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Dieser Artikel ist in der MSZ 11-1983 erschienen.

Systematik


DIE ALTERNATIVE ZUR FRIEDENSPOLITIK

Angesichts der Veränderungen, welche die weltweite Friedenspolitik auf dem Lohnstreifen, auf dem Verbotskatalog der Gesetzgeber und auf dem Speisezettel ganzer Regionen hervorruft, hat sich eine Sehnsucht eigener Art entwickelt. Sie gilt dem Zustand vorher.

Angesichts der Veränderungen, welche die Friedenspolitik verheißt, wenn die "Kriegsgefahr" auch für mitteleuropäische Schönfärber keine bloße Gefahr mehr ist,hat sich ein noch eigenartigeres Bedürfnis breitgemacht.

Es gilt dem Leben. Beides ist nicht der Weisheit letzter Schluß.

Der Entschluß, die Verschlechterung seiner und anderer Leute Lage zum Anlaß zu nehmen, die Verhältnisse von gestern nachträglich zu begrüßen, zeugt nur von einer armseligen theoretischen Kunst: der des Vergleichs. Diese Rechnungsart taugt immer zur Relativierung der eigenen Unzufriedenheit, und noch nie hat sie jemand dazu gebraucht, um einer maßgeblichen Instanz die Anerkennung zu versagen, geschweige denn, um ihr das Handwerk zu legen. Vergleiche, räumlich wie zeitlich, der eigenen "Lage" mit der anderer Weltbürger stellen Betroffene an, die sich auch als solche verstehen. Im Klartext: Wer sich nachträglich die "besseren Zeiten" von Wirtschaftswunder und -wachstum so zurechtlegt, als hätten sich Leistung und Mitmachen - verglichen eben mit heute - damals noch gelohnt, hat etwas versäumt. Die Frage nämlich, ob sein bescheidenes Mittun und Auskommen nicht den Zuständigen die Freiheiten verschafft hat, an denen er heute laboriert! Wer nachträglich die "Ära der Entspannung" als eine Politik schätzt, mit der er noch lange und brav ohne Angst hätte leben können, hat etwas übersehen. Die Tatsache nämlich, daß da die Waffen unter seiner Zustimmung akkumuliert worden sind, mit denen die Kritiker der Entspannung heute ihre Politik der Stärke betreiben! Wer gar gemerkt hat, daß der "Ost-West-Gegensatz" mit einem auch auf unsere zivilisierten, europäischen Breiten ausgedehnten Welt- und Atomkrieg schwanger geht, und deshalb im Namen des schieren Lebens um Rücksicht auf die Menschheit nachsucht, ist nicht oppositionell, sondern ganz bescheiden geworden. Ihm ist ebenfalls einiges entgangen: Erstens, daß sich beim weltkriegsträchtigen "Ost-West-Konflikt" Urheber und Adressat unterscheiden lassen - und zwar seit der ersten Stunde der BRD und der NATO. Zweitens, daß besagter Konflikt immerzu kriegerisch ausgetragen wurde. Die einschlägigen Waffengänge wurden nach demokratischem Sprachgebrauch "lokale" oder "begrenzte" Konflikte getauft, weil die Partei der Freiheit immer auch ihre Hauptaufgabe als eine noch zu lösende Angelegenheit betrachtete: daß hinter jeder "Friedenslösung", hinter jedem berechtigten "Eingreifen" und hinter jeder unerträglichen "Teilung" der Russe lauert, wurde deutlich geäußert. Drittens, daß diese gar nicht gemütliche Zeit der "ent"-spannenden Friedenspolitik ebenso auf Kosten der friedliebenden "Bürger" durchschritten worden ist wie die heutige. Sie waren sogar in ihrer demokratischen Dienstbarkeit das Material und Mittel, dar zu praktizieren, was regierende Demokraten so schätzen: Handlungsfreiheit.

Diese Versäumnisse lassen, einmal bemerkt, doch heute nicht zu, Frieden zu murmeln, zu singen, zu beten und zu fordern. Gerade die beargwöhnten Veränderungen, die verantwortliche Politiker und Wirtschafter daheim und auswärts heute verfügen, legen einen ganz anderen Schluß nahe als den, an ihren Respekt vor dem Menschen und dessen Leben zu appellieren.

Wie wär's denn mal mit einer Überlegung ganz anderer Art: denen, die Arbeit und Wählerstimmen, Pflichterfüllung und Gehorsam immerzu fordern, um sie guten Gewissens und unter Berufung auf die ihnen erteilten Befugnisse auszunutzen; die unter "Frieden" ihre Freiheit und den Erfolg der Nation ohne störenden Osten verstehen also einen Feind küren und ihre Untertanen auf seine Beseitigung vereidigen -, denen das Handwerk u legen?

Statt: "Laßt uns und. anderswo leben!" einmal die Parole: "Mit dem Ertrag unserer Arbeit, mit unseren Opfern, die ihr so rührend lobt, läuft nichts mehr!" Statt "Wir wollen Frieden und verdienen ihn als anständige Leute auch!" einmal die Kündigung des "inneren Friedens"! Eine Beendigung aller "Handlungsfreiheit" und "Regierungsverantwortung" durch die, ohne deren Dienste ein Kohl und Reagan, ein Weinberger und Wörner nichts, aber auch gar nichts mehr sind.

Sicher, Kampf ist etwas anderes als konstruktive, friedfertige Kritik. Und Streiks sind auch eine härtere Sache als Händchenhalten bei Ulm. Ganz zu schweigen davon, daß das alles Arbeitersache ist, bei der auch der ganz spezielle Berufseifer von Pfaffen, Liedermachern, Tierschützern und Frauen nichts verloren hat. Aber die Veränderungen, die da zustandekommen, sind allemal denen vorzuziehen, welche die Friedenspolitiker aus den Hauptstädten der Freiheit anrichten! Lieber eine verstaubte Arbeiterbewegung als staubige Menschheitsbetörung, die nicht einmal einen Feind entdeckt - höchstens den verordneten...

Zu einfach?

"Für eine Demokratie wird es niemals irgendeinen Grund geben, einen anderen Staat anzugreifen. ... In allen Teilen der Welt schürt die Sowjetunion den Krieg, um Einfluß zu gewinnen. 140 Kriege haben seit dem Jahr 1945 stattgefunden während dagegen bei uns die Waffen schwiegen. Warum? Weil wir nicht wehrlos waren, weil ein Krieg gegen uns, die NATO-Staaten, nicht gewonnen werden kann." (Friedensforum, Bonn, 1983)

Warum also? Weil "wir" vielleicht seit 1945 so stark sind, daß "wir" überall auf der Welt Krieg führen können, ohne daß "uns" umgekehrt irgendjemand anpinkeln kann. Nicht einmal die Sowjetunion. Das "Argument" "Polen-Afghanistan etc." mögen brave Deutsche einfach nicht umdrehen. Griechenland, Korea, Kongo, Dominikanische Republik, Cuba, Ägypten, Vietnam, Israel, Südafrika, Tschad, Libanon, Falkland, El Salvador, Nicaragua, Grenada.... zu einfach"?