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Raketen im Namen des Volkes
DANKE KANZLER - ALLES KLAR!
Am 21. November war er da, der große Augenblick. In der gebotenen Würde trafen sich Regierung und Parlament, um dem Volk eine Garnitur von Friedenswaffen anzusagen. Dergleichen ist üblich in unserer Demokratie, wo Macht immer "Verantwortung" heißt, und Führung darauf besteht, eine "geistige" zu sein. Ihnen, Herr Kanzler, kam die Verkündung der Stationierung nach allem, was man so hört, wieder einmal wie die großartige Erfüllung einer Pflicht vor, der Sie sich mit vollster Überzeugung widmeten. Diese Überzeugung durften wir nicht nur hören - leider verlangen Sie auch noch, daß wir uns danach zu richten haben.
Das stimmt uns - und das sagen wir in aller Deutlichkeit - kein bißchen freundlich. So überzeugend sind Ihre Überzeugungen nämlich gar nicht: Was Sie da zusammenfassend Ihren Untertanen darboten, um die Notwendigkeit jener stattlichen Waffenlieferung aus dem Land Ihrer Freunde zu rechtfertigen, beseitigt jeden Zweifel. Darüber, was Demokraten Ihres Schlages nicht ruhen und rasten läßt, bis sie ganz viel "Verantwortung" haben und ihre strategischen, also Kriegskalkulationen als einen einzigen Friedensdienst verkaufen können. Eine gewisse Vorliebe für den ausgiebigen Gebrauch von Gewalt läßt sich jedenfalls nicht übersehen - für den Erfolg der von Ihnen geführten Nation. Deren Interessen, die Sie gerne "unsere" nennen, darf niemand in die Quere kommen, weder in der Staatenwelt, die Sie so kundig bereisen, noch daheim.
Da Sie am 21. November Ihr gutes Gewissen darüber zur Schau stellten, indem Sie die staatlichen Argumente einer vierjährigen "Nachrüstungs"-Propaganda festlich aufbereiteten, möchten wir Ihnen den Eindruck geben, daß die abgenudelten Botschaften über den äußeren und inneren Frieden richtig verstanden worden sind.
Der "NATO-Doppelbeschluß"
bildet tatsächlich den Ausgangspunkt für die Maßnahme, die jetzt ihren nationalen Segen bekommt. Allerdings in der Originalfassung, und nicht in jener Fälschung, die Ihr Amtsvorgänger wie Sie, Herr Kanzler, in Umlauf gebracht haben wollte.
Wenn Sie sich auf jenes NATO-Dokument berufen, fällt uns nicht nur auf, daß es für Führer von NATO-Staaten keine solidere Rechtfertigung ihrer Taten gibt als eine Berufung auf die eigenen Beschlüsse. Diese niemandem sonst eigentümliche Selbstgerechtigkeit erhält in Ihrer Darstellungskunst, Herr Kanzler, den Schein intakter Moral eben auch nur durch eine Lüge. Die Vermeidung der Stationierung war nämlich nie vorgesehen in den Verhandlungen über "erfolgreiche Rüstungskontrolle", die damals in Brüssel als Zusatz zur "Modernisierung" der "bodengestützten Systeme" in Europa geplant wurden. Wenn Sie so tun, als müßten Sie schweren Herzens und leider zu den Pershing II und Cruise Missiles ja sagen, weil Russen immer wieder nein sagen, dann heucheln Sie sehr berechnend! Denn Sie wissen sehr genau, daß im Brüsseler Kommunique ein "Bedarf der NATO" definiert und beschlossen wurde, "u m das Fundament für ernsthafte Verhandlungen zu schaffen." Daß es Ihren amerikanischen Freunden ernst war in ihren Verhandlungen, glauben wir gerne. Daß sie den Stationierungsbeschluß dabei auch nur eine Sekunde lang in Frage gestellt haben, ist von ihnen selbst nie behauptet worden. Auf solche inszenierte Irreführungen der Öffentlichkeit verstehen sich deutsche Kanzler und Außenminister, die sich bei ihrer "Politik der Stärke" sehr abhängig vorkommen und dem Feind die Schuld geben.
Die SS 20
ist in Ihrer Propaganda, Herr Kanzler, deswegen auch nicht einfach eine auf den Kriegsfall in Europa berechnete Waffe. Daß der Sowjetunion dieses Gerät vielleicht deshalb brauchbar erschien, weil sie sich in Westeuropa einigen wohlgerüsteten NATO-Partnern gegenübersah und durch diese strategische Zusatzdrohung "beunruhigt" war, ist für Ihren Gerechtigkeitssinn in Rüstungsfragen wohl zu banal. Da halten Sie es mit der "Kontinuität" der deutschen Außenpolitik ünd definieren mit Ihrem Vorgänger Schmidt die russischen Raketen so zurecht, daß sie ein himmelschreiendes Unrecht werden. Zwar gehen die "Nachrüstungsbeschlüsse", wie jedermann weiß, auf Kalkulationen der NATO zurück, die lange vor der ersten SS 20 angestellt wurden; aber es macht sich doch immer gut, die eigenen "Optionen" als die erzwungene Reaktion auf eine Teufelswaffe hinzustellen, vor der sich jeder brave Deutsche (West) fürchten darf. Auffallend an Ihrer Haltung, Herr Kanzler, ist nur eines: Sie haben sich bei Ihrem Gerede von "Erpreßbarkeit", die mit der SS 20 für die Führung der BRD gegeben sein sollte, offenbar nie gefürchtet und auch zu nichts erpressen lassen! Mal ehrlich, Sie Christ! In Ihrem begrenzten Wortschatz steht "SS 20" doch immer für das 1. Gebot der NATO: "Die Sowjetunion gehört entwaffnet!"
Stolz haben Sie Ihren Befund über die SS 20 Ihrem Wählervolk mitgeteilt: "...zu viel an Waffen für die Verteidigüngsbedürfnisse der Sowjetunion" lautete Ihre höchstrichterliche Entscheidung, also muß die gegnerische Weltmacht wieder mit den ihr unangemessenen "Verteidigungsbedürfnissen" konfrontiert werden. Und zwar durch eine neue Generation von NATO-Waffen, die den SS 20 weder in der Luft begegnet noch sonst ein "Gleichgewicht" aufmacht, sondern eine militärische Drohung neuen Typs. "Erpressung"? Kriegskalkulation? Ach wo, sagen Sie, auch hier ganz für Kontinuität: die lauterste Friedenspolitik, die je gesehen ward!
NATO und Bundeswehr
sind in Ihren Sprachregelungen, Herr Kanzler, ohnehin die größte Friedensbewegung unter der Sonne. Auch unter der von Grenada, wo Ihr Herr Spranger ebenfalls, nach einer gelungenen Invasion, die Diagnose erstellte: "...zu viel (Waffen und Kubaner) für die Verteidigungsbedürfnisse"! Uns kommt es zwar so vor, als hätte es zur Verteidigung nicht ganz gereicht, als Ihre Freunde nach dem Rechten gesehen haben. Aber wir lassen uns natürlich von unserem Kanzler gerne belehren - über die Sichtweise, die er mit seinen amerikanischen Freunden in der ganzen Welt zur Anwendung gebracht haben will.
Wer wie Sie, Herr Kanzler, nicht nur in jedem Erdenwinkel Geschäfte zu arrangieren hat, welche die "deutsche Wirtschaft" befördern; wer überall "unsere Interessen" auf dem Spiel sieht und die "Abhängigkeit" der Nation von "unseren Rohstoffen", "unserem Export" etc. dauernd beschwört und beklagt, der hat eben Ihrer maßgeblichen Meinung nach auch ein Recht. Gemeinsam mit den amerikanischen Freunden steht ihm nicht nur zu, auf die Brauchbarkeit sämtlicher Herren Länder höchstchristlich zu dringen. Leute in Ihrer Verantwortung nehmen sich auch der Pflicht an, überall darauf zu achten, wie regiert wird. Daß jede ausländische Kritik an einer BRD-Regierung einen Verstoß gegen die guten Sitten des völkerrechtlichen Nicht-Einmischunusgrundsatzes darstellt, führen Sie ja mehrmals monatlich vor, Herr Kanzler. Umgekehrt rechtfertigt dafür "unser Interesse" jede Einmischung, auch die friedensstiftende mit Waffen! Wie jüngst in Grenada, in Lateinamerika schlechthin und im Nahen wie Fernen Osten sowieso und... - "wir" sind für "Ordnung", "Stabilität" zuständig und daher prinzipiell im Recht. So sehen Sie es doch, Herr Kanzler?
Dann wundert es uns auch nicht, wenn Sie mit jeder ausgebauten oder wiederhergestelllten NATO-Bastion auf jedem Kontinent einen Beitrag zum Frieden bejubeln. "Kriegsgefahr" ist für Ihresgleichen ja immer dann gegeben, wenn die Gewalt des Bündnisses einmal an einem Fleck der Erde nicht unangefochten und reibungslos das Recht der Freiheit durchsetzt. Wie in Grenada müssen die Friedensbewegungen des Bündnisses immerzu Afghanistan verhindern. Wie geht im übrigen das Waffengeschäft?
Die Freiheit, die Sie meinen,
betrifft nicht nur die Weltpolitik, in der jede NATO-Waffe eine Friedenstat verbürgt und jeder Revolver mit kyrillischer Aufschrift "Aggression" beweist. Diese Ihre amtliche Einschätzung vollzogen Sie, Herr Kanzler, am 21. November wieder einmal i m Namen des Volkes. Und wie Sie das gesunde Zusammenwirken von Wählern und Gewählten gewährt wissen wollen, haben Sie und die Ihren im Zuge der mehrjährigen "Friedensdebatte" ja hinreichend klargestellt. Deshalb hätten wir an Ihrer Stellungnahme nur die umständliche Art zu monieren, mit der Sie den Kritikern Ihres Rüstungsprogrammes kommen. Was Sie selbst, Geißler und Wörner und die anderen großen und kleinen Mitherrscher im Lande so an ehernen Wahrheiten über die Demokratie respektiert haben wollen, läßt doch ohnehin kein Mißverständnis zu.
Erstens kommen Ihnen Einwände gegen Ihre Raketen ziemlich verboten vor. Ihre Entschlossenheit, die Kritiker auch entsprechend zu behandeln, ist Recht. Gewählte Demokraten sind ermächtigt und können gar nicht kritisiert werden. Man darf sie nicht behinaern, sonst sorgen sie mit unnachgiebigem Einsatz von Gewalt für den "inneren Frieden". Wer den bricht, ist in den Augen der Macht ein Parteigänger der Gewalt. Mehr wollen Sie doch mit Ihren Stellungnahmen zur Friedensbewegung, zum "Widerstandsrecht" und so fort nicht ausdrücken, oder? Und Ihr maßlos ausgeprägtes Bedürfnis nach "innerem Frieden" entspricht ja auch Ihrem Programm zur Sicherung des "äußeren Friedens".
Dieses Programm, seien Sie versichert, haben wir kapiert. Es ist, wie Sie sicher von Ihren amerikanischen Freunden wissen, eine Liste von lauter kleinen und großen Rechtstiteln, deren Einlösung durch militärische Gewalt allein zu haben ist. Und für die sorgen Sie ja gerade; in Ihrer Feierstunde demokratischer Mobilmachung geht es nämlich um nichts anderes.
Zum Schluß möchten wir noch in aller Offenheit eine Behauptung in Zweifel ziehen, die Sie, Herr Kanzler, bei der Ausstattung der Bundesrepublik zur strategischen NATO-Bastion Nr. 2 schon wieder von sich geben, obwohl Sie wegen der Unglaubwürdigkeit der Botschaft immerzu auf deren Glaubwürdigkeit pochen. Wir meinen die Aktualisierung jener altrömischen Redensart ("Willst du den Frieden, bereite den Krieg!"), die noch von keinem Staatsmann dementiert wurde. Daß Sie und Ihre Kameraden von der NATO den Krieg den großen, der den Weltfrieden bringt -, den diese Friedensbewegung noch nicht geführt hat, deswegen auch schon verhindern, stimmt nicht.
Sie bereiten ihn vor.