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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1983 erschienen.

Systematik

Lehren aus dem Gipfel von Williamsburg
RAKETEN - FEST VERZINST

Das imperialistische Geschwisterpaar Geschäft und Gewalt hielt im US-amerikanischen Williamsburg einen stilvollen Gipfel ab. Die glorreichen Sieben der westlichen Welt, von Reagan über Kohl bis zum fernöstlichen Nakasone, waren sich einig in allen bereits gelösten und noch anzugehenden Fragen der Gewalt. Daß über die Verteilung von Spesen und Gewinn keine nahtlose Übereinstimmung erzielt werden konnte, gehört gewissermaßen zur Natur des Geschäfts.

Die Herzlichkeit, mit der sich die Teilnehmer begegnet sind, das prächtige Klima, in dem sich die "Verantwortlichen" wieder einmal über die Weltwirtschaft verständigt haben, die Spuren von Zwietracht - all das ist gründlich registriert worden. Von Leuten, die es gewohnt sind, Treffen zwischen Staatslenkern in Kategorien menschlicher Beziehungen zu begutachten; von Informationsbeschaffern, die mit dem Gemüt von Kammerdienern einem weltweiten Publikum die immergleiche Sorge nahebringen, ob denn die Mission der Zuständigen auch wirklich gelinge; von Berichterstattern, in deren Stimmungsbildern die Sachkenntnis mit der anteilnehmenden Interviewfrage "Gab es Mißtöne?" beginnt und mit der Antwort "Keine Differenzen, also Erfolg!" endet.

Kritik gestaltet sich von diesem Standpunkt aus recht matt. Das Anliegen der weltpolitischen Veranstaltung wird unter den Titeln gewürdigt und gebilligt, die ihr von den maßgeblichen Akteuren verliehen worden sind, damit dann in der Attitüde des besorgten Zweifels das Problem aufgeworfen werden kann, ob die Probleme der Tagesordnung auch sich hätten lösen lassen. Im Falle Williamsburg sah dies dann so aus: Die Hofberichterstattung begrüßt die "Geschlossenheit" in Sachen Aufrüstung, die aus der gleich zu Anfang verfertigten "Erklärung der sieben Staats- und Regierungschefs zur Abrüstungspolitik" spricht. Andererseits bemängelte sie - jeweils von nationaler Warte aus -, daß entsprechend einmütige Bekenntnisse und Maßnahmen in bezug auf die wirtschaftlichen "Probleme" nicht zu haben waren.

Bei alledem braucht die Gestalter der freien Öffentlichkeit keineswegs zu irritieren, daß sie sich genau an die PR-Vorkehrungen der Gestalter von Weltwirtschaft und Weltfrieden gehalten haben. Die vierzehn Tage danach - in der BRD vom "Spiegel" - veröffentlichten Wünsche ("thematische Prioritäten", "erwünschte Schlagzeilen") der Veranstalter haben sie ja nicht wegen des beliebten Unterhaltungsspiels "His master's voice" erfüllt. Sie glauben ja fest daran, daß große Politik dasselbe ist wie ihre Selbstdarstellung; wie bei der Kommentierung von Wahlkämpfen in ihren demokratischen Heimatländern verfahren sie auch hier: Geht es den hohen Herren, die ihrer Zuständigkeit sicher sind, um "Glaubwürdigkeit" und "Image", so wird es um diese Dinge wohl auch gehen, wenn sie ihr Amt ausüben. Zu prüfen ist dann nicht etwa die tatsächliche Leistung und der Zweck vollzogener Führungskunst, sondern die mehr oder minder erfolgreiche Einlösung polit-psychologischer Parolen; und zwar gleich so konsequent, daß hinter so Ungetümen politischer Methodenlehre wie "dynamische Führungsstärke" und "Geist der Einheit" alles verschwindet, was an die Zielsetzungen von Geschäft und Gewalt erinnern könnte. Damit diese nicht ganz in Vergessenheit geraten, erlauben wir uns ein paar schlichte Hinweise auf den Inter- Nationalismus, der da durch "hervorragende, logistische und administrative Organisation" eines Gipfeltreffens glänzte. Um Einigkeit ging es nämlich schon, aber in bezug auf Raketen und Zinsen.

1. Raketen

Zuallererst einmal kamen die Fanatiker des Konsens, des wirklichen wie des zur Schau gestellten, voll auf ihre Kosten. Die Führer der "sieben führenden westlichen Industrienationen" besannen sich darauf, was ihre "erste Aufgabe" ist: "die Freiheit und Gerechtigkeit zu verteidigen, worauf unsere Demokratien beruhen". Kaum hatten sie ihren Wirtschaftsgipfel eingeläutet, verfielen sie auf die Ehrentitel ihrer Ordnung und auf das Mittel, von dem sie gar nicht genug kriegen und anwenden können zur Verteidigung ihrer Prinzipien: die Gewalt. Keine Sekunde besorgt darüber, daß ihnen der gelehrt-idiotische Moralismus entgegenschlägt, der Böses dort entdeckt, wo "der Zweck die Mittel heiligt"; auch nicht im mindesten beunruhigt bezüglich möglicher Mißverständnisse, verkünden sie: "Die Sicherheit unserer Länder ist unteilbar und muß global gesehen werden." Und es kam auch niemand auf den Gedanken, daß die Botschaft der sieben führenden westlichen Industrienationen der Abwehr eines Angriffs galt, der von zahlreicheren, aber minder führenden und nicht so Industrie-Nationen ins Werk gesetzt wird; von Nationen, in denen die Maßstäbe von Freiheit und Gerechtigkeit gründlich zur Anwendung gelangen, ohne daß gleich auch noch eine Demokratie auf ihnen beruht. Der Ursprung der Gefahr, die da in Williamsburg getrennt von NATO-Treffen und Einsätzen gebannt ward, die Quelle der Unsicherheit, die zusätzlich zu den Ultimaten von Genf zum Versiegen verurteilt ward, lag für jedermann im Osten.

Die Sowjetunion, die an der freiheitlichen, gerechten und demokratischen Führung westlicher Industrie wahrlich nicht beteiligt ist und auch in Williamsburg nicht mit Sitz und Stimme vertreten war, ist wieder einmal aufgeklärt worden:

- darüber, daß "führende Industrienationen" mit ihrem Erfolg auf dem von ihnen so gemütlich und leichenträchtig eingerichteten Weltmarkt ganz viel zu verteidigen haben;

- darüber, daß sie aufgrund und zur Sicherung dieses Erfolgs auch genau das gebotene und erlaubte Maß n Waffen kennen, das den diversen Machthabern in aller Welt zusteht;

- darüber, daß sie diesen ihren Richterspruch - im Falle Moskaus heißt er: "zu viel, viel mehr, als zur Verteidigung notwendig ist!" - nicht nur durchzusetzen gewillt sind, sondern auch die Moral auf ihrer Seite haben: ihre Interessen in ihrer "Weltwirtschaftsordnung" sind haargenau dasselbe wie die höchsten Ideale und tiefsten Regungen der Menschheit - Freiheit und Gerechtigkeit;

- darüber, daß die westlichen Führungsmächte das ganz aktuelle Bedürfnis verspüren, "jeder Bedrohung zu begegnen", deshalb "ausreichende militärische Stärke aufrechterhalten" und darin die Erfüllung ihrer gemeinsamen Pflicht erkennen, "den Frieden zu gewährleisten"! Bei der Verwirklichung dieses Friedensideals läßt sich "der Westen" nicht spalten - und lehnt "die Einbeziehung von Abschreckungskräften dritter Länder, wie beispielsweise Frankreichs und des Vereinigten Königreichs" ab, wenn die Waffen zur Ermittlung der wechselseitigen Droh-Potentiale gezählt werden. Beide genannten Staaten gehören zwar als Unterzeichner dem friedensstiftenden Sicherheitsbündnis an, aber ihre Waffen nicht. Eine sowjetische Rechnung, die sich von diesen Raketen bedroht sieht, will - den Westen spalten!

- darüber, daß die Verhandlungen über "Abrüstung" vom Westen "dynamisch und mit Nachdruck" fortgeführt werden müssen, während der Sowjetunion die Pflicht bleibt, "konstruktiv" zum Erfolg der Verhandlungen beizutragen. So entsteht über die Rollenverteilung beim Einsatz "aller unserer politischen Kraft, die Kriegsgefahr zu vermindern", wenigstens kein Zweifel. Der freie Westen vertritt nicht etwa sich, sondern die "Menschheit": Er weiß sich und seine Raketen zuständig dafür, eine Welt zu schaffen, "in der der Schatten des Krieges von der Menschheit genommen ist".

Tusch und zufriedene Mienen bei Ronald und Helmut. Letzterer hält es offenbar für gerecht und eine Gnade dazu, daß er bei diesem Programm mitwirken darf. An ihm läßt sich sehen, daß das persönliche Glück mancher Leute proportional zu den Zumutungen, die sie der übrigen Menschheit gegenüber "verantworten", steigt. Je Kriegsgefahr, desto Lächeln!

2. Zinsen

Darüber sind sie sich also schwer einig, die "sieben führenden Industrienationen", daß die von ihnen geführte Weltwirtschaft jeden erdenklichen Einsatz militärischer Gewalt erfordert und rechtfertigt. Und zwar gegenüber einer Sorte Staat, die an diesem Eden der Menschenrechte weder führend noch als geführte Nation teilnimmt; gegenüber einem "System", das es weder zu weltweitem ökonomischen Erfolg bringt noch sich den Regeln der Weltwirtschaftsordnung beugt - und dennoch per Gewalt auf seiner Existenz, auf seiner alternativen Herrschaft über Land und Leute besteht. Dergleichen dient nicht dem Frieden, dem in der politischen Ökonomie des freien Westens die rechte Heimstatt und in ihren Führen die passenden Rechtsvertreter zur Verfügung stehen.

Uneinig sind sie aber auch, die Nationen, die in der gewaltsamen Verteidigung ihrer Prinzipien ebenso bündnistreu wie entschlossen zu Werke gehen. Allerdings fällt ihre nationalistische Kritik untereinander nicht so radikal aus wie ihre internationalistische Feinderklärung. Was sich da unter dem Stichwort "Zinsen" an Vorwürfen unter den Verbündeten so vernehmen läßt, macht zwar deutlich, daß manche von diesen Führungsnationen mit ihrem Ertrag aus der Führung der "Weltwirtschaft" unzufrieden ist, sich aber nicht zu einer Kündigung entschließen mag - geschweige denn zur Drohung mit Gewalt, die ihr in Sachen "Ost-West" so unverzichtbar erscheint. Offenbar erinnern sich die regierenden Nationalisten bei all ihrem Gestöhne daran, daß sie sich mit ihrer Teilnahme am Bündnis namens "Weltwirtschaft", das sie auf den schönen Gipfeln so verantwortlich pflegen, ein paar ökonomische Bedingungen eingefangen haben, gegen die sie besser keinen Einspruch erheben, weil sie die Grundlage ihres ganzen Erfolgs abgeben.

- Ein europäischer Wirtschaftslenker mag unzufrieden sein darüber, daß die internationalen Geldgeschäfte sich negativ auf die Zahlungsfähigkeit seiner Nation auswirken, weil sehr profitabel bei US-Banken angelegt wird und dergleichen als "Nachfrage" nach Dollars zählt und dessen relativer Wert im Verhältnis zu anderen Währungen steigt - aber zum international anerkannten Zahlungsmittel ist seine Verschuldung, die als Kreditgeld umläuft, eben nur durch den Vergleich mit dem Dollar geworden, und bleibt es nur durch ihn.

- Ein europäischer Wirtschaftslenker mag unzufrieden sein darüber, daß sein Ideal im Unterschied zum gleichen Ideal der USA nicht umstandslos in die Tat umzusetzen geht: daß die Vermehrung seines Nationalkredits automatisch seine Mittel erhöht, mit denen er sich und seine Projekte ebenso finanziert, wie er Geschäfte ins Leben ruft, die seinem Staat "Gewicht" verleihen. Aber er wird sich hüten, die "Abhängigkeit" aufzukündigen, die er sich als wirtschaftspolitischer Souverän gern gefallen läßt, weil die Konvertibilität seines Geldes immerhin den nationalen Nutzen des Weltmarkts ermöglicht; schließlich gibt es ja außer dem Leitwährungsland noch "Weichwährungsländer", ein Europa und eine "Dritte Welt", die über den eigenen Kredit brauchbar bleiben.

- Ein europäischer Wirtschaftslenker mag unzufrieden sein darüber, daß sich die USA ein Zahlungsbilanzdefizit erstaunlichen Ausmaßes leisten, das wider alle Vernunft von Angebot und Nachfrage auf den internationalen Kapitalmärkten von anderen finanziert werden muß - schließlich führt man keine Klage über hohe Zinsen, sondern über die amerikanische Hochzinspolitik -; daß die wachsende Staatsverschuldung der Weltgeldfunktion des Dollars nichts tut und zu seiner "Überbewertung" führt. Aber weder die Rüstung, der die meisten Schulden heutzutage gewidmet sind, ist kritikabel - das ist schließlich "unsere Sicherheit"! -, noch die Ausnahmestellung des Dollars: immerhin braucht die Weltwirtschaft einen durch Gewalt abgesicherten Kredit...

Usw. In all ihreri Beschwerden bezeugen die Mitmacher der Weltwirtschaft, daß sie der Übersetzung von politischer Gewalt in ökonomische Potenz ihre Anerkennung nicht versagen mögen, auch wenn ihnen dieses Resultat von Weltkrieg II bisweilen den Gebrauch ihrer inzwischen erworbenen Mittel ("führende Industrienationen"!) zu gering geraten läßt. Brav besinnen sie sich auf die Chance der Konkurrenz unter amerikanischer Aufsicht, halten sich bei ihrem Arbeitsvolk als Material dieser Konkurrenz ungeniert schadlos - und schlagen überall dort, wo die "amerikanischen Freunde" auf sie angewiesen sind, ihre Sonderrechte heraus. Ihre Zuständigkeit für ganze Unterabteilungen der freien Weltwirtschaft und ganze Frontabschnitte verleiht dem Anspruch auf die Beseitigung der "Teilung" der Welt, Europas und Deutschlands erst die Wirkung, die den Herren Amerikas so am Herzen liegt. Die Zinsen für die Raketen bezahlt ohnehin die globale Mehrheit, nicht nur in den Demokratien, wo die Diagnosen über das "Kräfteverhältnis" recht absurd ausfallen, nie Schulden der USA sind nämlich Geld und kein Anzeichen von "Schwäche"; und das Mit-Führen in Weltwirtschaft wie NATO ist kein Indiz für unterwürfigen Nationalismus angesichts einer "Super"macht, sondern der auf ein neues Kriegsergebnis berechnete Bündnisimperialismus. Konkurrenz belebt eben auch das Geschäft in Sachen Weltherrschaft, die angesichts ihrer Ziele zurecht den Frieden in Gefahr sieht - wegen der "Teilung der Welt"...