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Faschistische Machtergreifung - demokratische Machtausübung
VERHINDERT DIE DEMOKRATIE DEN FASCHISMUS?
Weimar hat es jedenfalls nicht geschafft, heißt es. Wenn es mehr Wirtschaftswachstum gegeben hätte, die Demokraten gehorsamere Untertanen gewesen wären, die Regierung mehr Autorität besessen hätte, die Parteien nicht so zerstritten gewesen wären, Brüning rechtzeitig mit dem Ausnahmezustand Ordnung geschaffen hätte - kurz, wenn die Demokratie so geschlossen, rücksichtslos und erfolgreich gewesen wäre, daß jeder Nationalist mit ihr zufrieden hätte sein können, dann hätte Hitler keine Chance gehabt. Darin hätte es ihn nicht gebraucht, heißt das doch wohl!
Illusionen über demokratischen Widerstand werden also nicht gerade verbreitet, auch wenn man von der Vorstellung, es sei die vornehmste Bestimmung der Demokratie, eine faschistische "Gewaltherrschaft" zu verunmöglichen, nicht lassen will. Die bei Weimars demokratischen Parteien herrschende Auffassung, die Demokratie müsse saniert werden, will man nicht so begreifen, daß die Auseinandersetzung mit den Faschisten der Parteienkonkurrenz um die besten Methoden der Konsolidierung der Staatsgewalt - ihrer Befreiung von allen Massenansprüchen und ihrer Stärkung in der internationalen Staatenkonkurrenz - entsprang. Dafür hat man Verständnis. Das Versagen soll nämlich genau in dem liegen, was die faschistische Kritik so beflügelt und die Demokraten so wenig widerstandswillig gemacht hat: Die parlamentarische Demokratie war kein unbeschränkt taugliches Instrument erfolgreicher deutscher Herrschaft - insofern mußte der Faschismus ja kommen.
Die BRD ist dagegen eine rundum gelungene Demokratie, woraus sich die zufriedene Kritik an Weimar speist. Verhindert sie also den Faschismus? Nein! Sie macht ihn überflüssig, indem sie ihn tagtäglich praktisch an seinen eigenen, an ihren eigenen Herrschaftskriterien blamiert. Das allein gibt ihr recht und bannt die "faschistische Gefahr", vor der sich nur Demokratieidealisten fürchten.
Die demokratische Volksgemeinschaft
"Die Regierung allein kann nicht aus der Krise führen, dazu bedarf es der Mitarbeit aller... Aus vielen Gesprächen und Briefen weiß ich, daß sie dazu bereit sind, sich diesen Aufgaben zu stellen... Die Bundesrepublik Deutschland hat die Kraft zur Erneuerung... wir stehen im neuen Jahr vor großen Aufgaben und vor schwierigen Entscheidungen. Wir stellen uns diesen Herausforderungen mit Mut und Entschlossenheit. Miteinander werden wir die Zukunft meistern. Wir haben Grund zur Zuversicht, wenn wir uns auf die moralischen Grundlagen unseres Volkes besinnen." (Kohl, Silvesteransprache)
"Die Regierungspolitik von CDU und CSU wird Deutschland wieder in Ordnung bringen." (Wahlplakat der CSU)
"Nun kommt es darauf an, daß wir die schweren Entscheidungen gemeinsam tragen. Über den richtigen Weg gibt es unterschiedliche Meinungen. Das ist ganz natürlich. Aber wir sollten uns gegenseitig den Friedenswillen nicht absprechen... Stehen wir zusammen!" (Carstens, Weihnachtsansprache)
Das ist demokratischer Staatskult 1983: die Beschwörung einer Krise Deutschlands, ohne die Sorge, deutsche Nationalisten könnten das Vertrauen in die Politiker verlieren; die Ausrufung des nationalen Notstands, ohne Aufkündigung der Solidarität unter den konkurrierenden Herrschaftsfiguren; die Verkündigung einschneidender Maßnahmen, ohne die Befürchtung, dagegen könne sich irgendein Widerstand regen; die Berufung auf die Moral des Volkes, ohne das Versprechen, sie anders zu strapazieren als durch Regierungsbeschlüsse von oben und alltäglichen Gehorsam von unten; die Verkündigung einer Erneuerung der BRD zu einem starken und ordentlichen Staat ohne eine Änderung im Inhalt der Politik; der Appell an die Volksgemeinschaft, das unterschiedslose "wir", ohne Kritik an der Kompetenzverteilung zwischen Staat und Kapital, also Geschäft und Gewalt, an der Parteienkonkurrenz, an Interessensgruppen; kurz: der Anspruch auf den fürs Volk kostspieligen Erfolg der Nation ohne den Zweifel, das demokratisch regierte Volk könnte dem im Wege stehen, müßte durch die Agitation erst noch zu wirklichem Opferwillen bereit gemacht und die Herrschaft zu ihrem rechten Einsatz erst noch befähigt werden. Was da über Inhalt und Zweck der Politik ausgesprochen und dem Volk als sein innigstes Streben, seine bessere Einsicht und sein guter wahrer Charakter zugeschrieben wird, dem die Volksvertreter entschieden gehorchen, das könnte ziemlich wörtlich der politischen Kampfschrift Hitlers gegen die erste deutsche Demokratie entnommen sein: Jeder nach seinem Stande für die Größe Deutschlands, opfervoller Dienst des Volkes für nationale Stärke und entschlossene Politik, die für die ordentliche Schaffung und Benutzung der Opfer einsteht. Aber dieses Programm wendet sich nicht polemisch gegen die demokratischen Verfahrensweisen, es bedient sich ihrer; kritisiert nicht einmal glaubwürdig und grundsätzlich die vergangene Regierung, wenn sie ihr Versagen und Mißwirtschaft vorwirft, sondern knüpft an ihre Leistungen an; ist also nicht aus der Unzufriedenheit mit den Leistungen der zweiten deutschen Demokratie gebören, sondern Ausdruck einer Unzufriedenheit, die sich aus der gelungenen demokratischen Machtausübung speist. Es ist eine Selbstverpflichtung der Demokratie durch ihre Verwalter, die erreichte Freiheit im Umgang mit dem Volk, die durchgesetzte Dienstbarkeit der Privatinteressen nach Kräften und einseitig weiter zu benutzen. Erfolgsgewißheit und Selbstsicherheit der Souveränität ist Motor der Kritik und des Lobs - und das leider zurecht.
Denn wenn demokratische Führer so unverfroren jede Illusion über Demokratie dementieren, und mit dem Verweis auf die Leidtragenden ihrer Politik nichts versprechen außer Deutschlands Fortschritt und die Bewältigung seiner von oben verkündeten Probleme, dann sind Erwartungen an irgendwelche Vorteile durch die Politik bestenfalls offiziell beschworene Erinnerungen daran, was alles nicht mehr geht, d.h. nicht zu erwarten ist. Dann sind die Privatinteressen also längst so vollständig politisiert, daß sie sich streng im Rahmen des jeweils Erlaubten und Gebotenen betätigen. Dann ist die Trennung der Politik von Vorstellungen und Erwartungen derjenigen, die für sie einzustehen haben, so weit gediehen, daß sich die Meinung über Politik ganz nach deren Maßstäben richtet und deswegen auch bloße Meinung ist. Dann ist also das Volk reif für die Demokratie und diese deswegen die bequemste und effektivste Weise, ein Volk für den Staat einzusetzen.
Dann ist die Konkurrenz zwischen Kapital und Arbeit unbeschadet ihrer stets einseitigen Ergebnisse zum selbständigen Werk ihrer Agenten im Rahmen staatlicher Regelungen gemacht. Dann versichert sich die Politik der Zustimmung der Untertanen, um unabhängig von ihr zu regieren. Dann ist ein Volk nämlich für jede Herrschaft brauchbar, seine "Einsicht" in die verkündeten Notwendigkeiten der Politik und der Wirtschaft also eine Produktivkraft und ein Herrschaftsmittel. Dann erweist sich die scheinbare Relativität und Bedingtheit demokratischen Regierens als seine wahre Stärke.
Meinungsbildung - reif Für die Demokratie
Was ist schon die öffentliche Akklamation für den größten Führer aller Zeiten gegen die tagtägliche aufgeregte Debatte, wer aus dem Arsenal der Führüngspersönlichkeiten denn nun wirklich allen Ansprüchen an eine anständige, rücksichtslose und nur von Verantwortung für die Nation beseelte Staatsleitung genügt. Wie läßt sich eine staatsfromme Meinung besser garantieren als durch die beständig erzeugte und beruhigte Sorge um die Qualitäten der Figuren, die damit anerkannterweise nichts anderes zu tun haben, als das politisch Gebotene zu verwalten, durchzusetzen und zu repräsentieren. Und wie ist der beständig wahrgenommene Gegensatz des politischen Geschäfts gegen die eigenen Wünsche nach einem erträglichen Leben besser zu befrieden, als durch ein umfassendes Angebot kritischer Einwände und frei veröffentlichter Meinungen: Einwänden und Meinungen, welche die hohen Herren in Bonn ganz selbstlos an lauter Tugenden wie Durchsetzungsfähigkeit, Glaubwürdigkeit, Sachkenntnis in Herrschaftsfragen, Vertrauenswürdigkeit, kurz, an all den Insignien personifizierter Gewalt messen (und sich im Zweifelsfall blamieren lassen ), die Hitler von seiner Öffentlichkeit ganz fraglos zugesprochen werden mußten. Geschmäcklerische Distanz und deswegen auch ehrliche Begeisterung für die jeweiligen Größen, das macht zwar für das gemeine Volk wenig Unterschied zum verordneten Totallob seines Führers aus, läßt ihm aber ganz jenseits der für selbstverständlich erklärten Maßnahmen die freie Wahl, welchen Repräsentanten es bevorzugt, weil - und so daß - es sie alle achtet. Und für die anspruchsvolleren Staatsgeister aus den Reihen der verantwortungsbewußten Elite eröffnet es den Genuß, Gesinnungstreue ohne Unterwürfigkeit zu üben, sich begründete Einsicht in die staatlichen Notwendigkeiten zugutezuhalten, diese Notwendigkeiten also für fraglos begründet zu erklären, gerade weil man im kritischen Räsonnement über die Macher sich nicht umstandslos mit ihnen einverstanden erklärt.
Daß im Faschismus jede Meinung verboten, tagtäglich beschnüffelt und verfolgt worden wäre, ist ebenso eine Lüge, wie die Umkehrung, aus der sie sich speist, daß in der Meinungsvielfalt demokratischer Öffentlichkeit alles erlaubt und respektiert würde. Wo gemäß den erlaubten Kriterien erfolgreicher Politikbeurteilung diskutiert und spintisiert wird, da muß nichts verboten werden, auch und gerade weil das rechtliche Arsenal für die Unterscheidung zwischen mündiger, verfassungstreuer Meinungsäußerung und Verfassungsuntreue und Verunglimpfung vorhanden ist und dann angewandt wird, wenn es für opportun gehalten wird. Demokratische Politiker sind da viel unbescheidener: Sie verordnen keinen Beifall, sondern treten als bevorzugte Objekte und Mitmacher im Kreis der Meinungsprofis auf, lassen sich frei nach ihren Sorgen und Ansprüchen befragen, inszenieren gemeinsam mit ihren Journalistenchargen das Schauspiel ehrfürchtiger Fragen und anmaßender Antworten und machen so aus der Öffentlichkeit eine Demonstration, daß ihre Sorgen zählen, geteilt werden und angeblich daher verpflichtend sind. Sie reihen sich in die Schar der Kritiker ein und verkünden so, mit der Autorität der Macht und beständig von den pluralistischen Medien in ihren Grundsätzen affirmiert, die gültigen Maßstäbe ihres Handelns viel glaubwürdiger und fester, weil scheinbar viel bescheidener und unverbindlicher als ein Hitler, der sein Volk mitreißt, den Intellektuellen aber die Freiheit zum unterwürfigen Meinungsopportunismus gar nicht gewährt. Daß Kohl, Schmidt et alii deswegen auf Ehrfurcht und Hochachtung weniger Wert legen würden, ist allerdings eine Legende. Der demokratische Trick, den Inhalt der Politik zur fraglosen Notwendigkeit, ihre Ausführung aber zur mehr oder weniger gelungenen persönlichen Kunst zu stilisieren, erlaubt ja gerade erst so richtig die gelungene Selbstdarstellung politischer Profis. Und kritikloser kann man das Geschäft der Gewalt gar nicht anerkennen als wenn man noch die durchschauten Methoden der Konkurrenz um die Macht zu dem eigentlichen Feld erklärt, auf dem sich die Kunst und'die Fähigkeit eines Politikers erst so recht beweist. In jedem Kommentar über den öffentlichen Streit zwischen Figuren der verschiedenen Parteien gehen die Härten der Ideologien und vor allem die Härten des damit bekundeten politischen Handelns um so selbstverständlicher durch, als solche Äußerungen gerade zu bloß taktischen, parteipolitisch aufgebauschten Differenzen auf der notwendigen Grundlage gemeinschaftlich eingesehener und akzeptierter Sachnotwendigkeiten verharmlost werden. Mit sicherem Gespür für die Freiheit der ideologischen Worte, wenn die praktischen Taten für unumstößlich und unausweichlich gelten, wird da um Alternativen gestritten, die keiner mehr für welche hält. Wenn die SPD ihre Politik mit "leider" unabweisbaren Sachzwängen anpreist, die Härte erfordern, oder wenn die CDU für dieselben Maßnahmen mit den wahren Werten und der neuen geistigen Führung wirbt, die sie übernommen hat, dann ist dieser Schaukampf der Ideologien also keineswegs nutzlos. Erstens wird so der Schein einer freien Entscheidung zum Gehorsam gepflegt, den man längst zwangsmäßig organisiert hat. Zweitens wird dieser Schein mit alternativen Begründungen aufgemacht, die gleichermaßen keinen anderen Inhalt haben als die Verpflichtung auf die Einsicht, daß die Sorge um das Gemeinwesen ureigenstes Interesse des ganzen Volkes sein muß und es sich daher die angeblichen Sorgen der Politiker zum beständigen Gegenstand seiner Überlegungen und seiner zumindest theoretischen Entscheidung zu machen hat. Was da an Problemen beständig an diejenigen herangetragen wird, über die längst entschieden ist, reicht von sozialen Einsparungen über Rüstungsausgaben, wachsende Arbeitslosenzahlen bis zur grundsätzlichen fürs freie Regieren so bezeichnenden Besorgnis über die immer gefährdete Regierbarkeit der BRD. Das Reich faschistischer Ideale von Solidarität für den Staat, höherem immateriellen Lohn, kurz: selbstloser Unterordnung des Privatinteresses unter die Staatsbürgermoral, fängt nicht erst da an, wo die Werte der "Solidarität, Wärme, Nächstenliebe" (die "ältesten Werte unserer abendländischen Zivilistion,... nämlich christliche Werte" - Carstens), "Miteinander, Eigenverantwortung, Gemeinsinn" (Kohl) von der CDU/CSU beschworen werden. Vom alten Kanzler stammt schließlich der anmaßende Spruch vom verwöhnten deutschen Volk, das einsehen müsse, daß es über seine Verhältnisse gelebt habe. Drittens dient die alternative Beanspruchung auch noch der letzten staatsbürgerlichen Hirnwindung für die Einschwörung auf die Werte der Politik gar nicht der Aktivierung völkischen Gehorsams. Während der Führerkult den Bestand des Staates wirklich von der Person des Führers abhängig wußte und daher auch bedingungslose Gefolgschaftstreue beständig herstellen mußte, ist der heutige Gang der Politik längst von den Wechselfällen politischer Karrieren unabhängig; die konkurrierende Werbung für die beste Durchsetzung deutscher Politik dient also der Kontinuität der Politik auch viel effektiver, weil nur indirekt, indem sie getrennt von der Ausübung der Staatsgeschäfte nur noch für die Konkurrenz der politischen Karrieristen veranstaltet wird, also auch nur noch für eines aktivieren soll; für
Die Wahl: Die Dauerermächtigung der Führung
Die inszenierte wechselseitige Selbstkritik in den höheren Etagen politischer Verantwortung macht jedermann mit der Unzufriedenheit der Herrschenden mit seinen Untertanenleistungen vertraut. Sie übertrifft sich im Versprechen politischer Härte und in der Aufdeckung von Rücksichtslosigkeiten beim politischen Gegner, gerade weil es von unten gar keine anderen Anforderungen an die Macher gibt als die von ihnen jeweils gegebenen brutalen Versprechen, mit denen dieser demokratische Herrschaftskult prahlt: "unpopuläre Maßnahmen", "schonungslose Wahrheit", Kassensturz und verordnete Einschränkung. Sie versieht sich und wird verstanden als Werbung, aber nicht für Politik, sondern für ihre Repräsentanten. Und die öffentliche Begutachtung des politischen Treibens nach Kriterien staatlicher Krisenbewältigung, die Bewertung von Repräsentanten nach Führeridealen, wo der eine als "Birne", der andere als Vertrauensperson und umgekehrt vorstellig gemacht wird, dient ja auch zu nichts anderem als zur Aufforderung, seine Wählentscheidung nach diesen Kriterien zu fällen und sie darüberhinaus auch noch als eine Entscheidung über Deutschlands Zukunft zu verstehen. Der Schein sachlicher Differenzen und der Aufrichtigkeit taugt dafür ebensosehr wie die Aufdeckung der Heuchelei, die für dazugehörig, ja für verständlich bis notwendig erachtet wird, also auch als Qualitätsmerkmal für einen Erzpolitiker firmiert.
Die beständige Akklamation des Führers nimmt sich wahrlich matt aus gegenüber der mehrheitlichen Akklamation wechselnder Führungsmannschaften alle vier Jahre, die den Schein, sie genieße die beständige Zustimmung des Volkes, hinge also von ihr ab, gar nicht erst aufkommen läßt. Wenn die SPD der CDU die Schädigung der Mieter vorhält, die sie selber schon beschlossen hat, und das als ihre Wahlkampfstrategie ankündigt (Nach Meinung Vogels sind vor allem zwei Themen der SPD "mehrheitsfähig" beim Wähler: "Unsere Position zum Rüstungswettlauf und unsere Position zur sozialen Gerechtigkeit."); wenn die CDU sie als Lügner und Verbrecher beschimpft und verspricht, im Wahlkampf "in noch wesentlich härteren Konturen" herauszustellen, welche "Erblast" die frühere Regierung hinterlassen habe; wenn die FDP jetzt die "Auseinandersetzung zwischen Liberalismus und Sozialismus" anstehen sieht und damit ihre Strategie angibt, und wenn alle gemeinsam von Carstens zum Anstand aufgefordert werden, dann ist die Emanzipation der politischen Repräsentanten vom Volk wirklich vollendet. Denn nicht einmal an ihren politischen Verkündigungen werden sie gemessen, geschweige. denn an irgendwelchen handfesten Ansprüchen des kleinen Mannes, sondern umgekehrt ist es: Das Volk wird in seinem Beruf als Wähler rücksichtslos in Anspruch genommen, es darf die Konkurrenz entscheiden und dient dann als bloße Berufungsinstanz, als Volkswille, der beständig von oben beschworen, interpretiert und im Koalitionsgetriebe immer gerade so verwirklicht wird, wie es den Parteien opportun erscheint.
Die wechselseitige Verunglimpfung ohne Angst vor dem Verlust von Respekt oder Glaubwürdigkeit, die man beständig beim Volk einklagt sowie die Werbung mit Wahltaktik zeigt doch, daß beim "Kampf um jede Stimme in der Demut vor dem geschichtlichen Auftrag" (Kohl) der allseits akzeptierte Auftrag zum Regieren - jedes Kampfmittel rechtfertigt und nicht von den üblen Wahlmethoden auf den Auftrag geschlossen wird, dem sich die Kontrahenten gemeinsam verschrieben haben.
Längst zählt es zu den Selbstverständlichkeiten demokratischen Regierens, daß man öffentlich fordern und beanspruchen darf, was unsereiner als Begriff der demokratischen Wahl analysiert: Die Trennung der politischen Gewalt von den ihr Unterworfenen, die Zustimmung zu dem Umgang mit dem Volk, der oben allgemein für notwendig befunden wird, die Einsetzung der dazu fähigen Personen gemäß den Konjunkturen und Auseinandersetzungen, die die Führungsmannschaft samt journalistischem Anhang unter sich ausmachen. Im Wechselspiel von Regierung und Opposition bewährt sich die Kontinuität der Staatsnotwendigkeiten, der Einheitlichkeit der politischen Gewalt viel sicherer und glaubwürdiger als in der alternativlosen Dauerführerschaft, die mit jeder unterdrückten Kritik an sich auch das politische System selber in die Schußlinie bringt. Der Volkswille als brauchbares Instrument für die Freiheit der Politik, das ist heute nicht nur Ideal, sondern demokratische Praxis im Streit der Parteien, wenn mit geheuchelten Verfassungsproblemen zum rechten Zeitpunkt das Wählervotum eingeholt wird, um sich dann nur noch der Ausübung der Gewalt zu widmen. Was könnte die Maßlosigkeit und Selbstsicherheit demokratischer Macher besser kennzeichnen als die Selbstverpflichtung auf Einigkeit ohne Aufgabe der Konkurrenz, als die Spekulation mit Koalitionen ohne Verzicht auf die streitbare Selbstdarstellung - und als der von Carstens erwogene und zurückgewiesene Einwand gegen die Neuwahl, der früher Molotow als antidemokratischer Witz zugeschrieben worden ist:
"Nun meinen manche, die Lage könnte nach dem 6. März noch schwieriger sein, als sie jetzt ist. Diese Möglichkeit kann in der Tat niemand ausschließen und auch ich habe sie bedacht. Aber eine solche Ungewißheit ist beinahe mit jeder Wahl verbunden. Wenn aus anderen Gründen vorgezogene Neuwahlen gerechtfertigt erscheinen, dürfen sie nach meiner Meinung nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß ihr Ausgang ungewiß sei." (Aus der Begründung zur Auflösung des Bundestages)
Regierungsstärke heißt das oberste Gebot, und wenn Weimarer Verhältnisse drohten, wäre der Volkswille nicht gefragt! Was die Demokratie zur Rettung des Staates an Abschaffung demokratischer Prozeduren offiziell vorgesehen hat, das braucht also solange nicht erwogen zu werden und wird nicht erwogen, wie diese Prozeduren der sicherste Garant einer unbeschränkten Regierungsfähigikeit sind.
Die Macht im Recht
Das staatliche, gesellschaftliche und private Leben spielt sich sogar streng in den Formen des Rechts, der Gesetze und ihrer überwachung durch eine unabhängige Justiz ab; das Recht darf eingeklagt werden; die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Gewaltausübung wird überwacht und manchmal bekommt sogar ein Bürger gegen eine unverhältnismäßige Überwachung recht - nachträglich. Bei uns herrscht das Recht, mißt sich auch der Staat selber an den Verfassungsgrundsätzen, d. h. seinen eigenen Prinzipien ordentlicher Gewaltausübung, und der Schein der Überparteilichkeit und Unabhängigkeit der Justiz ist realer als es die beständigen Beschwerden über Rechtsauslegung, über den Wechsel von Baum zu Zimmermann oder über Verfassungsverstöße wahrhaben wollen. Denn die für notwendig erachteten Gesetze werden zumeist ohne größere Auseinandersetzungen politisch beschlossen, die Grenzen für die Auslegung und Durchsetzung damit verbindlich vorgeschrieben, von Richtern und Staatsanwälten und Verfassungsrichtern ganz im Rahmen der damit gegebenen Entscheidungsfreiheit angewandt - und die Solidarität aller regierenden und verwaltenden Demokraten nimmt in dem Maße zu, wie es um den rechtlichen "Schutz" staatlicher Freiheit gegen die gewährten Freiheiten des Bürgers geht. Der kontinuierliche Ausbau von Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst Hand in Hand mit Polizei und Grenzschutz löst das Ideal einer Totalüberwachung potentiell jedes verdächtigen Bürgers genau an dem Rand der Verfassung ein, an dem sich diese staatserhaltenden Institutionen in jeder Demokratie bewegen dürfen. Demonstrationen werden nicht von vornherein verboten, sondern politisch beurteilt und observiert, polizeilich in staatsgenehme Formen geknüppelt, und inzwischen darf man das Recht auf Demonstiation sogar bezahlen, wenn die Polizei Extraaufwand für nötig hält. Freiheit herrscht also streng gemäß den Gesetzen, die die Pflichten regeln, die damit verbunden sind. Und Freiheit der Kritik zählt nicht dazu und kommt teuer zu stehen, wenn, es für nötig, erachtet wird. Der Ausbau des entsprechenden Rechtsstaatsinstrumentariums macht dementsprechende Fortschritte, gerade wenn und weil der Geist der Kritik sich immer weniger in unerlaubten Bahnen betätigt. Die Gleichheit ist gewährleistet vor dem Gesetz, weil für jeden Fall das Gesetz vorhanden ist, das Staatsinteressen ohne Ansehen der Person gültig regelt. Wo Personen von Staatsinteresse verhandelt werden, gibt es die entsprechenden Ausnahmen. Der Staat ist mit seinen Vorschriften also allgegenwärtig und das Gemeinwesen leistet sich deshalb die Liberalität, den Richterstand nicht parteipolitisch in die Pflicht zu nehmen, sondern staatsgemäß entscheiden zu lassen, wie er es auch im Dritten Reich getan hat, wo schließlich die Partei den Staat und seine Gesetzesgewalt repräsentierte. Der Gehorsam ohne laufendes Bekenntnis zur Führung ist allgemeinverbindlich organisiert.
Daß deswegen der Bürger durch das Recht Vorteile hätte, wird ebensooft behauptet, wie praktisch und ideologisch kräftig dementiert. Es gilt ja schon als oft schwer erträgliches Zugeständnis, daß die Unterordnung unter die politischen Notwendigkeiten überhaupt in Form objektiv gültiger Rechte und Pflichten geregelt ist, und mit der Schaffung entsprechender Neuregelungen ist man immer dann schnell bei der Hand, wenn von oben ein Gesetzesnotstand konstatiert wird. Politische Skandale werden keine, bestenfalls im Hinblick auf die Aufdecker, weil in Spenden-, Unternehmens-, Startbahn- und anderen Polizei-, Justiz- und Politikfragen Rechtsgebung und -sprechung unter strenger Wahrung der Grundrechte und ihrer verfassungsmäßigen Einschränkung zusammenarbeiten. Die Herrschaft der Partei über das Recht, Gestapo-Methoden und Juden- sowie Kommunistenvergasung gibt es nicht, weil ordentlich verboten und abgeurteilt und eingesperrt wird, die Ausländer zweckmäßig abgeschoben werden, ansonsten die Staatsbürgerschaft mit all ihren selbstverständlichen Konsequenzen für jeden gilt - und jeder frei dem großen Ganzen sich einordnet, wenn er sich an die Ordnung hält. Deswegen ist es auch kein Skandal, wenn das Ideal der Freiheit uminterpretiert wird in seine Verteidigung gegen Osten, wenn Gleichheit vor allem die Staatsgemeinschaft aller Deutschen ist und wenn die Menschenrechte nur noch als politische Propagandawaffe proklamiert werden:
"Auch heute bedrückt uns die Verletzung der Menschenrechte in weiten Teilen der Welt. Unsere Sorge über die Lage in Polen, unsere Sorge über den Krieg in Afghanistan besteht fort." (Kohl)
Notstand herrscht hierzuland nicht, auch wenn seine gesetzliche Regelung für alle Fälle vorgesehen ist. Deswegen blickt die Demokratie auch verächtlich auf das Reich herab, das die Identifikation des Bürgerinteresses mit dem Staatsdienst beständig neu erzwingen zu müssen meinte und lauter brauchbare Deutsche ohne Not aus der Rechts- und Pflichtgemeinschaft gewaltsam ausschloß.
Die Freiheit der Klassen im Dienste des Staates
"Es ist ein Gebot der politischen Glaubwürdigkeit, den Bürgern zu sagen, daß die Zeit der Illusionen und des Wunschdenkens endgültig vorbei ist, daß auf Gesundung nur zu hoffen ist, wenn alle bereit sind, die Folgerungen zu ziehen und ihren Anteil an der Konkurslast zu übernehmen." (Strauß zum Neujahr)
"Wir haben den Mut aufgebracht, der Öffentlichkeit die Wahrheit über die wirtschaftliche Lage zu sagen und Einschränkungen zu verlangen, obwohl wir vor Wahlen stehen. ... Es ist unser Ziel, die Lasten gerecht zu verteilen." (Kohl zum Neujahr)
"Ich war Arbeide, mein Vadde war auch Arbeide! ... Ich kenne die Arbeiter. Wenn's drauf ankam, stand die deutsche Arbeiterbewegung immer hinter ihrem Staat." (Blüm)
Gerechtigkeit, die Moral des Rechts, ist hier staatlicherseits auf den Begriff gebracht. Nicht irgendjemandes Nutzen wird versprochen, sondern die Verteilung des Schadens, der nun einmal unvermeidlich sein soll. Und ausgerechnet diese Tugend des staatsdienlichen Antimaterialismus findet in den niederen Reihen und bei ihrer gewerkschaftlichen Vertretung die eifrigsten Nachbeter. Und doch unterscheidet sich diese Forderung nach staatsbürgerlicher Pflichterfüllung, die längst nicht mehr zur gefälligen Einsicht und Entscheidung der Angesprochenen steht, in einem vom nationalsozialistischen Kanon der Opfertugenden, die jedem Stand zur Stärkung des Gemeinwesens verordnet wurde: Der demokratische Staat beansprucht für sich gar nicht die Souveränität, das Geschäft der Kapitalisten und die Arbeit und Lebensumstände der Lohnarbeiter selber zu organisieren. Ganz im Gegenteil! Im Unterschied zu den nationalsozialistischen Aufbauparolen, die zur laufenden Reglementierung von Lohn, Preis und Profit gehörten, stellen sich die regierenden Volksvertreter selber als Opfer und Bekämpfer von "Herausforderungen", "Krisen" und "schweren Zeiten" dar, für die sie nie die Verantwortung übernehmen, bei deren notwendiger Bewältigung sie aber jede Verantwortung tragen wollen. Und sie sind dabei so glaubwürdig, daß keiner bemerken will, daß die staatliche Aufrechterhaltung von brauchbaren Geschäftsbedingungen und ihrer Benützung durch den Staat genau die Zustände hervorbringt, angesichts derer dann demokratische Staatsmänner machtvoll ihre Ohnmacht betonen. Und in einem Sinne haben sie ja auch recht: Der bürgerliche Rechtsstaat hat die Freiheit des Kapitals und der Lohnarbeit, des Privateigentums an Produktionsmitteln und des Eigentums an der Ware Arbeitskraft eingerichtet, und er gewährleistet sie. Er hat also die Schaffung von Reichtum von seiner Herrschaft getrennt, partizipiert an ihr, überwacht sie, unterstützt sie - aber den Erfolg in der damit erlaubten und verpflichtend gemachten Konkurrenz - das Geschäft des Kapitalisten auf der einen, die Beschäftigung des Arbeiters auf der anderen Seite - fällt in die Bewährung des einzelnen. Der stumme Zwang der ökonomischen Gesetze gewährleistet mit den nationalen und internationalen Erfolgen des Kapitals durch die profitable Anwendung von Arbeitskraft viel sicherer den Erfolg des Staates als jede politische Reglementierung und Verpflichtung auf ein krisenfreies, garantiertes Wachstum des Nationaleinkommens. Nichts Solideres, als wenn sich eine nationale Macht auf die Privatinitiative seiner Kapitalisten, auf die staatstreue Zurückhaltung seiner Gewerkschaft, auf den durch die Organisation des Arbeitsplatzes erzwungenen Fleiß ihrer Arbeiter verlassen kann und auf dieser Grundlage ihren wachsenden nationalen Herrschaftsansprüchen nachgeht. Die Freiheit des Kapitals wird befördert, die Auseinandersetzung zwischen Unternehmern und organisierter Arbeiterschaft nicht verboten, sondern in sozialfriedliche Bahnen gebannt, und die ruinösen Folgen werden staatlich verwaltet. "Arbeit macht frei", diese nationalsozialistische Zwangsarbeitsparole, an der Demokraten nur zu kritisieren haben, daß sie über dem KZ-Tor stand, ist heutzutage so radikal verwirklicht, daß jeder, der arbeiten muß, auch die Freiheit dazu erhält und genau und nur auf die Angebote und objektiven Zwänge verwiesen ist, die ihm vorgegeben sind.
So läßt der Staat die harten Gesetze des Profits rücksichtslos zum Zuge kommen, und die weltweite Krise mit ihren verheerenden Folgen auf die immer weniger Beschäftigten läßt in ihm nicht die Auffassung reifen, das "System" müsse geändert und der Staat in seinem Interesse zum Garanten von Beschäftigung werden, sondern macht ihn erfinderisch bei der Vermeidung schädlicher Folgen für sich. Er nimmt nicht sein Kapital samt Arbeitervolk in die Pflicht und verbietet die Krise und ihre heilsamen Wirkungen für die Akkumulation. Er verbietet also auch nicht Arbeitslosigkeit und organisiert einen Arbeitsdienst zu Elendsbedingungen, sondern er entbindet sich von angeblichen Pflichten, die ruinösen Folgen der Abhängigkeit der Beschäftigten vom Wirtschaftswachsdtum zu kompensieren. Mehr und mehr Arbeitslose werden prognostiziert und anschließend als Begründung nach jeder staatlichen Einsparung am sozialen Netz ins Feld geführt. Nach Beschäftigung wird gerufen und zugleich mit Verweis auf die Notlage der Arbeitgeber jede staatliche Profitförderung, Rationalisierung und Sanierung, die Tausende außer Brot setzt, als Beitrag zur Beschäftigung verkauft. Daneben werden mit dem wachsenden Elend immer härtere "Sparprogramme" an den Institutionen durchgezogen, die angeblich gegen dieses Elend staatlich versichern sollten. Steigende Beiträge und sinkende Leistungen, wachsende Zumutbarkeit von Arbeitsplätzen, die es gar nicht mehr gibt, und die laufenden öffentlichen Aufrufe zur privaten Hilfe für "auf der Straße " liegende Jugendliche, Erwachsene und Alte, wachsende Propaganda gegen Anspruchsdenken und Materialismus, wachsende Verpflichtung einer längst einsichtigen Gewerkschaft auf Lohnsenkungs- und Leistungssteigerungsabkommen - so sieht die "Ohnmacht" der Demokratie gegenüber dem "gesellschaftlichen Problem Nr. 1" aus, das unser aller solidarische und gerechte Opferanstrengung verlangt!
Dafür wird bei uns kein "unwertes Leben" vernichtet, sondern die Behinderten werden integriert und die Obdachlosen einmal pro Monat in ein Asyl zugelassen, Autobahnen gen Osten nicht im Arbeitsdienst, sondern konjunkturfördernd gebaut, Ausländern wegen des "Kinderglücks" und im Interesse ihrer eigenen "nationalen Identität " der Zuzug ihrer über 6 Jahre alten Kinder verboten und ihnen die Abwanderung verordnet. Deutsche Frauen- und Muttertugenden werden vom Kanzler und nicht vom Führer gelobt, den "no future" Jugendlichen nicht mit Verboten, sondern mit Sinnangeboten und Vorbildern begegnet, und die volksgesundheitliche Senkung der Krankenzahlen stellt sich über die knappen gesundheitmerschleißenden Arbeitsplätze von alleine her. Arbeitslosigkeit führt eben nicht zwangsläufig zum Faschismus, sondern zu einem faschistischen Solidaritätsklima von oben mitten in der demokratischen Zwangsgemeinschaft für die Freiheit des Profits und der imperialistischen Politik. Es muß nur der "soziale Friede" gesichert sein, dann dient die Beschwörung der faschistischen Gefahr noch zur Beförderung der nationalistischen Einstellung, - auf deren Vorhandensein in der Demokratie sich der faschistische Staat angesichts ihrer nur bedingten Erfolge nicht verlassen wollte, und die unsere erfolgreiche Demokratie immer offener einfordert, weil sie sich ihres Vorhandenseins sicher ist. Auf dieser Grundlage ist das Krisenbewußtsein eine Waffe und die ökonomische Krise kein Hindernis gelungener Politik, sondern ihr Resultat. Eine Staatskrise, gegen die der Faschismus nach der Weltwirtschaftskrise angekämpft hat, indem er alle ökonomischen Krisenbedingungen politisch außer Kraft gesetzt und dafür gleich noch den Einsatz von Kapital und Arbeit vorgeschrieben hat, wird daraus nicht: deswegen auch kein Ausstieg aus der internationalen Konkurrenz, sondern eine
Konjunktur für Deutschlands Macht
Eine Herrschaftseinsicht hat nämlich die in die Weltwirtschaft "eingebundene" BRD dem 12jährigen Reich voraus: daß eine Wirtschaftskrise die gelungene Emanzipation der Akkumulation und ihrer staatlichen Nutznießung von Ansprüchen der Reichtumsproduzenten unterstellt, also auch durch die Beförderung und Berücksichtigung des Geschäftsgebarens und die Unterstützung seiner Härten die Akkumulation voranschreitet (vgl. "Die Krise" MSZ Nr. 5/82). Schwer war diese überlegene Einsicht nicht zu gewinnen, weil die bundesdeutsche Wirtschaft von Haus aus international organisiert und nur so und dadurch politisch souverän verwaltet ist. Welche Wucht die internationale Anerkennung der Staaten und die damit eröffneten Handels- und Kapitalexportbeziehungen darstellen, das haben die Bundesrepublik wie die anderen europäischen Nationen nicht erst umständlich und mit lauter nationalen Vorbehalten lernen müssen. Das war von Anfang an der Preis und die Chance für den zügigen und amerikanisch kreditierten Wiederaufbau des westlichen deutschen Nachkriegsstaates.
So war es von Anfang an keine Frage, daß sich die bundesrepublikanische Wirtschaftspolitik ganz nach den Gesetzmäßigkeiten eines weltweiten Prcduktivitätsvergleichs, eines weltweiten Kapitalmarktes und einer beständigen Konkurrenz um die Gültigkeit des Nationalkredits richtet, daß sie daraus den Auftrag entnimmt, die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Nationalökonomie, die Leistungsfähigkeit und Billigkeit der deutschen Arbeit, also die Produktivität des nationalen Kapitals rücksichtslos zu stärken und es für die Benutzung auswärtiger Akkumulationsbedingungen zu befähigen. Die mit lauter Wirtschaftsbündnissen und gemeinsamen Verhandlungsrunden über die Methoden der Konkurrenz und nationalen Erlaubnisse und Schranken in ihrer Ausqestaltung durchgesetzte Freiheit des Kapitals hat - nicht nur - den westdeutschen Nachfolgestaat mit ökonomischen Mitteln und lukrativer Verfügung über alle Ressourcen für die nationale Geschäftswelt ausgestattet, wogegen Hitlers nationales Autarkie- und Aufbauprogramm sich mager ausnimmt.
Nach innen hat sie den politischen Verwalter des nationalen Geschäfts mit einer Freiheit im Umgang mit seinen Staatsfinanzen ausgestattet, die Hitlers Verschuldungspolitik ohne Rücksicht auf ihre Wirtschaftsverträglichkeit und nur im Vertrauen auf die Gültigkeit der staatlichen Finarizhoheit weit in den Schatten stellt. Denn die Organisatoren der freien Marktwirtschaft haben ja keineswegs darauf verzichtet, sich zur Finanzierung ihrer politischen Anliegen nicht von den Reichtümern abhängig zu machen, die sie ihrer Gesellschaft aktuell abziehen können. Sie haben vielmehr den Staatskredit erst so richtig freigesetzt, weil jede Staatsschuld zugleich als Kreditmittel für die Geschäftsbedürfnisse der Unternehmerwelt ausgegeben wurde. Und gerade heute, wo die mit den reichlich fließenden Geldmitteln zustandegebrachte Überakkumulation die Menge Dollars, DMs, Staatsschuldverschreibungen usw. gar nicht mehr alle in profitable Produktion umsetzen kann, der Staat sich gleichwohl weniger denn je in seinen Ausgabenwünschen einschränken will, zeigt sich so recht, daß diese ökonomische Sonderrolle und Macht der Nationaldemokratien nicht gegen die Konkurrenz um eine brauchbare und damit gefragte Währung durchgesetzt wurde, sondern in dem gesamtwestlichen Interesse an gegenseitiger Benutzung und politischer Stärke ihre eigentliche Grundlage hat.
All die bündnismäßig etablierten Formen des internationalen Schachers, des Streits um protektionistische Maßnahmen auf der Grundlage von Freihandel, der nationalen Kreditpolitik auf Grundlage eines beständigen Vergleichs der Währungen und gemeinsamer Einigung über Währungsparitäten und internationale Kreditvolumina, all das haben faschistische Wirtschaftsstrategen - übrigens nicht im totalen Widerspruch zu den kolonialistisch und national wirtschaftspolitisch, also auch nur beschränkt weltwirtschaftlich agierenden kapitalistischen Demokratien - für eine pure Beschränkung der nationalen Souveränität und Verhinderung deutscher Größe gehalten. Heute sind das die Mittel, mit denen die konkurrierenden Bündnisstaaten ihre nationale Bereicherung international garantieren und den Streit um die Krisenlasten führen, ohne sich wechselseitig zu ruinieren. Damit einigen sie sich über die ökonomische und politische Notwendigkeit der Aufrechterhaltung eines Haushaltsgebarens, das dem Ideal jeder kapitalistischen Nation zur kaum beschränkten Realität verhilft:
Was finanziert werden muß, das leisten wir uns, und Schranken existieren dafür überhaupt nur noch an der Wirtschaftskraft der gesamten kapitalistisch beherrschten Welt!
Millionen Arbeitslose samt der brutalen Gleichförmigkeit der Ausbeutungsbedingungen und nützlichen Armut in den "Metropolen", Milliarden Hungernde in den souveränen Ländern der "3. Welt", die ökonomische und politische Beschlußfassung über die Zahlungsfähigkeit und Wirtschaftspolitik lateinamerikanischer Schuldner, die Ausstattung afrikanischer Länder mit Herrschaftsmitteln, welche hiesiges Käpital realisieren, die Aufs - und vor allem - Abs der Rohstoffpreise, Entwicklungshilfe für unterentwickelte Länder und Exportprofite, Gatt- und EG-Konferenzen - all das widerlegt schlagkräftig die faschistische Vorstellung von
Deutschland in aller Welt
Daß Eroberung und nur Eroberung, ein siegreicher nationaler Weltkrieg allein die Souveränität und den politischen Einfluß gewährleisten, auf den es einer Weltmacht ankommt, erscheint geradezu als anmaßende Dummheit gegenüber der Sorte Weltherrschaft, an der die BRD an vorderster Front nach Kräften beteiligt ist. Der unter amerikanischer Führung hergestellte Weltmarkt, von dem alle Staaten abhängig sind und von dem her sich daher auch ihre Souveränität bestimmt, weil sie über gar keine anderen Mittel als die der Benutzung oder Nützlichmachung verfügt, hat die westliche Staatenwelt mit zwingender Notwendigkeit in die kapitalistischen Nationen und die von ihnen benutzten, vor ihrer Akkumulation abhängigen und daher auf ihren politischen Willen und ihre Militärmittel angewiesene "Partner" auseinandersortiert. Die Unterordnung unter die Direktiven und Bedingungen von IWF, EG, USA und NATO sind daher für letztere Staaten unabweisbare Angebote, die Umtriebe ihrer nationalen Souveränität unter diesen Bedingungen stattfinden zu lassen. So sind sie auch ein zuverlässiger Erfüllungsgehilfe westlicher Stärkung, und die dauernde Gewalt ist nur die bleibende letzte Entscheidungsinstanz, die längst nur noch bedingt und unter höheren Gesichtspunkten zum Einsatz gebracht werden muß.
Militarismus, Verteidigung nationaler Interessen notfalls mit Krieg, Rüstung nach allen rücksichtlosen Maßstäben moderner Kriegsführung, all das ist nicht damit aus der Welt verschwunden, daß schon über 30 Jahre Frieden herrscht. Dieser Friede enthalt vielmehr alle kriegsträchtigen Gegensätze, ist auch für den westlichen Frontstaat BRD weltweit zu sichern und zwar wirklich so weltweit, daß alle beständig stattfindenden Gemetzel und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit westlicher Anleitung, Ausstattung und Beteiligung nicht einmal das Prädikat eines regelrechten besorgniserregenden Krieges erhalten. Denn westliche Sicherheitsinteressen sind nur noch von einer feindlichen Macht gefährdet, von der aber immer, jederzeit und überall, und deshalb sind sie immer und überall auch unsere Kriegstreiber sind die imperialistischen Demokratien deshalb nicht. Aber daß die Ordnung der Freiheit wirklich weltweit sein muß, will die westliche Herrschaft Bestand haben, das ist für jeden einzelnen Staat im Bündnis unabweisbar und zur Frage seiner nationalen Stärke geworden, weil sich diese nur im Verbältnis zum ganzen Bündnis definiert und längst so umfassend in allen vom Westenkontrollierten Regionen Einfluß nimmt, daß nur noch um die beste und national erfolgreichste Weise zur Selbstaufgabe des Ostblocks gestritten wird. Daher rührt auch die Siegesgewißheit, die anderes und mehr vorzuweisen hat als einen unbedingten Siegeswillen, und die auf soldatische Tugenden von mehr als nur einem Volk bauen kann.
Ein Volk von Freiheitskämpfern
steht da nicht nur in der BRD bereit, den für unausweichlich gehaltenen Ansprüchen ihrer Führungsmannschaften nach innen und außen zu gehorchen. Aus Erbfeinden sind längst Völkerfreunde geworden, mit allen ausgemalten Vorzügen und Nachteilen anderer Nationalitäten, deren Bündniszusammenhalt in den höheren Politiketagen geplant, ausgebaut und damit akzeptierte Realität für jedermann wird. Der Bündnisnationalismus des besseren Deutschland ist mit seiner scheinbaren Bescheidenheit nicht weniger anmaßend als Hitlers Kampfparolen und doch kein weltweites Eroberungsprogramm. Wir sind ja längst eingebunden in die westliche Völkerfamilie, leisten Entwicklungshilfe stehen fest zu Amerika, fahren auf den Weltmeeren und verteidigen sie auch über die NATO-Grenzen hinaus - aber nur noch gegen einen, gemeinsamen Feind. Englands Sieg in Falkland darf man kritisch bewundern oder mißbilligen, Israels Libanonfeldzug abwägend in die westliche Interessenlandschaft einordnen - und aus "dem Iwan" ist längst der aggressive Sowjetkommunismus geworden, der uns in Berlin, aber auch in Afghanistan, Afrika und Polen im Wege steht.
Ohne das ganze bürgerliche Leben nach Weltkriegsplänen staatlich zu organisieren, ohne den Bürger tagtäglich zu einem Nationalkämpfer an allen Fronten zu erziehen, ist also die weltweite Verteidigung der Vaterländer des Kapitalismus nach innen und außen organisiert. Die neue deutsche Wehrmacht ist mächtiger denn je, das neue deutsche Volk wird erst gar nicht gefragt, ob es den totalen Krieg will, sondern darf im Ernstfall schweren Herzens in ihn ziehen; deswegen nimmt auch das Heer einen bevorzugten Platz im staatlichen Leben und Denken ein. Faschistische Herrschaftsformen aber gibt es nur noch in solchen Ländern, wo der ökonomische Erfolg sich immer nicht so einfach einstellt, wo Widerstand im Volk unterdrückt und so die Teilnahme am westlichen Lager gesichert wird. Dort sind die Völker noch nicht reif für die Demokratie und Militärdiktatoren ein Hort der Stabilität. Bei uns aber baut der Staat auf die nationale Untertanengesinnung und ihren ökonomischen und politischen Einsatz.
Deswegen ist auch der Vorwurf, in der zivilisierten, menschenrechtlichen, wachstumsorieintierten und weltfriedenssichernden BRD hätte sich auch Hitler wohl fühlen können wie andere Ex-Nazis, die aufrechte demokratische Führungskräfte oder Mitmacher geworden sind, so wenig zugkräftig. Und zwar um so weniger, je mehr im demokratischen Leben nach innen und im weltpolitischen Treiben nach außen die staatlichen Gewaltansprüche noch das blindeste Auge schlagen. Blind aber sind Demokraten nicht, ebensowenig verführt wie die guten Deutschen im Dritten Reich, sondern überzeugt von der Notwendigkeit ihres Staates. Wenn der seine Natwendigkeiten ordentlich ins Werk setzt, dann gibt der Erfolg ihm deswegen recht. Und wenn dabei die ganzen Ideale von Demokratie als Bürgerglück auf der Strecke bleiben, wenn dabei nur noch die Pflicht zum Dienst und die Stärke der Nation zählen, dann mögen vielleicht Demokratieidealisten noch vor der faschistischen Gefahr warnen; die Regierenden brauchen sich nicht gegen eine faschistische Machtergreifung zu verteidigen und das Volk muß die Demokratie verteidigen, aber gegen einen ganz anderen Feind. Deswegen kritisiert auch die deutsche Demokratie den deutschen Faschismus, weil er den deutschen Staat, das deutsche Volk, Arbeiter und Soldaten, Jugend und Frauen, Juden und Geschäftsleute mißbraucht, statt gebraucht hat. Beweis: Was ist aus dem 1000-jährigen Reich geworden und wie steht heute der NATO-Frontstaat BRD da!
Verhindert die Demokratie den Faschismus? Eine absurde Frage, aber eine, die grad so recht zum guten, erfolgreichen demokratischen Gewissen in den schweren achtziger Jahren paßt. Denn heute gibt es anderes zu tun, und damit wird man durch diese Frage vertraut gemacht.