Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1983 erschienen.

Systematik

Raketen im Namen des Volkes
DER NÄCHSTE WELTKRIEG KOMMT DEMOKRATISCH

Am 21. November stimmte der Bundestag mit dem parlamentarischen Wenn und Aber der SPD für die neuen US-Mittelstreckenraketen in Europa. Die BRD wird Raketenrepublik, und ihre Politiker gewinnen ein sattes Stück (Welt-)Macht dazu. Diesmal wird der nächste Weltkrieg ganz demokratisch vorbereitet, von bewählten Pölitikern samt Volksvertretung und Opposition innerhalb und außerhalb der Parlamente.

Regierende und Regierte

Die Regierenden wollen neue Atomraketen. Als Grund dafür teilen sie mit, die Dinger wären genau das Richtige für die Erhaltung des Friedens.

Dafür sind die Regierten auch. Deshalb möchten viele von ihnen lieber keine Raketen. Sie stellen sich die ungeheure Wirkung dieser Waffen vor, malen sich die Gefahr für Leib und Leben aus - und verlangen deswegen von ihren Staatsmännern, die Aufstellung zu unterlassen.

Die Regierenden geben den Bedenken recht. Diese Waffen seien in der Tat geeignet, einiges zu vernichten, im Ernstfall die gesamte Menschheit. Man solle ihnen jedoch auch nicht unterstellen, das zu wollen. Gerade zur Vermeidung von Krieg müssen die Raketen nämlich her. Ihr Einsatz ist nicht geplant, und damit kein Krieg kommt, braucht man die Drohung mit den neuen Waffen.

Ein schöner Streit: Frieden schaffen ist der Auftrag der Regierung. Strittig freilich ist die Alternative: mit oder ohne die neuen Raketen, durch sie oder durch den Verzicht auf sie?

Die Regierenden meinen, durch sie. Sie wollen die neuen Raketen, weil sie es mit einem Feind zu tun haben, der "vor-" und "überrüstet". Um Erpressungen zu vermeiden, brauchen sie die "Nachrüstung".

Gegen Erpressungen durch russische Übermacht sind die Raketengegner auch, sogar für Abrüstung "in Ost und West". Ob deswegen aber jetzt und hier die Pershing II her muß, bezweifeln sie. Fachmännisch zählen sie die Arsenale der beiden Blöcke nach und kommen zu dem Schluß: Nicht nötig! Wir haben genug! Vielmehr gefährlich, eine Herausforderung und Drohung, die Europa zum "Kriegsschauplatz" macht - zumal die neuen Raketen als Angriffsziel für die Russen dienen, die sich schließlich vor ihnen fürchten.

Ein schöner Streit - um den friedenssichernden Umgang mit dem Feind. Soll man ihn durch ganz viel Waffendrohungen abschrecken - oder sich auf das vorhandene "Abschreckungspotential" verlassen. Weltpolitik als geschicktes psychologisches Kalkül?

Die Regierenden wollen auch dazu nicht einfach Nein sagen. Auch sie wollen die Abschreckungswaffen nur, wenn sie wirklich gebraucht werden. Das entscheidet sich in der Schweiz bei Verhandlungen zwischen den Kontrahenten.

"Genau", sagen die Gegner der Raketen. Deswegen verhandelt gescheit, und zwar so, daß die "Nachrüstung" überflüssig wird. "Ernsthaft" mit dem Ziel Abrüstung.

Wird gemacht, lautet das Echo der offiziellen Volksvertretung. "Unsere Freunde" stellen aber keinerlei Nachgiebigkeit bei den Feinden fest, die bekanntlich u viel Waffen haben. Insofern ist es nur konsequent, wenn wir uns die Dinger anschaffen. Anders ist mit denen Frieden nicht zu machen. Und dafür tragen wir die Verantwortung.

So kommen die neuen Raketen. Die aufgeregten Debatten schaden nichts, weil das Hin und Her weder den Grund der Feindschaft noch den Zweck dieser Waffen und schon gleich gar nicht den der Rüstungsdiplomatie berührt hat. Über Rechtfertigungen wurde gestritten, über lauter gute Gründe für unumstrittene Ideale und die schwierigen Wege, sie zu verwirklichen. Aber nicht über die Raketen, und wer sie wozu braucht.

Nutzlos war der ganze Zirkus freilich nicht. Demokratische Raketen sind eben nicht bloß Kriegsmittel - sondern unsere, also aufgrund der ausgeräumten berechtigten Zweifel auch noch legitim. Und darüber läßt sich doch getrost vergessen, was sie sind.

Genf: Scheinverhandlungen für die Legitimität der Waffeneskalation

Was soll sich der deutsche Bürger denken, wenn ihm seit über drei Jahren mehrmals täglich mitgeteilt wird, daß das Kind, das jetzt in Stellung gebracht wird, "Nach"-rüstung heißt? Richtig: Die Russen hätten sich unberechtigt unverhältnismäßig viel SS 20 angeschafft, so daß die NATO gar nicht anders könne, als dieses Ungleichgewicht wieder zu begleichen. Wenn man so will, eine leicht zu durchschauende demokratische Lüge. Erstens gab es die russischen Mlittelstreckenraketen, lange bevor die NATO der Öffentlichkeit eröffnete, mit ihnen werde das bisherige "Gleichgewicht" schwer gestört. Zweitens muß selbst denjenigen, die nicht gedient haben, klar sein, daß Feinde nie und nimmer auf ein "Gleichgewicht" aus sind, sondern nach Überlegenheit streben. Drittens schafft sich die NATO im Namen ihrer "Abschreckung" ein neues, effektives Kriegsmittel. Denn ohne die Kalkulation auf den Sieg wird die "Abschreckung" eine lächerliche Angelegenheit. Dies wollen die Staaten des Westens aber o nicht gesagt haben. Schuld daran sei einerseits allein der Feind; andererseits seien die neuen Waffen für die Bundesrepublik nichts anderes als Mittel, den Frieden sicherer zu machen.

Was soll sich der deutsche Bürger denken, wenn ihm seit über drei Jahren mehrmals täglich mitgeteilt wird, bei den Abrüstungsverhandlungen über Mittelstreckenraketen in Genf tue der Westen alles, damit im Idealfall überhaupt keine neue Raketenaufrüstung in Europa notwendig werde ? Er soll sich denken, daß die NATO am liebsten gar keine Raketen stationieren möchte; daß sie das friedensfördernde Prinzip "Verhandeln ist besser als Schießen!" beherzigt und dafür 3 Jahre lang in Genf darum gerungen hat, die "Nachrüstung" für "überflüssig" erklären zu können. Das kann nicht der Zweck der Genfer Verhandlungen gewesen sein. Wenn jeder russische Vorschlag - die Aufstellung neuer SS 2O zu stoppen, Teile der schon stationierten aus Europa abzuziehen, gar zu verschrotten - vom Westen als unannehmbar abgelehnt wird, dann kann nicht die "Wiederherstellung" eines Mittelstreckengleichgewichts in Europa der Inhalt der Verhandlungen sein. Wenn umgekehrt alle amerikanischen "Angebote" das unverschämte Verlangen sind, der Gegner solle sich seines Verteidigungspotentials - gegen die ja bereits in Westeuropa stehenden Waffenarsenale - entledigen, so daß gegen eine Null keine Pershings mehr notwendig wären, dann geht es bei diesen Verhandlungen nicht um wechselseitige Kontrolle der gegnerischen Rüstung und überhaupt nicht um SS-20-Raketen. Vielmehr wird am Verhandlungstisch der östliche Hauptfeind mit dem festen Willen des Westens zur Aufrüstung konfrontiert. Das angestrebte "Ergebnis" fordert vom Gegner, die neue westliche Waffenbedrohung zu akzeptieren und sich gleichzeitig in der Reduzierung seiner Sicherheitsmittel nachgiebig zu zeigen. Also stand das Ergebnis von vornherein fest, denn welcher Staat kapituliert schon freiwillig? Die Amerikaner haben das doch am besten gewußt, als sie auf die "Nulllösung" verfielen. Dem normalen Erdenbürger wird diese militärische Erpressung aber als "ernsthafte Verhandlungen" vorgestellt. Die scheitern, weil die Russen an ihrer "Maximalforderung" der Selbstbehauptung festhalten. Deswegen müssen dann die Pershings her - schuld daran ist die Sowjetunion, sie hat den Verhandlungstisch verlassen und so einseitig die Spannungen verschärft.

So soll man nicht mehr daran zweifeln dürfen, daß die neuen Kriegswaffen rechtens sind. Man hat ja verhandelt. Wem diese Dinger trotzdem nicht schmecken, der muß sich sagen lassen, daß solche Zweifel nach all den Versuchen, bei der "Nachrüstung" zu einem Kompromiß mit dem Gegner zu kommen, völlig fehl am Platze sind. Jetzt darf die Bundesrepublik nachrüsten. Dieses Recht hat sie sich ja in Genf ausgehandelt. Das Ergebnis ist da. Hier stehen sie, die Regierenden, und können nicht anders, als sie immer schon gewollt hahen. Eine politische Notwendigkeit hat sich ergeben, als ist sie eine im Namen des Volkes. Das die Botschaft, die für die Regierenden aus "Genf" gezogen wird.

Die Herrschenden bestätigen sich ihren Kriegskredit - dem nationalen Gewissen verpflichtet

Das Ergebnis des Raketen-"Doppel"-Beschlusses steht schon seit 1980. Jetzt, 1983, werden die Mittelstreckenraketen stationiert. Die vorn oben erfundenen guten Gründe ebenfalls bereitgestellt. Damit ist dieses Stück Kriegsvorbereitung gelaufen, da gibt es keinen Zweifel. Doch was eine bundesrepublikanische Demokratie ist, möchte auf den Vorzug dieser Herrschaftsform für die Regierenden nicht verzichten: den Schein nämlich, die neuesten Vorkriegsschritte seien eine Sache des Volkes und entsprängen seinem Willen. Es kommt die Frage auf - "die nicht Müller und Meyer, sondern einigen Parlamentariern in Bonn eingefallen ist, ob die Raketen "automatisch" (nach dem sicheren "Scheitern" in Genf) aufgestellt werden oder erst nach einer positiven Beschlußfassung der versammelten Volksvertreter in Bonn. Tatsächlich werden die Atomwaffen automatisch stationiert; denn das Vorhaben der Bundesrepublik und ihrer Regierung ist ja unumstößlich. Aber eine neuerliche extra parlamentarische Entscheidung unterstreicht doch, daß man äußerst verantwortlich im Namen - des Volkes- handelt - meint vor allem die parlamentarische Opposition. Sie beharrt auf der Farce, daß vor Ende der Parlamentsdebatte über die sogenannte Nachrüstung, deren Ergebnis von vornherein feststeht, doch bitte ja keine Rakete schon aufgestellt werde. Sie bekommt ihren Willen. Die Regierungsparteien sind zunächst der Ansicht, ein neuerlicher Beschluß der Legislative sei unnötig. Die rechtmäßige Regierung vor ihnen habe längst eine parlamentarische Mehrheit eingeholt; die Mehrheiten im Bundestag seien eh entschieden für die Stationierung der Mittelstreckenraketen; Regierung und Regierungsparteien hätten per Wahl das demokratische Votum für die notwendige Aufrüstung. An der demokratischen Legitimation für ihre Friedenspolitik mit Pershings und Cruise Missiles fehle nichts. - Eben deswegen gibt es gegen zwei Tage 'Hohes Haus debattiert über Nachrüstung' von Regierungsseite auch wieder nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Die demokratische Herrschuft besteht unbedingt auf ihrem Zuwachs an militärischer Macht und feiert ihn! Sie beschwört das Volk, die Alleinzuständigkeit der gewählten Herrscher über Krieg und Frieden zu achten, die jetzt schon notwendigen Opfer tapfer zu tragen und auf die noch kommenden Spitzenpreise der Freiheit mutig zuzugehen. Sie warnt vor unanständigen Deutschen, die den nationalen Schulterschluß stören, weil sie mit dem "Druck von der Straße" die Ermächtigung von Kanzler und Co in Zweifel ziehen, über Leben und Tod ihrer Untertanen entscheiden zu dürfen. Solchen "Elementen" geht es nämlich "nicht um den Frieden, sondern um Widerstanl gegen unseren demokratischen Staat und seine gewählten Vertreter." (Zimmermann) Wo kämen uir da hin, liebe Bürger, wenn ihr, Eure gewählten Vertreter, unser verantwortliches Gewissen durch Euer partikulares und unmaßgebliches Interesse in Zweifel ziehen ließen? Ihr habt uns gewählt, also laßt uns dann auch machen, wovon Ihr nichts versteht. "Die Bevölkerung ist überfordert, wenn sie über die Raketenaufstellung abstimmen soll." (Zimmermann) Zuständig tür Tod und Teufel sind eben nur sie, die gewählten Volksvertreter. Einmal ermächtigt lassen sich die doch von den Millionen Ermächtigern und ihren kleinen Sorgen nicht mehr in ihr von Raketen durchtriebenes Handwerk pfuschen.

Nein, die Opposition im Parlament, die Sozialdemotiraten, haben wir nicht vergessen. Die stimmen gut eine Woche nach dem Volkstrauertag, an dem Millionen deutsche Krepierte noch einmal ehrenhaft bestattet werden, mit "Nein" gegen die "Nachrüstung". Weil sie in der Opposition sind - als sie noch Regierende waren, haben sie die neuen Raketen eingeläutet -, können sie sich eine bessere Verhandlungsführung in Genf vorstellen, mit einem echt deutschen Druck auf Amis und Russen. So hätte man die Sowjetunion vielleicht auch dazu bewegt, so weit abzurüsten, daß die neuen Pershings gar nicht notwendig geworden wären. Welch starke Opposition! Weil man in der Opposition ist, könnte man sich vorstellen, daß bessere konventionelle Streitkrätte und Waffen unter Umständen für das deutsche Sicherheitsinteresse bessere Dienste tun als atomare Mittelstreckenraketen. Welch harte Opposition! Weil die SPD die parlamentarische Opposition darstellt, die gern wieder ans Regieren kommen möchte, gibt sie selbstverständlich ihr positives Votum zum westlichen Kriegsbündnis ab: "Ohne das Bündnis der NATO wären wir weniger sicher." (Vogel) Aber im volkstümlichen Teil der laufenden Kriegsvorbereitung, nämlich in der Frage der "Nachrüstung", stimmt sie dagegen. Das stört den Lauf der Dinge nicht; und wenn sie nicht mit "Nein" stimmen würde, wäre sie ja keine Opposition. Also ist ihr "Ja" so differenziert wie die SPD selbst. Sie will schließlich "politikfähig" bleiben. Oder kann sich jemand den Vogel nicht als Kohl vorstellen, der verkündet: 'In dieser schweren Stunde der deutschen Nation haben wir ob der untragbaren Anfeindung des Gegners, der unsere Sicherheit bedroht, beschlossen Seit 5 nach 12 wird zurückgeschossen'?

Die Regierung pocht auf ihre Ermächtigung. Sie beansprucht die Freiheit, das Interesse der Nation mit Raketen vollzustopfen. Die Opposition legt Wert darauf, daß diese Sache auch mit der ganzen Würde des demokratischen Parlaments seinen demokratischen Entscheid findet. Der Name des Volkes kommt bei beiden Alternativen der Ausübung der Herrschaft über die lieben untertanen Wähler vor, einmal als freies Schalten der Regierenden, einmal als wenig abweichendes freies Schalten der Republik. Beide Male kommen die Raketen in Volkes Namen, weil dessen Sorge um sein Interesse, und geht es auch um Tod oder Leben, längst im Gewissen der Herrschaft und deren nationaler Opposition vollends gut aufgehoben ist.

Die grüne Opposition hängt derweil einem demokratieidealistischen Traum nach. Sie verwechselt den Rechtstitel demokratischer Herrschaft - "im Namen des Volkes " -mit der Pflicht, das Volk immerzu um Erlaubnis zu bitten. Die Macher von Bonn sollen eine Volksbefragung beschließen. So werden an Raketen die subtilsten Verfassungsfragen aufgeworfen.

So bleibt von der ganzen Legitimitätsdebatte praktisch nicht mehr übrig, als daß die neuen Kriegsmittel in Stellung gebracht werden. Die sind jetzt da und beweisen damit in letzter Instanz, daß sie notwendig sind. Ihre Wirksamkeit im und bis zum Krieg hat durch die demokratische Debatte keinen Schaden gelitten.

Raketenrepublik - oder wir sind wieder wer

Dieselben deutschen - Politiker, die den Wunsch nach Frieden in Freiheit mit weniger Waffen äußern, dieselben deutschen Politiker, die beteuern, ein Atomkrieg könne nie stattfinden, weil er keinen Sieger hätte, diese deutschen Staatsmänner zeigen stolze Freude darüber, daß in ihrem Herrschaftsbereich neue, wirksame Atomraketen stationiert werden. Daß sie für deren Einsatz keinen deutschen Schlüssel haben, tut ihrer Freude keinen Abbruch. Die Vorsteher der Nation haben nämlich ein feines Gespür für die weltpolitische Macht, über die sie verfügen. Sie wissen, daß mit dem Zuwachs an militärischen Mitteln die Bundesrepublik an Bedeutung und Größe zugenommen hat. Auch ohne eine ausgesprochene Atommacht zu sein, hat sie solche Waffen. Das stärkt das Selbstbewußtsein der Nation. So sehr, daß man gleich die Frage aufwirft, ob einem nicht doch ein Schlüssel für die neuen Ratieten zustehe.

Die Bundesrepublik, die als Frontstaat des Freien Westens zu souveränen Ehren kam, aber wegen der Niederlage im Zweiten Weltkrieg gezwungenermaßen gewisse Kinderkrankheiten durchzustehen hatte, hat mit den Mittelstreckenraketen ihr außenpolitisches Gewicht sichtbar verbessert. Auf dem Felde der Kriegsstrategie verfügt die unschuldige Republik, von deren deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf, über eine eigenständige wuchtige Optioni gegen den Hauptfeind. Die Kriegsbastion Europa mit Deutschlandl vorn und in der Mitten kann ihren atomaren Keil bis weit nach Rußland hineintreiben, ohne daß die Gefahr eines neuen Stalingrad bestünde. Auf dieser machtvollen militärischen Grundlage kann natürlich das deutsche Interesse in aller Welt niir gedeihen. Da gelingen die diplomatischen Unverschämtheiten und Erpressungen der bescheidenen Bundesrepublik gegen die große Sowjetunion und die anderen Ostblockstaaten, nicht zuletzt gegen die DDR, nur noch besser. Welch glanzvolle politische Freiheit, die gegenüiber der Sowjetunion und dem ganzen lager der zweiten Weltmacht frech beteuert, die neuen militärischen Bedrohungen des Hauptfeindes von deutschem Boden aus brauchten "unsererseits" nicht zu einer Vereisung der Beziehungen zu führen. Offen erklären Minister und Kanzler, die Sowjetunion könne es sich wohl kaum erlauben, ihre Beziehungen zur Bundesrepublik merklich abkühlen zu lassen, und werden bis zum bitteren Ende den Kreml wöchentlich einmal auffordern, mehr Bewegung zu zeigen und Schritte in die richtige Richtung zu tun. - Der "politische Zwerg" ist eine Raketenrepublik geworden.

Aufrüstung des Volkes

So steigen denn auch die Preise der Freiheit für das Volk, auf dessen Einsatz und Härte es ankommt, wenn dann der Weltkrieg Frieden in Freiheit sichert. Vier Jahre demokratische Debatte über die guten Gründe und die Legitimität der Raketenaufrüstung sind kein nutzloser demokratischer Firlefanz für die Sache: Kriegsvorbereitung, gewesen. Mit der Zunahme der Beteuerung des Friedenswillens der Politiker hat es angefangen. Ganze Wahlen wurden damit bestritten. Dann wurde auch bald der deutsche Soldat, der ein guter Soldat ist, öffentlich vereidigt. Seine Kriegstugenden sind wieder ehrenwertes Vorbild, zumal die Opfer aller nicht auf sich warten ließen. Schon die Sozialliberalen hatten in Bonn "schwere Zeiten" beschlossen. Die im 20. Jahrhundert zum Arsenal der Vorkriegszeit gehörende Friedensbewegung wurde von den Verantwortungstätern in die Ecke der Gesinnungstäter abgeschoben. Mit ihren harmlosein Protesten und Sitz-Demonstrationen sind sie zu Sargnägeln der wehrhaften Demokraatie erklärt. Entweder man ist für das Kriegsprogramm oder man hält ganz die Schnauze. Die Bundeswehr ist nämlich die schlagkräftigste Friedensbewegung, ihr verdanken wir unsere Meinungsfreiheit: Im Gleichschritt, Marsch, ein Lied! Und Meinungsfreiheit ohne Pershings wäre ja geradezu der Indoktrination der Moskauer Propaganda-Feldzüge ausgesetzt, das Ende der Freiheit, die wir meinen. Kirchenfürsten erklären friedliebenden violetten Tüchern, von denen sich das Verteidigungsministerium bedroht fühlt, daß es göttliches Recht sei, das "Böse" mit dem Schwert zu vertilgen. Jeder weiß, was gemeint ist. Die "Gewaltfrage" ist das Lieblingsthema derer, die über genügend Schwerter mit Sprengköpfen verfügen, außerparlamentarische Gewalt, die sich zu Verkehrsstoßzeiten vor eine Kaserne stellt, versündigt sich gegen das hohe Gut des "Inneren Friedens", ohne den ein Krieg nun einmal nicht zu machen ist. Die für den Frieden einzig zuständigen Machthaber überlassen deshalb die Gewalttrage, das Volk auf Vordermann zu bringen - Angsthasen raus! Drückeberger 2 Jahre ins Altersheim zum Zivildienst! Später Sanitäter! -, auch nicht fruchtlosen Diskussionen. Manöver sind da viel vorbildhaftere Debatten...

Auf zum Streit darüber, ob sich der "Bürger in Uniform" nicht auch völlig zu Recht im Helm sehen lassen darf. Er darf! Nichts schöner als die Diskussion, welches Anspruchsdenken das beste sei. Das des Soldaten! Eine heiße Debatte darüber, ob neue Raketen gefährlich sind oder sicherer machen. Sicherer Protest fällig? Aber immer - wenn er gegen Ostberlin oder Moskau antritt! - Über all diese so freiheitlich von oben entschiedenen Auseinandersetzungen wurde und wird die Bevölkerung der Republik mobil gemacht: Man darf wieder stolz sein auf "unseren" Leo - "dann ist unser Panzer das eherne Grab" -, so wertvoll ist unsere Freiheit. Den Bedenken gegen das beschlossene "Wettrüsten" wird Waffenstolz entgegengestellt. Die "Welt am Sonntag", die ja immer genau weiß, was das Volk gerade erfreut, weil Kohl uind Wörner es auch gesagt hahen, beglückt die deutschen Leser mit dem herrlich bunten Bild einer schnittigen Pershing. Darunter zum Ergötzen ihre "technischen" Vorzüge:

"Waffe zur Verteidigung Europas"

"Die Pershing-2-Rakete ist 10,5 Meter lang und 7.200 Kilogramm schwer. Sie wird von einer Sattelzug-Maschine vom Typ MAN XM-1001 transportiert und abgefeuert. Sie steigt auf 300 Kilometer Höhe und fliegt mit zwölffacher Schallgeschwindqqkeit bis zu 1.800 Kilometer weit. Sie ist mit Atom-Sprengköpfen zwischen zehn und 200 Kilotonnen TNT (etwa die Gewalt der Hiroshima-Bombe) ausgerüstet. Noch während des Fluges kann sie auf ein neues Ziel programmiert werden und trifft es mit einer Abweichung von 20 bis 40 Metern. Die Rakete ist nach dem US General John Pershing benannt, der im Ersten Weltkrieg Oberbefehlshaber der US-Truppen im Kampf gegen Deutschland wurde."

Adolf selig und Kaiser Wilhelm ebenso wären neidisch geworden ob dieses gelungenen "Militarismus" samt seiner Mittel. "Die dicke Berta schießt bis nach Paris." Geradezu lächerlich. Demokratische Waffen reichen weiter. Ihr Sinn und Zweck läßt sich deswegen jahrelang ungemein kontrovers diskutieren. Dann sind sie da; die Politiker sind stolz auf sie; das aufgeklärte Volk entledigt sich seiner Bedenken, läßt sich in keine Richtung mehr manipulieren und wählt ganz ohne Beeinflussung von oben das "Hurrah". Was kann da noch schiefgehen?

Ein neues Lehnwort

Der US-Kongreßabgeordnete Fields auf die Journalistenfrage, wie es zueinander paßt, daß die USA alte Giftgasbomben vernichten, während der Kongreß gleichzeitig Mittel zur Produktion neuer chemischer Waffen bewilligt: "Das ist ein klassischer Fall von Doppelbeschluß. Warum sollte die gleiche Methode nicht auch bei chemischen Waffen angewandt werden?"

'doppelbeschluss': the most effective way to multiply your arms by calling them the necessary option to destroy the arms of your enemy. (Standard American Dictionary)