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Krieg im Weltfrieden
DIE NATO-FRIEDENSTRUPPE VERTEIDIGT SICH VORWÄRTS
Die Leichen waren noch nicht ausgebuddelt, da stellte US-Präsident Reagan bereits den politischen Nutzeffekt des Anschlags und den Zweck seiner geheuchelten Trauer klar. "Jetzt erst recht!" und "Die Feinde sollen sich nur in acht nehmen!" - so hieß die einzig erlaubte Schlußfolgerung.
Entsetzen war angesagt und Abscheu. Das steht freiheitlichen Oberbefehlshabern gut zu Gesicht: Erst entsenden Reagan und Mitterrand Kampftruppen in den Libanon, um die Gegner ihrer Präsidentenkreatur Gemayel mit Gewalt aus dem Feld zu schlagen - Fallschirmjäger und Marineinfanteristen, lebende Waffen, nicht so arg viel anders als die "Kamikaze-Fahrer", die die Sprengstoff-LKWs in das französische und amerikanische Hauptquartier hineingesteuert haben. Kaum setzen die bekämpften Milizen sich zur Wehr - worauf der Truppeneinsatz ja wohl berechnet war -, "muß" natürlich eine ganze Flotte samt Kampfflugzeugen und weitreichender Artillerie vor Beirut geworfen und das "Feindesland" ein wenig bombardiert werden: Schließlich verdienen "unsere Jungs" vor Ort den bestmöglichen "Schutz". Jeder getötete Soldat wurde so zum Beweis, daß die NATO-Streitmacht im Libanon erstens nur Waffen trägt, um sich zu verteidigen, und daß zweitens Waffen und Personal dafür bei weitem nicht reichen.
Das blutige Attentat vom dritten Oktobersonntag fügt sich hier bestens ein. Hunderte von Toten gab es zu beweinen - als wären da Privatleute auf einem Sonntagsausflug erwischt worden und nicht Machtinstrumente des politischen Willens der USA und der französischen Republik; als hätte nicht ihr demokratischer Regierungsauftrag diese Leute zu menschlichem Material für die Macht der NATO gemacht; als wäre nicht durch ihre Entsendung eine Front mehr im Libanon eröffnet worden - und zwar die Front, an der die maßgeblichen Entscheidungen fallen sollen! Dabei enthält umgekehrt jede offizielle Krokodilsträne nur genau die eine Botschaft: Um so machtvoller muß diese Front jetzt verstärkt werden - das sind der amerikanische und der französische Präsident gewissermaßen ab jetzt ihren Gehorsamskadavern schuldig. Mit ihrem Tod rechtfertigen die Soldaten den Auftrag, der sie das Leben gekostet hat; die heuchlerische Empörung ist dessen gutes Gewissen. So werden ohne Zögern frische Truppen nach Beirut geworfen, und der härteste Plan zum Durchgreifen gegen den "unmenschlichen" Gegner ist automatisch der gerechteste.
Wer will da noch groß fragen, was die USA und Frankreich eigentlich mit ihrer bewaffneten Macht im Libanon verloren haben? Ist nicht die "heimtückische Mordaktion" gegen ihre Soldaten der schlagende Beweis, daß die für nichts als Ruhe und Ordnung einstehen? Sind nicht die alliierten Truppen genauso gut wie ihre "Mörder" böse? - Umgekehrt gilt der "Beweis" natürlich nie. Wenn die "Friedenstruppe" mit Bomben und Granaten zuschlägt, macht das nicht ihr Anliegen verdächtig, sondern zeigt einem sachverständigen Kopf nur, wie schwer sie es hat...
Zum Friedenstiften also - so heißt es - halten amerikanische und französische Truppen Beirut besetzt und bauen die Miliz des von Washington erkorenen Staatspräsidenten zu einer schlagkräftigen Nationalarmee auf. Denken soll man dabei an lauter "Bürgerkriege", in denen das libanesische Volk, aufgeteilt nach Konfessionen, Palästinenser und syrische Besatzer einander "zerfleischt" hätten. Worum es dabei ging - das soll schon keiner mehr so genau wissen. Da würde sich ja glatt herausstellen, daß die "verfeindeten Volksgruppen" im Libanon gar nicht so sehr viel Feindschaft auszutragen hätten - gäbe es da nicht das machtvolle Interesse des Westens an ihrem Land.
Gekämpft wird dort doch nicht um den Besitz von Dörfern oder Siedlungsgebieten; so weit hinterm Mond sind weder Drusen noch Maroniten. Wenn die Dschumblats, Gemayels usw. ihre Milizen gegeneinander losschicken, so geht es ihnen um die Rolle, die ihnen - dank ihrer jeweiligen Volksgruppe - im zukünftigen Libanon zukommt. Dafür allerdings sind alle Bedingungen von außen gesetzt und die fälligen Konflikte vorgezeichnet. Der freie Westen, mit seiner "multinationalen Friedenstruppe" machtvoll vor Ort vertreten, will gestützt auf die prächtigen israelischen Vor- und "Aufräumarbeiten" - Libanon wieder zum westlichen Vorposten machen: zur Schranke für Syriens Macht und zur Bastion gegen die feindliche Weltmacht, die in Syrien ihren letzten Verbündeten in der Region besitzt. Oder was sonst soll es heißen, wenn Präsident Reagan den Libanon öffentlich wegen seiner "strategischen Bedeutung" für unentbehrlich erklärt für den Westen?! Für diese Neuordnung des Libanon setzen die engagierten NATO-Mächte auf die Soldateska der Christenfraktion - und das hat nichts mit einer Solidarität unter Glaubensbrüdern zu tun. Die USA und Frankreich bauen diejenige Partei zur legitimen Staatsmacht auf, die am entschiedensten auf Gegnerschaft gegen die syrische "Friedensmacht" festgelegt ist: Den Russenfreund wollen sie aus dem Land haben, erst einmal. Das geht natürlich auf Kosten der politischen Konkurrenten; gegen die vollstrecken NATO-Truppen das "Gewaltmonopol" des selbstgebackenen Souveräns. Deswegen heißt deren Antwort: Gewalt. Mit den Kriegsmitteln, die sie von den verschiedensten auswärtigen Interessenten bekommen, spielen sie sich als "Machtfaktoren" auf, an denen das westliche "Ordnungs"-Interesse nicht vorbei kann oder aber besser nicht vorbeigehen sollte - lieber soll es sich ihrer Dienste bedienen.
Dafür werden dann an allen Ecken und Enden Leute umgebracht, und nicht nur demokratische "Friedens"-Soldaten. Denn für den Machtkampf um die Beeinflussung und Ausnutzung der westlichen Kalkulation besitzen Leichen ihr ganz eigenes Gewicht: Je skrupelloser man sie herstellt, als um so wichtiger erweist man sich für das Projekt eines NATO-Libanon. "Nationale Versöhnungskonferenzen" auf neutralem Boden gehören andererseits notwendig dazu. Dort werden die Leichen und Gewaltmittel politisch gewürdigt und gewogen.
Per Saldo wird so auf dem Wege der gewaltsamen "inneren Friedensstiftung" dem syrischen "Vasallen Moskaus" der Kampf angesagt. Zu diesem politischen Hauptzweck ist es nicht mehr und nicht weniger als die passende moralische Zutat, wenn aus Anlaß der massiven Sprengstoffanschläge dramatisch Rache geschworen und gar kein Geheimnis daraus gemacht wird, an wem man sie üben will - ganz unabhängig von der Schuldfrage. (Die wird im Bedarfsfall sowieso sehr freizügig vermittels dei Frage entschieden: Wem nützt's? Den Russen natürlich!) Aber natürlich paßt die Moral 'mal wieder zum NATO-Vorhaben: Kein Kompromiß im Libanon wird Syrien angeboten; es hat sich zu fügen und abzuziehen.
Andernfalls bleibt noch auf längere Zeit "Frieden zu stiften" und noch manche Krokodilsträne über das gebeutelte libanesische Volk und "unsere gefallenen Boys" zu vergießen.