, freiwillig noch variabler sein als ihm das Gesetz vorschreibt.

Daß ausgerechnet die gesetzlichen Erleichterungen der Auflösung von Stammbelegschaften zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit führen sollen, glaubt am allerwenigsten der Arbeitsminister. Das hindert ihn aber keineswegs, auch noch eine Ergänzung der vorgenannten Einrichtungen als Maßnahme iur Vermehrung von Arbeitsplätzen zu verkaufen:

Die Vergrößerung des Angebots an Arbeitskräften, die dem Betrieb genau nach seinen Bedürfnissen und ohne Zuschläge auf den Lohn billig zur Verfügung stehen durch die

Erweiterung der Leiharbeit,

"Die gewerbimäßige Arbeitnehmerüberlastung dient dem Entleiher vornehmlich zur Deckung eines vorübergehenden Arbeitibedarfs..." (15-Punkte-Katalog des Arbeitsministeriums)

Die Verlängerung der gesetzlichen Mietzeit von Leuten aus dem Sortiment der modernen Menschenhändler von 3 auf 6 Monate beseitigt die Umständlichkeit, Leiharbeiter in kurzen Abständen immer wieder entlassen und neu einstellen zu müssen, um das Entstehen eines festen Arbeitsverhältnisses zu verhindern. Der Fehler, Leute dadurch arbeitslos zu machen, daß man sie fest beschäftigt, mußte endlich ausgebügelt werden.

Überhaupt scheint das Einstellen von Leuten, um sie gewinnträchtig auszunutzen, zu den gefährlichsten Angelegenheiten für Unternehmer zu zählen.

Der Gesetzgeber trug ihren

"Befürchtungen Rechnung, bei notwendig werdenden Betriebsänderungen mit Entlassungen unberechenbar hohe Sozialplanlasten tragen zu müssen." (Bulletin)

Es wurde deshalb die rechtliche Erzwingbarkeit von Sozialplänen bei "Massenentlassungen" eingeschränkt (erst bei Entlassung von 10 bis 20% der Belegschaft, bisher 5%; neue Betriebe sind gleich für 4 Jahre von der Sozialplanpflicht ausgenommen).

Zugleich wurde durch die Reform der Konkursordnung dafür gesorgt, daß die Sozialplanforderungen auf ein Drittel der Konkursmasse beschränkt werden.

Selbstverständlich haben da auch noch die Bäcker gräßliche Angst davor, daß ihnen ihre Stifte dauernd krumme Salzstangen backen, wenn sie nicht auch schon um 4 Uhr antreten dürfen, wo das immer geübt wird, und andere wiederum davor, daß Kranke mit irgendeine gesunden Körperteil ganz krankgeschrieben werden könnten und sie die Lohnfortzahlung ohne jede Gegenleistung zu tragen hätte. Deshalb stellen sie alle nicht so viele Leute ein, wie sie eigentlich gerne möchten und dringend bräuchten.

Der kleine Brückenbauer zum Arbeitsmarkt hat überall geholfen: die Bäcker können jetzt im Gesetz nachlesen, daß die "1000 Ausnahmen" (Blüm), die sie schon immer vom Jugendarbeitsschutz gemacht haben, nun unzweifelhaft rechtens und damit allgemeine Regel sind.

Allen Unternehmern wird es auch ein Trost sein zu hören, daß die Einführung der Teilarbeits(un)fähigkeit der Erkrankten verpflichtet, seine nicht nachweislich funktionsunfähigen Körperteile auch im (Teil) Krankenstand ohne Unterbrechung in den Dienst des Brotherrn zu stellen.

Zugleich mit dem "Beschäftigungsförderungs-Gesetz", mit dem der befristet angestellte, leicht kündbare, jobgesharte und rundum kapazitätsorientierte Arbeiter in Paragraphen-Form gebracht wurde, legte das Arbeitsministerium

Ein neues Arbeitszeitgesetz,

die Reform der Arbeitszeitordnung von 1938 (AZO 38), vor.

Durch dieses Gesetz werden die Neuregelungen auf dem Gebiet des Arbeitsvertrags- und Arbeitsschutzrechts um die Vorschriften über die Arbeitszeit ergänzt, in der die jeweils gerade angeheuerte Belegschaft anzuwenden ist.

"Bundesarbeitsminister Norbert Blüm bezeichnete vor der Presse in Bonn diese Neuregelung als längst überfällig. Damit werde die aus der 'NS-Zeit' stammende Arbeitszeitverordnung endlich abgelöst. Sie passe nicht nur wegen ihrer Terminologie nicht mehr in die heutige Zeit, sondern enthalte auch eine Vielzahl von Regelungen, beispielsweise beim Frauenarbeitsschutz, die längst überholt seien." (Bulletin)

Wer je einen Blick in die AZO 38 geworfen hat, wird festgestellt haben, daß sich die faschistische Kodifizierung der Ausbeutungszeit um keinen Deut anders liest als eine demokratische und daß die Nazis mit ihren arbeitenden Volksgenossinnen um ein paar Nuancen zimperlicher umgingen als die demokratischen Frauenemanzipatoren, die es nun sogar "erlauben", daß Frauen auch im Baugewerbe anheüern dürfen.

Recht hat Blüm, wenn er behauptet, daß die AZO 38 ziemlich "überholt" sei. Die "unflexible" Brutalität, mit der die alte AZO über die Verwendung des menschlichen Arbeitsviehs befand (regelmäßige 8 Stunden und - ausnahmsweise - Nachholzeiten für ausgefallene Arbeitszeit, dauernde Höchstarbeitszeit von 10 Stunden durch Tarifvertrag oder 30 Tage lang ohne Tarifvertrag möglich), ist eine matte Sache gegenüber der Neuregelung in Verbindung mit der nahezu unbeschränkten Befugnis der Tarifparteien ("tarifliche Öffnungsklausel"):

wird den Betrieben in der neuen AZO die Abgeltung von Überstunden in Freizeit nahegelegt, wobei Ausgleichszeiträume von einem Jahr und mehr möglich sind. D.h.: Solange Aufträge vorliegen, werden Überstunden geschoben, wobei sehr unklar ist, welche noch einen Zuschlag kosten und welche nicht. Wenn das Geschäft (saisonal) flau geht, wird "in Freizeit abgegolten". Diese Regelung handelt also vom flexiblen Jahresarbeiter, der sich Lebens- und Arbeitszeit ganz nach den Bedürfnissen des betrieblichen Arbeitsanfalls einzurichten hat. Dies bei gleichzeitiger Beseitigung gewohnter Lohnbestandteile.

werden die Fragen der Tages-, Wochen- und Jahresarbeitszeit,

"wie es den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft entspricht, den Tarifvertragsparteien, den Betriebsparteien und den Arbeitsvertragsparteien überlassen." (Bulletin)

Diese Parteien - auf die schwarz-rot-goldne DGB-Arbeitsfront ist da unbedingter Verlaß - nützten die ihnen eingeräumte Freiheit im Geiste des ministeriellen Gesetzesvorhabens, wie die Tarifabschlüsse im Metall- und Druckbereich 1984 zeigten: Die Nicht-Festlegung der Arbeitszeit, für den einzelnen und die ganze Belegschaft pro Tag, Woche und Monat, ist die neue tarifvertragliche Festlegung.

Was vormals eine tarifvertragliche 40-Stundenwoche mit "1000 Ausnahmen" war, ist in den neuen Manteltarifverträgen gleich durch mehrere verschiedene Arbeitszeiten ersetzt: Eine "tarifliche wöchentliche Arbeitszeit", die aber nur der zweimonatliche Durchschnitt der wirklichen wöchentlichen Betriebsarbeitszeiten ist, welche sich wiederum aus lauter verschiedenen individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeiten zusammenrechnen; letztere sind ihrerseits aus fünf oder mehr oder weniger Arbeitstagen mit unterschiedlicher regelmäßiger Arbeitszeit zusammengesetzt - wenn es dem Betrieb so in den Kram paßt. Hinzu kommen noch sämtliche Erlaubnisse zu Betriebsvereinbarungen über Schichten, Wochenenden und Überstunden.

Das Recht des Proletariers

Mit Arbeitslosigkeit haben diese Maßnahmen also schon etwas zu tun. Sie haben sie nicht nur als bleibende Grundlage, sondern sorgen für neue Freiheiten der Unternehmer, dieses "Hauptproblem" mit stetigem Nachschub zu versorgen. Was sich die Kapitalisten im Umgang mit dem überreichlichen Arbeitermaterial bis jetzt schon praktisch herausgenommen haben - als Ausnahme vom alten Recht oder in direktem, geduldetem Verstoß dagegen -, das wird jetzt zum gesetzlich festgelegten Regelfall, "Beschäftigungswirksam" ist das nur in einer Hinsicht: Garantiert wird kein Arbeiter zuviel, keine überflüssige Minute und für keine sich nicht lohnende Mark beschäftigt.

Die Erhebung früherer Ausnahmepraxis in den gesegneten Stand einer "wirklichkeitsnahen (!) rechtsstaatlichen Regelung (so z.B. ein christlicher Befürworter flexiblen Jugendarbeitsschutzes im Bundestag), durch die endlich Rechtssicherheit geschaffen" werde, heißt hier wirklich, daß mit Sicherheit alles erlaubt ist, was dem Unternehmer in seine Planung paßt. Deshalb wird das proletarische Rechtssubjekt weitgehend von sozialstaatlichen Ansprüchen gesäubert. So stellt ein modernisierter Sozialstaat klar, worin er die (einzige) Chance für seine arbeitenden und arbeitswilligen Bürger sieht: im Aushalten des Beschäftigt-Werdens und im Auskommen mit dem Lohn dafür.