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SUDETENDEUTSCHEN-TREFFEN IN WIEN
130.000 Leute, die zum Großteil im Westen geboren sind, hier aufgewachsen sind, brav ihre Steuern zahlen, arbeiten und wählen gehen, wie es ihnen ihre westlichen Regierungen verordnen, trafen sich zu Pfingsten, um den Verlust ihrer Heimat zu beklagen. Wer hält sie denn auf hinüberzugehen? Trachtentragen und Volkstanzen dürfen sie in den realsozialistischen Ländern, die das Folkloretamtam sehr schätzen, auch. Und wenn es in der CSSR so 'unmenschlich' sein sollte, wie diese Leute meinen, dann bestände doch aller Grund, darüber froh zu sein, daß man im Westen beheimatet ist und seine ehemalige Heimat 'verloren' hat. Es ist also schon ein gutes Stück Heuchelei dabei, daß der ganze Heldenplatz ein Klagelied darüber anstimmt, daß die CSSR den 'Vertriebenen' ihr Heimatrecht verweigert, wo doch kein einziger hinüber will. Auf dieses seltsame 'Anliegen' sind sie offenbar aus ganz anderen Gründen verfallen: Als treue westliche Untertanen sind sie in den Ansprüchen der westlichen Staaten gegenüber dem Osten derartig beheimatet, daß sie ihrer Gegnerschaft gegenüber dem Feind des Westens noch einen ganz persönlichen, sinnfälligen Ausdruck verleihen.
Ausgestattet mit ihrem Umtata, Knickerbocker, Borten, Fransen, Tanz- und Liedergut, das bislang bei den Heimatabenden seine sinnstiftende Aufgabe erfüllte, wittern sie anläßlich der politischen Offensive gegen Osten und der damit einhergehenden Konjunktur antikommunistischer Propaganda die Gunst der Stunde, um als treue Amis, Bundesdeutsche, Kanadier, Österreicher etc. mit ihrem " Sudetendeutschengefühl" die NATO-Freiheitsmission zum Privatverhältnis auszugestalten. Bei dieser Fleißaufgabe westlicher Untertanen spielt es auch gar keine Rolle, ob sie jetzt selber aus der CSSR emigriert sind, oder bloß der Opa, und daraus erklärt sich auch die Heuchelei, daß Leute ihr "Rüberwollen" demonstrieren, obwohl kein einziger daran - denkt, es ohne NATO-Marschbefehl zu tun. Wie denn auch? Denn daß die Pershings und die Bundeswehr zur Wiedereroberung ihrer Gutshöfe aufgestellt würden und die Sudetendeutschen hinter der NATO drein sie wieder ordentlich sudetendeutsch begrünen würden, das glauben nicht einmal die Vorzeigevertriebenen im Rollstuhl. Weil die Feindschaft gegen den Osten aber hier als ein ganz besonderes, jenseits des NATO-Zwecks vorgetragenes, volksgruppenbetontes Spezialanliegen vorgetragen wird, gegen das man wegen seiner Trachtentanten nichts haben kann, haben sich natürlich auch die Politiker eingefunden, um als Sudetendeutsche die NATO-Anliegen zu bekräftigen:
"Doch was für Palästinenser recht ist, das Selbstbestimmungsrecht des Volkes, das muß für uns Sudetendeutsche billig sein. Wer unser Recht verletzt, diskriminiert unsere Volksgruppe und damit das ganze deutsche Volk." (CDU-sudetendeutscher Staatssekretär Franz Neubauer am Heldenplatz)
Als Protest gegen den israelischen Völkermord war das wohl nicht zu verstehen. Umgekehrt soll man über die CSSR sich so empören, wie man es über Israel würde, wenn, wenn es sich nicht um eine Bastion des Westens handeln täte. Eine sudetendeutsche Guerilla nach PLO-Vorbild steht freilich nicht zu erwarten. Schließlich hat das "ganze deutsche Volk", das, wie Herr Neubauer vermerkte, mit den Sudetendeutschen gleich mitdiskriminiert ist; schon einen Staat, der sich den "Alleinvertretungsanspruch" ins Grundgesetz geschrieben hat. So ist sich dieser christliche Politiker sicher, daß das sudetendeutsche Spezialanliegen im NATO-Mitgliedsstaat BRD und im wesentlich anspruchsvolleren Kriegsprogramm der NATO bestens aufgehoben ist.
Der zeitgemäße österreichische Entspannungsbeitrag bestand nicht nur in der zum Staatsakt aufgewerteten Gelegenheit für die Revanchisten, unter Anleitung des österreichischen Staatsoberhaupts und in Anwesenheit des überwurzelten Restes der letzten deutschen Kaisergarnitur nach Osten zu schauen. Der Herr Bundespräsident wußte auch speziell österreichisch-geschichtliche Belege für das von Fremdherrschaft beleidigte Heimatrecht der Sudeten als Friedensmahnung beizusteuern:
"Dr. Karl Renner hat nach dem Vertrag von St. Germain unseren Gefühlen gegenüber dem sudetendeutschen Volk unübertrefflich Ausdruck verliehen. Er sagte, daß die Sudetendeutschen, die 400 Jahre dem österreichischen Reich angehört haben, nun von uns losgerissen (Schmerz!) sind und einer fremden Regierung unterstellt sind..." (Kirchschläger)
Die Botschaft Kirchschlägers, daß zum Aufbau eines "friedlichen Morgens" "das Wissen um die (!) Geschichte" benötigt werde, mündete freilich ganz nach Maßgabe des Legitimationszwecks in eine handfeste Mißachtung der letzten 70 Jahre Geschichte. Da muß gleich die politische Aufteilung vor dem vorletzten Weltkrieg als "geschichtliche Berechtigung" bemüht werden - der letzte Krieg würde dafür auch wenig taugen -, um die Kommunisten als fremde Herrschaft ins Unrecht zu setzen. Daß diese gesühnt gehört, das zu sagen ist freilich nicht die Aufgabe des österreichischen Staatsoberhaupts. Das überließ er nobel dem deutschen Kollegen Neubauer, der die historische Weihestunde mit der politischen Botschaft abrundete, daß "mit dem Unrecht endlich Schluß gemacht gehört".