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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1983 erschienen.

Systematik

Naher Osten
"VERHANDLUNGEN GESCHEITERT"

"Israel schafft eine Atmosphäre in der Region, die der vor jedem früheren Schlag ähnelt." (Ein syrischer Diplomat, Middle East 4/83)

Ihre Aufgabe hat die Nahostfriedensinitiative Reagans vom September letzten Jahres erfüllt: die Beteiligten der Auseinandersetzungen um den Libanon zu Verhandlungen zu bringen. Verhandlungen allerdings nicht der Art, daß sich hier Parteien auf Kompromisse einigen würden, sondern daß den diversen arabischen Vertretern klargemacht wird, welche Rolle ihnen in einem amerikanisch/israelischen Friedensprozeß zugedacht ist, wenn die Einsicht hierzu nicht gleich als Eigenleistung erbracht wird.

Hier paßt der Spruch, wenn verhandelt wird, wird nicht geschossen, in seiner vollen Bedeutung: Für die von den USA diplomatisch aufgemachte Fiktion, sie hielten Israel bei seinen expansionistischen Taten in Schach, können sich die Gegner Israels erhoffen, daß gegen sie kein Krieg geführt wird, solange sie mit sich reden laasen. Während Syrien seine Bereitschaft in Aussicht stellt, seine Funktion als arabische Schutzmacht Libanons aufzugeben, wenn auch Israel seine Truppen abzieht, setzt Israel die Bedingungen seiner weiteren Präsenz im Libanon fest, baut seine Stellungen aus, entdeckt die Bedrohung seiner militärischen Luftüberlegenheit durch die Aufstellung eines halben Dutzends sowjetischer SAM-5 Raketen - die Bedrohung ist dann gegeben, wenn Israel vorhat, Syrien zu bekriegen -, und veranstaltet Manöver, für die die Bezeichnung provokativ wohl untertrieben ist.

"Die libanesischen Pressekorrespondenten im Bekaatal unterstreichen, daß die syrischen und palästinensischen Streitkräfte auf der syrisch-israelischen Waffenstillstandslinie in "höchste Alarmbereitschaft" versetzt worden sind, Sie fügen hinzu, daß die Grenzregion in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag von israelischen Truppen, die im Süden und Osten der Waffenstillstandslinie stationiert sind, "taghell" beleuchtet worden ist und daß Hubschrauber im Südosten des Bekaatals Panzer abgesetzt haben." (Le Monde, 16.4.83)

Während die PLO und Jordanien über palästinensische Autonomielösungen im Westjordanland verhandeln und als Vorleistung einer Friedenslösung die Vertretung der PLO durch Hussein anvisieren, startet Israel eine neue Siedlungskampagne in diesem Gebiet, um auch die bevölkerungsmäßigen Mehrheitsverhältnisse eindeutig für sich zu entscheiden.

In den Friedensverhandlungen im Nahen Osten hat sich der Schein zu erreichender Ergebnisse völlig von den Fakten, die ständig geschaffen werden, gelöst und führt sein diplomatisches Eigenleben. Da werden von Zeit zu Zeit "Bewegungen in den Verhandlungen" inszeniert, allein zu dem Zweck, daß Verhandlungen eben auch Fortschritte zeigen müssen. Denn die berichteten "Rückzugspläne" Israels aus dem Libanon passen weder dazu, wie sich Israel im Süd-Libanon eingerichtet hat und zur Zeit sich dort die Bevölkerung gefügig macht, noch dazu, welche Probleme es im Libanon für ungelöst hält und auch niemanden als sich sieht, der sie mit der nötigen Gewalt anginge (der Herrschaftsbereich der offiziellen libanesischen Armee umfaßt in etwa Beirut); noch zu den bei passender Gelegenheit deklarierten Herrschaftsregelungen, die praktisch schon eingerichtet worden sind: daß der "Major" Haddad für die Kontrolle inzwischen des ganzen Südlibanon bis vor Beirut zuständig sein soll. Und da wird der Friedensprozeß auch irgendwann für gescheitert erklärt - die "Luft" wäre "raus", wegen der "bevorstehenden Präsidentschaftswahl" in den USA wäre auch nicht mehr zu erwarten, daß die USA mehr Druck gegen Israel machen würden -, nicht deswegen, weil die arabischen Verhandlungsteilnehmer angesichts der sturen Haltung Israels zu den Waffen greifen wollten, sondern umgekehrt, weil man Israel diesen Schritt nicht mehr verwehren will.

Da wird - nicht einmal sehr kunstvoll - die Schuldfrage vorab aufgerollt: Alle "Behinderungen" des Friedensprozesses kommen aus dem Lager der Opfer:

  • die Ermordung des "gemäßigten" Arafat-Beraters Sartawi soll auf das Konto des "radikalen" PLO-Flügels gehen
  • der Anschlag auf das US-Konsulat in Beirut soll die Einmischung der islamischen Revolution Khomeinis belegen
  • jeder Anschlag auf die westlichen Besatzungstruppen im Libanon soll die Notwendigkeit ihrer weiteren Anwesenheit beweisen.

Auf der anderen Seite nur Maßnahmen zur "Sicherstellung von Ruhe und Ordnung":

  • Teile der 6. Flotte kreuzen vor Beirut
  • gleichzeitig unternimmt Reagans Sonderbotschafter Habib "letzte Anstrengungen", einen "neuen Ausbruch" der Gewalt zu verhindern.

"Nach dem Abbruch des Dialogs zwischen Jordanien und der PLO, dem Zusammenbruch der amerikanischen Nahost-Initiative und dem Aufschub des für dieses Wochenende einberufenen Gipfels der arabischen Regierungschefs in Fes auf unbestimmte Zeit sind Fronten und Ziele im Nahen Osten neu und klar abgesteckt. Im nahöstlichen Tauziehen ging diese entscheidende Runde an die Achse Moskau/Damaskus. Ihr gelang es, den amerikanischen Nahostplan zu torpedieren nnd damit eine politische Regelung nach US-Vorstellung und unter Washingtons Regie zu vereiteln.

Mit Hilfe der in Syrien postierten SM-5-Raketen wollte Moskau keine Pax Americana in Nahost zulassen. Mit seinem erfolgreichen Druck auf die PLO erwies sich der syrische Präsident als verläßlicher Vollzieher des sowjetischen Planes. Damit signalisierte Moskau an die amerikanische Adresse, daß auch der Kreml auf dem nahöstlichen Schachbrett seine Hand im Spiel hat und auf sein Mitspracherecht pocht." (Handelsblatt, 15.4.83)

Gemäßigtere Stimmen -

"Ich denke nicht, daß die Syrer Klienten Moskaus sind. Sie machen es den Sowjets genauso schwer wie den USA; sie sind syrische Nationalisten." (Ein US-Regierungsbeamter, Middle East 4/83) -

sind die falsche Sichtweise der Angelegenheit. Die Bekundung, daß ein US-Plan für die Region gescheitert sei, ist dann auch die deutliche Auskunft, daß etwas unternommen werden muß, "um das ramponierte Ansehen der USA bei den Arabern aufzupolieren und Washingtons Glaubwürdigkeit zu festigen." (Handelsblatt) Um amerikanische Zwänge gegen Israel zugunsten der arabischen Welt handelt es sich dabei nur dem Schein nach; schließlich gilt es in dieser "Zone des strategischen Konsensus" höhere Interessen als kleinliche Nationalismen zu befriedigen.

"Syrien ist ein weiterer Außenposten der Sowjetunion geworden." (C. Weinberger, Middle East 4/83)

Ob Israel Washington in eine "Auseinandersetzung der Supermächte" hineinzieht? Wohl kaum, wenn die USA das weltweite Programm der Eindämmung des Kommunismus haben, werden sie die Auseinandersetzung suchen und nicht meiden. Daß die Zusammenarbeit zwischen den USA und Israel auch weiterhin mit verteilten Rollen abgewickelt wird, tut der Sache keinen Abbruch. Im Gegenteil, der amerikanische "Ärger" über ein "eigenmächtiges" israelisches Vorgehen - unterstrichen durch die Verzögerung einiger Waffenlieferungen, wenn es den Ambitionen Israels weiter keinen Abbruch tut - bildet dann, wie gehabt, die zwingende Notwendigkeit, selbst für eine "Friedensregelung" militärisch einzugreifen. Sowieso, wenn die UdSSR ihren Anspruch auf Mitsprache bei einer Nahostregelung mit mehr als ein paar Waffenlieferungen an Syrien, die von Israel unschädlich gemacht werden, geltend macht.