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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1983 erschienen.

Systematik

Geistige Führung
KEIN SCHÖNER LAND IN DIESER ZEIT

Keine Absichtserklärung der neuen Regierung hat unter den Denkern im Lande mehr Aufregung ausgelöst als die zu einer "geistig-moralischen Emeuerung", auf die sich Helmut Kohl persönlich festlegte. Ausgerechnet diese "Birne", dieser Ausbund an Provinzialität - das läßt die professionellen Geistesriesen schier aus der Haut fahren!

Im Eifer des Gefechts unterlaufen da selbst einem Walter Jens gleich drei rhetorische Fehlleistungen:

"Als ob man sich, so mir nichts dir nichts, ein 'geistiges Profil' geben könnte!" (Wieso denn mir nichts dir nichts?) "Als ob es darauf ankäme, 'interessant' zu werden!" (Darauf soll es Kohl wohl ankommen?) "Als ob Moral - das Einigungsband von 'Geist' und 'Macht'- ein Maßanzug sei, in den einer hineinschlüpfen könne!" (Und wenn der Maßanzu einer ist?)

Natürlich, gegen den Anspruch auf "geistige Führung" selbst will der profilierte Tübinger damit nichts gesagt haben. Wenn ihm auch nicht gerade anzumerken ist, daß er wüßte, wovon er da so pathetisch redet - immerhin fürchtet er stellvertretend für viele andere seinesgleichen um die hochmoralische Vereinigung solcher Geschwister wie "Macht und Geist, Politik und Moral, Handel und Humanität", die ja nun in ganz unfähige Hände gegeben werden soll. Er möge sich trösten: Diesem Bedürfnis schönfärberischer Überhöhung der "schweren Zeiten" wird Rechnung getragen, und nicht zu knapp. Was freilich nur für die Macher des Staats und ihre gelehrten Innenarchitekten ein Trost sein kann.

Stilfragen der Herrschaft

Die zitierten und ähnliche Redensarten haben schon in ihrem Ausgangspunkt nicht ganz recht. Wenn ein Kanzler Kohl sich von seinem Vorgänger durch die ausdrückliche Zuständigkeitserklärung für die moralische Volksgesundheit abgrenzt, dann ist das bereits der erste Akt jener "geistigen Führung", auf die ihre geschmäcklerischen Rezensenten immer noch warten. Als ob Kohl seine Ankündigung durch so etwas wie eine Kulturrevolution einzulösen hätte, um die Anerkennung seiner Feuilletonisten zu erlangen, machen sie erstens einen falschen Vergleich zur Selbstdarstellung Helmut Schmidts auf. Laut "Spiegel" lehnte dieser

"es ab, etwa im Bereich der Kultur oder in dem Bereich, den man so schön Grundwerte nennt, Entscheidungen zu treffen und von sich aus Wege aufzuzeigen."

Und sein Nachfolger soll sich dieses anmaßende Programm zugelegt haben? Der Rückblick stimmt schon nicht: Die Schmidtsche Tour, im "Geiste" Friedrichs des Großen und getreu der angeblich Popper abgelauschten "Philosophie des Pragmatismus" als kundiger "Weltökonom" Kompetenz zu verströmen, war auch nicht eben moralisch zurückhaltend, sondern eine hinreichend arrogante Verbrämung der Herrschaft als sittliche Aufgabe - und keine Wahrheit, als ob die Ausübung der Regierungsgewalt, auf welchem Gebiet auch immer, irgendetwas mit "Wege aufzeigen" zu tun gehabt hätte! Der Ausblick stimmt genausowenig: Wenn Kohl sich als obersten Wertepfleger sehen will, der sich "dafür" auch mit den aktuellen Tagesfragen befaßt, dann "maßt" er sich erst einmal keine andere Selbstgerechtigkeit "an" als der andere Helmut, der sowohl das Heraushalten aus dem "Bereich der Kultur" als das schlichte "Machen" der Politik selbst - das seine eigentümliche Qualität auch nur in dieser Absetzung erhält als nationalen Dienst in des Wortes preußischster Bedeutung zu verkaufen wußte. Wo die Macht und ihr Erfolg die Glaubwürdigkeit solcher Stilisierungen verbürgen, blamiert sich weder ein "Krisenmanager" noch ein "moralischer Erneuerer" daran, daß ihm die Originalität abgeht - wozu sollte die auch gut sein?

Wer sich allerdings die alberne Frage angelegen sein läßt, ob ein politischer Führer die "Rolle" auch "besetzen" kann, die r sich auf den Leib schreibt, der kriegt zweitens den tatsächlichen Fortschritt im Herrschaftsstil, für den Kohl steht, nicht einmal mit. Programmatische Erklärungen einer Regierung über den Idealismus, die "Wertgebundenheit" ihrer Herrschaft sind schließlich keine Geistesblitze, die in die Welt gesetzt werden und dann irgendwann ihre "Tragfähigkeit" oder dergleichen beweisen müssen. Sie sind vielmehr die Bekanntgabe der Maßstäbe, unter denen ihre praktischen Entscheidungen - deren Zwecke vom Sparprogramm bis zur Aufrüstung kein Geheimnis und deren Folgen für die Betroffenen kein Honiglecken sind - gewürdigt und akzeptiert werden sollen. Mit dieser Technik (nicht wegen ihr!) ist es hierzulande noch jeder Regierung gelungen, ab sofort nur noch als Erfüllungsgehilfin der von ihr selbst ausgerufenen höheren Aufträge beurteilt, gelobt und getadelt zu werden; so daß der Wiederaufstieg Deutschlands zur imperialistischen Großmacht nacheinander als (inzwischen fernsehreifes) "Abenteuer Bundesrepublik" von einer Wiederaufbau-, Wiedergutmachungs-, Aussöhnungs- und Wirtschaftsgipfelnation goutiert werden konnte, die heute ganz einfach die Heimat aller guten Deutschen ist - oder in der auch nicht sinnlos blumigen Sprache Kohls: "dieses unser Land".

Wer diesen jetzt angesagten Maßstab ziemlich abstrakter, und d.h. totaler, Identität von Staat und Volk nicht angreifen, sondern ausgerechnet seinen obersten Verfechter als mittelmäßigen Vertreter seiner eigenen Erfindung abqualifzieren will, der beweist nur, welche Früchte die geistige Führung bei ihm schon getragen hat: Was für Ansprüche an seine Verarmungs- und Raketenpolitiker meldet wohl einer an, der auf keinen Fall von einer "Birne" regiert werden möchte? Am Ende löst sich das ganze Getue um die intellektuelle Brillanz und den sittlichen Wegweisungscharakter Kohlscher "Worthülsen" doch nur in zweierlei auf: Das politisch ventilierte Anliegen, jedes staatliche Gebot als Verpflichtung des kollektiven Anstands auszustaffieren, muß längst so durchgesetzt sein - und mit ihm die Subsumtion jedes eigenen Interesses unter einen nationalen Titel -, daß ein Kohl sich bloß darauf zu berufen, braucht, um es hinfort mit all seiner eindeutigen (nicht, oder höchstens sehr zweckmäßig, beschränkten) Phantasie auszumalen. Mehr, als in dieser Umschweifigkeit den harten Kern der staatlichen Taxierung des Volks herauszuhören, ist da zum Verständnis unnötig - und die politischen Geschmackskritiker mit ihren Verbesserungsvorschlägen sind auch ein Beweis dafür, wie gut die Botschaften ankommen!

Der Kanzler Kohl

in der vollen Größe seiner 1,90 m ist überhaupt eine gerade von den nationalen Kulturpflegern verkannte "geistig-politische" Persönlichkeit. Würden die Feuilletonisten der möglichst raffinierten Herrschaft nicht ständig in der Zwangsvorstellung leben, das Regierungsgeschäft sei ohnehin nichts anderes als das Theater, das seiner öffentlichen Zurschaustellung dient, hätten sie schon längst gemerkt, daß diese Sphäre der methodischen Selbstreflexion der Politik das Betätigungsfeld des Helmut Kohl ist. Dieser Kanzler praktiziert "geistige Führung", indem er unaufhörlich seinen "Auftraggeber", das deutsche Volk, zitiert und zugleich klarstellt, daß er sich damit auf keinerlei bestimmtes Vorhaben verpflichtet - eine "Vertrauenswerbung", die ansonsten Wahlkämpfen vorbehalten ist und als Kohlsche Alltagspraxis für jeden Akt der Politik eine ganz grundsätzliche Zustimmung einfordert. Das nachdrückliche Verlangen des empfindlichen Mainzers ist es schließlich - und dieser Gesichtspunkt führt Regie bei all seinen öffentlichen Auftritten -, daß die Resultate seiner Regierungstätigkeit nur in der Hinsicht als von ihm verantwortete Werke beurteilt werden dürfen, als sie geistig-moralisch astrein, persönlich nobel und im tiefsten Glauben an dieses oder jenes zustande gekommen sind! An die Methode der politischen Entscheidungen soll jedermann die ihm geläufigen Maßstäbe von Anstand und Erfolg nach Herzenslust anlegen und sich bei jeder Rentenkürzung von den Gewissensgründen und -nöten überzeugen lassen, die seine Abgeordneten zweifellos zu diesem bitteren Beschluß verarilaßt haben; darin hat aber auch seine ganze Befassung mit dem Inhalt dieser Politik zu bestehen. Insofern erscheint mittlerweile selbst die schon eingebürgerte Unantastbarkeit der vielen "Sachnotwendigkeiten" und "-zwänge" in noch radikalerer Betrachtung; der Schein der Krisenbewältigung muß Kohl wie eine Relativierung vorkommen (er nennt das "Überheblichkeit" oder "mangelnde Ehrlichkeit") - nämlich des ganz und gar idealistischen Glaubens an die "Sache" bundesdeutscher Staatsräson, die man sich nicht als fremde Macht vorstellen, sondern zur eigenen "Herzenssache" machen soll. Gerade dann, wenn von materiellen Vorteilen nicht einmal mehr ideologisch die Rede ist, wird die Moralität des Nationalismus pur herausgefordert: für Deutschland, weil's eh selbstverständlich ist und sich so gehört - was eine "innere" Befriedigung ganz eigener Art einschließt.

Die Propaganda dieser Haltung bedient sich des Erfolgs aller Vorgängerregierungen: Daß Kohl so umstandslos mit dem Schein operieren kann, die Bundesdeutschen hätten überhaupt keine Sorgen mehr als die eigenen guten Sitten und die ihrer Führung - mitten in "schweren Zeiten"! -, liegt eben daran, daß sie ihrer Obrigkeit in der Tat keine anderen Sorgen machen; daß ihre materielle Unterordnung, ihre Entlohnung oder Freistellung von Arbeit nach den freien Maßstäben des nationalen Geschäfts nicht mehr organisiert werden muß, sondern längst gelaufen ist; daß somit ihre Betroffenheit ganz auf die Abhängigkeit von staatlichen Entscheidungen reduziert ist" die von Staats wegen als umfassende politische Zuständigkeit reklamiert werden kann; so daß jede öffentliche Kenntnisnahme massenhafter Armut - "Probleme"! - schon wieder ein guter Gewissensgrund mehr ist, der Nation neue Kompetenzen einzuräumen...

Dies alles unterstellt, zeigt die Regierungsführung des Helmut Kohl keineswegs nichts oder gar einen "uneigentlichen Gestus", als ob die geistig-moralische "Wende" immer nur beschworen, aber nie durchgeführt würde; im Gegenteil, den Opfern der Politik wird sehr klar ihre moralische Würdigung dadurch zuteil, daß Kohl sein Bekenntnis zu einer von ihnen vollständig emanzipierten Herrschaft unter die Leute bringt, also einiges Aufheben von seiner pflichtbewußten Haltung macht - als gäbe es da Berührungspunkte zum verlangten Gehorsam:

Erstens führt er selbst einige untertänige Gesinnung vor, bezeugt im Cut der "Würde des Amtes", in einer Blitztour den ausländischen Freunden und mittels Neuwahlen dem geschätzten Volk seinen Respekt. So daß er nicht nur verdiente Erfolge - keine andern! - kassieren kann, sondern auch bei allen Vorhaben seiner Regierung überaus glaubwürdig (notfalls ungefragt und stets indigniert) versichern kann, diese Entscheidungen fußten auf rein gar nichts als auf seiner innersten Überzeugung. Zweitens läßt er keine Gelegenheit aus, die verdiente Macht auch verdient zu genießen, freut sich sichtbar an diesem "harten, aber auch schönen Amt"- und hat Frau Hannelore nicht (wie sein "nüchterner" Vorgänger) zum Schutz der heimischen Pflanzenwelt, sondern als verläßlichen Kraftquell stets zur Seite.

Und die Maßlosigkeit einer Regierung, die die Staatsmacht zum Ursprung, Wächter und rechtmäßigen Besitzer aller wahren Moral und Menschlichkeit erklärt, diese "geistig-moralische Erneuerung" einer durch sich selbst unangreifbar gerechtfertigten Herrschaft will niemandem auffallen?

"Generalismus" als geistiges Vorbild

hat eben nichts damit zu tun, daß dem neuen Kanzler das - auch nur vorgezeigte "Sachwissen" des alten abgeht. Dumm sind die Sprüche, die unter seiner Regierung an der Tagesordnung sind, nicht deswegen, weil sich moralische Urteile auch intelligenter denken ließen - daß Verstand und der angestrengte Wille zum Mitmachen nicht zusammenpassen, merkt man immerhin auch den eingangs angeführten Handels-und-Humanitäts-Duseleien eines Jens an, der sich damit als Ghostwriter und sonst nichts empfiehlt. Und moralisch banal, Allerweltsweisheiten, sind sie auch nicht deswegen, weil die neue Staatsmoral eine Art Reformation nötig machen würde - etwas anderes als "daß jeder tue in seinem Stand, was er schuldig ist", wird als Bürgertugend ja gar nicht verlangt; das ist von Luther und deswegen so banal, weil die Erfüllung dieser Pflicht auch - und schon gerade nicht - unter Kohl nicht von der "Einsicht" in ihre tiefsinnige Überzeugungskraft abhängig gemacht, sondern von den staatlich organisierten Verhältnissen erzwungen wird. Was der "Generalist" Kohl mit seinen Kollegen an Aufmunterungen und Sinnfälligkeiten unters Volk bringt, ist in aller Abstraktheit (das macht die Sprüche ja so "simpel" und blumig) vielmehr die Fortsetzung der Selbstgerechtigkeit seiner Herrschaftstechnik als Lob und Ermahnung der Untertanen: Weil sie gute Kerle sind und an ihrem Ort eh schon "das Richtige" tun dafür ist gesorgt! -, müssen sie es nur noch richtig tun, um sich die volle Sympathie ihres Staats zu erwerben; richtig nämlich insofern, als sie sich zu ihren jeweiligen Geschäften, ob Arbeit oder nicht, als zu sittlichen Pflichten stellen sollen, deren fraglose Notwendigkeit jenseits aller Nutzenerwägungen ihnen zur Gesinnungsfrage werden soll.

Der natiorlale Tugendkatalog bietet sich daher dar als Panoptikum staatsbürgerlicher Charaktere, in denen das Volk sich wiedererkennen soll. Neben dem gewissenhaften Herrscher, den wir schon hatten, gibt es etwa noch

den fleißigen Arbeiter,

diese Stütze von Wirtschaft und Aufschwung.

"Die Wirtschaft ist im Kern gesuad. Wir haben zwar wenig Bodenschätze, aber der Reichtum der Bundesrepublik sind der Fleiß, die Tüchtigkeit und die Kreativität ihrer Bürger Wenn wir (!) das einsetzen - aber das setzt eben Vertrauen zu sich selbst voraus -" (nicht zu uns selbst?) "werden wir es (!) schaffen." (Kohl)

Der Arbeitsmann, lässig dem staatsmännischen "Wir" vereinnahmt, das mit einem "Es" im Clinch liegt, wird da weder einfach gelobt - fleißig und tüchtig usw. - noch einfach getadelt - setzt sich nicht ein -; stattdessen soll er n sich glauben - Vertrauen zu sich selbst -, den Rest erledigt der "gesunde Kern" alleine. Was wird den Leuten da überhaupt ans Herz gelegt? Doch nur eines: Wie es ihnen beim Einsatz ihrer lobenswerten Qualitäten geht, soll sie nicht in der verlangten Absicht erschüttern, weiterhin ihren Beitrag zum "den Aufschwung schaffen" zu leisten. Das adelt nämlich moralisch: Selbstvertrauen! Wer Schwierigkeiten damit hat, wende sich an

seine bewundernswerte Frau,

deren Rolle als Armutsexpertin in jeder erdenklichen Hinsicht gar nicht unterschätzt werden kann. Erstens generell:

"Deshalb müssen wir alle wieder lernen, zusammenzustehen. In guten wie in schlechten Tagen - das gilt für die Ehe wie für den Staat. Vielleicht hilft die Frau mit, für den Mann einen Arbeitsplatz zu finden. Krisen schweißen doch zusammen!" (Kohl)

Hier wird souverän von der offiziell angeordneten Tilgung jeder Differenz zwischen Privatleben und Staat Gebrauch gemacht, so daß man ein politisches Verarmungsprogramm ebenso zu sehen und zu behandeln hat wie eine Grippe, wo einem ja "auch" der heiße Tee ans Bett gebracht wird - doch wohl nicht vom Staat? Dies eingesehen, sollen die Ehefrauen die leere Familienkasse nicht nur durch Einfühlungsvermögen oder Erfindungsreichtum (Arbeitsplatz für den Mann finden?) kompensieren, sondern ihre gelernten Einteilungskünste - darauf läuft es ja irgendwie hinaus - als Ehrenpflicht im Dienste der Familie verstehen. Wenn's Kinder gibt, kann die Frau zweitens sogar dasselbe als soziale Aufwertung genießen, wenigstens moralisch:

"Es ist schon bewundernswert, wenn eine Frau sich entscheidet: die Kinder brauchen mich - ich bleibe zu Hause. Und ich finde es unerträglich, daß sie für dieses Opfer auch noch bestraft wird, indem man abwertend von der Nur-Hausfrau spricht."

Klar, wer alle eigenen Interessen für Mann und Kinder opfert, weil ihm eh nicht viel alternative "Entscheidungen" übrigbleiben, hat Anspruch - auf einen nationalen Ehrentitel. Womit Kohl natürlich wieder zu erkennen gibt, daß das ganze Problem nur wegen des Staats überhaupt eins der Familie ist - diesen Zusammenhang läßt er nur nicht gelten! Er sieht ihn umgekehrt in der dritten weiblichen Funktion:

"Das Ja zum Kind ist auch ein Ja zum Optimismus" (ein Ja zum Ja?) "zur Lebensfreude - zur Zukunft Deutschlands"

In der moralischen Verdopplung geschehen Staatsakte eben sogar da noch, wo man sie am wenigsten vermutet: Die Frauen werden ihrem Kanzler womöglich - das ist natürlich die Grundlage solcher Unverschämtheiten noch dankbar dafür sein, daß er das Kinderkriegen als positivste Gesinnungsleistung überhaupt hochleben läßt, von der die "Lebensfreude" nicht minder abhängt als die "Zukunft Deutschlands". Wer die Frau auf diese Weise, die "Trümmerfrauen" hat er ja auch schon mal gefeiert, als funktionalstes Staatswerkzeug an und für sich belobigt, kann seine Gratulation dann viertens auch als ganz persönlichen Eindruck wiedergeben:

"Ich finde, daß es in der Bundesrepublik außer ordentlich viele attraktive und schöne Frauen gibt."

Als Scherzwort schiebt er nach, wie er diesen Umstand ganz ernsthaft betrachtet - die übrigen Tugendreden haben es ja bewiesen:

"Das gehört auch zum natürlichen (!) Reichtum (!) unseres Landes."

Die Staatsfamilie wäre unvollständig ohne

die vielversprechende Jugend,

die das erst einmal dadurch ist, daß sie sich für alles, was ihr Staat mit ihr vorhat, gutwillig zur Verfügung hält - ins Erwerbsleben eingespannt ist sie ja noch nicht. Der Bundespräsident ist da optimistisch:

"Ich habe sehr viele Kontakte zu dieser jungen Generation. Nach meiner Erfahrung sind sie alle, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, zum Dialog bereit."

Genau wie beim "Ja zum Kind" gilt hier, daß kleinere Verdrehungen das Geschäft mit der moralischen Botschaft beleben: Weder geht das Interesse eines Carstens an "Dialogen" mit "der Jugend" über TV-wirksame small talks auf Sommerfesten oder ähnliches hinaus - sein tatsächliches Interesse an einem "konstruktiven" Nachwuchs bezieht sich ja wohl auf handfestere Aufgaben, die für diesen vorgesehen sind. Noch lauert die junge Generation, so sehr sie sich staatlichen Ansinnen auch nicht verweigern mag, auf nichts eher als auf einen "Dialog", dessen enormen Sinn sie ja auch irgendwie kennt. Aber nachdem auch niemand das Gelaber eines Staatsmanns nach seiner Objektivität beurteilt, ist hinreichend deutlich, daß Carstens Feststellung von "Dialogbereitschaft" 1. ein Anspruch ist und 2. einer auf Zustimmung, wozu auch immer - das letztere erkennt man schlicht daran, daß die konstruktive Haltung schon eingefordert wird, bevor überhaupt ein Inhalt zur Rede steht. Das heißt umgekehrt gar nicht, daß die geistigen Führer der Nation solche Inhalte schamhaft verschweigen müßten - sind sie doch unter der moralischen Maxime angetreten: Was wir wollen, brauchen wir nicht zu verstecken.

Und einen "Ehrendienst" wollen sie schon gleich nicht verstecken, als ob dessen personelle und materielle Ausstattung in der Vergangenheit geradezu im Halbdunkel vor sich gegangen wäre:

"Es gibt nichts Selbstverständlicheres, als daß junge Menschen öffentlich geloben, ihren Dienst" (klar, welchen) "für die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu tun. ... (Zu den öffentlichen Rekrutengelöbnissen:) Nach meinen Erfahrungen kann ich nur sagen, da hat der junge Mensch sehr wohl nicht nur einen Zugang, sondern gelegentlich sogar ein Bedürfnis. Auch der Große Zapfenstreich..." (Wörner)

So sind sie, die volksnahen Politiker: Während sie den "Privatinteressen" ihrer Schäfchen frohgemute Verzichtsbereitschaft und ein bißchen Tapferkeit anraten, erfüllen sie mit den Selbstverständlichkeiten der Präsentation ihrer drittgrößten Militärmacht der Welt glatt ein Bedürfnis - "des jungen Menschen", versteht sich!