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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1983 erschienen.


KULTURNOTIZEN

"Dallas" und "Denver"

Woher die hohen Einschaltquoten für die bösen Spiele der Reichen? Es ist nicht allein die alte, hier verschwenderisch bebilderte Moral, daß Geld nicht selten den Charakter verderbe und allein nicht glücklich mache (Blake Carrington hat einen schwulen Sohn, eine zunächst mannstolle Tochter, die seinem Chef-Bohrer und dann ihrem Psychiater wehmütige Augen macht); vielmehr liefern beide Serien scheinbar die Bestätigung für den national-ökonomischen Durchblick des Stammtischs: Die großen Vermögen wachsen durch die unternehmerische Dynamik, und darunter fallen (Gewalt und Betrug. Nicht von ungefähr kommt die ganz normale Ausbeutung weder bei "Dallas" noch in "Denver" vor. Statt dessen J. R. und ein Clan-Chef, der seiner Begehrten folgenden Heiratsantrag macht: "Wenn ich völlig von vorn anfangen würde, hätte ich nach einem Jahr wieder die erste Million." Den Mehrwert m Blut und das Geschäftemachen im Charakter - das amüsiert anscheinend diejenigen, die als Arbeiter geboren werden und anständig arm sind. Und das unterhält nicht nur - hier wird ein Stoff geboten, für den sich das breite Volk auch noch leidenschaftlich engagieren soll. Jüngstes Beispiel: Eine

Hemmungslose Gewaltverherrlichung

in der "Bild"-Zeitung vom 11. Novemher! Die brutalen Schlägerszenen in der Fernsehsendung "Denver-Clan" vom Vorabend benutzte Deutschlands größte Tageszeitung zu einem als Zuschauermeinung verkleideten offenen Plädoyer für Gewalt gegen Personen - und das noch dazu als Schlagzeile auf Seite 1:

"Krystle schlug Joan. Zuschauer: 'Es war höchste Zeit'".

"Bild"-Kommentar: "Donnerwetter, war das eine Prügelei! Die meisten Fernsehzuschauer jubelten."

Bei den ahgedruckten Zuschauerstimmen handelt es sich hoffentlich ausnahmslos um Fälschungen gewaltgeiler "Bild"-Redakteure. Kann man sich im Ernst vorstellen, daß Frau Petra Ackermann (27), Lehrerin aus Frankturt, völlig ohne jeden persönlichen Grund einen so abgrundtiefen Haß auf die US-Schauspielerin Joan Collins entwickelt, daß sie folgendes meint: "Mir hat es richtig gutgetan, daß die Collins endlich eins aufs Auge bekam!" Oder Jutta Bergmann (24), von Beruf Fotomodell: "Die Collins ist ein Ekel. Das geschieht ihr Recht!" Höchstwahrscheinlich ist Fräulein Bergmann Mrs. Collins nie im Leben begegnet!

Nein und nochmals nein! Es muß sich um Erfindungen handeln. Wahrscheinlich aus der Feder der gleichen Redakteure, die für "Bild" den US-Überfall auf Grenada kommentiert haben ("Reagan schlägt zu!" Bravo.). Wenn sich diese Linie bei einer Zeitung durchsetzt, deren Motto einst lautete "Seid nett zueinander!", dann werden wir demnächst wohl auf der letzten Seite den gezeichneten Spruch lesen müssen: Liebe ist... Wenn er ihr auf die Nase haut bis sie blutet!

Otto in der Wende

Spätestens wenn von der "Bild"-Zeitung ein Lob kommt ("Der Otto macht vielleicht wieder was los!"), ist Vorsicht geboten, für einen Blödler mit gelegentlichen satirischen Neigungen schon gleich. Er hat sich dann nämlich den Witzen angenähert, für die das deutsche Kulturblatt seinen Lesern 25,- DM bezahlt.

Otto hat's nicht gemerkt. Offenbar hat er sich die Wende zu Herzen genommen. Sollte er wirklich glauben, daß ein paar gelungene Späße über die moralischen Unarten von Machern und Geschädigten auf deren Kosten gehen - um sich - im Zeichen der verordneten Harmonie jetzt zurückzuhalten? Oder waren die 3,5 sitzenden Witze von früher nur Zufallstreffer? Weiß der gute Otto eigentlich, was er imitiert, wenn er Imitationen zur Belustigung anbietet? Oder legt er gar keinen Wert darauf, das, worüber er blödelt, auch blöd zu finden? Vielleicht liegt es aber auch an etwas ganz anderem, daß seine Albernheiten so kindgemäß daherkommen. Das wichtigste seiner Hilfsmittel - die Übertreibung beobachteten Schwachsinns, die Fortsetzung von dessen Logik, versagt. So verrückt wie seine Nachahmungen ist das Nachgeahmte schon lange.

Freilich auch ein Grund, aufzuhören!

"Wetten, daß..."

Die Technik der Verblödung geht hier so: Einer läßt sich eine ortsspezifische Wette einfallen, und der Show-Master ruft "Das ist ja eine fabelhafte Wette". Die Anwesenden dürfen haargenau in diesem Moment Beifall klatschen. Wenn sie das verpassen, kommt auch in den Wohnungen vor dem Kasten keine Freude auf. Dann schreiben die Fernseher aus Stadt und Land an den "Gong" und an die "Bild"-Zeitung.

Schreiben tun sie aber auch, wenn ihnen sonst etwas gefällt oder nicht. Schwer beliebt ist, wenn ein Prominenter einen Menschen mit absurdem Hobby für sich antreten läßt ("Herr Bürkli aus Appenzell zündet in einer Minute mehr Briefmarken an, als der Weltmeister im Briefmarkensammeln verkleben kann!"), verliert und einen furchtbar guten Zweck hermacht: "Ich wasche die jungen Giraffen im Ost-Berliner-Zoo!"

Nicht so beliebt ist, wenn die Wette ein laufendes Auto erfordert. "Umweltverschmutzung!" Wenn irgendetwas herunterfällt, was oben bleiben müßte. "Unfair!" Wenn ein Prominenter nichts Soziales verspricht. "Hat keinen Sinn!"

Ganz bestimmt viel Sinn ist von der nächsten Sendunq zu erwarten, die aus der Stadthalle von Peking kommt. Tong Fei aus Shanghai wettet für das Publikum: "Wetten, daß Sie bis zum Ende der Sendung keine dlei Chinesen mit dem Kontlabaß auf die Bühne blingen!" Am Schluß stehen dreißig Millionen Chinesen und 10 Millionen Ukulelen auf der Bühne. Gina Lollobrigida verliert ihre Wette und verspricht, am Sonntag mit Büstenhalter in einer Erdbebengegend vorbeizuschauen.

Wahnsinnig lustig und sinnvoll!

"Rote Erde",

ein Zechenfilm in 9 Teilen im ARD-Programm. Der deutsche Kumpel wie er singt und lacht, das wäre nur Volkstheater, so muß er auch noch kämpfen, von 1866 bis 1919. Stilistisch eher an Fassbinders "Berlin Alexanderplatz" orientiert (alles sehr dunkel ausgeleuchtet, nicht nur unter Tage), erinnert die Story an eine Schulfunksendung, in der "typische Figuren" sich Sentenzen aus dem Sozialgeschichtsbuch um die Ohren schlagen - und, zur "Unterhaltung", ein bißchen Blut und Boden (Zeugung, Geburt und Heimaterde). Regelmäßig kracht's im Flöz, und an solchen Unregelmäßigkeiten plus den eingerußten Gesichtern der Arbeiter (während der Steiger immer sauber bleibt!) merkt man programmgemäß, daß es schon so etwas wie Ausbeutung gegeben haben muß - damals im 19. Jahrhundert, ehe die soziale Marktwirtschaft dafür sorgte, daß auch einfache Hauer mit Sie angeredet werden mußten.