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Haushalt '84
DER STAAT VERBILLIGT SEIN VOLK
6,1 Mrd. DM "eingespart" bei Arbeitslosen, Behinderten, öffentlich Bediensteten, Sozialhilfeempfängern, werdenden Müttern, Austragsbauern und bergmännischen Staublungen zur "Sanierung" des Budgets fürs kommende Haushaltsjahr. Was kann man daraus lernen über Staat und Volk, seine und dessen Auf- und Ausgaben?
Dem Haushaltsplan für 1984, der Ende Juni von der Regierung der geistigen Wende beschlossen werden soll, tut unrecht, wer ihn als bloßen "Sparhaushalt" bezeichnet oder gar "Unausgewogenheiten" zu seinem Charakteristikum erklärt. Denn ihm geht es, wie die entsprechenden "Rahmenbeschlüsse" des Kabinetts am 18. Mai deutlich machten, um die "grundlegende Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen" (Stoltenberg). Das "Sparen bei den konsumtiven Staatsausgaben" ist zwar schon seit gut vier Jahren immer wiederkehrendes Programm von "Sparhaushalten". Und mindestens ebenso lang wird klargestellt, daß es hierbei nicht um den "Staatskonsum" der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung geht - die Ausgaben zur Ausübung der staatlichen Macht nach innen und außen zumal -, sondern um den Konsum der Bürger, soweit die dafür aufzuwendenden Mittel irgendwie öffentliche Kassen berühren. Ein Ende aber hat nun der Schein der "gerechten Verteilung der Opfer", mit dem die sozialliberale Regierung die Befriedigung der staatlichen Ansprüche aus den für den Unterhalt des Volkes vorgesehenen Mitteln garnierte. Und Ansprüche an eine Zuständigkeit des Staates für die Beschäftigung des Volkes als Grundlage seines Auskommens werden nicht mehr als "leider nicht machbar", "derzeit wenig erfolgversprechend" zurückgewiesen, sondern offensiv an den Kriterien gemessen, die der Staat an seine Ökonomie anlegt:
"In dieser Situation kann es nicht darum gehen, nur den Mangelsozial gerecht zu verteilen oder konjunkturelle Strohfeuer mit staatlichen Beschäftigungsprogrammen zu entfachen. Notwendig ist vielmehr eine dauerhafte Wirtschaftsbelebung mit geordneten Staatsfinanzen und mit privaten Unternehmen, die Zukunftsperspektiven und Finanzkraft für neue Investitionen haben." (Stoltenberg, Erklärung zu den Haushaltsbeschlüssen am 18. Mai 1983)
Angesichts dieses offenen Bekenntnisses zur "Unausgewogenheit" geht ein Vorwurf in dieser Richtung gegen die Haushaltsbeschlüsse am Kern der Sache entschieden vorbei und wird deshalb auch unisono von den Gewerkschaften, der SPD und den CDU-Sozialausschüssen erhoben.
Staatliche Selbstbedienung aus dem Sozialetat...
Im fünften Jahr und mit ungehinderter Entschiedenheit geht mit dem 1984er "Sparhaushalt" der "Eingriff in Leistungsgesetze" voran - dies der offizielle Ausdruck für den fortwährenden Versicherungsbetrug, die Veruntreuung anvertrauter Gelder, als den man nach gängigen bürgerlichen Urteilskriterien von Recht und Moral die Kürzung von Sozial-Leistungen auch bezeichnen könnte, für die die Bürger ihr Arbeitsleben lang durch die zwangsweise Abführung nicht geringer Lohnbestandteile in die Kassen der Sozialversicherungen gezahlt haben. Denn es handelt sich um "Leistungen", die genau zugeschnitten sind auf die Sorte "Lebensnotwendigkeiten" und "Schicksalsfälle", die sich im Dasein des Lohnarbeiters ebenso zwangsläufig einstellen, wie er sie zwangsläufig aus seinem Lohn nicht bewältigen kann. Er muß Kinder großziehen, zur Arbeitsstelle fahren, sich erholen, er wird arbeitslos, krank, durch Krankheit oder Alter arbeitsunfähig etc. Inhalt der Sozialausgaben sind also lauter Kompensationen auf der Grundlage der Armut der Lohnarbeiter, mit denen die "öffentliche Hand" dafür sorgt, daß das nationale Arbeitermaterial in ausreichender Menge und Qualität für die Erfordernisse von Kapital und Staat durch sein produktives Leben hindurchkommt.
Die anhaltenden Kürzungen dieser Leistungen bedeuten also schlicht, daß nun zum Luxus erklärt wird, was zuvor noch als immer schon knapp kalkulierte - Lebensnotwendigkeit galt. Und dabei wird der Staat erst recht zum sehr peniblen Pfennigfuchser, der sorgfältig darauf achtet, daß auf dem neuen Niveau der Armut auch die Relationen zwischen den verschiedenen Betroffenen stimmen und der dabei an allen Ecken und Enden Kürzungsmöglichkeiten entdeckt, mit einer Logik, die so widerlich wie wirksam ist:
- Weil Arbeitslose mit Kindern mit 68% Arbeitslosengeld bzw. 58% Arbeitslosenhilfe zurechtkommen müssen, können "Leistungsempfänger ohne Kinder" auch mit 63% bzw. 56% auskommen;
- weil die periodische Anpassung der Renten an die Lohnentwicklung nicht imehr an einem mehrjährigen Durchschnittswert der Lohnsteigerungen festgemacht wird, sondern an der Null-Tarifrunde des laufenden Jahres, muß diese "Aktualisierung der Dynamisierung" natürlich auch für die Arbeitslosenbezüge gelten;
- weil Jugendliche, die nach der Lehre arbeitslos werden, ja auch bislang mit ihrer Lehrlingsvergütung ausgekommen sind, kann sich ihr Arbeitslosengeld in Zukunft an dieser bemessen statt am Tariflohn im erlernten Beruf;
- weil eine ganze Menge der eh' zu vielen Schwerbehinderten nicht nur noch lebt, also über Lebensmittel = Geld verfügt, sondern auch noch über einigermaßen intakte Beine kann die Behindertenvergünstigung bei öffentlichen Verkehrsmitteln
"auf die in der Bewegung tatsächlich Behinderten begrenzt" und zudem "die unentgeltliche Beförderung durch Zahlung eines Eigenanteils in eine verbilligte Beförderung umgewandelt werden." (Haushaltsbeschluß vom 18. Mai 1983);
- und weil man nicht zugleich Auto und U-Bahn fahren kann, schon gar nicht als Behinderter,
"sollen sich verbilligte Beförderung und Kfz-Steuerermäßigung künftig ausschließen. Den Behinderten wird ein Wahlrecht eingeräumt."
- Schließlich: Wegen der "sprunghaft steigenden Belastungen im Sozialhilfebereich", die durch die Senkungen der Arbeitslosenzahlungen und Renten auf Sozialhilfeniveau noch zunehmen, können "die Sozialhilfesätze nicht stärker steigen als die Renten unter Berücksichtigung einer aktualisierten" (= reduzierten) "Rentenanpassung und der schrittweisen Einführung des Krankenkassenbeitrags der Rentner. Sonst wäre eine Belastungsverlagerung durch die Maßnahmen im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit unvermeidlich." etc. etc.
Das Schema dieser Kalkulationen ist dem Stammtischfaschismus längst vertraut und wird dementsprechend volksnah von der "Bildzeitung" aufbereitet, etwa mit der Frage, ob Sozialhilfeempfänger nicht vermehrt zu öffentlichen Arbeiten verpflichtet werden sollten, im Interesse eines gerechten Verhältnisses zu denen, die für wenig mehr Geld Lohnarbeit verrichten dürfen:
"Alles in allem haben viele Kollegen, die im Arbeitsprozeß stehen, nicht viel mehr als zweihundert Mark mehr als die... Sozialhilfeempfänger."
...durch neue Maßstäbe für die produktive Nutzung des Arbeitsvolks
Würden diese Kollegen und mit ihnen die "Bildzeitung " die Logik mancher Begründungen der staatlichen Sparmaßnahmen ernstnehmen, so müßten sie eigentlich sagen: Dafür, daß wir wenigstens noch einen Arbeitsplatz haben, begnügen wir uns gerne mit 200 Mark weniger als die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger. Den "Beitrag des öffentlichen Dienstes" zur Haushaltskonsolidierung 1984: Null Prozent Gehaltserhöhung, begründet die Bundesregierung nämlich genauso:
"Eine Verschiebung der Besoldungs- und Tariferhöhung von 1984 auf den 1. April 1985 erscheint geeigneter als tiefgreifende Eingriffe in die Besoldungsstruktur. Bei voller Respektierung der Belange der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst ist die Sicherheit der Arbeitsplätze in der heutigen Lage besonders zu beachten."
Aber natürlich wäre das ein interessiertes Mißverständnis der staatlichen Verarmungspolitik. Deren Grundsatz ist es schließlich, sich um die Aufrechterhaltung bzw. noch effektivere Gestaltung der Relationen der Armut im Volk zu kümmern. Der staatlichen Vorgabe: wer Arbeit hat, kann dafür jede Menge Lohn opfern, entspricht deshalb der konsequente Einsatz der sozialpolitischen Maßnahmen dafür, am Material derer, die arbeitsunfähig sind oder deren Arbeit derzeit nicht gebraucht wird, zu zeigen, wie sehr sich Arbeit doch lohnt, - gibt es doch kein noch so mieses Lohnniveau, das nicht durch die staatlichen "Hilfen" für das Überleben ohne Lohn noch unterboten würde. Hans D. Barbier, der Kampfschreiber der "Süddeutschen Zeitung" für Markt und Kapital, bringt es in gewohnter Weise auf den Punkt.
"Die Kürzung der Leistungen für Arbeitslose erweckt den Eindruck von Willkür. Sie enthält aber ein beachtliches Element von Ehrlichkeit. Auf Dauer ist die Gesellschaft eben nicht bereit, wachsende Mittel für die Alimentierung unbeschäftigter Mitbürger aufzubringen." (Süddeutsche Zeitung, 21.5.83)
Und er hat die Verheißung der Haushaltsbeschlüsse so gut verstanden, daß er sie an der für 1987 erwogenen Ausweitung des um 30% gekürzten Mutterschaftsgeldes auf die nicht berufstätigen Mütter radikal noch gegen ihre Urheber propagiert:
"Die Union hat sich in die Regierungsverantwortung gedrängt mit dem Versprechen, den Menschen wieder mehr von dem zu lassen, was sie verdienen, sie dafür aber auch bei den Ausgaben wieder mehr auf das zu verweisen, was sie sich selbst erarbeitet haben. Das Mutterschaftsgeld ist das Fanal für das Gegenteil."
Denn:
"Gleichheit aller Mütter - ob abhängig beschäftigt oder nicht - wäre auch durch einen Totalabbau des Mutterschaftsgeldes zu erreichen gewesen."
Auch mit diesem konsequent zurechtgemachten Kritik-Konstrukt unter dem Titel "Signal verpaßt. Bonn klebt am Verteilungsstaat" kann man Propaganda machen für die sehr eindeutigen Signale der Haushaltspotitik. An der durch die Haushaltsbeschlüsse "eingelösten Zusage, daß die Steuermehreinnahmen von rund 4 Mrd. DM zurückgegeben werden sollen, die sich daraus ergeben, daß die Anhebung der Mehrwertsteuersätze zum 1. Juli 1983 im Jahr 1984"' erstmals voll wirksam wird", fällt Herrn Barbier selbstverständlich nicht "Verteilungsstaat" ein. Diese bestimmungsgermäß von jedem Volksglied in seiner Eigenschaft als "Endverbraucher" zu tragende Steuer da darf auch der Sozialhilfeempfänger von seinen 1,5% mehr noch gut die Hälfte zum staatlichen Reichtum beisteuern - wird nämlich "zurückgegeben" an die "gewerbliche Wirtschaft" zu ihrer "Entlastung und Stärkung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit" durch Vermögenssteuersenkung und Abschreibungserteichterungen.
Daß dem Staat sein auf den Verkauf seiner Arbeitskraft angewiesenes Volk zu teuer ist, weil die mit der Vermehrung ihres Eigentums und damit des nationalen Reichtums befaßte Klasse ihm gar nicht lieb und teuer genug sein kann, gilt nicht erst seit den Haushaltsbeschlüssen der Christenregierung. Sie nutzt allenfalls programmatischer und mit offensiveren Begründungen jene praktische Eigenschaft der Unterhiiltskosten des Arbeitsvolkes - von Marx als Wert der Ware Arbeitskraft analysiert -, eine sehr flexible Größe zu sein. Jenseits ihrer absoluten Untergrenze, dem für das Fortbestehen als Lohnarbeiterklasse notwendigen physischen Existenzminimum, sind alle "historischen und moralischen Elemente" dieser Wertgröße Resultat des Klassenkampfs der Lohnarbeiter um ihre Existenz, - und ohne diesen stehen sie für die Mehrung des nationalen Reichtums eben unbegrenzt zur Disposition.