Info
"Anti-Amerikanismus"
EINE ORDNUNGSSTIFTENDE ERFINDUNG
Ein Gespenst geistert durch Europa, ein Ungeist geht um in der Republik - der "Anti-Amerikanismus". Gefürchtet wird er nicht; das Gespenst jagt den Verantwortlichen keine Angst ein. Sie haben es selbst erfunden, um es laufend wiederzufinden. Die Verdächtigten mögen noch so sebr beteuern, sie seien von diesem Ungeist nicht befallen; es nutzt ihnen nichts. Sie werden entlarvt und bekämpft.
Der Botschafter der USA in der BRD, Arthur Burns, half jüngst persönlich, dieses Phänomen in die Welt zu setzen und aufzuspüren. In einem öffentlichen Vortrag - von der "Süddeutschen Zeitung" (8.11.83) unters gehobene Volk gebracht - spürte er der "Frage des Anti-Amerikanismus" und seiner Verbreitung "unter den jungen Menschen in diesem Lande" nach.
Ein unwiderleglicher Verdacht
Wodurch überführt sich ein Verdächtigter am ehesten? Dadurch, daß er die Beschuldigung zurückweist! Nach dieser Henkerslogik eröffnet Burns sein Beweisverfahren:
"Die meisten Deutschen behaupten, es gebe keinen weitverbreiteten Anti-Amerikanismus in Deutschland, und man dürfe die Opposition gegen die Politik der Reagan-Regierung nicht als Ausdruck eines Anti-Amerikanismus verstehen. Und selbst dort, wo ein Anti-Amerikanismus größeren Ausmaßes tatsächlich existiert, wäre es falsch, ihn mit einer prosowjetischen Haltung gleichzusetzen."
Damit ist zwar noch nicht der Delinquent gefaßt, wohl aber das Delikt definiert. Und genausowenig wie ein Gericht die Paragraphen begründet, nach denen es urteilt, rechtfertigt Burns seine Verurteilung des "Anti-Amerikanismus". Ob es Gründe geben könnte, nicht gerade ein Freund amerikanischer Politik zu sein; ob es nicht Anlässe genug gibt, nicht bloß Reagan und Co., sondern die Weltmacht und ihre Staatenfreunde abzulehnen, die durch diese Figuren vertreten werden - das bedarf für Burns keiner Widerlegung. Gegen Kritik am Treiben der USA ist vielmehr ein Generalverdacht angebracht. Das können einfach keine Einwände sein, wenn aus ihnen bloß eine ablehnende Einstellung herauskommt. Die Einwände sind also nur ein Vorwand und der Ausdruck einer ganz und gar unbegründeten verwerflichen Haltung: einer feindlichen Einstellung zur Führungsmacht des Westens, die sich einfach nicht gehört. "Anti-Amerikanismus" ist also weder eine Tatsache, noch gar ein Argument, sondern ein Begriff' gewordenes politisches Gebot: Du sollst deinen westlichen Herrn lieben und ehren über alles!
Die Beweisaufnahme - proamerikanische Wühlarbeit
Entsprechend schreitet Burns zur Beweisaufnuhme:
"Ich glaube aber, daß wir tiefer schürfen müssen, wollen wir der Frage des Anti-Amerikanismus beikommen."
Dergestalt mit der festen Absicht versehen, fündig zu werden, kommt der US-Botschafter zum Kern seiner Botschaft: Keine Frage, es gibt Kritik an den USA, also auch "Anti- Amerikanismus". Vom amerikanischen Treiben auf der Welt kann der nicht herrühren, also kommt er vom freien West-Fernsehen; aus "Fehlinformationen" nämlich, denen,
"die jungen Menschen in Europa durch das Fernsehen ausgesetzt sind. Vor zehn oder fünfzehn Jahren konnten Europäer auf ihren Bildschirmen fast täglich sehen, wie amerikanische Flugzeuge sogenannte 'Freiheitskämpfer' in Kambodscha bombardierten, und daneben Bilder von Unruhen in unseren Innenstädten und Gulaschkanonen, die spärliche Rationen an Arbeitslose ausgaben. Und auch heute noch findet man im Fernsehen Berichte über Arme in den Vereinigten Staaten, über amerikanische Missetaten in Lateinamerika, über die rücksichtslose Behandlung der Indianer und die Diskriminierung der Schwarzen. Manche dieser Bilder sind natürlich mit der Wirklichkeit verknüpft. Aber sie erzählen für sich allein keineswegs die ganze Geschichte vom Amerika unserer Tage, und wer das Gegenteil behauptet, kennt die Wahrheit nicht oder schert sich bewußt nicht um sie."
Sicher kann man nicht behaupten, das Staatsfernsehen West mit Kronzucker, Weiss und Konsorten ließe es an Verständnis für die "Probleme" der USA mit Armen, Negern, Cubanern, Kommunisten und Co. fehlen. Aber für einen Mann, der die alltäglichen Bilder von Armut und Gewalt am liebsten vom Bildschirm verbannt hätte, wenn sie nicht aus Afghanistan und Moskau stammen, sieht das anders aus. Dementieren will er die Fakten nicht, aber als Argument - und sei es auch nur als Verbildlichung angeblicher Fehler amerikanischer Politik - dürfen sie nicht gelten: Sie gehören in einen größeren Rahmen, und den und nur den soll die Öffentlichkeit gefälligst bebildern.
Beim Blick nach drüben, ja da ist ein hautnah mitgefilmter Überfall westlich ausgerüsteter Afghanen auf einen sowjetischen Konvoi natürlich ein Beweis für die Brutalität der Russen gegen ein heldenhaftes Freiheitsvolk; da zählen Fakten, erfunden oder wahr, bestätigt oder nachträglich dementiert, auf jeden Fall umstandslos als Beweis, daß Anti-Kommunismus kein Vorurteil ist, sondern die einzig richtige Einstellung. Aber was Amerika angeht, da gibt es keine Gewalt, außer sie ist gut und notwendig. Wenn diese einfache Botschaft dem Botschafter nicht direkt genug auf der Mattscheibe flimmert, dann kann es sich nicht um Information handeln, sondem nur um die fahrlässige oder bewußte Erzeugung eines bösen Vorurteils. Die Verlautbarungen aus Washington sind der einzig gültige Maßstab für die Betrachtung der Weltlage; sowjetische Positionen auch nur in Betracht zu ziehen, ist ein Verbrechen; und wer sich gar dem Glauben an die grundsätzliche Güte der westlichen Werteordnung versagt, der muß mindestens ein Terrorist sein. So lautet das freiheitliche Kommando für die europäische Öffentlichkeit. Schließlich zeichnet sich der Westen durch freie Meinungsbildung aus, und die ist heutzutage nur durch "Ausschüsse zur Bekämpfung unamerikanischer Umtriebe" in aller Welt zu retten.
Der Schuldspruch - der Erzfeind im eigenen Lager
So gesehen kann sich der vorgetragene Verdacht allerdings nur bestätigen. Das "tiefer Schürfen" ist nämlich nichts weiter als die Behauptung des Gegenteils der zu diesem Zwecke angeführten europäischen Dementis:
"Der Anti-Amerikanismus ist Symptom eines weit ernsteren Leidens, das einen Teil der aktivsten Mitglieder der gebildeten Schicht in Europa befallen hat - nämlich die Ablehnung der westlichen Gesellschaft als solcher und ihrer Werte. Amerika wird von ihnen zu treffenderweise als Bollwerk all dessen angesehen, was sie verachten: die parlamentarische Demokratie, den dynamischen Kapitalismus, die moderne Technologie und den entschiedenen Antikommunismus. Man kann die Gefühle dieser Menschen nicht als ein Ergebnis einer spezifischen Politik der Reagan-Regierung, der geplanten Dislozierung moderner Raketen oder des derzeitigen Engagements meines Landes in Mittelamerika abtun. Die Wurzel liegt vielmehr in der Abkehr von den Wertvorstellungen und Institutionen ihrer eigener demokratischen Gesellschaft."
Gegen diese "Vertiefung" ist kein Kraut gewachsen. Nicht der geringste Zweifel wird zugelassen, ob denn gegen die heiligen Werte von freedom and democracy sowie gegen ihren obersten Verfechter nicht vielleicht doch einiges spricht, wenn er sich durch demokratische Führer vom schlage Reagans durch das schlagende Argument der Raketentechnologie, durch die dynamisch wachsenden Opfer kapitalistischer Geschäftserfolge und durch die gewaltsame Befreiung Grenadas und anderer kommunistischer Gefahrenherde ausweist. Nein, das bloße Etikett "Anti-..." reicht, um jedes Argument zu erschlagen. Und für diese Sorte Kritikverbot beansprucht Burns im Namen Amerikas eben auch die Führungsrolle, und zwar mit dem Hinweis auf eine harte Wahrheit: Die USA repräsentieren die westlichen Werte weltvweit; die USA-Politik ist deren weltweite Durchsetzung. Das stimmt vorwärts wie rückwärts gelesen. Das reicht dem Mann offenbar aber noch nicht. Er macht daraus auch noch eine Jubelvorschrift, die noch die bravste idealistische Anfrage, ob nicht unsere Werte mit etwas weniger Gewalt und Not durchzusetzen wären, als zersetzende Kritik brandmarkt. Da werden die Bündnispartner samt ihrer Öffentlichkeit geistig in eine Pflicht genommen, die an Härte nichts zu wünschen übrig läßt: Jedes Wort gegen Amerika ist ein Anschlag auf die Fundamente des Westens, und umgekehrt ist jede Kritik in und an einem Bündnisstaat ein Anschlag auf das westliche Bollwerk USA.
Die europäische Antwort - die nationale Erfüllung der geistigen Bündnispflichten
Das haben sich Bundesregierung und staatstragende Parteien längst zu Herzen genommen und zur innenpolitischen Waffe gemacht. In Gestalt eines erlesenen Streits darüber, in welcher Form und ob überhaupt für die Bundesregierung eine Distanzierung - zumindest der Form nach - zur Grenada-Invasion erlaubt sei, stellten sie klar, daß bundesdeutsche Mäkeleien am großen Bruder selbst dann problematisch sind, wenn sie von so ausgewiesenen Freunden Amerikas wie Kohl und Genscher vorgebracht werden. Und umgekehrt nimmt sich die SPD demonstrativ die großartige Freiheit heraus, in aller "Solidarität zur NATO und zu Amerika" auch einmal ein kritisches Wort über amerikanisches Versagen und bessere Mittel und Wege gelungener Bündnispolitik im deutschen Interesse zu vermelden. Schließlich müssen wir uns doch unsere Bündnistreue nicht einfach vorschreiben lassen. Dafür erhält sie programmgemäß den "Anti-Amerikanismus"-Vorwurf von der Regierung und weist ihn programmgemäß zurück. Der "Befreiungsschlag" Kohls - "Ich lasse mich von niemandem in meiner Amerikafreundlichkeit übertreffen" -kennzeichnet genau, wie mittlerweile der Kampf gegen das wohldefinierte Gespenst in Europa geführt wird: mit der demonstrativen Selbstverpflichtung, nur noch Bekenntnisse ablegen zu wollen - zu Amerika, zur NATO, zur Rolle der BRD in ihr. Betonungsunterschiede können da bei demokratischen deutschen Parteien nicht ausbleiben. Und ausgerechnet die von Burns und anderen Gemeinten - Grüne, Friedensbewegte und kritische Öffentlichkeit - machen es dem Kanzler und der SPD nach und berufen sich ein ums andere Mal auf Amerika - das bessere nämlich, das sie zur Kritik berechtigt und sie von einem Makel befreit, den sie nicht auf sich sitzen lassen wollen. So gilt dann endgültig der von oben in die Welt gesetzte Geist: Es geht nichts über Amerika, den Westen, seine Werte und die in ihrem Namen geschaffene Ordnung.
Anti-Amerikanismus beim SPIEGEL?
Dieses Titelbild ist entgegen dem Augenschein ein Dokument dafür, daß in unserer Öffentlichkeit die Gewöhnung an die vom Westen praktizierte Gewaltausübung in der Welt sehr weit gediehen ist - es ist nämlich eine einzige Nicht-Kritik der weltweiten Kriege und Schlächtereien der Verteidiger der Freiheit:
Das Titelbild will durch den Angriff der riesigen Maschinenpistole auf das kleine Atoll nichts anderes zum Ausdruck bringen als die Vorstellung, daß hier Mittel und Zweck Amerikas in keinerlei Verhältnis stehen. Die Maßlosigkeit des amerikanisch-westlichen Anspruchs auf Zuständigkeit überall auf der Welt, wird übersetzt in ein Mißverhältnis von Mittel und Zweck; so wird weder das eine noch das andere angegriffen.
Reagan sieht rot - die Überschrift spielt nicht umsonst auf den bekannten Filmtitel an. Das Durchdrehen eines "typischen" Amerikaners wird dadurch gekennzeichnet und das kalkulierte und berechnende Vorgehen des Chefs der Weltmacht Nr. 1 ganz und gar 'übersehen'.
Überfall auf Grenada: Hier stört nicht die Gewalt, denn sonst müßte der "Spiegel" jede Woche mit Titeln wie "Überfall auf Nicaragua, Libanon" etc. aufmachen, sondern ihre mangelnde Glaubwürdigkeit. Würde der "Spiegel" in der Karibik tatsächlich Frieden und Sicherheit bedroht sehen - dann "leider" nichts wie hin!