Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1983 erschienen.

Systematik

Der Sozialstaat
NACH DER WENDE - UNBEZAHLBAR

Der bundesdeutsche Wähler stellte im März der christlich-freidemokratischen Mannschaft für 4 Jahre die Prokura aus, alle Wechsel blanko unterschrieben und die neue Regierung hat bereits in den Koalitionsverhandlungen verkündet, wie und wann sie sie zu ziehen gedenkt. Dabei kann sie durchaus an wesentliche Errungenschaften der sozialdemokratisch geführten Regierung anknüpfen, die "Ausbau und Sicherung des sozialen Netzes" auch dadurch befördert hat, daß sie seine Leistung für den Staat durch eine immer weitergehende Reduzierung aller Leistungen für diejenigen, die den "Sozialstaat" bezahlen, "sicherstellte".

Säuberlich nach klassenmäßiger Betroffenheit getrennt, aber in bildsauberer synoptischer Gegenüberstellung auf einer Zeitungsseite teilte eine große Tageszeitung der Republik am 8. März dieses Jahres unmittelbare Konsequenzen des konservativen Wahlsieges mit:

"Nach der Wahl eine breite Hausse" einerseits und "Vorrang für Haushalts- und Rentenkonsolidierung" andererseits

lauteten die Schlagzeilen auf der ersten Seite des Wirtschaftsteils der "Süddeutschen Zeitung".

"Nach dem Wahlsieg Kohls explodierten die Börsenkurse" und "die Finanz-Szene" rechnete "fest damit, daß die Mark gegenüber wichtigen anderen Währungen teurer wird. Wer mithin sein Geld in Mark-Papieren anlegt" (weil er es gerade nicht für Essen, Miete oder Autoraten braucht) "verdient an der höheren Bewertung der deutschen Valuta mit." (Spiegel)

Von Explosionen im Lager der Arbeiterklasse wurde nichts bekannt. Sie verharrte vielmehr in bekannt arbeitsamer Friedfertigkeit, bereit, die Wahlversprechen der bürgerlichliberalen Koalition, "die Absicherung des Sozialsystems durch Sparmaßnahmen" (SZ) betreffend, an sich exekutieren zu lassen.

So sicher sich die Börsenmafia eines guten Geschäftes war, so sicher ist sich die Öffentlichkeit, bestärkt von demoskopischen Befragungen, daß

"eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung die Einschränkung von Sozialleistungen befürwortet, um das System der sozialen Sicherung vor finanziellen Risiken zu bewahren" (SZ über eine Infratest-Umfrage),

und dafür selbst einige massive Risiken für das eigene Portemonnaie in Kauf nimmt. Die Sicherheit jener o.g. Börsianer beruht nicht zuletzt auf dieser Risikobereitschaft der deutschen Arbeiterklasse.

Die neue Mannschaft: Hart, aber ehrlich

Nicht erst seit dem jüngsten Wahlkampf, sondern nunmehr schon seit einigen Jahren ist es im Lande völlig unumstritten, daß

"der Wohlfahrtsstaat in einer Krise steckt" und dringend "umgebaut werden muß" (Die ZEIT).

Das heißt

  • daß die "Rentenversicherung vor dem Bankrott" (Spiepel) stehen soll,
  • die "gesetzliche Krankenversicherung sich zu einem Selbstbedienungsladen entwickelt" hat (Die ZEIT),
  • die Arbeitslosigkeit "kaum mehr finanzierbar" (SZ) ist,
  • und überhaupt wegen des "von den Sozialdemokraten mutwillig provozierten Anspruchsdenkens... die Kassen leer" sein sollen (Die ZEIT).

Die neue Regierung tritt nun an, in die Tat umzusetzen, was vor der Wahl mit "beispielloser Ehrlichkeit" (Stoiber) angekündigt worden war, daß nämlich

"allen zugemutet werden wird, mehr zu leisten - für sich und für andere", und daß "niemand erwarten könne, daß wie bisher mit leichter Hand und leichtem Geld vom Staat immer mehr Wohltaten verteilt werden" (Kohl).

Die Rentenversicherung in der Klemme

Die "Faktoren", die "die Rentenversicherung in die Klemme" (Wirtschafts- und Sozialpolitische Rundschau, i. f. zit. Rundschau) gebracht haben sollen, sind schon seit längerer Zeit bekannt. Gemeint ist mit diesem angeblich für die Rentenversicherung so fatalen Zustand deren immer wieder "bedenkliche Kassenlage" (ebd.), von der natürlich stets nur die Rentner und Beitragszahler "in die Klemme" gebracht werden. Vor allem sind es

"Der Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Rückgang der Beschäftigtenzahl, die zu Einnahmeausfällen in Milliardenhöhe führen" (ebd).

Wer sich über diesen Grund für die Gefährdung des Lebensunterhalts heutiger Rentner wundert, da diese doch schon selbst während ihrer "aktiven" Zeit Beiträge bezahlt haben, sei daran erinnert, daß die heute gezahlten Renten von den Beiträgen der jetzt Berufstätigen bezahlt werden, im sog. "Umlageverfahren". Jeweils vor den beiden Weltkriegen waren Kapitaldeckungsverfahren üblich, die

"hohe Kapitalansammlung vorsahen, aus der - unter Berücksichtigung der nicht unerheblichen Vermögenserträgnisse - die Ausgaben... für die Renten zu erbringen waren..." (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung).

Damals wie heute mußten natürlich "Kapitalsammlungen" aller Sozialversicherungsträger in besonders "sicheren" Papieren angelegt werden, nämlich vor allem in Staatspapieren. Dies mit der Folge, daß sich jeweils nach den Kriegen herausstellte, daß der Staat die schöne Kapitalsammlung für seine Sicherheit ausgegeben hatte und die Rückzahlungsansprüche der Versicherungsträger an den Schuldner Staat durch den jeweiligen Zusammenbruch des Nationalkredits nach der Niederlage entwertet waren. Kurz und zurückhaltend dargestellt von dem schon oben zitierten Chefkommentator in seinem halbzentnerschweren Werk:

"Durch den 2. Weltkrieg und dcn Zusammenbruch sowie die daraus folgende Währungsreform ging die Kapitalsammlung in der Rentenversicherung erneut gänzlich verloren. Die Leistungen mußten wieder im Wege der Umlage erbracht werden" (Brackmann)

Wer also als Rentner in der schon vor dem 2. Weltkrig Beiträge zur Rentenversichrung bezahlt hat, hat bestenfalls die Genugtuung, daß damit der eine oder andere Russe erledigt wurde, für seinen Lebensunterhalt stehen sie längst nicht mehr zur Verfügung. Hat er auch nach dem Krieg eingezahlt, so wurden diese Beiträge, weil Übergang zum Umlageverfahren, schon für die zu dieser Zeit in Rente Stehenden ausgegeben, so daß er sich von einem Vorsitzenden Richter am Bundessozialgericht zum Thema "Generationenvertrag" sagen lassen muß:

"Für den einzelnen Versicherten stellen die aufgewendeten Beiträge bloß noch 'verlorenes Kapital' dar. Die Kongruenz von Beitragszahler und Leistungsempfänger ist durch das Umlageverfahren gänzlich aufgehoben. Das individuelle Beitragsvolumen hat für die Rente und ihre Berechnung - überspitzt gesagt - nur mehr die Bedeutung eines Symbolwerts."

Mit der Einzahlung in die Rentenkasse ist also noch keineswegs ausgemacht, ob und wieviel der Einzahler einmal bekommt, wenn er selbst ausgemustert ist. Vielmehr hängt dies, per Umlageverfahren, eben auch davon ab, wieviele Leute in seinen Rentnertagen gerade vom Kapital als Arbeitslose für überflüssig erachtet, außer Brot und damit auch als "Beitragszahler" außer Funktion gesetzt werden.

Weil die Rentenversicherung gerade eine Einrichtung ist, mit der von der Sozialpolitik die Finanzierung der Altersarmut ausrangierter Proleten zum alleinigen Problem der noch fungierenden gemacht wird, darf eben

"die Finanzierung der Sozialversicherung, insbesondere der Rentenversicherung nicht auf die Erwartung gestützt werden, in Krisenzeiten werde der Staat für längere Zeit ausreichend mit Steuermitteln helfen; denn Krisenzeiten... verschlechtern regelmäßig die Finanzlage des Staates, ... selbst finanziell belastet und gegebenenfalls sogar gefährdet." (Brackmann)

Weil der Staat angesichts der Gefährdung des Auskommens seiner Alten einerseits und seiner eigenen Gefährdung auf der anderen Seite die letztere konsequent als die gefährlichere betrachtet, zieht er daraus auch in den heutigen Krisenzeiten die Folgerungen: Da der Fiskus für die Fehlbeträge des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit einzustehen hat und die Bundesanstalt bislang für die arbeitslos Gemeldeten die Beiträge zur Rentenversicherung weiter bezahlte, damit Rentner, die einige Zeit arbeitslos waren, nicht durch Beitragsausfälle während der Arbeitslosigkeit massenhaft Renten unter dem Sozialhilfesatz beziehen (was wiederum öffentlichen Kassen zuwider wäre),

"werden jetzt die Beitragszahluugen der Bundesanstalt für Arbeit für unbeschäftigte Rentenversicherte radikal gekürzt." ("Süddeutsche Zeitung")

Dies geschieht zum Zweck der "Haushaltssanierung", d.h. aufgrund des Beschlusses, die kostbaren Staatssachulden keinesfalls für Sozialausgaben strapazieren zu wollen, ebenso wie die kontinuierliche Senkung der Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung direkt, die seit 1957 von 31,9% der Rentenausgaben auf inzwischen weniger als 16,3% (1981) gesunken sind (Sozialbericht der Bundesregierung).

Daß durch obige Maßnahme, die Beitragskürzung für Arbeitslose, deren spätere Renten erheblich sinken, erfordert rechtzeitig Vorsorge: Die Leistungen der Sozialhilfe werden ebenfalls gesenkt, so daß auch eine gesunkene Rente nicht so schnell zur Beanspruchung der Sozialhilfe berechtigt. Die bei der Rentenversicherung eingesammelten Mittel werden also sowohl durch die vom Kapital produzierte Arbeitslosigkeit als auch den haushaltskonsolidierenden Umgang des Staates mit den ihm zur Last fallenden Kosten der Arbeitslosigkeit verkürzt. Ebenso ist

"der geringere Lohnanstieg" "mitverantwortlich für die Finanzschwierigkeiten der Rentenversicherung" (Wirtschafts- und sozialpolitische Rundschau):

Die erfolgreiche Lohndrückerei der letzten Jahre unter Assistenz des DGB bewirkt eben, daß bei Anwendung des Beitragssatzes (gegenwärtig 18% v. Brutto ) die Löhne immer weniger steigende Beiträge hergeben und das Beitragsaufkommen ins Mißverhältnis zu den jährlichen "Rentenanpassungen" gerät, die bislang jeweils an den Einkommenszuwächsen von vor 3 Jahren bemessen wurden.

"Die Alterslast wächst " ("Süddeutsche Zeitung")

Es gibt immer mehr Rentner im Verhältnis zu den Berufstätigen.

Insbesondere seit ca. 10 Jahren "werden die Rentner immer jünger" (Rundschau ):

"...ein Drittel der Neurentner ist sogar jünger als 60 Jahre. Dies hat zwei Gründe. Die Möglichkeiten, früher in Rente zu gehen, wurden erweitert und werden zunehmend in Anspruch genommen. So hat 1980 mehr als ein Drittel die flexible Altersgrenze genutzt oder bezog wegen Arbeitslosigkeit vorzeitig eine Rente. Die Hauptursache für die hohe Zahl von Frührentnern liegt aber darin, daß jeder zweite wegen seiner angegriffenen Gesundheit in Rente geht. ... die normale Altersrente hat deshalb heute nur noch einen Anteil von 15% an den neubewilligten Renten." (ebd.).

Die deutschen Rentner werden also zwar immer jünger, besser in Form scheinen sie dadurch aber nicht zu kommen. Die Ausbeutung verschleißt immer Jüngere zu Senioren, sorgt durch flottes Tempo in den Betrieben dafür, daß diejenigen, die noch nicht offiziell anerkannt krank sind, aber schon nicht mehr mithalten können, von selbst gehen. All diese jungen und älteren Rentner finden sich, kaum dem Arbeitsleben entronnen, dem sie ihrer Verbrauchtheit wegen lästig wurden, sogleich als Bestandteile der wachsenden Alterslast der Rentenversicherung wieder.

Wie die Rentenkasse wieder aus der Klemme kommt

Die Rentenkassen sind also weder leer noch voll, wie das interessierte Lamento von Staat und Öffentlichkeit glauben machen will. Sie sind allenfalls so leer, wie dies - bei gegebenen gesetzlich bestimmten Einnahmen - durch die von Staat und Kapital hergestellten Umstände bewirkt wird, und so voll, wie sie laut staatlichem Beschluß durch gesetzlich neu bestimmte Einnahmen (und Ausgabenkürzungen) auf Kosten der Beitragszahler und Rentenempfänger wieder gemacht werden.

Bei den Rentenversicherungseinnahmen ist schon in der Reichsversicherungsordnung (RVO) generell vorgesorgt durch die Verpflichtung zum Finanzausgleich zwischen Arbeiter- und Angestelltenversicherung und die Vorschrift über zwingende Beitragssatz-Steigerungen, wenn der Reservefonds ("Schwankungsreserve" = Betriebsmittel und Rücklagen) beider Vereine unter eine Monatsausgabe fällt.

Auf der einen Seite der Leistungskürzungen sind der sozialpolitischen Phantasie keine Grenzen gesetzt. Die Einigung über den "Maßnahmenkatalog" in den Bonner Koalitionsverhandlungen stand jedoch beim praktischen Einsatz dieser Phantasie ganz im Gegensatz zu den langatmigen Problematisierungen in der Öffentlichkeit: sie war

"glatt, konfliktarm und finanziell ergiebig" (Die Zeit).

Beitragserhöhung findet statt ab 1.9.83 von 18% auf 18,5%,

  • um weitere mindestens 0,5 %o durch Unterwerfung von Weihnachts- und Urlaubsgeld unter die Beitragspflicht.
  • Das Krankengeld wird ebenfalls beitragspflichtig.

Die nächste Rentenerhöhung wird erst am - 1.7.83 fällig statt am 1.1.83, wobei für die bislang kostenfreie Krankenversicherung der Rentner 1% der Rente abgezogen wird.

- die nächste Erhöhung findet, wenn überhaupt, am 1.7.84 statt und wird "aktualisiert" nicht mehr am Lohnanstieg von vor drei Jahren, sondern an dem von 1983 orientiert. Der Krankenversicherungsbeitrag wird bis auf 5% gesteigert, so daß sich bis 1985 eine stetige Senkung der Renten ergibt.

Der Zuschuß an Frührentner mit Kindern wird um über 100 DM bis auf die Höhe des normalen Kindergeldes gekürzt.

So lautet eine Auswahl der wichtigsten Maßnahmen, mit denen vom Staat der Rentenversicherung ein "Ausgleich" für die von ihm selbst im Rahmen der "Haushaltssanierung" verkürzten Einnahmen verschafft wird. Durch die Einnahmeerhöhungen wird dafür gesorgt, daß die Staatskasse im Rahmen der bestehenden Bundesgarantien nicht mit eigenen Mitteln für die Liquidität der Rentenversicherung eintreten muß und ihr deren Rücklagen als Kreditmittel erhalten bleiben.

Krankenversicherung: Wie man Simulanten heilt

"Rund 100 Mrd. Mark hat die gesetzliche Krankenkasse 1982 ausgegeben. Es war kein Geld des Staates, es kam vielmehr aus den Taschen der Versicherten - jener Solidargemeinschaft, die vor über 100 Jahren geschaffen wurde... Jahr für Jahr mehr Beitrag... Ein Ende des Kostenanstiegs ist nicht abzusehen. Sind die Deutschen dadurch gesünder geworden? Experten bezweifeln, daß die Milliarden-Investitionen in die Therapie der Krankheiten den Gesundheitszustand generell verbessert haben." (Die Zeit)

Diese hinterfotzige Tour fängt an, sich um Gesundheit und Geldbeutel der Leute zu sorgen, drechselt aus dem Umstand, daß modernes kapitalistisches Leben für den arbeitenden Teil der Bevölkerung offenkundig nicht das gesündeste ist, einen Gegensatz. Obwohl soviel für Krankheitskosten ausgegeben wird, sind so viele krank. Damit ist sie auch schon beim eigentlichen Thema:

"In jüngster Zeit wird immer häufiger argumentiert, daß das Anspruchsdenken der Bevölkerung die eigentliche Ursache für die gestiegenen Gesundheitsausgaben sei. ...

Zwischen 400 und 500 Mark Monatsprämie zahlen Gutverdienende derzeit. Für soviel Geld wollen sie auch etwas haben. Also: nichts wie hin zum Arzt... Weil es den Arztbesuch zum Nulltarif gibt (20 Zeilen weiter oben waren es noch 500 DM), führt bereits das leichte Grummeln im Bauch zum Arzt." ("Die Zeit")

Also: nicht obwohl soviel ausgegeben wird, sind so viele krank, sondern weil soviel ausgegeben wird, sind so viele vermeintlich krank und verbringen aufgeladen mit Anspruchsdenken manchen lustigen Nachmittag im fröhlichen Wartezimmer um die Ecke, zum Nulltarif von 500 Mark.

Die journalistische Denunziation der Krankenkassenmitglieder als Haufen von Simulanten und Hypochondern liegt bekanntlich auf der offiziellen Linie:

"...warne ich davor, daß sich die technische Medizin verselbständigt, daß sie aufgrund einer überzogenen Technologie und Arzneigläubigkeit bei Arzt und Patient unabhängig von ihrem Nutzen für den Menschen und auch unabhängig vom tatsächlichen Bedarf und dessen Finanzierbarkeit expandiert." (Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium Karwatzki) -

Nur: Wenn von seiten der Führer einer Nation, die gerade dabei sind, aufzurüsten, koste s, was s wolle, die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens bezweifelt wird, ist das die Bekräftigung des politischen Willens jedenfalls an dieser Stelle kostenbewußt zu handeln.

Offensiv gegen die "Verheimung" der BRD

Zwar wird der Haushalt der gesetzlichen Krankenversicherung zum größten Teil durch Beiträge der Mitglieder finanziert und ist durch gesetzliche Beitragsanpassung für Kostendeckung gesorgt, dennoch ist der Fiskus mit mehr als 5 Mrd. an der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung beteiligt. Er zahlt die Krankenversicherungsbeiträge für seine frisch gebackenen Mütter, zahlt für das Arbeitsamt, das aus dem von ihm garantierten Haushalt die Krankenversicherungsbeiträge für seine Arbeitslosen begleicht und gibt Zuschüsse für die Krankenversicherungsleistungen an die künftigen Kopfarbeiter.

Zudem ist er über die staatlichen Krankheitskostenbeihilfen an seine Beamten unmittelbar von der "Explosion der Kosten im Gesundheitswesen" betroffen. Der zuständige Minister gibt die Parole aus, den Beschluß, daß an den Kranken gespart wird, nur ja durch kein "leider" zu relativieren -

"Selbstverständlich ist auf der Welt nichts, auch in der Politik nicht: Wir müssen begründen, daß wir sparen - nicht, weil wir in das Sparen verliebt sind, sondern das muß offensiv formuliert werden. Das ist nicht Defensive und Zurücknahme, das alles muß einen Sinn und einen Zweck haben..." (Blüm vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion) -,

wird doch angesichts dessen, daß ja die hohen Kosten der wahre Grund der (angeblichen) Morbidität sind, der Menschheit gerade durch die Beschneidung ihrer Krankenversorgung eine echte Wohltat erwiesen.

Die Tätigkeit der Regierenden, dem Volk durch

  • Eigenbeteiligung bei Krankenhausaufenthalten
  • Anrechnung von Urlaub auf Kuren
  • Einschaltung des Vertrauensarztes bei jeder Krankmeldung
  • Androhung von Bußgeldern bei Gefälligkeitsattests
  • Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

Streichung von "Bagatell- und Luxusmedizin" etc., etc. seine eingebildeten Krankheiten auszutreiben, erhält so einen eigenen Adel: Es handelt sich dabei

"vor allem um eine Wiederbelebung menschlicher Tugenden" (Karwatzki)

und die Beförderung eines

"revolutionären Umdenkens, ... Hervorhebung der Einzelverantwortung" (ein Prof. Fliedner, Ulm),

wenn man "Raucher, Autofahrer, Sportler, usw. auch einen entsprechenden Zuschlag zum Krankenversicherungsbeitrag zahlen läßt" (Vorschlag der AG selbständiger Unternehmer)

und

"die ältere Mutter zu Hause pflegt und nicht ins Krankenhaus abschiebt. Erstens wird es billiger, zweitens ist es menschlicher... und versucht, diese Gesellschaft vor der Verheimung zu bewahren." (Blüm)

Das ganze Pack ist sich jedenfalls, kaum ist der Sparbeschluß auf dem Tisch, darin einig, daß es so ziemlich das Schlimmste wäre, was man den Deutschen heutzutage antun könnte, wollte man ihnen mehr Krankenhäuser, ärztliche Versorgung und Heilmittel geben. Besagter Prof. Fliedner hat zusammengefaßt, was sie wirklich brauchen:

"Der Bürger in einem freien Land benötigt die Sicherheit, daß eine Erhaltung seiner Gesundheit, um die er sich zweifelsohne vor allem auch selbst zu kümmern hat, ein zentrales politisches Anliegen ist, das seine Berechtigung und Bedeutung aus der Ethik schöpft, die das Leben als solches bejaht und verehrt."

Arbeitslosigkeit: Sozialstaat mit beschränkter Haftung

Den Abschied von der Arbeitslosenversicherung der Nachkriegszeit, in der diese Kasse, kaum beansprucht durch einen ständigen Bodensatz an Brotlosen, die nichts an dem Firmenschild "Vollbeschäftigung" änderten, der prinzipiell begehrten und nur temporär außer Diensten befindlichen Arbeitskraft Überbrückung bis zum nächsten Einsatz für das wiederaufbauende Nachkriegskapital bot, vollzogen schon die Sozialliberalen.

Bereits durch deren radikale Leistungskürzungen wurde den Betroffenen klargemacht, daß die Inanspruchnahme der Arbeitslosenkasse zu den gegebenen Bedingungen auch wirklich an den umgehenden Eintritt in die neuen nützlichen Dienste geknüpft war, andernfalls die Geschäftsgtundlage entfiel, und die Bedingungen der Inanspruchnahme geändert werden mußten, in Richtung auf eine Minimalversorgung auf Dauer als untauglich eingeschätzter Paupers.

Die massiven Verschlechterungen von 1982 gehorchten alle dem Prinzip, die "Leistungsempfänger" zu höchsten Anstrengungen anzuspornen, was ihre eigenen Bemühungen um einen neuen Job betraf (bzw. ihre Säumigkeit hierin zu bestrafen) und die dabei erfolglos bleibenden in ihrem Unterhalt billiger zu machen:

  • Beschränkung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (12 statt 6 Monate Beitragszahlung vorausgesetzt)
  • Wegfall von Mehrarbeitsvergütungen bei der Bemessung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe
  • Senkung der Zuverdienstgrenze
  • Verlängerung der Sperrzeiten
  • Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien etc.

Der öffentliche Hinweis, die. Arbeitslosigkeit sei "kaum noch finanzierbar" ("Süddeutsche Zeitung") ist also "nur" die Bestätigung dieser Linie durch die neue Mannschaft und die offensive Generalbegründung gemäß der Blümschen Linie für weitere Maßnahmen, die demselben Ziel verpflichtet sind wie die der alten Regierung. Wenn aus "haushaltspolitischen Gründen" (Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung 1983) künftig für 6 Monate Arbeitslosengeld 18 Beitragsmonate Voraussetzung sind, statt bisher 12, berufliche Fortbildung gestrichen und das Übergangsgeld bei beruflicher Rehabilitation gekürzt und überhaupt

"der Leistungsanspruch stärker auf die Versichertengemeinschaft konzentriert" (ebd.)

wird, weshalb deren Einkünfte auch per Beitragserhöhung zur Arbeitslosenversicherung zu erhöhen waren, so ist dies wiederum nicht mit hausväterlicher Sparsamkeit wegen der "leeren Kassen" zu verwechseln, auch wenn einem dieser Standpunkt bis zum Erbrechen serviert wird. Eine Kasse, die bei Gesamtschulden von mehr als 600 Mrd. DM sich jährlich um die 40 Mrd. Schulden neu genehmigt und sich dabei weltweit des größten Vertrauens erfreut, trifft ihre Entscheidungen über Ausgaben offensichtlich nach anderen Kriterien, als es das trauliche Bild von der gemeinsamen frohgemuten Einschränkung des (ohnehin ungesund wuchernden) Bedürfnisses gemäß dem knapp gewordenen Inhalt der Schatulle glauben machen will. Daß hier nicht in Nöten befindliche Einteiler, sondern Überzeugungstäter am Werk sind, ist ebenfalls dem Jahreswirtschaftsbericht zu entnehmen:

"Ein Vorlauf konsumtiver Nachfrage ist - wie die Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in anderen Ländern zeigen - nicht Voraussetzung für einen dauerhaften wirtschaftlichen Aufschwung."

Für den Aufschwung, auf den es allein ankommt, braucht es ganz andere Sachen als ausgerechnet Konsum bei den Kunden der Sozialkassen:

"Es geht vor allem darum, sich verstärkt auf die Grundwerte der Sozialen Marktwirtschaft zu besinnen und sie konsequent anzuwenden. Die Investitionskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft müssen gefestigt werden,... Grundbedingungen für die private Investitionstätigkeit müssen günstig sein,... denn Investitionen werden nur dann vorgenommen, wenn der Unternehmer. der etwas Neues wagt... hierfür den nötigen Freiraum sieht und einen ausreichenden Ertrag erwarten kann." (ebd.)

Damit sind die Zuständigkeiten für beide Seiten des "Arbeitslosenproblems" geklärt: Die "Leistungsansprüche", also die Kosten für die Arbeitslosen sind auf die "Versichertengemeinschaft zu konzentrieren", und die "Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" ist in die Verantwortung der "ausreichenden Gewinnerwartung" des Kapitalisten gestellt und nur in diese.

"Mit kurzatmigen staatlichen Ausgabeprogrammen können... die Beschäftigungsprobleme nicht gelöst werden" (ebd.),

und ganz allerletzten Endes ist gerade wieder der Verzicht auf staatliche Arbeitsbeschaffungsprogramme zum Besten derer, die sich nun auf Dauer mit der Armut im Schoß der Solidargemeinschaft einzurichten haben:

"Eine Finanzierung von Sozialleistungen durch Schulden richtet sich letztlich immer gegen die, die eigentlich begünstigt werden sollten." (ebd.)

Ungeachtet dessen, daß sich einige Arbeitslose vermutlich ein paar Milliarden gegen sie gerichteter Begünstigungen ohne größere Gegenwehr gefallen lassen würden, beschränkt sich die Politik auf möglichst kostenneutrale Empfehlungen in ihrem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit:

"Die Bundesregierung hält allgemein mehr Flexibilität im Arbeitsleben für erforderlich." (ebd.)

Sie regt bei den Tarifparteien

"Vereinbarungen über größere Flexibilität der Lebensarbeitszeit"

an und

"ein größeres Angebot von Teilzeitarbeitsplätzen".

Daneben bekommt die Bundesanstalt für Arbeit ein paar neue Computer zur

"Steigerung der Leistungsfähigkeit bei der Vermittlung offener Stellen" (ebd.)

Arbeitslosen, die sich schwarz etwas hinzuverdienen, wird unter dem Titel "illegale Beschäftigung" entschiedene Bekämpfung angekündigt, ebenso wie das Vorgehen gegen überflüssige Ausländer.

Hatten zu großdeutschen Zeiten die Faschisten Arbeitslose mit der gemeinnützlichen Ausbeutung als Angebot für die Nation agitiert und diesen Einsatz praktisch organisiert, da es ihnen auf die politische Benutzung ihrer Unzufriedenheit wie auf die materiellen Ergebnisse ihrer Wiederindienststellung für das Kriegsprogramm ankam, so genügt der deutschen Demokratie der Hinweis auf ihre begrenzte Kompetenz für "die Grundbedingungen der privaten Investitionstätigkeit". Diese fordere es gerade, sich staatlicherseits jeder übertriebenen Fürsorge für die Arbeitslosen zu enthalten. Das Wahlversprechen, eben so zu verfahren, war gerade Bestandteil der Werbung um den erwünschten Niederschlag der demokratisch politisierten Unzufriedenheit der Arbeitslosen auf den Stimmzetteln der Märzwahlen.

"Die Grundidee eines zweiten Arbeitsmarktes...: anstatt Menschen, die Arbeit suchen, mit Arbeitslosengeld etc. dafür zu bezahlen, daß sie nichts tun dürfen, eröffnet der zweite Arbeitsmarkt Wege, um dieselben Finanzmittel für eine nützliche Beschäftigung im öffentlichen Interesse einzusetzen." (Ehlers/Fiedler, SPD, Hamburger Programm über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) -

diese Grundidee blamiert sich als sozialdemokratischer Arbeitsdienst vor soviel Souveränität gegenüber dem "wichtigsten Sozialproblem" und vor soviel Treue zu den Grundwerten der sozialen Marktwirtschaft. Sie überläßt das Urteil darüber, was denn nun eine "nützliche Beschäftigüng" sei, anders als die faschistischen und die sozialdemokratischen Fanatiker der Arbeit, ganz dem "Unternehmer, der etwas Neues wagt" und dessen "Gewinnerwartungen".

Arme Deutsche: keinen Zahn im Maul, aber das Deutschlandlied pfeifen

Den linken Theoretikern, die vor Jahren zähneknirschend die Bestechung der prinzipiell revolutionären Massen durch den Sozialstaat konstatiert hatten, wird nun, da die Bestechungsgelder mehr und mehr ausbleiben, die Falschheit ihrer Auffassung praktisch vorgeführt: Weit und breit kein Zeichen von Illoyalität gegenüber der Staatsmacht und gefaßte Ruhe bei den Massen, die sich konstant weigern, die ihnen zugemuteten Kürzungen als Verarmung zu betrachten, ist dies doch ein Zustand, den es früher mal gegeben hat und anderswo noch gibt. Noch nicht einmal ein offensiver Gerechtigkeitsstandpunkt angesichts der Ungleichmäßigkeit der Verteilung der Opfer macht sich breit. Nicht etwa an den Kapitalisten oder wenigstens den Politikern mißt man sich mit dem Wunsch genauso gut zu fahren wie die, sondern ausgerechnet an den Beamten, die keine Sozialabgaben zahlen mit der heißen Forderung nach Gleichheit im Nachteil.

"Sind sie arm?" fragte das "Zeit-Magazin" eine ganze Reihe von Leuten, die an oder schon jenseits der Grenze des Pauperisnnnus leben, und bekam von einem Krupp-Arbeiter mit sechs Kindern und 2000 netto im Monat, der sich die gesetzliche Selbstbeteiligung an seinem Zahnersatz nicht leisten kann, die kämpferische Antwort entgegengenuschelt:

"Was heißt hier arm? Wir leben. Wir kommen klar. Und Zähne gibt's nächste Weihnachten, wenn se uns nicht das Weihnachtsgeld streichen, wie letztes Jahr in der Stahlindustrie im Saarland. Dann gibt's eben keine Zähne und nur noch Brei zu essen."

Während sich die früheren offiziellen Verlautbarungen zum Thema "Sozialstaat- und sein Segen" mit der zunehmenden Inanspruchnahme des Segens sehr grundlegend in Richtung auf die Ausmalung der mit, in und durch ihn entstandenen Probleme änderten, hat sich in der Betrachtungsweise der Bürger keine prinzipielle Änderung ergeben: Gewohnt, ihrerseits als Selbstbedienungsladen des Staates behandelt zu werden, haben sie stets den Sozialstaat, den sie finanzieren, als einen Luxus der ordnenden öffentlichen Hand aufgefaßt, der eben in Krisenzeiten gekürzt werden muß.

Als Bürger in diesem Land findet man sich damit ab, daß

"die Bundesrepublik in gewisser Weise das äußerste an Fortschritt ist, das die Geschichte bisher gesehen hat" (Die Zeit)

Man ist sogar noch stolz darauf, solange man sich nicht wie in den USA die Armensuppe bei der Heilsarmee abholen muß, sondern das Geld dafür bei der Bank.