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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1983 erschienen.

Schriftsteller für den Frieden
DEUTSCHE DICHTER IN DER VERANTWORTUNG

Disiecti membra poetae!

Im April "begegneten" sich in Westberlin 2 Tage lang Literaten aus beiden deutschen Staaten und "diskutierten über den Frieden". Unangefochten von den praktischen Beiträgen der Herren Staatsmänner, die als Chefs der NATO einen Weltfrieden ohne, und das heißt gegen die östlichen Souveränitäten durchzusetzen im Begriffe sind, beriefen sich die Damen und Herrn Dichter auf ihre ganz spezielle "Verantwortlichkeit" in Sachen Friede auf Erden als geistige Repräsentanten der Nation.

Leute, denen die Erhabenheit ihres Metiers, der Kunst, als moralischer Ausweis dafür dient, daß sie selbst quasi aus Profession zu jener Spezies von "Menschen, die guten Willens" sind, zählen, - lassen sich natürlich durch keinen Fortschritt bei der "Vernichtung des Bösen", durch keinen, der in diesem Namen angedrohten und geführten Kriege, in ihrer Vorstellung verunsichern, daß der Frieden vor allen Dingen eine Frage edler Absichten sei, eben des guten Willens, zu dessen Demonstration sie sich in regelmäßigen Abständen auf Kongressen zusammensetzen.

Deshalb brauchen Dichter bei ihrer "Sorge um den Frieden" nichts im Kopf zu haben als sich selbst. Als entschiede sich die Frage von Krieg und Frieden tatsächlich an nichts anderem als an ihrer Betroffenheit und Glaubwürdigkeit, inszenieren sie ein Schauspiel gequälten Ringens um den Frieden, bei dem man wahrlich nicht weiß, was man mehr bewundern soll, die Borniertheit oder die Unverfrorenheit, mit der die Geister des Guten, Wahren und Schönen das Weltgeschehen betrachten:

"Ich finde den Gedanken so peinigend, daß ausgerechnet ich es sein könnte, der das letzte deutsche Gedicht geschrieben hätte."

Freilich ist die eigene Literaten-Existenz und die Sorge um das deutsche Kulturgut, die hier ein DDR-Lyriker als Zeugen der Ernsthaftigkeit seines Anliegens und Kunstwertungsbewußtseins anführt, eine matte Angelegenheit gegen die Berufungsinstanz westdeutscher Dichter wie sie G. Grass programmatisch allen Teilnehmern ins Stammbuch schreibt:

"Ich gehöre zum Westen, und es trifft mich, wenn die Politik der führenden Großmacht des Westens gemeingefährlich wird. Ich leide unter dem Zustand des großen Verbündeten. Es macht mich bitter, daß die derzeitige Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika keiner demokratischen Impulse mehr fähig ist, vielmehr nur noch auf Gewalt und Stärke setzt. Weil zum Westen gehörig schämte ich mich, als Präsident Reagan vor wenigen Wochen den Gegner nicht nur zum Feind erklärte, sondern ihn auch als das Böse schlechthin darstellte. Gemeint war die Sowjetunion. Mitgesagt wurde, daß das Böse vernichtet werden müsse. Das sind den Krieg erklärende Worte. Diese Sprache ist durch nichts zu entschuldigen, auch nicht durch den beliebten Hinweis, daß mit vergleichbarer Sprache in der Sowjetunion dem Gegner als Feind Vemichtung angedroht wird."

Für die "führende Großmacht" der westlichen Welt und ihren demokratischen Anspruch auf den Erdball zu "leiden" das hat Grass zuletzt auf seiner Reise nach Nicaragua genossen und für die "Zeit" als Feuilleton eines feinfühligen Polit-Touristen nachbereitet. (Eine Besprechung dieser kulturimperialistischen Meinung nach dem Motto 'Unsensible Weltmacht trampelt unser wohlverstandenes Interesse in Mittelamerika kaputt!', stand in MSZ Nr. 5/1982: "Das bessere Deutschland zu Besuch".) Das sind natürlich Dichters Leiden von ganz anderem Kaliber als die "Peinigungen" des Verseschmiedes aus der DDR Moralriesen wie Grass, denen der Imperialismus ein individuelles Gefühl der Scham bereitet, sind selbstverständlich erhaben über so rohe Tatsachen, daß man ohne "Stärke" - wohl nicht zur Großmacht werden, geschweige denn es bleiben kann und daß "demokratische Impulse" seit jeher in nichts anderem bestanden haben als in Gewalt. Daß die "den Krieg erklärenden Worte" exakt so gemeint sind, kann sich diese "zum Westen gehörige" Subjektivität platterdings nicht vorstellen, und Betroffenheit stellt sich bei ihr ein mitnichten im Angesicht der brutalen Sache, sondern ob der "durch nichts zu entschuldigenden" Wortwahl. Als kritische Invektive gegen Reagan kommt da die alte Lüge rechter Ordnungspolitiker daher, von Sprache ginge Gewalt aus. Während letztere damit begründen, warum sie jedem Gegner am liebsten gewaltsam das Maul verbieten würden, ersetzt bei Grass und seinen Dichterkollegen Sprachkritik die Gegnerschaft zur Gewalt.

So wirft sich Grass in die Pose eines supranationalen Sittenwächters der westlichen Welt und erklärt sich enttäuscht - vom Imrperialismus! Das geht nur, wenn man von diesem nichts wissen will und sich statt dessen ein moralisch sauberes Ideal von der eigenen Staatsgewalt und dem Bündnis, zu dem sie hält, zurechtgemacht hat. Eine NATO ohne Mittelstreckenraketen, die USA ohne den CIA, überhaupt ein Staat, wenn schon nicht ohne - Grass ist immerhin praktizierender Sozialdemokrat -, so doch nur mit "gerechter" Gewalt. Daß es alles das nicht gibt, stört einen Dichter ebensowenig wie die Fiktivität seiner Produkte - in Person und Werk repräsentiert er den Widerstand gegen die "Barbarei", den "Ungeist", der nicht im Stile der "Entspannungs"-Diplomatie mit dem Feind umgehen will und die Dichter in die "innere Emigration" oder in die Rolle der nationalen und menschheitlichen Kassandra zwingt. Mit der Demonstration der eigenen theoretischen Verantwortung für den zivilisierten Gang der Welt anerkennt er die handfeste Verantwortlichkeit der Macher - nicht für die ungeliebten Erscheinungen von Not und Gewalt, sondern für ihre vorgestellte Beseitigung. Seine Geisterwelt mißt an sich die wirkliche Politik und behauptet, diese gehorche den gleichen hohen Prinzipien wie jene, nur mangelhaft.

Weil natürlich der Dichteridealismus West die Ideale der Demokratie und der Menschenrechte zum Inhalt hat, ist sein Streit mit den Literaten Ost immer vorprogrammiert, ganz gleich anläßlich welchen Gegenstandes er sich entzündet. Die moralische Überlegenheit des westlichen Künstlerstandpunkts in der Konkurrenz mit östlichen Barden rührt aus der Freiheit her, die die hiesige Obrigkeit ihren Ideologen des höheren Blödsinns beim Reiben ihres Idealismus an den Maßnahmen der Politik einräumt. Als Gegenleistung dafür erhalten sie von den Dichtern den im Prinzip guten Willen und die an sich edlen Absichten attestiert. Jenseits von dem, was die eigene Herrschaft macht, ist sie schon dadurch geläutert, daß sie kritische Schöngeister als geistige Repräsentanten der Nation aushält (in beiden Bedeutungen des Wortsinns!). Ihr distanziertes Untertanentum macht die Schriftsteller glaubwürdig, und die Herrschaft erweist sich in ihren Schriftstellern als würdig.

So werden die Kollegen von drüben einerseits als Blutsbrüder und -Schwestern im Geiste an die Brust genommen, andererseits haben sie nichts zu lachen, wenn sie nicht gleich im eigenen Geiste argumentieren:

"Mit derlei regimetreuer Kritiklosigkeit tun sie ihrem Land keinen Gefallen."

- bekommt ein Sowjet-Literat zu hören, der keinen Anlaß sieht, zum Dissidenten zu werden und in seinem Land auch keine Kriegshetze zu entdecken vermag, sondern sich traut, die eigene Nation ungefähr so solidarisch zu kritisieren wie der Blechtrommler für Willy Brandts und Helmut Schmidts SPD.

Weil ein Stephan Hermlin es wagt, die Worte von Grass ernst zu nehmen und auf die Kriegsdrohungen der VSA hinzuweisen; weil er die SU in diesem Sinne verteidigt, anstatt sie als Unrechtsstaat zu verurteilen, zieht er sich den gesammelten Unmut der westdeutschen Literatenschar zu mit seinem Hinweis:

"Die Diskussion über Menschenrechte ist aller Ehren wert und für alle Länder wichtig. Sie wird weitergehen. Aber ich bin nicht bereit, diese Frage mit der Friedensbewegung zu verwechseln, wenn ich bei dem bekannten Verteidiger der Menschenrechte Colin S. Gray lesen kann: ...wir würden also dem sowjetischen Huhn den Kopf abschneiden! Ich fordere Sie auf, in einer Zeitung der sowjetischen Länder diese Sprache der Schlächter zu suchen und zu finden." (S. Hermlin)

Das läßt sich ein Vertreter des besseren Deutschland nicht bieten. "Die Menschenrechte sind unteilbar" - diesen diplomatischen Titel für die Zuständigkeit der westlichen Allianz auch dort, wo ihre "Einflußsphäre" zu Ende ist, beherrschen auch die Literaten. Freilich, nicht weil sie ihre politische Einflußnahme geltend machen, sondern allein, weil sie die "Glaubwürdigkeit" ihres Friedensengagements verteidigen. Die höchsten menschlichen Ideale wissen sie nämlich generell auf seiten der westlichen Herrschaft - wenn da einer mal allein die Taten, die in diesem Namen begangen werden, zitiert und sich weigert, immer die eigentlich guten Zwecke dazu zu nennen, dann kann es ihm eben nicht um diese gehen. Wenn der Kollege von drüben nicht gleich in die westliche Verurteilung seiner Herrschaft voll miteinstimmen will, weil er der Meinung ist, daß der ganze Ost-Block keine solchen Schlächtereien wie die USA zustandekriegt, dann beweist dies eindeutig, daß er es nicht mit dem Frieden, sondern mit der Sowjetunion hält, also mit einem Feind geistiger Freiheit, der nicht einmal eine eigentliche Zuständigkeit für Frieden und Menschenrechte und freies Dichtertum beanspruchen kann.

Einem Literaten, der sein politisches Interesse so formuliert:

"Weil ich zum Westen gehöre und mich für den Freiheitsbegriff der westlichen Demokratie ausspreche, sehe ich mich zum Widerstand verpflichtet. Doch zuallererst ist es deutsche Erfahrung - darunter die des 1933 versäumten Widerstandes gegen den angekündigten Völkermord -, die mir diese Entscheidung aufzwingt." (Grass)

ist es erste Pflicht, die Kollegen drüben des Verrats zu zeihen:

"Mit dieser Entscheidung stehe ich nicht allein. Und doch wünsche ich mir eine vergleichbare Entschiedenheit der Schriftsteller in der DDR; denn die deutsche Verantwortung für den Frieden und die deutsche Pflicht zum Widerstand gegen den hier wie dort verbreiteten Völkermord sind unteilbar, weil es allesamt Deutsche waren und sind, die bis heute und in Zukunft Auschwitz zu verantworten haben." (Grass)

Man muß sich nur ganz sicher sein, daß man auf der besseren Seite steht, dann schafft man es auch, den "Widerstand" als Auftrag dieser Herrschaft darzustellen, gegen die man seinen "Widerstand" ankündigt. Ein nationaler Auftrag für das bessere Deutschland ist das allemal für das Subjekt des moralischen nationalen "Wir". Die "Entschiedenheit" dieses "Wir" muß Grass freilich drüben vermissen - begreifen die Kollegen aus dem anderen Staat einer Nation sich doch als die Vertreter kultureller Sauberkeit ihres Staates. Gesamtdeutsche Verantwortung für den Frieden in den Grenzen um 1937 heißt die Parole, der sich niemand entziehen darf. So sind die Literaten in all ihrer Sorge um ihre Glaubwürdigkeit, ihre Betroffenheit und ihre Verantwortung für den Frieden auf Erden das genaue Abziehbild der imperialistischen Politik ihrer Herrschaft: als Gewissen des imperialistischen Bündnisses zwar keine Ahnung habend vom Inhalt der Prinzipien, denen überall auf der Welt Geltung verschafft wird, treten die wohlfeilen Interpreten dieser Prinzipien, die deren blutige Realität noch allemal zur Uneigentlichkeit, nämlich zur Verfehlung des besseren geistigen Deutsch- und Westlertums, erklären, mit der Souveränität eben dieser weltweiten Geltung auf und klagen sie weltweit ein. "Feindbilder" wollen das natürlich nicht sein.