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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1983 erschienen.
Rezensionen zweier Aufsätze zum Thema
WIE MORALISCH IST DIE MILITÄRISCHE GEWALT?
Die öffentliche Debatte über Zwecke, Mittel und Methoden nationaler und nationenübergreifender "Sicherheitspolitik" wird auch in Zeitschriften für das gebildete Publikum geführt. Wie - das zegt ein Blick in die letzte April-Nummer der auflagenstarken Heftserie "aus politik und zeitgeschichte. Beilage zur wochenzeitung das parlament".
Mit Opfermoral gegen Kriegsgefahr
Dort findet sich ein Aufsatz von Peter Kern und Hans-Georg Wittig: "Die Friedensbewegung - z u radikal oder gar nicht radikal genug?" Wie der apologetische Titel schon offenbart - er verwendet die rhetorische Kunstfigur, ein üblicherweise als Vorwurf gemeintes Attribut durch absichtsvoll entgegengesetzte Verwendung als problematisch und in seinem Inhalt unbestimmt hinzustellen und dadurch zu "entschärfen" -, kommen hier wissenschaftliche Parteigänger der Friedensbewegung zu Wort. Diese Parteinahme macht sich denn auch darin geltend, daß der Aufsatz mif der Friedensbewegung neben deren Ethos und Pathos auch ihren Fehler teilt, die Sicherheits- und daraus folgende Rüstungspolitik der heutigen Groß- und Weltmächte ohne jede Bezugnahme auf die weltpolitischen Interessen und auf den Inhalt der Feindschaften dieser Staaten erklären zu wollen. Die Tautologie, daß Sicherheitspolitik Bedrohung unterstellt, dabei selber aber Bedrohung schafft, auf die eine gegnerische Sicherheitspolitik sich für ihre Drohung berufen kann, wird da für das eigentümliche Dilemma der Sache gehalten:
"Die bestehende Rüstungspolitik beruht in West und Ost auf dem Prinzip der atomaren Abschreckung. Abschreckung aber wirkt immer aggressiv auf den möglichen Gegner, auch dann, wenn sie defensiv gemeint ist; sie treibt also zu ständigem Weiterrüsten an." (S. 33)
Der Fehler dieser Auffassung äußert sich hier besonders deutlich in der Gedankenfigur als Adressaten der - doch sehr wirklichen und auf eine sehr wirkliche politische Interessenkollision begründeten - "Abschreckungs"politik einen "möglichen Gegner" zu unterstellen: Wäre das die Wabrheit, daß ein fremder Staat erst i m und durch den Krieg zum wirklichen Feind wird, dann wäre "Abschreckung durch Aufrüstung" tatsächlich ein sich selbst fortzeugender praktischer Zirkelschluß - von dem eben deswegen aber gar nicht abzusehen wäre, wie er überhaupt in Gang kommen soll. Bei der Vorstellung vom "todbringenden Rüstungswettlauf", die die Autoren als die "Ausgangslage" kennzeichnen (S. 33), handelt es sich also um eine der Logik nach kriegsimmanente, den Kalkulationen des Militärs nachempfundene, die Eskalation des Kampfgeschehens vorwegnehmende Betrachtungsweise, die bei der fachmännischen Begutachtung von Rüstungs"notwendigkeiten " und Rüstungsgütern am Platze ist; auf "die bestehende Rüstungspolitik ... in Ost und West" angewandt, bringt sie allerdings nichts anderes zustande als die Naivität, die Selbstgerechtigkeit, mit der jede der verfeindeten Seiten ihre Rüstung als Reaktion auf die nackte Tatsache feindlicher Bedrohung begründet, für die angemessene Auskunft über die Sache zu nehmen.
Entsprechend schwer fällt den Autoren die Begründung ihrer These, der "Rüstungswettlauf" sei notwendigerweise "todbringend". Die Deutung westlicher und östlicher Rüstungspolitik als Reaktion auf diejenige der jeweils anderen Seite will in ihrer offiziellen Version nämlich gerade umgekehrt auf die trostreiche Illusion hinaus, gerade so, durch immerwährendes Reagieren - "Nachrüsten"! - werde die Abschrekkung wechselseitig und dadurch der Friede sicher; eine Ideologie, in der der von den Autoren monierte "Widerspruch" der Abschreckungspolitik, sie schließe die Bereitschaft zu unverzüglicher Anwendung des Waffenarsenals i m Ernstfall ein, sich für den "gesunden Menschenverstand" noch allemal auflöst. Der Artikel bestreitet auch gar nicht erst diese Ideologie der "Abschreckung", die das Kalkulationsproblem von Kriegsführungsexperten in das Ideal der Kriegsverhütung überhöht. Er fügt dieser Ideologie das Bedenken hinzu, das angebliche friedenssichernde wechselseitige "Nachziehen" könnte womöglich einmal nicht mehr gelingen; insbesondere müßte die Perfektionierung von "Erstschlagswaffen" wie der Pershing II - zu einer grundlegenden "Labilisierung" des Abschreckungs-"Gleichgewichts" führen und damit der unterlegenen Seite einen präventiven "Erstschlag" nahelegen - eine Befürchtung, die sich schlecht mit der daneben aufrechterhaltenen Gewißheit verträgt, die "Zweitschlagskapazitäten" keiner Seite ließen sich je ausschalten. Auf alle Fälle fürchten die Autoren um die "Zuverlässigkeit" der friedenssichemden "Wirkung wechselseitiger atomarer Abschreckung" und fordern eine "grundlegende Wende" der Verteidigungspolitik, "die uns allein aus der Sackgherausführen könnte." (S. 35)
Den Inhalt dieser "Wende" deuten die Autoren mit dem Ideal einer "gewaltfreien Konfliktaustragung" (S. 37) an - an was für "Konflikte" sie hier denken, wo der Hauptkonflikt zwischen Staaten ihrer Auffassung nach doch aus dem praktischen circulus vitiosus von Sicherheit durch Drohung stammen soll, lassen sie offen -, dem sie unter zwei Hinsichten wissenschaftlich beispringen wollen.
Zum einen geben sie eine Methode an, nach der der Standpunkt dieses Ideals verallgemeinert werden könnte: "Innovatives Lernen in einer Stufenfolge sicherheitspolitischer Alternativen" (S. 35). In der Durchführung entpuppt sich allerdings die verheißungsvolle Vokabel "innovativ" als die reichlich tautologische Forderung, es müßten tatsächlich jeweils Fortschritte erzielt werden, um in der "Verteidigungspolitik" dem Ideal der Gewaltfreiheit nahezukommen. Die versprochene "Stufenfolge sicherheitspolitischer Alternativen" besteht darin, daß erstens das Konzept einer see- (statt land-) gestützten Atomraketenmacht in Europa, zweitens das ziemlich genaue Gegenteil zu dieser Alternative, nämlich "die Ablehnung der 'Nachrüstung' überhaupt" (S. 36), drittens das abenteuerliche Projekt, die westeuropäischen Armeen auf "die alte Guerilla- Taktik mit moderner Technik" (S. 37) zu trainieren, als aufeinander aufbauende Schritte hin zu "gewaltfreier Konfliktaustragung" gedeutet werden. Von jeder Eiinnerung an die weltpolitischen Zwecke, denen die Verteidigungspolitik der verschiedenen Staaten gilt, ist diese Deutung frei; nicht einmal darüber gibt sie sich Rechenschaft, daß die erpresserische Wucht von Atombomben auf Raketen gar nicht demselben Zweck dienen kann wie der als Endstufe anvisierte zivile Ungehorsam eines Volkes gegen eine fremde Herrschaft, von alternativen "Verteidigungsmitteln" also schon gleich nicht die Rede sein kann, wo in dem einen Fall der weltpolitische Geltungsanspruch, sei es einer Feindschaft erklärenden, sei es einer angefeindeten Nation, in dem anderen Fall die unterstellte Anhänglichkeit eines Volkes an eine nichtfremdländische Herrschaft Gegenstand der "Verteidigung" ist; alle solchen Gegensätze gehen unter im Idealismus eines staatlich arrangierten Schutzes des Volks, der ganz im Sinne der offiziellen Verteidigungs-Ideologie jeder staatlichen Gewalt nach außen zugutegehalten wird. Entsprechend fiktiv ist der Fortschritt, dessen "Methode" Kern und Wittig da angeben wollen. Es soll sich um einen "Lernprozeß" handeln, als dessen Subjekte die Autoren recht unbekümmert "Individuen, Gruppen, Nationen, ja ganze Blöcke" (S. 36) aufzählen - so als wäre die Sicherheitspolitik ausgewachsener Staaten so etwas Ähnliches wie die Einigung zwischen Schrebergartennachbarn über die besten Methoden gemeinsamer Schädlingsbekämpfung! Mit den wirklichen, Feindschaft stiftenden Interessen gewisser Nationen hat dieses Bild von einem individuellen und kollektiven Lernen nichts zu tun, dafür alles mit einem demokratischen Idealismus, der die einzelnen Bürger und ihren Staat, Privatmensch und Nation unbesehen füreinander einstehen läßt.
Die andere wissenschaftliche Unterstützung, die Kern und Wittig ihrem Ideal gewaltfreier Konfliktaustragung angedeihen lassen, besteht in dessen ethischer Rechtfertigung gegen den Vorwurf der offiziellen Friedenspolitik, angesichts der tatsächlichen Sicherheitsrisiken sei ein solches Ideal verantwortungslos. Wieder liegt den Autoren nichts ferner, als diesen Vorwurf und den darin vorausgesetzten Anspruch staatlicher Sicherheitspolitik, sie diene niemandem als "dem Bürger" und seinem höchsten Weißwarum, auch nur in Frage zu stellen. Sie nehmen hier sogar Abstand von ihrer zuvor ausgebreiteten Theorie, wonach Sicherheitsprobleme zwischen Staaten nie und nimmer aus deren politischen Zwecken, sondern aus der Angst vör der Rüstung der anderen entstünden, lassen das offizielle Feindbild vom eroberungslustigen Kommunismus gelten, geben also der unbedingten Selbstgerechtigkeit westlicher Verteidigungspolitik methodisch voll recht, um für ihr Ideal den Höchstwert aller bürgerlichen Moral in Anspruch nehmen zu können: genau die Moral notwendiger Selbstverleugnung im Namen des größeren Ganzen nämlich, auf die der offizielle staatliche Verteidigungsmoralismus ansonsten Anspruch erhebt.
Ausgerechnet die Bereitschaft von Staaten, für ihre Interessen beträchtliche Menschenopfer zu veranstalten, erscheint so als eine zwar relative, aber doch - Gunst, der zu entsagen eine höhere Verantwortung gebiete; die "öko-ethische" Pflicht nämlich, "das Leben" als Höchstwert über alle Alternativen zu Stellen, wie der einzelne es besser oder schlechter hinbringen könnte. In diesem Sinne modeln sie das der Friedensbewegung entgegengehaltene "Lieber rot als tot!" in kongenialem Antikommunismus, aber mit dem guten Gewissen einer noch grundsätzlicheren Ethik des Lebens schlechthin um in den Wahlspruch: "'Eher vorüber gehende Bedrängnis als ein unermeßliche Verhängnis!'" (S. 43) Hinweise auf die Furchtbarkeit des Atomkriegs unterstreichen die Dringlichkeit des Wunsches der Autoren, diese originelle Verzichtsmoral schleunigst zu vermassen; über die Möglichkeit hierzu trösten sie sich mit einer moralischen Geschichtsphilosophie über "des" Menschen Lernfähigkeit, die sich in folgender Studienrats-Frömmelei zusammenfaßt:
"Der Anspruch, dieser Ethik notfalls bis zum Opfer des eigenen Lebens" - das fällt Rüstungsgegnern ein? - "zu folgen, ist so radikal, daß... in der seitherigen Geschichte immer nur wenige einzelne ernst damit machten. Daß ihre Befolgung grundsätzlich möglich ist, bezeugen in Ihrem Erscheinungsbild so unterschiedliche Gestalten wie Sokrates und Jesus." (S. 41)
Friedenssicherung durch Kriegsmoral
Die Gegenposition in dieser Moraldebatte vertritt in derselben Zeitschrift der christliche Sozialwissenschaftler Manfred Spieker mit einer "Verteidigung des Friedens gegen den Pazifismus" - so der Titel seines Aufsatzes. Unter der überschrift "Defizite der Friedensbewegung" kritisiert der Verfasser zunächst die dort übliche moralisch inspirierte Gleichgültigkeit gegen die Zwecke, die Staaten mit ihrer Rüstung verfolgen -
"Aber die Gefährdung und dementsprechend auch die Stabilisierung des Friedens ist in erster Linie nicht eine Frage der Rüstung, sondern der Motive und Ziele, die die Rüstung bedingen." -;
das allerdings nicht in der Absicht, nun seinerseits über die die Weltfriedensordnung konstituierenden nationalen "Motive und Zwecke" moralfrei aufzuklären, sondern um die Frage nach einem moralischen Recht auf Rüstung bezüglich der Gesinnung der beteiligten Mächte und Machthaber neu aufzuwerten:
"Wenn diese Motive und Ziele von einem Frieden ausgehen, der seinerseits an die Respektierung der Freiheit und des Rechts gebunden bleibt, ist auch die Rüstung, die der Verteidigung dieses Friedens dient, nicht verwerflich. Im Gegenteil, sie ist sittlich geboten." (S. 18)
Die Untersuchung der "Gefährdung" resp. "Stabilisierung des Friedens" wird hier von vornherein nicht als Frage nach den tatsächlichen, allemal in völkerrechtliche und moralische Titel übersetzten Interessen und Ansprüche von Staaten gefaßt, die mit ihrer Gewalt einen praktischen Zusammenhang der Staatenwelt überhaupt erst stiften, sondern als das Geltendmachen eines moralischen Ideals, in dessen Namen ein Staat Gewaltmittel besitzen dürfe; das ist der moralistische Fehler in Spiekers Überlegung. Daß ihm hierbei als Kriterium sittlicher Gewalt mit "Freiheit" und "Recht" genau die Ideale einfallen, an denen der NATO-Vertrag die Friedenswilligkeit der Partnerstaaten relativiert, schafft gleich von Anfang an klare ideologische Verhältnisse. Der Verfasser hält die westliche Aufrüstung für eine sittliche Pflicht, meint damit alles Wesentliche über ihren Grund und Zweck herausgefunden zu haben und widmet sich der Erstellung eines antikommunistischen Feindbildes, welches nicht zu teilen er der Friedensbewegung als "Tabuisierung der kommunistischen Ideologie, Militärstrategie und Wehrerziehung" (S. 18) vorwirft. Der Nachweis der sittlichen Verwerflichkeit östlicher Militärgewalt wird vor allem aus deren "ideologischem Kontext" geführt, der "zu dem Schluß" zwinge,
"daß die sowjetische Politik nicht an der Erhaltung des status quo, sondern an seiner revolutionären Veränderung, nicht an Krieg, aber an Sieg interessiert ist" (S. 19).
Dem Verfasser fällt hier weder auf, mit welch verräterischer Selbstverständlichkeit ihm "status quo" als der praktische politische Klartext für die Ideale des Rechts und der Freiheit einfällt, noch daß er selbst diesen status quo als eine Angelegenheit unterstellt, die sich nicht weniger als die befürchtete "Weltrevolution" durch die Entschlossenheit empfiehlt, zu ihrer Durchsetzung kriegerische Gewalt anzuwenden. Ihm genügt es, in der von westlich-demokratischen Verteidigungsideologien abweichenden Rhetorik sozialistischer Militärpolitiker Indizien für eine Entscheidung der kindischen Moralfrage ausfindig gemacht zu haben. Welche Seite wohl diejenige sein wird, die "angefangen hat"; Indizien, die nicht einmal zum Schein das Geschlußfolgerte hergeben: Wenn der DDR-Verteidigungsminister Hoffmann mit dem Satz zitiert wird:
"'Bis jetzt kennt die Geschichte tatsächlich keinen Fall, in dem eine sozialistische Revolution zum Siege geführt wotden wäre, ohne daß die Kanonen ihr Machtwort gesprochen hätten oder ohne daß sie mindestens gerichtet und geladen gewesen wären.'" (S. 19),
so belegt das "im ideologischen Kontext" gerade keine "expansiven Ziele der sowjetischen Politik", sondern die Vorstellung vom Militär als notwendigem Schutz für die Durchführung einer Revolution im Innern eines von gegensätzlich interessierten Nachbarn umgebenen Landes. Eindruck will Spieker weiterhin mit Zitaten aus sowjetischen Wehrerziehungsmaterialien machen, in denen eine "'Erziehung des Haßgefühls gegenüber dem Feind'" (S. 20 ) gefordert wird - und teilt damit doch nur sein paradoxes Ideal mit, das professionelle Töten von Feinden hätte jeden Haßgefühls zu entsagen; ein Ideal, das in manchen westlichen Armeen als offiziell gepflegte Heuchelei existiert, die sich erstens auf dig offiziell nicht eingeräumte "private" Feindbildpflege verläßt; zweitens wird damit im Unterschied zur sowjetischen Wehrerziehung, die die Bereitschaft zur Gewaltanwendung auf einen - dem Anspruch nach - sachlich bestimmten Feind beschränkt, gerade eine bedingungslose Verfügbarkeit des soldatischen Kampfwillens für jeglichen nationalen Sicherheitszweck eingefordert. Es ist ausgerechnet die nationalistische Schrankenlosigkeit westlicher Erziehung zur Wehrbereitschaft, auf die der Verfasser sich als Beleg für deren relative Harmlosigkeit beruft! Ähnlich verräterisch schließlich fällt Spiekers Hinweis aus, die sowjetische Rüstung überschreite mit ihrem Bemühen um Gleichstand mit der des Westens die legitimen Verteidigungsinteressen der Sowjetunion, sei also "mit defensiven Interessen unvereinbar" (S. 20): Abgesehen von dem Widerspruch, daß nun doch das Waffenarsenal Auskunft über seinen Zweck soll geben können - was zu Anfang des Aufsatzes ja zurückgewiesen wurde -, dies aber nur bei dem einen Waffenarsenal der Fall sein soll und nicht bei dem ähnlich bestückten anderen, spricht aus dieser Kritik nichts als genau der imperialistische Anspruch auf Entscheidungshoheit über sowjetische Sicherheitskalkulationen, gegen den die Sowjetunion sich mit ihrer Aufrüstung praktisch richtet - dessen Moral sie also notwendigerweise verletzt. An seinem spiegelbildlich umgekehrten Kompliment für die NATO-Staaten - sie definieren angeblich nicht "den Frieden als Unterwerfung unter den eigenen Machtanspruch", sondern "wollen in erster Linie ihre Freiheit verteidigen, die eine Voraussetzung des Friedens ist" (S. 21) - fällt dem Verfasser wiederum nicht auf, daß er im zweiten Satz in idealistischer Phraseologie genau das behauptet, was er im ersten Satz zurückweist: Was ist es denn anderes als ein kriegsbereiter Machtanspruch, wenn Staaten ihre Freiheit zur Voraussetzung des Friedens machen?
Im Rahmen seiner anschließenden Tirade gegen die Friedensbewegung, die mit ihrer angeblichen Gleichgültigkeit gegen Recht und Unrecht den "Blick für das, was verteidigungswürdig ist", und damit 'den Frieden selbst schwächt' (S. 22), versucht Spieker sich an einer Widerlegung der "Friedenspädagogik" von Kern und Wittig - s.o. -, und zwar mit einem "Argument", das nur noch einen christlich inspirierten Verfolgungswahn dokumentiert: Weil besagte Pädagogik die Leute von der Bereitschaft zu gewaltsamer Konfliktaustragung ab- und zu einer neuen Ethik hinbringen wolle, unterstelle sie "den Menschen, wie er geht und steht", als "friedensunfähig", wolle also "die ambivalente Natur (!) des Menschen", statt ihre Neugeburt "aus dem Glauben und der Stärkung durch die Sakramente der Kirche (zu) erwarten", durch pädagogische Machinationen 'eliminieren'; das aber heiße, den Frieden "auf die Herrschaft einer Avantgarde gründen; es heißt ihn zerstören" (S. 23).
Die "Ethik der Abschreckung" (S. 24), die Spieker im zweiten Teil seines Artikels dem Pazifismus entgegensetzt, besteht in einer Predigt über den einfältigen moralischen Grundsatz: 'Krieg nur, wenn unbedingt nötig; und dann so wenig Krieg wie möglich.' Sie bietet mit ihrer Befürwortung westlicher Atomrüstung - und der Empfehlung, diese zwecks Eingrenzung eines möglichen Kriegsgeschehens in Richtung auf zielgenauere und kleinere Waffen voranzutreiben - die offizielle Normalform genau jenes Moralismus, den Kern und Wittig zu der Alternative radikalisieren: 'Hinreichend wenig Krieg ist heutzutage nicht mehr möglich; also darf Krieg nicht mehr für nötig gehalten werden!' In theoretischer Hinsicht weltfremd ist dieser Moralismus in seiner normalen wie in seiner alternativen Fassung; denn in beiden Fällen lebt er von der Fiktion, Kriegsgründe von Staaten wären eine Sache der moralischen Imperative, mit deren Hilfe dem Recht unterworfene Staatsbürger sich die rechtliche Abwicklung ihrer Konflikte als ihre höhere Pflicht zurechtlegen. Eben darin ist er aber in praktischer Hinsicht sehr realitätstüchtig: Mit genau diesem theoretischen Fehler legen Staatsbürger sich sogar noch diejenigen staatlichen Interessen, die Krieg als Mittel einschließen, als eine Sache ihres persönlichen Pflichtbewußtseins zurecht, erklären sich als Privatpersonen fiktiv für haftbar in Sachen der politischen Feindschaften, die das über sie herrschende Staatswesen für nötig befindet. So, im Medium der Moral, sich die vorgestellten Skrupel der Herrschaft als die eingebildeten Sorgen des Untertanen anzueignen: das ist das "Geheimnis" eines staatsbürgerlichen Bewußtseins, das seiner Obrigkeit höchst prinzipiell, jenseits aller Differenzen in sämtlichen dann auftauchenden Einzel- und Grundsatzfragen, die Treue hält.