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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1983 erschienen.

Systematik

Polen
SOUVERÄNER STAAT MIT BEGRENZTEM SOZIALISMUS

Am 13. Dezember hat General Jaruzelski das Kriegsrecht ausgesetzt, nachdem die unter seiner Herrschaft ergriffenen Maßnahmen die Gründe für seine Verhängung soweit beseitigt haben, daß es größtenteils überflüssig geworden ist.

Immer wenn der oberste Chef der westlichen Welt dem Ostblock eine weitere Härte vorsetzt - in diesem Fall die Streichung der Meistbegünstigungsklausel für Polen im Oktober '82 - vergießt er fernsehöffentliche Tränen der Begeisterung über die Tugenden dieser Nation:

"Wer Polen gut kennt, weiß, daß solange die Flamme der Freiheit in den Herzen der polnischen Männer und Frauen so hell brennt, wie heute, der Geist von 'Solidarität' eine Lebenskraft in Polen bleiben wird... Heute gründet sich der Kampf um Herzen und Geister der Menschheit auf eine einfache Frage, ist der Mensch frei oder als Sklave geboren."

Als ob sich ein amerikanischer Präsident von dem äbhängig zu machen pflegte, was in irgendwelchen Herzen - brennt. Dem NATO-Anführer mit seinem imperialistischen Schiller-Aufguß ist beides ziemlich gleichgültig, sowohl was in polnischen Eingeweiden stattfindet, Hunger oder Freiheitsflammen, wie die Versuche Jaruzelskis, in Abwehr westlicher Kritik auf die rechtsstaatlichen Grundlagen seiner Maßnahmen zu pochen. Reagan benützt den unzerstörbaren polnischen Volksgeist als dauerhaften Rechtstitel auf die imperialistische Endlösung. Aber mit derselben politischen Methode, den Volkswillen, den die Herrschaft repräsentiert, und den Willen der Leute zu unterscheiden, hat die polnische Politik dafür gesorgt, daß der Bestand ihres Staates nicht an der Volksmoral Schaden nimmt.

Der "Geist von Solidarität" ist daher keine "Lebenskraft in Polen", die "Solidarität" als Volksbewegung ist gewaltsam beendet worden. In, dem Maße ist das Kriegsrecht überflüssig und wird ausgesetzt.

"Gott, Ehre, Vaterland, Freiheit und Unabhängigkeit"

(Motto des Aufrufs der Untergrund-'Solidartät' für einen Generalstreik am 10.11.)

Diese fünf Nationalheiligen, mit denen die Untergrundführer das polnische Proletariat aufrufen, sind die korrekten Schutzpatrone für den Aufstieg und die Beendigung dieser Bewegung. Der Arbeiteraufstand hat der moralischen Mißbilligung der Obrigkeit als korrupte Russenknechte, dem Selbstgefühl, die wahren nationalen Repräsentanten zu sein, und der massenhaften Zustimmung der Volksgenossen das Recht darauf entnommen, die Machtfrage zu stellen. Statt einer Kenntnis der Machtverhältnisse und einer zweckmäßigen Strategie legte er sich den nationalen Optimismus zu, daß der überwältigenden Volksmeinung nichts standhalten kann. Ein solcher Aufstand hat wenig entgegenzusetzen, wenn diejenigen, die die Macht haben, die Machtfrage ihrerseits stellen.

Während eines Jahres Kriegsrecht haben moralische Manifestationen zu all den wunderschönen Jahrestagen polnischer Erhebungen und Schlächtereien stattgefunden; ein Untergrund, vom Westen bestens ausgestattet, hat sich nur damit befaßt, die Massen zu solchen Manifestationen aufzurufen, also , zur bloßen Bekundung, daß das Volk nach wie vor von seinen Oberen nichts und treu zu seiner 'Solidarität' hält, sich seine Ehre also nicht abkaufen läßt; die Zusammenstöße mit den Ordnungskräften, Verletzte, Tote, Verhaftungen, Prozesse etc. gehörten mit dazu. Das Kriegsrecht hat seine Funktion erfüllt. Nicht daß nicht immer noch Reagansche Flammen und Herzen für die 'Solidarität' brennen täten, aber so idealistisch sind nicht einmal die Polen, daß sie nicht bemerkt hätten, daß sie die Praktizierung dieser Moral zu teuer zu stehen kommt, wenn es ihre Staatsgewalt nicht dulden will. Als Volksbewegung ist die Solidarität beendet, demoralisiert. Weil sie ihre Moral für die schlagendste aller Waffen gehalten hat, hat ihr die Staatsmacht bewiesen, daß die Moral keine Waffe ist.

Zwei Stellungnahmen aus der ehemaligen Mitgliedschaft:

"Was soll uns eine neue Gewerkschaft? 'Solidarität' war unsere Gewerkschaft. Aber was bringt es, wenn ich sage, daß ich mit der Auflösung von 'Solidarität' nicht einverstanden bin und wenn meine Kollegen das sagen? Jeder hat Frau und Kinder. Niemand will Ärger haben. Unser wichtigstes Problem ist ohnehin, wie wir vom Monatsbeginn bis Monatsende über die Runden kommen. Dabei hilft uns auch keine Gewerkschaft."

Daß zu diesem Zweck keine Gewerkschaft taugt, daß außer Durchschlagen nichts drin ist, das ist das Resultat auch der 'Solidaritäts'-Politik, die sich wegen Höherem, nämlich Gott, Ehre und Vaterland usf. schnellstens davon entfernt hat, die "schweren Zeiten" anzugreifen, die polnische Arbeiter zu erdulden haben, weil sie ihrerseits als erstes eingesehen und verkündet hatte, daß die Sanierung Polens ohne proletarische Einschränkung und Armut nicht geht.

Ein 45-jähriger Arbeiter, der bei einer Demonstration in Lüben einen Schulterdurchschuß abbekommen hat, zu einem Reporter von 'Polityka':

"Ich gehörte zur Solidarität. Also dachte ich mir am Dienstag (Jahrestag des Danziger Abkommens, 31. August), also gehste hin, singste. Sie werden dich höchstens festnehmen, du zahlst eine Strafe, aber du hast deiner Pflicht gegenüber deiner Organisation genügt. Ich dachte nicht, daß sie schießen würden. Sie haben zweimal geschossen, einmal aus einem Auto an der Wiese und einmal neben dem Pfarrhaus, als ich flüchtete. Ich fühlte, wie es mir den Arm wegriß."

Daß man "seiner Organisation" Opfer schuldig ist, statt daß sie für die zweckmäßige Durchsetzung der eigenen Interessen da ist, dieser Standpunkt als zweites Resultat des 'Solidaritäts'-Ethos wird einfach damit erledigt, daß die Staatsmacht die Opfer zu hoch ansetzt.

Zu dieser Basis gehört eine Untergrundführung, die mitten unter diesen Bedingungen eine lebhafte Debatte über die beste Verwirklichung demokratischer Formen im Untergrund führt - man will ja die bessere, moralisch einwandfreie Volksvertretung sein. Eine Führung, die die Arbeiterschaft zu Demonstrationen aufruft, nicht mit der Erklärung, was wie durchgesetzt werden soll, sondern mit der expliziten Feststellung, daß die Aktion nichts bringt außer die Unbeugsamkeit der eigenen Gesinnung, die Treue der Massen zur 'Solidarität' vorzuführen - mit den entsprechenden Opfern.

"Die Schwäche der Strategie ist deutlich. Das Fehlen besserer Lösungen ist unübersehbar. Denn es ist eine selbstverständlich gewordene Tatsache, daß die Obrigkeit nicht verhandeln will. Sie verweigert den Dialog und den Kompromiß. Daran wird auch der Streik in diesen Tagen nichts ändern. Aber: Wir gehen denselben Weg wie bisher. Wir müssen beweisen, daß die Gesellschaft das Diktat nicht akzeptiert."

Nachdem der Streikaufruf zum 10.11., dem Jahrestag der Registrierung der 'Solidarität', weitgehend nicht befolgt wurde, Gründe s.o., die entsprechende Selbstkritik:

"Die Nichtbeteiligung am Streik ist ein ernsthafter Schlag gegen die Autorität des vorläufigen Koordinierungsausschusses. Zum ersten Mal hat ihr Standpunkt nicht die Unterstützung der Mitglieder der Gewerkschaft gefunden."

Wer einen Kampf so organisiert, daß notwendigerweise bloß Opfer herausspringen, der muß feststellen, daß die "Unterstützung" ausbleibt.

Wer das Volk zum "Beweis", daß es ein "Diktat nicht akzeptiert",. in Konfrontationen hineinhetzt, der macht sich kein Problem mit den Kosten solcher Konfrontationen für die Beteiligten - Geld- und sonstige Strafen, Verlust von Arbeitsplatz und Verdienst, Schläge und Erschießungen -, der macht sich stattdessen das Problem seiner Legitimation.

Die gemeinsame "Konsequenz" von Führung und Mitgliedschaft lautet demgemäß, daß sie nach wie vor Recht haben und für eine gute und gerechte Sache sind, daß "s aber zur Zeit nicht geht."

Die Untergrundführung stellt fest,

"daß die Freilassung Walesas, die Festsetzung eines Datums für den Besuch des Papstes, sowie die Ankündigung der Aufhebung des Kriegsrechts eine völlig neue politische Lage schafft",

nimmt das als Grund dafür, daß Widerstand jetzt nicht mehr in dem Maße notwendig ist, erklärt sich weiterhin nach den Regeln der ILO für nicht aufgelöst und kündigt an, daß der Kampf weitergeht - egal wie.

Gott, Ehre, Vaterland, Freiheit und Unabhängigkeit von oben

Die polnische Militärregierung hat die 'Solidaritat' als Volksbewegung aufgelöst, indem sie dem sich bewegenden Volk ihrerseits "bewiesen" hat, wie weit sie über seine Existenzbedingungen entscheidet, so daß es sich zu fügen hat. Gegen alle, die nach wie vor ihr höheres Recht auf Opposition beanspruchen, ist sie, wie jede Ordnungsmacht auf der Welt vorgegangen - mit Polizei und Justiz. Die Erfolgsmeldungen des Innenministers sind genauso penibel wie die Erklärungen vom BKA: 677 Untergrundgruppen ausgehoben, 360 Druckmaschinen gefunden, 468 Schreibmaschinen, 730.000 Flugblätter, 340.000 illegale Broschüren, mehr als 4.000 Plakate und 11 Rundfunkeinrichtungen. Einige Führer der 'Solidarität' sind schon wegen "Verbrechen gegen den Staat" verurteilt, andere unter Anklage gestellt, die übrigen entlassen, und Walesa wird von der Regierung konsequent als Führer einer nicht mehr existenten Bewegung behandelt - als Privatmann. Die erforderlichen Gesetze sind verabschiedet: ein neues Gewerkschaftsgesetz, das Streiks erst nach vorangegangenen Schlichtungsprozeduren erlaubt - wie bei uns - und vorerst bis 1985, bis die entsprechenden Gremien gebildet sind und angesichts des wirtschaftlichen Notstands untersagt - auch nicht viel anders als bei uns, wo sich ja auch alle Zuständigen sehr einig darüber sind, daß angesichts der "schweren Zeiten" Streiken nicht gerechtfertigt ist.

Das Vermögen der 'Solidarität' wird den neuen Gewerkschaften übereignet, und die Staatsschutzparagraphen gegenüber den restlichen Untergrundaktivitäten sind entsprechend den polizeilichen Notwendigkeiten erlassen worden - wie bei uns, wo ja auch dem "Rechtsnotstand" der Polizei in Sachen "Terrorismusbekämpfung" immer schnellstens abgeholfen worden ist.

Nachdem auf diese Weise das angefochtene Gewaltmonopol des Staates wiederhergestellt ist, können sich die Regierenden auf der anderen Seite auch wieder sehr verbindlich geben - wie bei uns, wo die zuständigen Innenminister schon seit jeher ganz besonders der Pflege liberaler Inhalte verpflichtet sind. Der stellvertretende Ministerpräsident Rakowski stellt sich in einer Fernsehdebatte 100 Leserbriefschreibern, die sich über das Kriegsrecht beschwert haben, und erläutert ihnen in gepflegtem Diskussionsstil dessen Notwendigkeit:

"Nur ein starker Staat kann Polen aus der Krise führen. Hauptgrund für die Verhängung des Kriegsrechts ist es gewesen, nicht einen völligen wirtschaftlichen Ruin des Staates zuzulassen. Ich meinerseits werde immer gegen alle Anzeichen von Anarchie kämpfen, denn nur so kann die unabhängige souveräne Existenz des Landes sichergestellt werden."

Laßt Polen Polen sein,

ist also auch der Standpunkt der Regierenden. Und die Novität im Ostblock, daß sich eine Regierung offiziell von der herrschenden Staatsdoktrin verabschiedet, Vollstrekker der Interessen der Arbeiterklasse sowie des ganzen Volks zu sein, ist keineswegs identisch mit der westlicherseits erwünschten Kapitulation des Kommunismus. Die notgedrungene, durch den Aufstand ihres Volks erzwungene Verabschiedung der revisionistischen Doktrin hat die regierenden Überbleibsel der revisionistischen Partei nicht im mindesten daran gehindert, ihre Aufgabe weiterhin in der Erhaltung der Staatsmacht zu sehen - im Namen des Volkes selbstverständlich. Denn Nationalisten, die sie sind, haben sie sich die Selbstverständlichkeit westlicher Politik, daß die Anliegen der Nation die aller ihrer Einwohner sind, sein müssen, egal, was es die Einwohner kostet, schon längst zu eigen gemacht.

Auch in den prosperierenden Zeiten Volkspolens, in denen sich die Regierenden einen machtvollen wirtschaftlichen Aufschwung mit Hilfe des Westens vorgenommen hatten, hat ihre Sorge dem nationalen Reichtum gegolten, der - wie überall auf der Welt - nicht der Verfügung der Massen anheimgestellt zu werden pflegt.

Und die alte Gepflogenheit der Politik, das Volk für den Nutzen der Nation antreten zu lassen, hat gegenüber dem unwillig gewordenen Volk daher auch ohne ideologische Skrupel die Konsequenz gezogen, die Nation vor ihrem Volk zu retten. Verzichtet haben die Herrschenden im Verlauf dieser Klärung allerdings auf einige Requisiten ihrer alten Herrschaft: Wenn die "unabhängige souveräne Eristenz des Landes" zum einzigen Inhalt der Politik avanciert, weil die aufständischen Bürger die Frage, wer regiert, zum Streitfall zwischen zwei zuständigen "Schutzmächten" werden lassen mit der Aussicht darauf, daß entweder die eine in den Genuß eines prowestlichen Umsturzes gelangt oder die andere zur Sicherung ihres Bündnisses ihre Truppen losschickt, dann machen verantwortliche Nationalpolitiker neben der gewalttätigen Disziplinierung ihres Volkes daraus ein Angebot, wie es in entsprechenden staatlichen Notlagen immer zu lauten pflegt: Ich kenne nur noch Deutsche; Argentinier, Engländer usf. Und das heißt in Polen: Ich kenne bloß noch Polen und nicht mehr bloß Sozialisten.

Das ist auch die Differenz zu nationalen Notstandsmaßnahmen, mit denen kapitalistische Demokratien gewisse demokratische Prozeduren außer Kraft setzen, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten. Die Konsolidierung der realsozialistischen Staatsordnung Polens passiert jedoch durch die Preisgabe wesentlicher "Errungenschaften" des Realen Sozialismus. Das "System" versucht sich zu erhalten, indem es sich partiell aufgibt!

Die Machthaber gründen höchstpersönlich unter Beteiligung verantwortlicher Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eine Konkurrenzorganisation zu ihrer alten Partei, die PRON, eine

Patriotische Bewegung zur nationalen Wiedergeburt,

die eben diesen edlen Zweck zum Inhalt hat, die Ausschließlichkeit, sich per Arbeiterpartei für die Staatsmacht erklären zu müssen, zu beseitigen. "Polityka", nach wie vor die Zeitung von Ministerpräsident Rakowski, erklärt das Ziel dieser Bewegung folgerichtig:

"Die Bewegung muß auch den Stolzen und Ungebrochenen anbieten, sich in ihr zu engagieren. Sie darf sich nicht darauf beschränken, nur jene gesellschattlichen Aktivisten für sich zu gewinnen, die schon immer dabei gewesen seien. Wenn die volle Unterstützung der Parteipolitik, der Behörden und für das Kriegsrecht Vorbedingung sind für die Teilnahme an dieser Bewegung, dann wird offensichtlich, daß diese richtige und nützliche Initiative sich als ein weiterer Fehlschlag erweisen wird."

Und die Werbung General Jaruzelskis für diese Organisation widerspricht der offiziellen Abdankung des revisionistischen Alleinvertretungsanspruchs keineswegs, auch wenn das Attribut "sozialistisch" vorkommt:

"Ich lade die Nation ein, sich in der PRON zu engagieren, die spontan aus der kollektiven Weisheit der Nation erwachsen ist. Diese Bewegung ist vor allem eine Arena für die Mehrheit der Parteilosen. Ich weise aber auch darauf hin, daß die Verständigung in einem sozialistichen Staat einen sozialistischen Inhalt haben muß."

"Sozialistisch" in Polen heißt nämlich bloß noch die außenpolitische Eigenschaft des Staates, zum sozialistischen Lager zu gehören. Die Anerkennung dieses Sachverhalts als Grundlage einer polnischen Souveränität ist die einzige Bedingung, die der polnische General seinen Landsleuten als politisches Bekenntnis abverlangt. Diesen Sachverhalt zu akzeptieren und die darauf gerichteten Ordnungsbemühungen der revisionistischen Nachlaßverwalter als nationalen Sachzwang zu begreifen; ist die einzige Klausel des von oben angebotenen nationalen Kompromisses, der zusätzlich dazu als politischen Standpunkt so ziemlich alles erlaubt. Und es gibt genügend national denkende verantwortliche Persönlichkeiten, die dieser Bewegung beitreten, mit der sich dann das ersprießliche Verhältnis von "Staat" und "Gesellschaft" neu eröffnet: Die PRON fordert die Entlassung von Internierten, die Militärdiktatur gewährt es; die PRON fordert die Aufhebung des Kriegsrechts, der Militärrat gesteht eine Aussetzung zu usf.

Die Mitarbeit der Kirche in der PRON wird dringlichst erbeten. Jaruzelski lobt das "Gewicht der katholischen Laienbewegung". Auch wenn die offizielle Kirche sich zurückhält, um den Verdacht der Kollaboration zu vermeiden, haben sich schon prominente katholische Laien, u.a. ein Bruder von Glemp, von ihrer Verantwortung in das nationale Einigungswerk entsenden lassen. Die Neugründung einer katholischen Partei wird ins Auge gefaßt, in der sich der Katholizismus offiziell als staatstragende Funktion betätigen können soll.

Für das angestrebte Einigungswerk werden die verschiedenen politischen Organisationen umsortiert, genauso wie ein Adenauer in den Gründungsjahren der BRD erst einmal für die Klarstellung gesorgt hat, was erlaubt ist und was verfassungsfeindlich. In Zeiten der 'Solidarität' allzu sehr diskreditierte und von Mitgliederschwund befallene Abteilungen der Partei, wie der kommunistische Jugendverband, werden aufgelöst, die Partei selbst wird von "extremen" Protagonisten des rechten wie linken Flügels gesäubert: Vertreter einer bedingungslosen Rückkehr zu den politischen Verhältnissen vor dem Auftreten der 'Solidarität' haben ebenso gehen müssen wie solche, die zu öffentlich mit der 'Solidarität' sympathisiert haben. Offensichtlich ein mehr dem Bürger Genscher als dem Genossen Lenin abgeschautes Kriterium. Die Partei immer noch von 2.000 Austritten per Monat befallen, bemüht sich um ihre "Selbstheilung".

meinen, immer noch ihre Verweigerung des Kriegsrechts praktizieren zu müssen, wie der Schauspielerverband, der sich am längsten die Demonstration von Gewissen geleistet und einen Boykott des Fernsehens organisiert hat, werden ebenfalls aufgelöst unter in direkter Billigung des obersten Kirchenfürsten, der für die Schauspieler extra predigte, sie sollten die Arbeit wieder aufnehmen und die Rückkehr in die Studios nicht als "Kollaborition mit einer bösartigen Institution" begreifen (die intelligente Bezeichnung der polnischen Dissidenten für Militärdiktatur). Auf der anderen Seite werden alle möglichen Vereine wieder zugelassen, womit die polnischen Machthaber die bürgerliche Staatsweisheit anwenden, daß wenn der Gehorsam garantiert ist, an Gesinnungen mancherlei erlaubt sein kann, ohne daß die Politik daran Schaden nimmt.

Die "Klubs der katholischen Intelligenz" dürfen ihre der gerechten nationalen Sache gewidmete Diskussionstätigkeit wieder aufnehmen, andere Intelligenzler dürfen in den Zeitungen über verschiedene Modelle einer Neuordnung der Regierungsorgane herumspekulieren - Präsidialverfassung a la Frankreich? - und die Gedanken aus der Zeit der 'Solidarität' dürfen nun, da ihre praktische Anfechtung der Staatsmacht unterbunden ist, in der gleichen Form ziikulieren:

"Heute ist klar, daß ohne wirkliche Demokratie keine Spielart des Sozialismus in Polen funktionieren kann. Die vorherrschende gesellschaftliche Doktrin wird vielmehr die des polnischen Papstes sein, welche die Ziele der Sozioldemokratie mit der Tradition der Kirche der Armen und dem protestantischen Ethos der Arbeit verbindet. Nichts wird mehr so sein, wie es war. Die Sowjetunion hat in ihrer Politik gegenüber Polen einen großen Spielraum, auch wenn es nicht danach aussieht. Die polnische Gesellschaft hat durch den Mund und durch die Feder von Tausenden berufener unabhänguger Vertreter und keineswegs unter dem Druck von Drohungen oder Ängsten erklärt, daß für das Bündnis mit der Sowjetunion und für den Verbleib Polens im RGW das gesamte Volk, alle relevanten Schichten, Gruppierungen und Fraktionen eintreten."

Wenn schon einer der ehemaligen prominenten intellektuellen Anhänger der 'Solidarität' der abgesetzte Vorsitzende des Polnischen Journalistenverbands Bratkowski, die Lage so sieht, und Erfolge der 'Solidarität' in der Durchsetzung der kirchlichen Armenhausethik gegen die Partei sieht, dann steht doch einem trostlosen nationalen Kompromiß nicht mehr viel im Wege.

Es geht nämlich - unter der Bedingung des noch nicht aufgehobenen Kriegsrechts - in Polen mittlerweile außerordentlich demokratisch zu, woran zu bemerken ist, was für eine Erfindung die Demokratie ist.

Freiheitlich-nationale Kritik

Der oberste Kriegsrechtsverwalter hat sich in der Erledigung seiner Aufgabe zu dem Zynismus durchgearbeitet, den bürgerliche Politiker seit jeher beherrschen, den Opfern der eigenen Politik gerenüber ihr Opfer als sachliche Notwendigkeit hinzustellen und gleichzeitig mit einem bedauernden "leider" das allerhöchste Mitleid auszusgrechen: Mit der gleichen perfekten staatsmännischen Heuchelei, mit der hierzulande die Arbeitslosen bedacht werden, deren Existenz Staat und Kapital gemeinschaftlich als überflüssige Kost betrachten, ist General Jaruzelski zum Besuch bei den Hinterbliebenen eines erschossenen Demonstranten angetreten und hat ihnen sein sicherlich tiefempfundenes Beileid versichert. Der Innenminister bedauert in seiner Bilanz die 15 Todesopfer, aber die

"Schuld trifft nicht das Regime, sondern die ausländischen Inspiratoren und die inländisclien Organisatoren der Straßendemonstrationen."

Darüber soll man sich entrüsten, während es in Westberlin die Polizei noch nicht einmal für nötig befindet, Bedauern über den Tod von Klaus Rattay zu heucheln, der vor ihren Schlägen unter einen Bus "geflüchtet" ist. Mitglieder der Partei, die per Kriegsrecht herrscht, bekennen sich positiv zu den Anliegen der bekämpften Solidarität - bloß, sie könnten ihnen leider nicht entsprechen:

"Zwei Jahre nach Unterzeichnung der Abkommen liegt unser Dilemma darin, daß wir viele Forderungen einfach nicht erfüllen können. Dos heißt nicht - ich bitte, mich gut zu verstehen - daß wir, die Staatsmacht, nicht nachgeben wollen. Wir können es nicht." (Politbilro-Mitglied Barcikowski zum 31. August)

Und wenn schon die offizielle Politik die Trennung von Notwendigkeiten, die man einsehen muß, und Umständen, die man bedauern kann, eingeführt hat, ist der gesamten nach wie vor staatlich gelenkten und zensierten Presse das Feld der verantwortungsvollen Kritik eröffnet, in dem die Journalisten nach Herzenslust gerade wegen gewisser unumstößlicher nationaler Bedingungen an allen Methoden und Begleiterscheinungen herummeckern dürfen.

Zycie Warszawy (nach wie vor eine staatliche Zeitung!) bezieht angesichts der Streikaufrufe der Untergrundsolidarität ganz unbefangen einen "über" den streitenden Parteien, 'Solidarität' und Militärregierung, stehenden Standpunkt der nationalen Versöhnung und sieht

"als Folge von Streiks nur die Vergrößerung der Spannungen, des Hasses, der Verhärtung in der Haltung der Behörden. Und was dann folgt, ist die Verlängerung des Kriegszustands, den wir alle satt haben."

Und wenn die Regierenden in den Verdacht geraten, Rückfälle in alte revisionistische Unsitten zuzulassen, kritisieren die staatlich angestellten Journalisten das freimütigst:

"Wir lesen und hören einen Stil, der uns an die Vergangenheit erinnert, daß im ganzen Land spontan, massenhaft und enthusiastisch Initiativgruppen und Gründungskomitees der neuen Gewerkschaft entstünden. Das klingt falsch und ruft Widerspruch und Erregung hervor."

Und die Regierenden bedienen sich prompt des herrlichen Mittels, sich verantwortungsvoller Kritik gegenüber aufgeschlossen zu zeigen: Ein paar Tage später erklärt das Politbüro, "in manchen Fällen seien unbegründete Eile und Versuche bürokratischer Einflußnahme" zu bedauern.

Eine Regierung, die sich zu ihrer Machtausübung als Problem bekennt wie Ministerpräsident Rakowski in seiner Neujahrsansprache -

"Die Hauptaufgabe für die Regierung besteht darin, die Arbeiterklasse zu gewinnen. Das ist keine Frage der Wirtschaftspolitik, sondern eine Frage, ob die Menschen davon überzeugt sind, daß die Regierung eine Politik der sozialen Gerechtigkeit treibt" -

ist doch nun wirklich ein großartiger Fortrchritt gegenüber einer klassischen revisionistischen Regierung, die sich immerzu in vollstem Einvernehmen mit ihrem Volk behauptet. Und warum sollte das "Problem", an dem Machthaber die Schwierigkeit ihrer Aufgabe von ihrem Volk würdigen lassen wollen, nicht auch das eines niedergeschlagenen Volksaufstands sein können, den man bloß in verlorengegangenes Vertrauen übersetzen muß? Wo es doch hierzulande z.B. Krise heißt, die die Zuständigen ihrem Volk zwar verordnen, aber auch bloß in eine Art Schicksal übersetzen müssen, um sich den guten Ruf zu erwerben, schwer um die Bewältigung zu kämpfen? Es mögen in Polen zwar im Unterschied zu hier noch genügend Leute herumlaufen, die von solchen Reden nichts halten. Aber nicht, weil sie die Heuchelei von Vertrauensarbeit und sozialer Gerechtigkeit als Mittel der Herrschaft durchschauen würden, sondern deshalb, weil der Redner noch zu unmittelbar als einer derjenigen in Erinnerung ist, die die selbsternannten Vertrauenspersonen des Volks und Stifter einer anderen sozialen Gerechtigkeit aus dem Verkehr gezogen haben. Aber mit der moralischen Mißbilligung seiner Bürger kann jeder Staat, auch einer im Osten, ohne weiteres leben, wenn nur für den praktischen Gehorsam gesorgt ist. Und den garantieren zuvörderst die staatliche Gewalt und die durch sie verordnete Armut, die das Volk zu bewältigen hat, ganz neben und unabhängig von seiner ungebrochenen Treue zur 'Solidarität'.

Dafür hat es einen Papst

Eine anerkannte Institution kümmert sich schließlich auch um den Glauben an Höheres, das in diesem Jammertal leider nicht zum Zuge kommt - das ist alles, was nach der Klärung der Machtfrage von der Begeisterung des Volks für die 'Solidarität' geblieben und konsequent im Schoß der Kirche gelandet ist.

Die Kirche ist der einzige unbestrittene Gewinner der polnischen Umtriebe; und ihre Sendboten plaudern zuweilen im Ausland ganz unbefangen über ihre Erfolge:

"...daß der Kirche gewisse von der Regierung zugestandenen Privilegien schadeten. So erhielten Priester leichter eine Ausreiseerlaubnis als andere Staatsbürger. Die Kirche Polens werde heute von zwei Seiten angegriffen, von der radikalen Linken in der 'Solidarität' und von der Partei. Angriffe aus dem kommunistischen Lager, auch aus der Sowjetunion, seien für die polnische Kirche gar nicht schlecht... Die Kirche hat keine Konkurrenz bei der Jugend Polens." (Theologe Jozef Tischner)

Nicht nur hat die Kirche kein einziges in der Zeit der 'Solidarität' durch den Kampf der 'Solidarität' errungenes Vorrecht einbüßen müssen; sie ist überdies, nachdem die von der praktischen Opposition abgebrachten Massen ihr als die treueste aller möglichen Gefolgschaften anhängen, zu dem politischen Verhandlungspartner des Staates avanciert, hat sich also oben als die inoffizielle Ordnungsmacht etabliert genauso wie unten an der Basis, wo sie das traditionelle Feld der Verwaltung der Armut per Caritas vom erledigten polnischen Sozialstaat voll übernommen hat ebenso wie die Betreuung des Untergrunds. Aber diese Aufgabe - hat nicht zu bedeuten, daß sich die Kirche nunmehr dem Zweck "Revolution" verschrieben hätte, wie eine sowjetische Zeitung in einem überaus peinlichen Appell an die Kirche, zu ihren eigentlichen Aufgaben der Friedensstiftung zurückzukehren, bemerkt. Auch als Konkurrenzorganisation zur Staatsmacht, der sie die Anhängerschaft im Namen einer höheren Moral streitig macht, ist die Kirche Nntznießer der Staatsmacht: Sie konkurriert um die Moral und nicht um die Macht, und deren Behauptung stärkt das Volksbedürfnis nach moralischem Trost ungeheuerlich. Auf diesem Gebiet sind die kirchlichen Truppen also glänzende Sieger und die Streitigkeiten, wegen deren man sich nach Auffassung westlicher Journalisten immerzu Sorgen um den armen Bischof Glemp machen soll, ob er sich nicht leider kompromittieren und den Ärger seiner Basisleute zuziehen muß etc. etc., diese Streitigkeiten sind bloß die unvermeidlichen Begleiterscheinungen des Geschäfts, das die Kirche in Polen tätigt. Ihre Anhängerschaft im Volk pflegt sie durch die Betonung der Konkurrenz zu den weltlichen Mächten, von denen das Volk enttäuscht ist. Mit dem Staat verhandelt sie über Ruhe und Ordnung in Polen, was schon deswegen keine Selbstverleugnung der Kirche ist, weil sie ja nirgendwo auf der Welt zum Blutvergießen auffordert, sondern ausschließlich für die gerechten Prinzipien eintritt, die solches für nötig erklären. Soist sie Macht im Staat und zugleich wieder die einzige Volksbewegung in Polen.

Dementsprechend berechnend das Verhältnis der Kirche zur 'Solidarität' bzw. ihren Resten: Die Kirche ist mittlerweile entschlossen, für ibre Verhandlungen mit dem Staat nicht mehr auf Wiederzulassung der 'Solidarität' zu besteben.

"Falls Walesa arbeitslos bleibt, wird die Kirche ihm helfen, aber es scheint ziemlich beschlossene Sache, daß er in kirchlichen Organisationen keine politische Rolle mehr spielen wird."

"Schon äußerte der im Untergrund lebende Führer der Warschauer 'Solidaritäts'-Organisation, Bujak, die Befürchtung, die Kirche könne sie demnächst dazu auffordern, den illegalen Widerstand als aussichtsloses Unternehmen aufzugeben. Eine solche Möglichkeit wird in kirchlichen Kreisen, die eine geschlossene Untergrundbewegung wie zu Zeiten der deutschen Besatzung nicht erkennen wollen, nicht ausgeschlossen. Die Kirche gibt dem Untergrund langfristig keine politische Chance."

"Bujak rechnet nicht mit einem Besuch des Papstes im kommenden Jahr, denn die Behörden würden als 'Bedingung auch fordern, daß sich der gesamte Untergrund enthüllt'. Diese Aufforderung werde über die Kirche an den Untergrund gerichtet, die aber ihrerseits darauf kaum einen Einfluß hat. ... zeigt sich auch skeptisch, daß im Gegenzug die Kirche darauf bestehen wird, daß sämtliche nach Kriegsrecht Verurteilten mit einer Amnestie freigelassen werden." (Zitate aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung),

Die "Einheit der Nation"

Daß in Polen nach wie vor die Leute zu wenig zu essen haben, daß weder die ökonomischen Sanierungsversuche der Regierenden noch die Hilfslieferungen aus den RGW-Staaten dazu geeignet sind, daran etwas zu ändern, daß die westliche Kredit- und Handelspolitik darauf berechnet ist, daß es so bleibt, wenn möglich sich noch verschlimmert, ist fast überflüssig zu erwähnen. Alle Welt, einschließlich der Betroffenen, behandelt das ja mittlerweile als die größte denkbare Selbstverständlichkeit. Und auch die westliche Heuchelei greift auf dieses Thema nur noch dann zurück, wenn die allgemeine Bebilderung der kommunistischen Bosheit neben den aktuellen Vorwürfen wieder einmal gefragt ist.

Ganz unabhängig von der wirklichen Betätigung der Polen ist ihr sprichwörtlicher Freibeitsdrang ins Instrumentarium imperialistischer Politik übergegangen, was die Idiotie dieses Grundwerts, ganz für sich Nation sein zu dürfen, genauso belegt wie ihre aktuelle Verwendung der polnischen Politik. Wer allerdings, so wie die westdeutsche Linke, in der Begeisterung über die 'Solidarität' die wenigen letzten Skrupel über die Eignung von Katholizismus und Nationalismus für revolutionäre Umtriebe über Bord geschmissen hat und die weiß-roten Denkmalsaufstellungen, Fahnen, Eide und Kreuzküssereien schon für ziemlich klassenbewußte Aktionen erklärt hat, mag auch jetzt an der Erledigung der 'Solidarität' durch das Kriegsrecht den Zusammenhang zum Nationalismus nicht erkennen. Dabei handelt es sich nur um die Umdrehung desselben Sachverhalts.

So kreuzbrav, wie sich die Führer und Fans der 'Solidarität' ihre miserablen Lebensumstände als unpolnische Mißwirtschaft erklärt haben, so dumm, wie sie sich das Interesse des Westens an ihrem Staat als Parteinahme für ihr Ideal eines wahren und furchtbar unabhängigen Polen zurechtgelegt haben, so sehr haben sie sich darin getäuscht, mit welchen, über die polnische Herrschaft hinausgehenden Gewaltverhältnissen sie sich angelegt haben, folglich auch darüber, wie ihre eigene Regierung ihre Gewalt behauptet unter der Bedingung, ost-westlicher Streitfall zu sein.

Sie haben erfahren müssen, daß die Frage, was eine Nation ist, eine Frage der Gewalt ist - erfahren, aber nicht begriffen, und auf dieser Grundlage einer niedergemachten Volksbewegung, auf Grundlage der Enttäuschung und Resignation der gewesenen Aufständischen kultivieren die Beteiligten ein ganz neues polnisches Staatsbewußtsein, das zwar eine Verrücktheit sondergleichen ist, zum Staatsmachen aber genau so taugt, wie alle anderen Varianten. Daß der ideale polnische Staat an gewissen äußeren Bedingungen gescheitert ist, hat weder zur Kritik an diesem Ziel noch an diesen Bedingungen geführt; stattdessen zu einer Sorte von nationalem Kompromiß, daß man zwar nicht so Nation sein kann, wie man möchte, daß man aber immerhin dafür sein muß, entweder überhaupt Nation sein zu dürfen, oder daß man es zur Zeit nicht kann, so daß Unterwerfung ansteht. Die erlesene Idiotie, sich die Tatsache, unter einer Gewalt versammelt zu sein, übersetzt in das Ideal einer einigen Nation, zu dem einzigen, wesentlichen politischen Zweck zu erklären, auf den es ankommt, ist das Resultat des polnischen Aufstands und fungiert in den Varianten des enttäuschten, wie des unter den jetzigen Bedingungen kooperationsbereiten Nationalismus als das Befriedungsmittel, das zusätzlich zur Erpressung mit Staatsgewalt und Armut, in der polnischen Nation für die Bedingungen einer wieder unangefochtenen Politik sorgt.

die Gewinner, auf der anderen die Verlierer, wollen beide nur noch ein Problem kennen, wie und unter welchen Bedingungen, die polnische Nation ihre Einheit findet. Da können sie ruhig ihre Gegensätze benennen. Im allseits anerkannten "leider" - von oben: "Leider" müssen wir die Garantie der Staatsmacht durchsetzen und für Ruhe und Ordnung sorgen; von unten: "Leider" geht nichts anderes - darin hat die Politik die Garantie, daß die zugelassenen Gegensätze den - Staat nicht mehr erschüttern. Mit einer Ausnahme allerdings: Die westliche Einflußnahme auf die polnischen Verhältnisse und die durch die Wirtschaftsbeziehungen entstandene Abhängigkeit Polens, der jene gerade ihre Durchschlagskraft verdankt, bleiben natürlich bleibende Gefährdung der polnischen Staatskunst mit und ohne Kriegsrecht. recht.

Vier repräsentative Äußerungen, daß in Polen über die Nation keinem was geht: Der Staatsratsvorsitzende Jablonski in seiner Neujahrsansprache ruft

"die Polen dazu auf, Geduld zu üben und ihre Kräfte zur Überwindung der Krise zu sammeln. Besonders hob er jedoch die Notwendigkeit der Einheit hervor. Eine in sich gespaltene Nation könne ihre Aufgabe nicht wahrnehmen."

Erzbischof Glemp mahnt in seiner Weihnachtsbotschaft,

"die Wunden, die das letzte Jahr geschlagen hat, zum Weihnachtsfest nicht wieder aufzureißen.",

verurteilt zwar gewisse Maßnahmen, aber diese

"werden vor allem von lokalen Behörden angeordnet, die nicht im Einklang mit dem Willen der Zentralmacht stünden."

"Niedergeschlagenheit und Apathie, Leidenschaft und Verzweiflung sind gefährliche Zustände der Seele. Auf so schwankenden inneren Haltungen kann man schwer eine gesellschaftliche Ordnung aufbauen."

Die muß ja wohl auch sein.

Walesa in einer Rede, die er auf einer Dezemberfeier für die Opfer von 1970 nicht halten durfte:

"Es ist unser Drama, daß wir diesmal das Leben in unserem Mutterland nicht unseren Hoffnungen anpassen konnten und den Fähigkeiten unserer Nation. Aber unsere Münder sollen nicht geschlos Gedanke der Nation dient."

in einem Brief an Jaruzelski:

"Mir scheint, daß die Zeit gekommen ist, einige Dinge zu klären und in Richtung einer Verständigung zu wirken. Es war Zeit nötig, um viele Dinge zu verstehen, was man kann und wie weit man das kann - auf beide Seiten.. Bei gutem Willen werden wir gewiß eine Lösung finden."

Ein Flugblatt der Untergrund-'Solidarität':

"Eine Frage, die für das nationale Selbstbewußtsein besonders wichtig ist, muß nun gestellt werden: Konnte die Solidarität siegen?... Hätte Polen ein unabhängiges und dernokratisches Land werden können? Ja, aber nur unter einer Bedingung: dem Sieg in einem Defensivkrieg mit den Nachbarn...

Den Rückzug hat - unbeabsichtigt, denn darum ging es ihm nicht - der Militärrat gesichert, als er durch sein Entstehen die Legende der Bewegung schuf...

Die Kommunisten haben ihren Sieg leicht errungen, aber nur deshalb, weil für uns ein Sieg im Dezember 81 hätte gefährlicher sein können als die erlittene Niederlage. Wir haben das nicht offen gesagt, aber unter der Haut des erschütterten Landes, da haben wir das gefühlt."

Wenn sogar ein Untergrund-Anführer die Auffassung vertritt, 'Solidarität' hätte eigentlich einen Krieg gegen die ostdeutschen, tschechischen, russischen und ungarischen Arbeiter führen müssen, um ihr Ziel zu erreichen und allein wegen der dabei zu erwartenden Niederlage das Kriegsrecht für das kleinere Übel hält - dann merkt man, daß der reale Sozialismus nie einen schlimmeren Sieg errungen hat als diesen: In Polen regiert er sein Volk mit dessen Nationalismus und die Unzufriedenheit dieses Volkes wird zur Beschwerde über zwar notwendige aber leider nicht zu gewinnende Kriege.