Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1984 erschienen.

Systematik


ZWEI KLARSTELLUNGEN AUS DEN USA ZUR LÜGE VON GENF

Pünktlich zum (absehbaren) Ende der Genfer Verhandlungen und während noch in der Bundesrepublik Regierung und Opposition darüber "streiten", ob denn dort auch wirklich alle Verhandlungen ausgereizt worden seien, wurde in den USA öffentlich Schluß gemacht mit der 'eh recht großzügig gehandhabten "Heimlichtuerei" aus "Rücksicht auf die Europäer". Und in der offenen Erörterung von Zwecken, Ablauf und Kosten-Nutzen-Rechnung der Raketenverhandlungen werden immerhin ein paar Wahrheiten derselben angesprochen, die man zwar auch von Anfang an aus der Sachlage erschließen, aber in anbetracht des massenhaften "Betens für / Hoffens auf Genf" etc. nur schwer den Leuten nahebringen konnte.

I

Das US-Magazin "Time" etwa bringt in seiner Ausgabe vom 5. Dezember 1983 auf sieben Seiten die Genfer Inside-Story.

Nachdem schon am Anfang klargestellt wird, daß es sich dabei um die Geschichte von "vier Jahren nahezu unablässiger sowjetischer Intransigenz, Einschüchterung und Doppelzüngigkeit" einerseits, amerikanischer "Unentschlossenheit, interner Streitereien von Behörden und Personen und verpaßter Gelegenheiten trotz des sowjetischen Mauerns" andererseits handelte, lassen sich dem Bericht selbst durchaus ein paar illustrative Fakten und Urteile entnehmen. Zum Beispiel die klare Aussage des Europa-Staatssekretärs im US-Außenministerium, Richard Burt, hier gehe es "nicht um Rüstungskontrolle, sondern um Bündnismanagement". Vor allem aber gefiel uns die Erläuterung jenes nie amtlich gewordenen Plans der beiden Verhandlungsführer Nitze und Kwizinski in Genf, der als die Waldspaziergangsformel der Wunschkompromiß der SPD wurde, und von dem man meist nur die wichtigsten Punkte - Beschränkung der SU auf 75 SS 2O, Verzicht der USA auf die Pershing II und Beschränkung auf 75 Cruise-Missile-Abschußrampen - kennt. Zu ihm heißt es in "Time":

"Er wäre wirklich ein sehr gutes Ergebnis für die USA geworden. Die Sowjetunion hätte endlich die Einführung neuer US-Waffen in Westeuropa sanktioniert. Damit hätte Moskau stillschweigend anerkannt, daß es ein Ungleichgewicht geschaffen hat und daß der Westen berechtigt sei, dies wieder auszugleichen. Die Sowjets hätten auch ihren Anspruch auf Ausgleich der britischen und französischen Nuklearstreitkräfte aufgegeben und die Zahl der asiatischen SS 20 Stellungen eingefroren. Unter den Bedingungen des Plans hätten die USA mehr Sprengköpfe auf ihren Cruise Missiles (vier pro Abschußrampe) gehabt als die Sowjets auf ihren verbleibenden SS 20 in Europa, und die UdSSR hätte zugestimmt, ihrerseits keine eigenen landgestützten Cruise Missiles zu entwickeln. Und das alles für die eine größere amerikanische Konzession: den Verzicht auf die Pershing II.

Und auch für den hatte Nitze noch eine militärische Rechtfertigung. Sie sah vor, stattdessen eine weniger weit reichende Version der Rakete, genannt Pershing IB, zu stationieren. Diese Waffe hätte die Treffgenauigkeit, Beweglichkeit und andere Vorteile der fortgeschrittenen Pershing-II-Technologie und könnte Flugplätze, Verkehrsknotenpunkte und Kommandozentralen im Warschauer Pakt treffen. Aber wegen ihrer kürzeren Reichweite wäre sie durch das Abkommen nicht beschränkt."

Fürwahr, ein echtes Abrüstungsabkommen hätte das werden können. Jedoch ging es darum gar nicht.

II

In einem Artikel über "NATO-Verteidigung und Abrüstungsvorschläge" (Military Review, Oktober 1983) stellt Colin S. Gray regelrecht kritisch gegen die NATO-Politik klar:

"Die 572 Waffen, die die NATO stationieren will, sind militärisch nicht sehr wichtig", weil "Mittelstreckenziele ebenso durch Raketen kürzerer oder längerer Reichweite oder Flugzeuge erreicht werden können."

So urteilt einer vom Standpunkt des gesamten NATO-Materials und seiner vielfältigen Alternativen. So gesehen seien "die INF-'Verhandlungen' aus militärischen Gründen kaum gerechtfertigt." Gray setzt der Klarheit halber diese "Verhandlungen" von vorneherein selber in Anführungszeichen. Sein kritischer Schluß: Damit sind sie überhaupt überflüssig, wenn nicht schädlich.

"Es sollte eingesehen werden, daß sie keine Rüstungskontrollverhandlungen, sondern eine Veranstaltung der politischen Kriegführung sind."

Und da stört ihn, daß ohne Not der Sowjetunion allein durch ihre formale Anerkennung als Verhandlungspartner in Sachen Rüstungskontrolle hier ein politisches Mittel für die Beeinflussung der westeuropäischen Öffentlichkeit in die Hand gegeben werde.

"Ein Weitergehen der Rüstungskontrollverhandlungen mag zwar für viele Staaten des Bündnisses eine innenpolitische Notwendigkeit sein, als politische Rückendeckung für die Stationierung. Aber man fühlt sich unbehaglich bei einer Politik, die bewußt fßlsche Hoffnungen in der Öffentlichkeit der NATO-Staaten weckt. Langfristig können demokratische Regierungen nicht kraftvoll für Sicherheit sorgen, wenn sie ihrer Öffentlichkeit nicht die Wahrheit sagen über die Aussichten der Rüstungskontrolle und über die für ihre Sicherheit maßgebliche Nuklearstrategie."

Gray meint, die Völker der NATO wären reif für die Einsicht, daß der adäquate Umgang mit der Sowjetunion nicht in Verhaiidlungen besteht, sondern in der Anwendung der passenden Nuklearstrategie.