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USA:
WAS IST AUS DEM AMERICAN DREAM GEWORDEN?
Nachrichten wie aus Kalkutta nur nicht unter "Vermischtes", sondern zur besten Sendezeit der Tagesschau und als Schlagzeile in der Presse, eben weil die Meldung von einer drohenden Hungersnot nicht aus Westbengalen, sondern aus Detroit (Michigan) kommt, einer Stadt, bei der man ansonsten an den in Namen wie General Motors und Ford symbolisierten Reichtum denkt. Wie konnte es dazu kommen?
Es ist ja nicht so, daß die USA plötzlich ärmer geworden wären und deswegen die bislang schon Armen von knapper gewordenen Ressourcen ausgeschlossen werden. Der Gouverneur des zuständigen Bundesstaats hat den Notstand zu einem Zeitpunkt beantragt, wo der Kongreß in Washington über das MX-Projekt diskutierte; und strittig dabei war nur, ob sich die Milliarden auch lohnen. Nach wie vor sind die USA der Welt Lebensmittelexporteur Nr. 1, was nur wieder einmal die im übrigen auch für Indien zutreffende Wahrheit zur Anschauung bringt, daß niemand in der Welt des Imperialismus hungern muß, weil es z u wenig zu beißen gibt, sondein ausschließlich deshalb, weil zwischen ihm und seinen Lebensmitteln das Geld steht, das er nicht hat.
Ganz entgegen landläufigen Vorstellungen vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" ist es auch nicht so, daß der Hunger eine in den USA unbekannte Möglichkeit menschlichen Daseins wäre: Auch in ganz "normalen" Zeiten zählen Leute, die sich Nahrung aus den Mülltonnen zusammensuchen, zum Straßenbild Nord-Manhattans und der Southside von Chicago. Die Weltwirtschaftsmacht Nr. 1 hält sich neben der größten Ansammlung von Reichtum von jeher eine Armee von Paupers, angesiedelt in den Ghettos der großen Städte, deren Lebensverhältnisse mehr mit denen in ostasiatischen Slums gemeinsam haben als mit dem notorischen American Way of Life. Neben der Story vom Tellerwäscher, der zum Millionär aufsteigt, weil er seine Chance nutzt, d.h. gebraucht wurde und dann, zu Geld gekommen, von anderen erfolgreichen Gebrauch macht, hat diese Nation eine nicht unerhebliche Minderheit ihrer Bürger, die sich namentlich aus Schwarzen, Puertoricanern - und Latino-Amerikanern rekrutiert, als "totes Gewicht der industriellen Reservearmee" abgeschrieben und somit bis auf den heutigen Tag für Bilder gesorgt, mit denen man MEW 23, 23. Kapitel brandaktuell illustrieren könnte.
Es ist also der gewöhnliche Kampf ums Überleben, den der Kapitalismus in den USA dem Teil seines Menschenmaterials auferlegt, der nicht nur vorübergehend nicht angewandt wird, sondern der auch mit keinerlei Interesse rechnen kann, das sich irgendwann einmal mit seiner Arbeitskraft versilbern möchte, allerdings auf einem neuen Niveau. Und nur das bewegt hiesige Kommentatoren zu geheuchelten Kopfschütteln, während sie das gewöhnliche Elend für einen normalen Bestandteil amerikanischen Lebens halten. In Detroit hat die spezifisch amerikanische Variante des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital samt dem Staat, der dessen Voraussetzungen garantiert, Krisenkonsequenzen gezeitigt, die bisherige Teile der lokalen Arbeiterklasse aufs Existenzniveau von Paupers gebracht und die Pauper unters Existenzminium gedrückt hat.
Während der "Sozialstaat" Marke BRD den lohnabhängig Beschäftigten einen Teil ihres Lohns entzieht, sich dieses Geld als Positiva des Staatshaushalts aneignet und dafür im Falle eines vorübergehenden Verlustes der Brauchbarkeit fürs Kapital = Arbeitslosigkeit eine beschränkte Alimentierung des Arbeiters übernimmt, durch mancherlei Druck und Schikanen dafür sorgt, daß der Arbeitslose durch Verwohlfeilerung öder Anpassung seiner Qualifikation sich wieder brauchbar macht oder in aussichtslosen Fällen eine vorzeitige Verrentung vorsieht, für die auch schon vorsorglich Geld vom Lohn abgezogen wird - während bei uns also der Staat für die Wechselfälle proletarischen Daseins mit dem Geld der Proletarier staatsnützliche Vorsorge trifft, wird dies im "Land of the Free" anders - gehandhabt. Dort lehnt es die Regierung ab, die vom Kapital an seinem Ausbeutungsmaterial hergestellten Folgen zu kompensieren, und befindet sich damit in Übereinstimmung mit der Mehrzahl ihrer arbeitenden Bürger: Wer es geschafft hat, einen Aibeitsplatz in einer großen Automobilfirma oder einem Stahlwerk zu bekommen und zu behalten, dem stehen die Früchte seiner Arbeit auch ungeschmälert durch Sozialabgaben zu, der darf staatlicherseits nicht gezwungen werden, eventuell auch für solche mitaufzukommen, die Entsprechendes nicht vorzuweisen haben und die es deshalb auch nicht verdienen, daß man ihnen etwas schenkt, weil sie nichts verdienen.
Der Pauperismus bei den Unnützen bot bislang zumeist das Vergleichsmaterial, mit dem sich die erfolgreiche = angewandte Lohnarbeit bestätigte, daß es anderen schlecht geht, weil sie Nichtsnutze seien. Für diese gab es Welfare und Knüppelhiebe: Foodstamps und Riots sind der Begriff des Ghetto - folgt man hiesigen Zeitungen, dann gibt's das eine im Winter und das andere im heißen Sommer.
Todesursache Unterernährung und ein paar tote Schwarze "In the Heat of the Night" - das gabs auch vor Reagan. Neu ist jetzt, daß die seit Jahren vor sich gehende "Gesundschrumpfung" der Automobilindustrie in "Motown"-Detroit alle jene Arbeiter auf die Straße setzt, die vorher eben wegen der florierenden Straßenkreuzerproduktion in die Stadt gekommen waren. Die vom Staat bezahlte Arbeitslosenhilfe ist ohnehin nur ein besseres Taschengeld, das nur durch die Zuschüsse aus Betriebsfonds zur Erhaltung von Wohnung, Wagen und Familie reicht, und eben diese Fonds leeren sich radikal mit jedem neuen Dauer-Arbeitslosen, so daß dieser nach einem Jahr auf Welfare angewiesen ist, während gleichzeitig die Regierung zur Finanzierung ihres Rüstungsprogramms die Zahl der Anspruchsberechtigten staatlicher Wohlfahrt drastisch reduziert und bei der Beschränkung der "Leistungen" selbst vor den Foodstasanps nicht halt gemacht hat.
Das gleiche Kapital, das Menschenmassen aus der ganzen Union ansaugte, um sich mit ihrer Arbeitskraft zu vermehren, spuckt sie jetzt wieder aus und der kapitalistische Produktionsprozeß,
"der den Arbeiter beständig zum Verkauf seiner Arbeitskraft, um zu leben, zwingt" (Marx, Kapital Bd. 1, S. 603),
demonstriert ihm jetzt, daß er nicht überleben kann ohne zu arbeiten, was er aber, lohnend nur kann fürs Kapital, weshalb jetzt, wo das Kapital in einer Krise steckt = die Arbeitskraft nicht mehr anwenden will, die Arbeiter für eine Hungersnot sorgen in einer der reichsten Städte im reichsten Land
der Welt. So mußte es dazu kommen.
Reagonomics - Kommentare, Resultate, Perspektiven
Das amerikanische Selbstbewußtsein, immerhin die Ideologie der Weltmacht Nr. 1, gelangt, sofern es sich in der veröffentlichten Meinung zu Wort meldet, auch angesichts von 12 Mio. Arbeitslosen und Hungerepedemien nie und nimmer zu dem Schluß, mit den USA selbst könne irgend etwas nicht stimmen. Die Vorstellung, der Reichtum dieser Nation wäre in Detroit besser anzulegen als in MX, hat nirgends Konjunktur, vielmehr gilt der Verweis, die weltweiten Vorhaben der USA könnten an Problemen eines Teils der US-Bürger ihre Schranke haben, nach wie vor als "unamerikanisch".
Die "New York Times" kritisiert Präsident Reagan damit, daß er Schindluder mit Amerikas Stärke treibe:
"Amerikas Schwächen sind nicht in 1. Linie militärischer Art, wie der Präsident behauptet. Sie sind vor allem ökonomischer Art und in einer Weise, die er verschlimmert hat, geistiger Natur. Da sind zunächst jene, die sagen, das Land könne sich diese Raketen und den Rüstungswettlauf, wie ihn Mr. Reagan vorhat, nicht leisten. Dies meinen sie nicht im wörtlichen Sinn. Amerika kann und sollte sich leisten, was immer es braucht, um sich zu schützen. Was sie wirklich meinen, ist, daß die Nation es sich nicht leisten kann, ihre Schätze zu verschleudern oder ihre Seele zu verkaufen in der Suche nach unsinniger nuklearer Überlegenheit. Sie meinen, daß die Nation nicht all ihre Kräfte in einer Art von Macht konzentrieren sollte, die niemals vernünftig eingesetzt werden kann, während sie menschliche und ökonomische Kräfte vernachlässigt, die hervorragend eingesetzt werden können - gegen eben dieselbe Macht totalitärer Finsternis."
Diese Sorte Kritik stimmt mit dem Präsidenten darin überein, daß Amerika "sich leisten soll und kann, was immer es braucht" - daß sich diesem maßlosen staatlichen Anspruch die Verelendung verdankt, will sich dem Kritiker genau umgekehrt darstellen:
Verelendung gibt es, weil Reichtum verschleudert wird.
Hunger und Hungertote erwecken in US-Bürgern keinen Zweifel an der Richtigkeit des "amerikanischen Traums" und seiner weltweiten Überlegenheit, sie führen vielmehr zu einer Radikalisierung des an sich selbst und gegen andere zu stellenden Anspruchs, die Chance, als die ihm Staat und Ökonomie erscheinen, wahrzunehmen und sich dabei auf die neuen Bedingungen, die eben diese aufmachen, zu "konzentrieren".
Im Kongreß
werden die Reaganomics und ihre Wirkungen als Wahlkampfmunition verhandelt. Mit hierzulande gepflegten Spekulationen, ob sich in diesem Konkurrenzkampf um Macht und Einfluß welche finden, die Reagans Kurs verhindern oder abmildern könnten, hat das nichts zu tun: Wie in allen Demokratien der Welt bekennt sich die Opposition zum aktuellen Programm des Staates und greift das Los der dadurch produzierten Opfer als nationales "Problem" auf, um damit Punkte für die eigene Variante der Duichsetzung eben dieses Staatsprogramms bei den Betroffenen zu machen. Arbeitslosigkeit und Wirtschaftspolitik bringen die Demokraten also deswegen aufs Tapet, um insbesondere enttäuschte, da wirtschaftlich bedrohte Reagan Wähler auf ihre Seite zu ziehen:
"In Peoria haben Reaganomics bis jetzt keinen Preis gemacht. Die Arbeitslosigkeit nähert sich 16% und die Farmer gehen kaputt an den niedrigen Weizenpreisen und hohen Zinsen der letzten Monate." (Newsweek, 1.11.82)
Aber auch die Stillegung der Caterpillar-Tractor-Co., verursacht durch die US-Sanktionen gegen das Erdgas-Röhren-Geschäft, und andere wirtschaftliche Schädigungen haben die Wähler Peorias nicht davon abgehalten, wenn auch mit sehr knapper Mehrheit - ein "Denkzettel für Reagan" -, dennoch wieder den republikanischen Kandidaten zu wählen. In ihrer staatsbürgerlichen "Einsicht", daß "Härten" zur Erfüllung staatlicher Ansprüche unbedingt dazugehören, waren sich alle sowieso einig, der Mehrheit schien die umstandslos harte Tour da noch am "sinnvollsten". Reagan seinerseits verstand sich auf die Anwendung von (in Staaten mit "demokratischei Reife") üblichen Wahlkampfmethoden:
- Neben das tiefgründige Versprechen, der Wähler könne sehr befriedigt sein, weil die Regierungsmannschaft geschlossen hinter seinem Programm stehe, setzte er den für Demokraten so beruhigenden Hinweis, es gäbe aber auch Diskussionen in seiner Partei - da hat doch tatsächlich der Republikaner Michel (Kandidat- für Peoria!) gegen das Reagan-Embargo gestimmt.
- Den Vorwürfen der Demokraten hielt er das berühmte "Argument" entgegen (hat nun Kohl von ihm oder er von Kohl gelernt?), nur die Fehler der vorigen Regierung hätten die ganze Misere verursacht:
"Unsere Kritiker sagen, unsere Wirtschaft ist auf den Knien. Das ist ein ziemlicher Fortschritt, weil sie vor 2 Jahren flach auf dem Rücken lag." (Newsweek 1.11.82)
Solange seine Partei gewinnt, hat er auf jeden Fall recht.
Schnell geeinigt haben sich Regierung und Opposition auf ein Straßenbauprogramm. Die Opposition wollte diese Einigung als ein der Regierung abgezwungenes Zugeständnis behandelt wissen, weswegen sie das Etikett "Arbeitsbeschaffungsprogramm" dafür wollte. Bei der Abstimmung setzte Reagan durch, daß dieser Titel nicht auftaucht, daß es also auch nicht zur Arbeitsbeschaffung taugen soll - und so wird es dann auch sein. Was der Opposition freilich wieder die Möglichkeit eröffnet, über die ungenügende Arbeitsbeschaffung beim Straßenbau zu schimpfen.
Der. demokratische Fraktionsführer im Repräsentantenhaus Tip O'Neill - als "Engel der Armen" von seinen Public-Relations-Assistenten propagiert, Vorstand der nicht unbeträchtlichen Lobby, die an diesem 30-Mrd.-Programm - ein hübsches Geschäft machen wird - stellte für die demokratische Seite verdienstvollerweise klar, daß solche Programme wie auch andere "Zuwendungen" des Staates mit dem Durchfüttern von Hungerleidern nichts zu tun haben: Guten amerikanischen Arbeitern sbll damit eine Chance geboten werden, derer sie sich natürlich würdig erweisen müssen. Sich amerikanische Hilfe zu verdienen, ist für Hungerleider in der "3. Welt" natürlich ausgeschlossen, weswegen sich Tip O'Neill gleichzeitig zur amerikanischen "Arbeitsbeschaffung" vehement für das Zusammenstreichen der Auslandshilfe einsetzte.
Die amerikanischen Arbeiter
denken auch nicht daran, die regierungsamtlichen Drangsale als das zu nehmen, was sie sind, sondern machen sich für "Fairness" stark. Wenn ein amerikanischer Arbeiter kein Auskommen hat, dann hat irgendeiner "unfair" dazwischengepfuscht:
"Wir sind die besten Arbeiter der Welt. We want jobs.",
sagen sie in die Fernsehkameras und geizen nicht mit Ratschlägen, die den Hort der "Unfairness" zielstrebig außerhalb Amerikas entdecken: "
"Hungry? Eat your foreign car!" (Parole der Automobilgewerkschaft in Detroit)
Der öffentlichen Begutachtung, "Unfair ja, aber unvermeidlich", haben sie nur hinzuzusetzen, daß der eigene Staat noch nicht entschieden genug gegen ausländische Störenfriede vorgehe. Einen kleinen Realisierungsvorschlag geben die Automobilarbeiter, wenn sie während einer Demonstration einen Toyota mit Eisenstangen vor den Fernsehkameras zerdeppern.
Einen "War on Poverty", den noch Kennedy und LBJ gegen Schandmale der amerikanischen "Überflußgesellschaft" ausrufen zu müssen meinten, verlangt niemand ernsthaft - die Störenfriede im Innern sind bekannt und werden radikal isoliert.
Die amerikanischen Arbeitslosen
brauchen - nicht mehr welfare, sondern jeder Cent an sie ist eine einzige Ungerechtipkeit gegenüber denjenigen, die durch die schlichte Tatsache, nicht arbeitslos zu sein, zu Genüge beweisen, daß nur sie staatliche Aufmerksamkeit verdienen. Daß der Staat sich um die Arbeitslosen nicht kümmert, ist erstens diesen selbst ein unabänderliches Faktum, mit dem sie leben müssen: Sie haben nun alles an sich zu veranstalten, doch auf irgendeine Weise an einen Job zu kommen. Dafür verwandeln sie sich in Nomaden und durchstreifen Amerika, die dafür erforderliche schlichte Haushaltsführung dient nur der Mobilität. Das Nicht-Kümmern des Staates ergänzt zweitens der amerikanische Durchschnittshaushalt durch entsprechendes Mißtrauen bis hin zur Feindseligkeit gegenüber diesen fahrenden Gesellen. Mit der staatlich gewärten Freizügigkeit haben sie ja schon alle erforderlichen Chancen, alles darüber hinaus unterfällt dem Verdacht der ungerechtfertigten Vorteilssuche und Belästigung. Den Bewohnern von Phoenix steht es zu, sich gegen "die wachsende Zahl nomadisierender US-Bürger, die Jobs und ein besseres Leben in der nächsten Stadt suchen" (New-York-Times, 15.12.82) zu schützen.
"Diese Leute wandern von Kalifornien nach Florida und von Florida nach Kalifornien, und sie alle kommen hier durch, wie die Ameisen, immer auf Achse." (ebenda)
Die parasitären Elendskünste solcher Leute unterbindet man z.B. durch ein Gesetz, das es strafbar macht, sich in der Öffentlichkeit niederzulegen. Ein weiteres Gesetz erklärt
"Abfall zu öffentlichem Eigentum und macht es illegal, darin herumzuwühlen, und es gibt Vorschläge, Müllhalden mit Kerosin zu übersprühen, was die Reste ungenießbar macht, um das Herumstöbern zu verhindern." (New-York-Times, 15.12.82)
Die Texaner empfehlen in ihrer bekannten rauhbeinigen Herzlichkeit unerwünschten Besuchern, sich ihren Abfall in New York zusammenzusuchen und entdecken, eine späte Gelegenheit, den Sezessionskrieg in Erinnerung zu rufen:
"Yankee go home!"
Die einem Amerikaner immerhin noch zugestandene Freizügigkeit trifft für die illegalen Einwanderer aus Mexico und Puerto Rico nicht zu und sie werden wie die Kaninchen gejagt:
"Principally semi-skilled, blue-collar jobs, that pay more than the minimum wage" (Newsweek, 11.5.),
stehen grundsätzlich nur noch amerikanischen Arbeitern zu - aber es gibt auch Kritik. Wenn sich der Leiter der "Project Jobs", einer Einrichtung der Einwanderungsbehörde, verteidigt -
"Wir sind nicht hinter Erdbeerpflückern oder Kellnern her. Eine Frage, die wir uns stellen, ist: Würden Amerikaner diesen Job nehmen? (Newsweek, 10.5.82) -,
dann sind seine Kritiker ausgerechnet die - Kapitalisten. Die haben weiterhin ein Interesse an solchen "indocumendados", haben sie doch genügend Jobs anzubieten, die - bislang! - nicht einmal die "boat people" annehmen wollten. Ein Gesetz, das die Beschäftigung Illegaler den Kapitalisten verbieten wollte, ist also auch abgeschmettert worden. Schließlich leidet das Kapital schon genug unter der Arbeitslosigkeit: Bei den Gasgesellschaften häufen sich die "uneinbringbaren" Schulden von Abnehmern, und ihre Angestellten kriegen es beim Eintreiben mit rabiaten Mietern zu tun; so daß die "Veränderung des Auszahlungsmodus von staatlichen Energiebeihilfen erwogen wird" - nämlich gleich an die Gasgesellschaften.
Lichtblicke gibt es auch. Die neue Mobilität der US-Bürger hat die Bauwirtschaft zur Erfindung neuartiger Behausungen inspiriert, "die etwas mehr als nur Container sind". Wahrscheinlich haben sie ein Fenster.
Die Moral
feiert angesichts dieser absoluten Trennung zwischen (noch) nützlich zu gebrauchendem und unnütz vergammelndem Menschenmaterial natürlich die schönsten Triumphe.
Was ist schon Helmut Kohl mit seinem matten "Wir müssen die Ärmel hochkrempeln wie nach dem Krieg" gegen den original-amerikanischen Pioniergeist. Der hat es im Überlebenskampf früh zum Scheunenbauen und Bienenzüchten gebracht, mit welchen Tugenden heutzutage ein Obdachloser sich lässig durch die Rocky Mountains schlagen könnte: Präsident Reagan weist seine Mitbürger darauf hin, daß Mildtätigkeit seine Wurzeln "im einfachen Sich-Kümmern um den Nachbarn hat", und hat sich außerdem zwei Beratergruppen zur Erforschung des Pioniergeistes gemietet. Die erste hat das mit den Scheunen und Bienen rausgekriegt, die zweite versendet an 5000 Radiostationen Kopien von Pat Boone's Platte "Lend a hand, America" (Newsweek, 3.1.).
Dann gibt es auch viele kritische Menschen, die sich nicht gegen amerikanische Ökonomie und Staatsgewalt, dafür aber umso mehr über den inneren Schweinehund empören:
"'Diese Leute verhalten sich gegenüber den Obdachlosen, wie man es tun würde, wenn man Ratten loswerden will', sagte Dan Burke, ein Sozialarbeiter." (New York Times, 16.12.82)
Die Kapitalisten, die die Leute verschleißen und ausstellen, und der Staat, der sie gewaltsam in ihrem Elend festhält, sind damit nicht gemeint, sondern all diejenigen, die sich nicht für die private Verwaltung der Armut ganz und gar verantwortlich erklären, die also den "pursuit of happiness" genau so betreiben, wie er gemeint ist, und am Sonntag ihr Scherflein spenden. Wünscht sich dieser Dan Burke etwa eine von Mutter Teresa im Beisein der First Lady Nancy durchgezogene Armenspeisung in der Metropolitan, mit TV-Live-Übertragung und anschließender Wahl der Miß Obdachlos?
Der nobel gesinnte Geist geht schließlich sogar so weit, sich zu verwundern. Wie "Reader's Digest" schon seit Jahrzehnten weiß, gibt es "Menschen wie du und ich", und davon befinden sich tatsächlich welche unter den Arbeitslosen:
"Zu lange haben wir geglaubt, daß Obdachlose es vorziehen, auf der Straße zu leben. In den meisten Fällen ist dies einfach nicht der Fall. Die meisten ziehen nicht U-Bahn-Wagen, Toreingänge und Parkbänke sauberen Betten vor. Sie würden lieber drei warme Mahlzeiten am Tag essen, als in Mülltonnen herumwühlen." (Herald Tribune, 17.12.82)
Die "Realisten" unter den Fanatikern der Wohltätigkeit erkennen freilich auch die schweren Probleme:
"...stellt die schwierige Beziehung zwischen Steuern und Wohltätigkeit die Politiker (!) vor nicht enden wollende Probleme. Wenn sich - wie Präsident Reagans Beraterstab für den privaten Sektor vorschlägt - die individuellen Beiträge zur Wohltätigkeit bis 1986 verdoppeln würden, bestünde ein beträchtlicher Teil dieses Betrags aus (entfallenden) Einkommenssteuern, und das zu einer Zeit, in der das Budget bereits ernsthaft aus dem Gleichgewicht ist." (Newsweek, 3.1.)
Die Aussichten
sind beruhigend - für die Staatsorgane. Zwar soll es Bürgermeister geben, die sich Sorgen machen -
"Mit Arbeitslosigkeit auf Nachkriegshöhe und gestrichenen Sozialprogrammen machen sich die US-Bürgermeister Sorgen über Unruhen auf den Strassen" -,
aber die eigene Geschichte gibt Hinweise genug für die Stabilität des amerikanischen Traums:
"Wenn die Angst um die wirtschaftliche Existenz der einzige Katalysator wäre, wäre die große Depression ein Holocaust gewesen." (Newsweek)
Außerdem hat man nagelneue Erkenntnisse der Soziologie in die lokale Unterdrückung und Verwaltung des Elends eingebaut:
"Mehr Minderheitenvertreter in der Lokalpolitik",
und neben vielen schwarzen Polizisten gibt es ja auch noch die Nationalgarde. Sie steht bereit zum Einsatz, wie unlängst in Miami (Florida), wenn irgendwelche "unamerikanische" Elemente nicht einsehen wollen, daß ein "Gefühl der Hoffnungslosigkeit" genau das passende Komplement zur "Hoffnung der Nation" ist:
"Reagan-Berater erwarten keine größeren Ausbrüche in diesem Sommer. Kalifornien und das Weiße Haus erinnern sich lebhaft an die Unruhen in Watts, die zu Zeiten des Booms stattfanden."
"In einer Rezession, wenn Leute erwarten, daß alles schlecht aussieht, hat man manchmal nicht soviel Probleme wie während Zeiten 'ökonomischer Expansion, wenn die Erwartungen hochgesteckt sind', sagt ein Regierungsbeamter... Wenn das stimmt, könnte ironischerweise das Gefühl von Hoffnungslosigkeit die beste Hoffnung der Nation sein, das Feuer diesmal abzuwehren." (Newsweek, Mai 82)
Das ist er also, der American Dream 1983:
Die nationale Öffentlichkeit entdeckt, daß auch die wachsende Zahl der von ihm Ausgeschlossenen ihn immer noch träumt, wenngleich er sich nur mehr aus "drei warmen Mahlzeiten am Tag " zusammensetzt.
Die Macher der Nation setzen beruhigt darauf, daß er auch als Alptraum "die beste Hoffnung der Nation" ist.
Lohnpolitik amerikanisch
Daß es dazu ohne weitere Probleme - außer für die Betroffenen - kommen konnte, dafür sorgen nicht zuletzt die US-Gewerkschaften,
ihr Dachverband AFL/CIO und seine "Avantgarde", die Automobilarbeitergewerkschaft UAW (= United Automobil Workers), die für den größten Teil des Detroiter Proletariats zuständig ist.
Eine Schranke zum Schutz ihrer Mitglieder gegen die Maßnahmen von Staat und Kapital stellen sie ebensowenig dar wie der DGB hierzulande; und ihre praktische Politik in den letzten zwei Jahren hat in nichts anderem bestanden als darin, dem Kapital eine Lohnsenkung nach der anderen zuzugestehen. Wenn zwei Jahre nach dem ersten, als "Markstein in der amerikanischen Gewerkschaftsgeschichte" gefeierten Lohnkürzungsabschluß bei Chrysler die Regierung in der Autometropole Detroit den Hungernotstand ausruft - ausgerechnet in der Stadt also, in der die UAW in den Jahren zuvor die höchsten Löhne und betrieblichen Sozialleistungen in den USA erstritten hat und ein arbeitsloser Autoarbeiter nach einem Jahr Arbeitslosenhilfe auf Welfare angewiesen ist, seine Wohnung verliert und seine Familie nicht über Wasser halten kann, dann läßt sich unschwer erkennen, was an den "Erfolgen" und an den "kämpferischen" Qualitäten dieser Arbeiterorganisation dran ist.
Wenn gerade die großen amerikanischen Gewerkschaften sich im letzten Jahr gegenüber den Forderungen des Kapitals nach Lohnkürzungen, Leistungssteigerungen, "flexibleren" job rules und Entlassungsmodi äußerst kooperativ gezeigt haben, dann haben sie mindestens ebensoviel betriebs- und volkswirtschaftliches Verantwortungsbewußtsein wie ihre westdeutschen Kollegen gezeigt; allerdings noch weniger dafür bekommen als vergleichsweise der DGB: Die Reagan-Regierung praktiziert seit Amtsantritt jenen "Eingriff in die Tarifautonomie", den die Kohl-Genscher-Administration erstmals im Fall ARBED-Saarstahl erfolgreich durchgeführt hat, nur um einen Zahn härter. In den USA legt die Regierung nicht einmal mehr auf die Beteiligung der Gewerkschaften an der Durchsetzung des "Sparprogramms" wert, vielmehr droht sie der Gewerkschaftsmacht in den Betrieben mit dem Einsatz der Staatsgewalt und weiß dabei die Schwächung der Unions, die die wachsende Zahl arbeitsloser Gewerkschaftsmitglieder mit sich bringt, für sich zu nutzen.
Das regierungsamtliche Verbot des Streiks der Maschinisten bei den amerikanischen Eisenbahnen und das Dekret an die Gewerkschaft, die bereits mit anderen Einzelgewerkschaften abgeschlossenen Tarifvereinbarungen zu übernehmen, sprechen eine deutliche Sprache hinsichtlich der Entschlossenheit der Reagan-Administration, eine "Störung des Wirtschaftsablaufs" durch Streiks nicht zuzulassen; und das Kapital erpreßt die Gewerkschaftem ungehemmt mit der Drohung, ganze Werke einfach dichtzumachen, wenn sie nicht klein beigeben: Die amerikanische Stahlindustrie hat von sich aus das Streikverzichtsabkommen, das sie vor 10 Jahren den United Steel Workers ( USW ) abgerungen hatte, mit dem Hinweis gekündigt, sie hätten einen Streik in der Stahlindustrie gegenwärtig weniger zu fürchten als die USW.
Die amerikanischen Gewerkschaftsführer ziehen aus dieser Kampfansage nur einen Schluß: Sie müssen alles dafür tun, daß das Kapital Erfolg hat, also ihre Mitglieder weiterhin und vermehrt braucht und benutzt, damit sie - verrückte Logik! - wieder vom Kapital für die Arbeiter etwas rausschlagen können; wann, steht allerdings eingestandenermaßen in den Sternen. Dafür opfern sie einerseits alles, was sie für ihre Mitglieder in den letzten Jahren erreicht haben; dafür gehen sie aber auch verstärkt dazu über, sich als Organisation über Beteiligung am management, Einsicht in die Bücher, Vereinbarungen zur Gewinnbeteiligung in den Betrieben selbst zu verankern - also die durchaus zynische Kalkulation anzustellen, daß ihr Einfluß als Gewerkschaft doch nicht deshalb schwinden müsse, weil ihre Mitglieder von ihr nichts haben.
Lohnformen made in USA
Ihrem Prinzip sind die amerikanischen Gewerkschaften in den letzten zwei Jahren also durchaus treu geblieben: aus der Leistung, die das jeweilige Unternehmen seiner Belegschaft abverlangt, einen Anspruch auf Beteiligung an dessen Erfolg abzuleiten. Die Gleichung, der die Gewerkschaften - allen voran die UAW - Geltung verschaffen wollten, hieß: erfolgreiche Benutzung = Existenzsicherung. Und dem Idealismus eben dieser Gleichung fallen ihre Mitglieder jetzt zum Opfer.
Abzulesen ist dies sowohl an den Lohnbestandteilen, die die UAW durchsetzte, als auch an der Art und Weise, wie sie und ihre Schwestervereine diese jetzt zu Lohnsenkungsangeboten nutzen.
Lohngleitklauseln waren das erste Zugeständnis des amerikanischen Autokapitals nach dem 2. Weltkrieg dafür, daß die UAW bereit war, die Laufzeit der Tarifverträge erst auf 2, dann auf 3 Jahre zu verlängern. Das Prinzip dieser Zahlungen - Verknüpfung periodischer Lohnerhöhung mit der offiziellen Inflationsrate -, die zusätzlich zu jährlichen prozentualen Lohnerhöhungen bezahlt wurden, ist das Zugeständnis des Kapitals gewesen, für die längerfristige Kalkulierbarkeit des Lohnkostenfaktors zu bezahlen. Jetzt - bei Beibehaltung der längeren Tarifvertragslaufzeiten - versuchen amerikanische Unternehmer erfolgreich, sich von den ihnen abgehandelten Kompensationsleistungen dafür zu dispensieren. Ihr Angriff setzt folglich auch überall da an, wo seither entsprechende Regelungen 'durchgesetzt worden sind - einfach deshalb, weil sie ziemlich bald mitkriegten, daß die Gewerkschaften in Sachen Cost of Living Adjustment (COLA) am ehesten zu Zugeständnissen bereit waren; nach dem Motto: Das ist ja sowieso nur ein Lohnbestandteil, den man dem Kapital nur solange abverlangen kann, wie sein Geschäft ihm die Zahlung von Lohnerhöhungen "unabhängig von der Leistung" erlaubt. Als könnten es sich die amerikanischen Arbeiter lässig leisten, von ihren Lohn immer weniger kaufen zu können, wird seit dem ersten "epochemachenden" Lohnverzicht bei Chrysler COLA nur noch als Manövriermasse für Lohnsenkungen verhandelt: Auf wieviele Anhebungen wird verzichtet; wird eine Begrenzung nach oben eingeführt; Verknüpfung von COLA mit der Gewinnhöhe sind einige der Varianten, mit denen die Gewerkschaften sich dem "Argument" des Kapitals beugen, daß es sich die Lebenshaltungskosten der Arbeiter nicht mehr leisten will. Und auch die Umkehrung des "Geschäfts", das die UAW dereinst abschloß, gibt es inzwischen:
"In der Mineralölwirtschaft konnten die Gewerkschaften jährliche Neuverhandlungen über die Lohn-, Krankenversicherungs-, und Urlaubsregelungen als Gegenleistung (!!) für den Verzicht auf eine Lohnanpassungsklausel durchsetzen." (The AFL-CIO Federationist, August 1980)
Auch in den zuerst von der UAW 1955 durchgesetzten Supplemental Unemployment Benefits (SUB = ergänzende Arbeitslosenunterstützung) reflektiert der Standpunkt der Gewerkschaften, daß für diejenigen - aber auch nur für die! -, die das Kapital benutzt, zu gelten hat, daß sie auch dann von ihrem Lohn leben können müßten, wenn das Kapital sie vorübergehend nicht benötigt. Das jeweilige Unternehmen führt einen als Lohnbestandteil geltenden Betrag an einen Fonds ab, aus dem bei zeitweiliger Ausstellung den Arbeitern bis zu 90% ihres Lohnes weitergezahlt wird. Dies die amerikanische Form, die Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb eines Betriebs zu befördern: Je nach Bedarf des Kapitals Freisetzung von Arbeitskraft, die dem Betrieb als jederzeit wieder verfügbare Reserve verbunden bleibt und Wiedereinsatz, wenn es sich lohnt, wobei die Arbeiter zu Zeiten ihres vollen Einsatzes die Spesen für ihre temporäre Stillegung vorschießen müssen. Unterstellt ist dabei, daß die staatliche Arbeitslosenunterstützung nie und nimmer auch nur halbwegs zum Leben reicht. Anstelle des staatlichen Zwangs, mit einem Lohnbestandteil für die eigene Einkommenslosigkeit geradestehen zu müssen, treten die Gewerkschaften selbst als "Sozialversicherungs"agenten auf den Plan, kalkulieren also fest damit, daß ihre Mitglieder vom Kapital entlassen werden und daß sie nie und nimmer selbst die Mittel haben, sich dann über Wasser zu halten. Den Standpunkt des Kapitals, daß Löhne, ob ausbezahlt oder für spätere Eventualitäten einbehalten, Kosten sind, teilen die Gewerkschaften dabei voll und ganz. In ihrer Angabe der jeweils rausgeholten Tariferfolge addieren sie ganz ungezwungen Tariflohnerhöhungen, COLA und "benefits", als sei es für die Arbeiter dasselbe, ob sie mehr Geld in der Tasche haben oder es für Zeiten zwangssparen müssen, wo das Kapital sie nicht benutzen will. Eine der Härten dieses Systems für die Arbeiter besteht darin, daß sofort für sie nichts mehr drin ist, wenn das Kapital wie gegenwärtig die Produktion dauerhaft eingeschränkt und/oder radikal iationalisiert. Ohnehin sind Höhe und Dauer der Auszahlung der Gelder bei Arbeitslosigkeit davon abhängig, wie lange der betreffende Arbeiter im Betrieb arbeitet, wieviele "Beiträge" er also akkumuliert hat: Diese Regelung zusammen mit dem gewerkschaftlich durchgesetzten seniority-Prinzip, nach dem die zuerst entlassen werden, die zuletzt eingestellt wurden, sorgte bislang dafür, daß der Fonds nie überstrapaziert wurde. Jetzt, wo 23% der Autoarbeiter und eine fast ebensogroße Zahl Stahlarbeiter arbeitslos sind, tritt diese "Zusatzversicherung" den Beweis an, daß sie nie dafür gedacht war, für den Lebensunterhalt von Arbeitern zu reichen:
"Die Ergänzungsfonds, aus denen Arbeitslose bis zu 235 Dollar pro Woche erhielten, sind in vielen Betrieben zahlungsunfähig geworden." (Business Week, 12.7.82),
weiß die Unternehmerzeitschrift über die Stahlindustrie zu berichten - für die Stahlarbeitergewerkschaft allerdings keineswegs ein Grund, von den entsprechenden Kapitalen eine Aufstockung zu verlangen, sondern dafür, sich um die Gesundheit der Unternehmen Sorgen zu machen.
"Solidarity forever"
Daß dort, wo das Kapital sagt: 'Jetzt ist aber euer Geld alle, also gibt's für ca. 90000 entlassene Stahlarbeiter nur noch die staatliche Arbeitslosenhilfe oder welfare', vom Kapital billigerweise auch nichts mehr zu holen ist, hat die amerikanische Stahlarbeitergewerkschaft, zumindest in ihrer Führung, sofort eingesehen. Eine zwischen USW-Führung und den Großen Acht der amerikanischen Stahlindustrie im November 1982 abgeschlossener Tarifvertrag sah vor: Verzicht auf zwei COLAs, Senkung der Sonntagszuschläge, Verkürzung des Urlaubs; darüber hinaus aber eine weitere Lohnkürzung von 75c die Stunde, die in den Fonds für die entlassenen Stahlarbeiter fließen sollten - solidarity forever!
Die lokalen - Gewerkschaftsführer lehnten dieses Abkommen allerdings ab: Der Demonstration ihrer Führer, daß die Gewerkschaft auch für ihre entlassenen Mitglieder etwas tut, mochten sie als Repräsentanten der arbeitenden Mitglieder nicht folgen. Praktischen Nutzen für die Belegschaften bringt dieser Standpunkt allerdirigs wenig - so sehr diese auch beeindruckt sein mögen von der "Standfestigkeit" ihrer örtlichen Vertreter. Wenn ihr es so nicht wollt, wir können auch anders, hieß die Botschaft der USW-Führung:
"Wir wissen, daß es einigen der großen Firmen schlecht geht. Wenn ich eine solche Firma wäre, würde ich zu meinen lokalen Gewerkschaftsführern und zu dem Bezirksdirektor gehen und sie um Verhandlungen bitten. Das wäre das Ende nationaler Tarifverhandlungen, aber unsere jnngs haben uns das eingebrockt." (Joseph Odorcich, Vizepräsident von USW)
Und da die Stahlindustrie weiß, daß sich die USW ihrem rabiaten Umgang mit den Stahlarbeitern nicht in den Weg stellen will, ergreift sie entsprechende Maßnahmen in Sachen job rules, Rausschmiß von Kranken und Lohnkürzungen eben ganz autonom:
"Die Unternehmen sind entschlossen, die Kosten zu senken durch die Zusammenlegung von Arbeitsplätzen und die Reduzierung von Abteilungen. Und einige Stahlunternehmen führen diese Änderungen einseitig durch, wenn es auch nur die geringsten Anzeichen gewerkschaftlichen Widerstandes gibt." (Business Week, 6.12.1982)
Deshalb wird es für die Gewerkschaft selbst zum Ärgernis, daß ihre Verhandlungsmacht gegenüber dem Kapital nach wie vor darauf beruht, daß die Arbeiter irgendeinen Nutzen in ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft erkennen können: Zum Löhne senken brauchen sie schließlich keinen eigenen Verein. Manch örtlicher Gewerkschaftsfunktionär bastelt an seiner eigenen Gewerkschaftskarriere, indem er sich der "Konzessionspolitik" der Führung gegenüber intransigent zeigt und der Gewerkschaft so ihre Basis im Betrieb erhält. Die höheren Gewerkschaftspolitiker hingegen setzen darauf, für und mit den Demokraten die nächste Wahl zu gewinnen: Auf der letzten convention der AFL/CIO wurde eine Beitragserhöhung für verstärkte Wahlkampfwerbung beschlossen. Obenan auf ihrem Wunschzettel an eine demokratische Regierung: ein zentralstaatliches Verbot gegenüber den Einzelstaaten, bei sich das Prinzip des closed shop zu untersagen, also die Verankerung der Gewerkschaft in den Betrieben über die Verpflichtüng für jeden Neueingestellten, der Gewerkschaft beizutreten. Eins steht für amerikanische Gewerkschafter nämlich außer Frage: Wie schlecht es auch der amerikanischen Arbeiterklasse gehen mag, eins darf ihr nicht genommen werden: die Freiheit des Zusammenschlusses:
"Die Freiheit des Zusammenschlusses ist das tragende Prinzip der Gewerkschaftsbewegung, der Schutz und das Gerüst für den gesamten Bereich der Menschenrechte. ... Die Freiheit des Zusammenschlusses war eine der ersten Forderungen der 'Solidarität', und mit ihrem Sieg begann die polnische Gesellschaft, sich zu öffnen." (AFL/-CIO, Aufruf zum Labor Day)
So gut wie die amerikanischen Arbeiter müßten es die Polen eben auch mal haben!