Info
Friedensbewegung:
FRIEDE IM LANDE!
Vor dem Höhepunkt des "Heißen Herbstes", der Stationierung von Pershing und Cruise Missiles, eine Aktionswoche der Friedensbewegung: Special Guest Willy Brandt ließ sich am Ende mehr falsche Kritik gefallen als die Blockierer, Kettenbilder und Volksversammelten. Noch selten ist der Anlaß so zielbewußt dem Konsens untergeordnet worden, daß es gut ist, wenn Protest sein darf. Ein Sieg der Demokratie in jeder Hinsicht.
Lauter Sieger, welch ein Sieg!
Am Ende, Sonntag 23. Oktober 1983, waren alle Akteure und Beobachter des Spektakels rundum zufrieden, ja Begeisterung kam auf:
- Die Organisatoren der Aktionswoche zählten ein ums andre Mal die Häupter derer, die ihrem Ruf gefolgt waren, und siehe da, es waren "mehr als wir erwartet hatten".
- Die Politiker, denen der Protest galt, zeigten sich beeindruckt: Ihre Kasernen und Ministerien hatten das Ganze doch tatsächlich unbeschadet überstanden. Ihre eigene Charakterstärke konnte sich an der massenhaften Manifestation andersdenkenden Bürgerwillens nur bewähren, sie waren sehr stolz auf sich.
- Die Kommentatoren in Presse, Funk und Fernsehen gerieten ins Schwärmen über friedliche, höfliche und saubere junge Menschen, die nach getaner Protestarbeit eigenhändig die Blumen wieder vom Boden aufsammelten, die sie vorher den Polizisten mitgebracht hatten.
Exemplarisch das kaum als Kommentar getarnte "Wort zum Sonntag" von ZDF-Bresser. Erstens sei die Woche "friedlich" verlaufen von "beiden Seiten" und somit schon ein gewaltiger Beitrag zum Frieden. Zweitens sei die Aktionswoche vor allem ein Beweis dafür gewesen, daß man "demonstrieren dürfe", wenn man sich so anständig aufführt. Drittens hätten die Politiker es vermieden, einem Teil der Bevölkerung den "guten Willen" zu bestreiten und umgekehrt. Weshalb viertens, Raketen hin, Raketen her, die "Republik ein wenig anders geworden" sei. Abschließend noch herzliche Glückwünsche an beide Seiten. "Guten Abend, meine Damen und Herrn!" Viermal ein Hoch auf die Demokratie: Der Mann scheint einiges zu wissen:
- Ohne den inneren Frieden kommt auch die so erfolgreiche Friedenspolitik nach außen ins Schleudern. Der Schornstein muß schon rauchen, damit die bestellten Panzer und Raketen gebaut und bezahlt werden können. Demonstranten dürfen öffentlich und in großer Zahl ihre Sorgen um die Zukunft der Welt zum Ausdruck bringen. Dafür läßt sich auch ein vorübergehendes Durcheinander in der Straßenverkehrsordnung in Kauf nehmen, solange in der Welt der Arbeit alles seinen geregelten Gang geht, d.h. jeder dahin geht, wo Staat und Kapital seinen "Arbeitsplatz" hingestellt haben.
- Wer werktags seine Pflicht tut, dem erlauben seine Herren am Wochenende, daß er nicht nur eine andere Meinung hat, sondern von ihr auch öffentlich ein Aufhebens macht. Das heißt dann "Bürger machen von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch". Und das schließt ein, daß sie ihre Grenzen in dem Recht anerkennen, das man ihnen gewährt.
- Die Politiker, von notorischen Scharfmachern wie dem Herrn Geißler einmal abgesehen, haben sich demonstrativ zu der Zurückhaltung durchgerungen, hinter der Sorge, ob sie ihr Geschäft auch verantwortungsbewußt ausüben, nicht immmer gleich einen Versuch zu wittern, ihnen die Verantwortung überhaupt abzunehmen. Umgekehrt haben Demonstranten, die an die besseren Einsichten bei Politikern appellieren, der Politik schon den prinzipiellen Respekt erwiesen, bei ihr ginge es um Einsicht und um das Gute.
Aus obigen Gründen allein gibt es die Republik als demokratische, so gedeiht sie und wächst vielleicht sogar demnächst, wenn sie nicht sogar strahlt.
Zu vermelden ist also nach Abschluß der Aktionswoche, mitten im Beginn der Stationierung, ein Sieg der Demokratie. Das merkt man daran, daß im Verlauf der Aktionswoche von den Raketen immer weniger und am Ende nur noch von der Aktion die Rede war. Eine letzte Kontroverse gab noch der Auftritt Willy Brandts im Bonner Hofgarten her. Als Material der Parteienkonkurrenz zwischen C-Parteien und SPD; als Sorge der Grünen um ein Wählerpotential in der Friedensbewegung; als Auseinandersetzung innerhalb der SPD in Hinblick auf den Parteitag im November. Darüber wird noch "mit Leidenschaft" diskutiert, quasi nur noch über die Begleitmusik, nachdem das Stück längst (ab)geschrieben ist. Für künftige demokratische Geschichtsbücher: "Im Herbst 1983 wurden in der BRD neue Mittelstreckenraketen stationiert. Dieser Beschluß löste Proteste und Demonstrationen bei der parlamentarischen Opposition und bei Teilen der Bevölkerung aus, die man 'Friedensbewegung' nannte. Es kam jedoch zu keiner Erschütterung der demokratischen Ordnung. Die Hoffnungen des kommunistischen Gegners, das westliche Lager zu schwächen und dadurch dem notwendigen Krieg auszuweichen, erfüllten sich nicht."
Das wahre Volk demonstriert sich
Dazu konnte es auch gar nicht kommen, weil die Bewegung, die angesichts neuer Raketen Angst vor einem Krieg bekam, diesen aktuellen Stand der BRD-NATO-Politik nicht als Konsequenz der demokratischen Ordnung begreifen, sondern fast schon inbrünstig daran glauben will, daß Krieg und Imperialismus ein Widerspruch zu Freiheit, Frieden und Demokratie sein soll.
Zur Aktionsform geronnen, demonstrierte sich dieses Mißverständnis zwischen dem 15. und dem 23. Oktober. Wesentliche Träger des demokratischen Staates und der Marktwirtschaft wurden gleichsam zu naturgegebenen Widerstandsnestern gegen den Krieg erklärt. So marschierten sämtliche Abteilungen des Dienstes an Geschäft und Gewalt auf, um eine große Lüge zu inszenieren: Pflichterfüllung ist Friedenstat und verdient nicht, durch Krieg unterbrochen zu werden. Kein Zweifel: Im Krieg wird nicht mehr wie bisher "normal" gearbeitet, studiert, geboren und beratschlagt. Die reibungslose Abwicklung all dieser Gewerbe schafft Mittel und Material für den Staat, in aller Freiheit seinen Kriegsgründen energisch nachzu gehen.
- Tag der Betriebe: Arbeiter und Angestellte sind hier aufgefordert, sich aus der Venwendung der Resultate ihrer Arbeit ein Gewissen zu machen. Andererseits soll gerade ihre treue Pflichterfüllung an den Stätten der Produktion ihr Recht und ihre moralische Berechtigung unterstreichen, sich für den Frieden und gegen den Krieg zu Wort zu melden. Der einzige Weg, den Politikern ihre Rüstungs- und Kriegspolitik zu vermasseln, die Verweigerung der Arbeit, scheidet deshalb als Akt inneren Unfriedens aus. Denn das wäre ja Klassenkampf, sowas heißt in der Demokratie immer gleich Kommunismus - und damit will die Friedensbewegung erklärtermaßen nichts zu tun haben. Solange die Leute mit ihrer Stellung als bezahlte Arbeiter kein anderes Problem haben als mit den Problemen, die ein Lohnarbeiterdasein so mit sich bringt - solange brauchen sich Staat und Kapital wegen der Einstellung ihres Arbeitsvolks keine grauen Haare wachsen zu lassen.
- Tag der Schulen und Hochschulen: Nicht zuletzt die sprichwörtlich "unschuldigen" (Schul-) Kinder sind hier aufgefordert, mitsamt ihren Lehrern gegen die angeblich allen Bildungswerten hohnsprechenden Ziele einer Politik zu protestieren, die mit dem Krieg "spielt". Abgesehen davon, daß bislang noch alle Kriege im Namen des "Guten, Wahren und Schönen" geführt worden sind, abgesehen davon, daß sich heute die NATO als oberster Verteidiger dieser Ideale gegen den "Hort des Bösen" begreift - ganz abgesehen davon, wäre es namentlich Studenten zu empfehlen, einmal die Studieninhalte auf ihre Wahrheit hin zu überprüfen. Dann ließe sich nämlich feststellen, daß nichts davon stimmt, und daß gerade deswegen dieses Zeug sehr brauchbar ist zur Erziehung für den Dienst an Staat und Kapital - bis hin zum Kriegsdienst.
- Tag der Frauen: Ein Appell an den uralten Aberglauben, Mutterliebe sei ein Schutz davor, daß die Kinder ins Feuer geschickt werden. Oder auch den durch Maggie Thatcher nicht zu erschütternden feministischen Rassismus, das "weibliche Wesen" sei im Gegensatz zum männlichen der Gewalt abhold! Die Kriegsherren haben nichts gegen Mutterliebe. Im Gegenteil: Sie gebrauchen sie, weil das Material des Krieges auf lebendige Menschen angewiesen ist. Wer das für einen Mißbrauch hält, der sollte sich schon wesentlich früher aufregen: Der Staat regelt nämlich seinen Nachschub an Menschenmaterial sehr planmäßig und ohne Sentimentalitäten, wenngleich diese zur Begründung so schöner, die Liebe ungemein befördernder Maßnahmen wie dem Familienrecht gerne herangezogen werden.
Höhepunkt der Aktionswoche schließlich und eine politische Dummheit, die ihresgleichen sucht:
- Tag der Volksversammlungen: Hier wird mit der Illusion ernst gemacht, daß, wo immer sich das Volk versammelt, nichts Schlechtes dabei herauskommen kann. Als ob sich irgendein moderner Krieg denken ließe ohne einen weitgehenden Konsens zwischen Volk und Führung - und das gilt auch für den Krieg des III. Reichs und erst recht für Weltkrieg Nr. 3! Aktuell sollten die demokratischen Politiker an ihrem eigenen Anspruch, Repräsentanten des Volkswillens zu sein, blamiert werden. Darauf kontern sie natürlich ungerührt mit dem Verweis, daß sie alle vier Jahre - wenn es sein muß, auch noch öfter - an den Wahlurnen die größte nur denkbare ideelle Volksversammlung mit bislang ungeschmälertem Erfolg antreten lassen können. Weil die Demokratie nicht jeden Tag auf ein Plebiszit angewiesen ist, registrieren ihre Machthaber alternative Volksversammlungen gelassen. Bestenfalls wird noch eine Spekulation auf potentielle Wählerstimmen daraus. Von den Mechanismen demokratischer Ermächtigung haben die Initiatoren des "Tags der Volksversammlungen" anscheinend keine Ahnung!
Die Friedensbewegung 1983 steht so tatsächlich in der Tradition aller Friedensbewegungen seit 1914, worauf sie eigenartigerweise auch noch stolz ist: Wenn sie deren "Erfolge" im Kampf gegen den Krieg schon nicht schrecken, dann wird sich ihr Erfolg spätestens nach dem III. Weltkrieg einstellen: Wir haben alles, was uns möglich war, rechtzeitig getan! Die nächste Nachkriegsgeneration formiert sich.
Der Mensch als Kette
"Mensch an Mensch zusammenstehn, daß Mensch die Menschheit rette." (Aus dem Aufruf des "Aktionsbüros")
Der Wille, keine der "traditionellen Latschdemos" zu machen, sondern eine "neue Dimension in die Demonstrationsgeschichte" (Aktionsbüro) einzuführen, verdankte sich einem Kompromiß innerhalb der beteiligten Gruppen. Das verhinderte aber nicht, daß am Samstag, dem 22. Oktober, die Organisatoren ihre Aktion wie die Pfaffen als Heilserlebnis für sich selbst und andere begingen. Der Augenblick des Kettenschlusses wurde den Fernsehreportern als "ergreifend, bewegend, beglückend" geschildert. Die Wahl des Symbols führte im offiziellen Aufruf zu entsprechenden Dummheiten:
"Von Neu-Ulm bis Stuttgart - eine Kette von Menschen. Sie trennt nicht, sie verbindet: Das EUCOM, die Befehlszentrale der US-Truppen in Europa, mit den Wiley-Barracks in Neu-Ulm, einem der Stationierungsorte für Pershing-Raketen."
Die Befehlszentrale mit den Raketen endlich menschlich verbunden?
Beim "Kettenschluß" wurde natürlich "We shall overcome" gesungen. Die Fans dieser einem Kirchenlied nachempfundenen Hymne merken natürlich nie und nimmer, daß der stolze Verweis darauf, wie lange diese Strophe schon "deep in my heart" geglaubt wird, ein sehr sicheres Indiz für die Wirkung von Bewegungen ist, die sich an ihrem guten Willen gegen das Böse erbauen.
Danach wurde "5 Minuten Schweigen für den Frieden" zelebriert. Langsam wird es ziemlich beliebig, welche natürlichen Verrichtungen der Mensch als Friedensbewegung ausgibt. "Aufstehen", "Schweigen", "Singen" bis hin zum wirklich letzten "Argument", den "die-ins": Als ob Politiker, die mit echten Leichen kalkulieren, ein paar simulierte beeindrucken könnten! Abschluß: Weit mehr als 99 Luftballons stiegen gen Himmel, wenngleich auch nicht so viele, wie ausgeteilt: Die Polizei hatte vor einer "Gefährdung der Luftüberwachung" gewarnt! Bei den mitgeführten Transparenten fiel auf, daß die Raketen, gar die Herren Reagan und Kohl, den Demonstranten schon wie von einer anderen Welt vorkommen, an die man sich beim "Gemeinschaftserlebnis" nicht störend erinnern mochte. Die Mehrzahl der Teilnehmer hielt es für erforderlich, auf sich selbst zu verweisen: "Friedensgruppe Remstal" oder neu: "Bauern für den Frieden". (Wie die Ärzte haben inzwischen auch die Landmänner entdeckt, daß ein Atomkrieg sie vor unlösbare Aufgaben stellt - bei der "Ernährung der Bevölkerung"!) Ansonsten noch jede Menge christliche Glaubenslügen: "Schwach ist die Macht der Waffen, stark ist die Macht der Liebe." Die gelungenste Zusammenfassung des Tages gelang der Parole: "Der beste Weg zum Frieden ist der Frieden selbst!" Da ist selbst der Schein harmoniestörender Kritik, wie er noch im " Frieden schaffen ohne Waffen" unterstellt werden konnte, eliminiert. Insofern das Motto für die ganze Aktion: Wenn schon die Politik den Frieden nicht garantieren kann, dann halten wir ihn selbst. Indem wir uns an den Händen halten, bis es kracht...
Jeden Tag eine gute Tat
Die Friedensbewegung schafft es in ihrem Selbstbewußtsein, mit Stolz auf sich selbst als Leute zu verweisen, die, obwohl sie tadellos und anständig ansonsten alles mitmachen, wenigstens etwas gegen dïe "Nachrüstung" machen. Dadurch immunisiert sie sich nicht nur gegen etwaige Selbstzweifel, ob das alles denn irgendwas verhindere; sie zieht aus der sich mittlerweile einstellenden Gewißheit des Scheiterns auch noch das gute Gewissen von Leuten, die mit der Zwecklosigkeit die Güte ihrer Taten herausstreichen.
Aus einem Brief von Ludger F., der auf einer Volksversammlung das Flugblatt der MARklSTlSCHEN GRUPPE (MG) gelesen hat und uns empört schreibt:
"Aber im Gegensatz zu Euch unternimmt die Friedensbewegung etwas. Und zwar aktiv etwas gegen die Aufrüstung, indem sie auf die Straße geht und ihre Meinung sagt. Ob die Raketen nun aufgestellt werden oder nicht, hier ist sie genauso machtlos wie ihr. Aber nur rumzuhetzen, ohne konstruktive Gegenvorschläge zu machen, ist einfach primitiv."
Dem Schreiber dieses Briefes will gar nicht mehr auffallen, daß er selbst bezeugt, die MG hätte aktiv etwas gegen die Aufrüstung gemacht, indem sie "auf die Straße" ging "und ihre Meinung" sogar noch gedruckt verteilt hat. Statt sich zu fragen, woher denn die "Machtlosigkeit" der Friedensbewegung gegen NATO-Beschlüsse kommt, ob nicht vielleicht gar der Drang dieser Bewegung, dauernd "konstruktiv" sein zu wollen statt zu hetzen, was das Zeug hält, mit dafür sorgt, die Macht der Politiker unangekratzt zu lassen - stattdessen der hämische Angriff des "ihr könnt doch auch nichts machen". Und darüber scheint Freund Ludger sogar ausgesprochen zufrieden: "Glücklicherweise ist der Text (unseres Flugblatts) zu lang und teilweise so unverständlich, daß er von den meisten Empfängern gar nicht erst gelesen wird." Ein Vorwurf, den man dem NATO-Doppelbeschluß nicht machen kann: kurz, knapp und so verständlich, daß er von den meisten Leuten gar nicht erst gelesen werden muß, um verstanden zu werden. Unser Korrespondent schließt ehrlicherweise seinen Brief nicht ab, ohne zu benennen, wo die wirkliche Differenz liegt:
"Von Eurem Ziel, Sturz des Systems, will die Friedensbewegung gar nichts wissen. Daher versteht ihr wahrscheinlich auch nicht die Aktionen dieser Woche."
"Verstehen" können wir sie schon, billigen leider nicht!