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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1983 erschienen.
"Bundeskongreß der Arbeitslosen"
POSITIV, AKTIV, SELBSTORGANISIERT
Den Organisatoren des Anfang Dezemher in Frankfurt abgehaltenen Kongreß kam es natürlich weder darauf an, irgendeinem Arheitslosen weiterzuhelfen, noch die trostlose Alternative, wieder arbeiten zu dürfen, zu kritisieren; also mitnichten aus dem Sachverhalt, daß das niedere Volk im Kapitalismus zwischen dem "Privileg", sich ausbeuten zu lassen und dem "Schicksal", bei vollem Besitz seiner Arheitskraft auf dieser als Sozialfall sitzen zu bleihen, je nach Bedarf des Kapitals hin- und hergeworfen wird, Konsequenzen gegen Staat und Wirtschaft zu ziehen.
Vielmehr erfreuten sich die einladenden "Inititativgruppen" der "Unterstützung von Kirche und Gewerkschaften", weil sie "das Arbeitslosenschicksal in das Bewußtsein der Öffentlichkeit rücken und die Unternehmer und Politiker an ihre Verantwortung für die Beschäftigung erinnern" wollen. Die damit eingeladenen "alle Arbeitslosen" sind so genau an die Stelle des "Bewußtseins der Öffentlichkeit" gerückt worden, wo sie nach dem Willen der verantwortlichen Unternehmer und Politiker auch hingehören. Arbeitslosigkeit - ein Schicksal für die Betroffenen und für die Öffentlichkeit ein Problem.
"Wir haben es satt, nur einmal im Monat als Statistik erwähnt zu werden."
Mit diesem Anliegen wurde der Öffentlichkeit gleich zu Beginn des Kongresses kundgetan, daß das, was Kapital und Staat mit den Arbeitslosen machen, die Betroffenen nicht zum Protest bewegte. Sie hatten andere Sorgen; aber auch nicht einfach die praktische Sorge eines jeden Arheitslosen, wie er wieder zu bezahlter Arbeit zugelassen werden könnte, sondern das aparte Problem, wie und als was die Arheitslosen sich selbst darzustellen hätten. Deshalb wurde so viel Wert auf die Feststellung gelegt, Arbeitslose seien keine "anonyme Zahl". Woher kennt man nur solche Sprüche? Wenn Kohl, Carstens und Loderer betonen, daß "hinter den Zahlen" "Schicksale" stünden, dann dient das noch immer dazu, die Opferbereitschaft des Volkes in "schweren Zeiten" zu beschwören. Wenn Arbeitslose sich unter dem gleichen Motto versammeln, dann wollen sie kundgetan wissen, daß Arbeitslosigkeit Leben ist; ein Leben, das es verdient, von aller Öffentlichkeit beachtet zu werden, weil es alle Tugenden aufweist, die von staatlicher Seite vom Arbeitslosen erwartet werden.
Eine Randerscheinting war der "Ruf nach Arbeit" auf dem Kongreß allerdings nicht deswegen, weil die Arheitslosen-Bewegung etwas gegen die Untertänigkeit der Bitte um Dienst am Kapital einzuwenden gehabt hätte. Auch nicht deshalb, weil sie an der Bereitschaft, sich ausheuten zu lassen, nichts Gutes finden und sie schon gar nicht als Garantie für Lohn und Lebensunterhalt trachten wollte. Nichts einzuwenden hatten die Versammelten dagegen, daß die im Volke durchgesetzte Ideologie, der Arbeitslose bräuchte vor allem Arbeit, als ideologische Begleitmusik zur Verschärfung aller möglichen Auflagen dient, die an ihnen mustergültig exekutiert werden. Ganz im Gegenteil war diese Ideologie auf dem Kongreß allgegenwärtig. Nicht als Forderung "Schafft Arbeit!" wie bei der Gewerkschaft, sondern in Gestalt mannigfacher Vorstellungen darüber, wie dem Leben in und mit der Arbeitslosigkeit ein Sinn gegeben werden könnte. Und durchwegs beinhalteten die vorgeführten und -gelebten Sinnangebote nichts anderes als die offiziell gültigen Ideale, die immer als Vorzüge der Lohnarbeit propagiert werden.
"Positiv war das Gefühl der Zusammengehörigkeit und daß wir hier alle in einem Boot sitzen."
Das soll ja das Schöne sein, was ein Arbeiter "besitzt" und einem Arbeitslosen abgeht, das Gefühl, in einer "Gemeinschaft" aufgehoben zu sein: Ein Vorzug, der sich nicht daran blamiert, daß einziger Inhalt solcher Gemeinschaft die Not ist, sondern der dann erst so richtig zum Tragen kommt. Also bestand der Erfolg des Kongresses bereits darin, "daß er überhaupt zustandegekommen ist", weil die Arbeitslosen ganz viel Gemeinschaftsgefühl erleben konnten und auch schon ziemlich damit zufriedengestellt waren, daß "Kontakte geknüpft", "Informationen und Adressen ausgetauscht wurden".
"Selbst aktiv werden"
Großen Wert legten die versammelten Vertreter der Initiativen und Selbsthilfegruppen darauf, sich in einer Vielzahl von Arbeitslosen-Aktivitäten zu präsentieren. Beratungsgruppen, Werkelgruppen, Gesprächsgruppen, Erfahrungs-Austauschgruppen, Freizeitgruppen, Arbeitslosen-Frauen- und Theatergruppen taten kund, daß es sie gibt, um damit anschaulich zu machen, daß die Arbeitslosigkeit ein großer "Markt der Möglichkeiten" sein kann, eine Chance zu alternativer Vollbeschäftigung gleichsam, wenn man es nur an Phantasie und gutem Willen nicht fehlen läßt. Die Frage nach dem Nutzen oder wenigstens nach dem Unterhaltungswert solcher Betätigung war allein damit im positiven Sinne beantwortet, daß Original-Arbeitslose die Betreiber sind. Peinliche Sketche, spinnerte Phantasie-Projekte (wie z.B. die Schaffung einer "Selbsthilfe-Bank" durch Tristan Abromeit, die mit einer "Steuerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes" dessen "Ausnutzungsgrad" steigern will und zu diesem Zweck das Studium der "Bürgschaftsbedingungen der Kreditgarantiegemeinschaften des Mittelstandes in den Bundesländern" empfiehlt ), aber auch "von Arbeitslosen aus Hannover" hergestellte Kerzen und Weihnachtskarten auf dem "Markt der Möglichkeiten" dienten zur Bebilderung der Ideologie, daß die "Aktivität", die dem aus der Lohnarbeit Entlassenen angeblich fehlen würde, mit nichts anderem als dem ideellen Lohn der Anerkennung abgegolten sein will - eine gelungene Ergänzung zur erzwungenen Mittellosigkeit der Betroffenen. Und nicht nur das: Angesichts dessen, daß der staatliche Zwang, mit dem die Arbeitslosigkeit hierzulande verwaltet wird, den Entlassenen qua Gesetz und - Arbeitsamt auferlegt, ihren Willen zur Arbeit beständig praktisch unter Beweis zu stellen, so daß die Arbeitslosigkeit für sie alles andere als "Nichtstun" bedeutet, haben die Arbeitslosen-Bewegten sich in den Kopf gesetzt, das staatliche "Aktivierungsprogramm" um die Produkte der eigenen Phantasie zu ergänzen und die Arbeitslosigkeit quasi als selbstgewählten Beruf liebevoll auszugestalten. Solche Arbeitslosen treten dem brutalen staatlichen Standpunkt, daß sogar das Nichtstun für Leute, die keine Werte schaffen, noch zuviel des Guten wäre, und daß sich jeder Entlassene von dem Verdacht zu rechtfertigen hat, ob es ihm nicht vielleicht am Willen zur Arbeit mangele, nicht als Gegner gegenüber, sondern voller Selbstbewußtsein, dem Maßstab zu genügen, bzw. mit dem entrüsteten Dementi auf den Lippen: "Wir sind nicht nur (?) schlichte Drückeberger." (ein Teilnehmer im Fernsehen)
Die "Organisationsfrage"
Die heißesten Diskussionen gab es um den Punkt, ob und - wenn ja -wie sich Arbeitslose organisieren sollten bzw. könnten: autonom, selbstorganisiert und basisdemokratisch oder aber innerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die Frage, was mit einer Organisierung erreicht werden sollte, interessierte dabei ebensowenig - "Zum politischen Inhalt der Arbeitslosengewerkschaft lassen sich z.Zt. keine konkreten Aussagen machen" (Thesenpapier) - wie die tagtägliche Praxis der Gewerkschaften in puncto Entlassungen. Stattdessen debattierten die Kongreßteilnehmer die "Organisationsfrage": Ob es überhaupt möglich sei, Arbeitslose organisatorisch unter einen Hut zu bringen" ("das Problem der Fluktuation"), wie man sich von anderen Organisationen abgrenzen könne ("Was machen wir mit einem, der wieder Arbeit hat") und welche '"Struktur" eine mögliche Arbeitslosengevverkschaft erhaltern könnte ("das Prinzip kann nur sein der real eingelöste Aufbau von unten nach oben"). Hier offenbarte sich, daß ein Großteil der Arbeitslosen-Bewegten sich auch noch von der letzten Erinnerung an die Betroffenheit durch eine ökonomische Notlage entfernt hatte; daß sie stattdessen wie Möchtegern-Politiker scharf darauf waren, sich als Vertretung der Opfer öffentliches Gewicht und Bedeutsamkeit zu verschaffen. Hier konnte man sich in endlosen Geschäftsordnungsdebatten und Rednerlisten-Hickhacks profilieren, weil es auf nichts anderes ankam, als sich als möglicher künftiger Funktionär einer Arbeitslosen-Organisation durchzusetzen. Diejenigen Teilnehmer, die für eine Organisation innerhalb der Gewerkschaft waren, trumpften mit schlichten Bekenntnissen zum öffentlichen Renommee der deutschen Arbeitervertretung auf ("ohne Gewerkschaft geht nichts") und blamierten mit diesem schlagenden Argument die Gegenposition, die das gleiche Anliegen - anerkannte Vertreter der Opfer zu sein - selbstorganisiert zu erreichen gedachten. Als einzige Kritik an der Gewerkschaft war demnach das Argument zugelassen, sie würde die Arbeitslosen nicht genügend "anerkennen", und Leute, die sich diesen Vorwurf zu eigen machten, problematisierten ihr Verhältnis zur offiziellen deutschen Opfer-Vertretung - als ob diese nicht längst eindeutig entschien hätte, daß sie Entlassungen zur Stärkung der Konkurrenzfähigkeit deutschen Kapitals für notwendig hält und sich ansonsten für die Arbeitslosen nicht interessiert, weil ihr allemal die Brauchbarkeit der Arbeitskraft fürs Kapital als entscheidendes Kriterium der Vertretungs-Würdigkeit gilt.