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Staatsphilosophie
GEISTIGER FRONTAUFRUF ZUR LAGE DER NATION
Innerhalb der geistigen Vertretung der Nation, die das staatlich gewährte Recht auf Wissenschaftsfreiheit mit universitärem Leben erfüllt, greift ein neuer 'Realismus' um sich. Allerorten verlangen sich Wissenschaftler ein neues 'Bekenntnis zur Wirklichkeit' ab und rufen zu 'nationalem Denken' auf. Die Aufforderung zur geistigen Wende wollen nationale Denker jedoch nicht den praktischen Maßnahmen der Politiker entnommen haben, die heute quer durch alle Parteien das einzige Glück aller Deutschen darin sehen, umstandslos für die Verteidigung der Freiheit, die Ausgabenwünsche des Staates und den Erfolg der nationalen Wirtschaft zu Diensten zu stehen. Geistige Opportunisten der Macht sind nur den Fortschritten ihrer Wissenschaft verpflichtet.
Da sie Denken nur als moralische Pflicht betrachten, sich zu einem Bekenntnis zu den Gegenständen hinzuarbeiten, mit denen sie sich theoretisch befassen, steht der neue Wille, dem Glauben an das "nationale Schicksal" Ausdruck zu verleihen, dem kritisierten "demokratischen Denken" in nichts nach, was die Dummheit und Weltfremdheit der Argumente betrifft. So albern der Vorwurf auch ist, die 'kritischen' Vertreter der Geisteszunft hätten an der gelobten Wirklichkeit gezweifelt, weil sie mit ihrem zu Weltmodellen ausgepinselten Willen, Wirtschaft, Staat und Gesellschaft grundlose gute Zwecke anzudichten, diese zur bloßen Möglichkeit ihrer Ideale heruntergesetzt hätten - in einem ist er sehr gerecht. Gegenüber diesem Umweg, der existierenden Welt der Demokratie und des Kapitals zu einer menschheitlichen "Notwendigkeit" zu verhelfen, ist es ein Fortschritt, sich zur puren Existenz als dem Ideal des wissenschaftlichen Bekenntnisses zu stellen.
Das nationale 'Schicksal'- ein zureichender philosophischer Grund
Bernard Willms, Professor in Bochum und nach eigener Ansicht der Hegelschen Staatsphilosophie verpflichtet, hat in zwei Aufsätzen, die er inzwischen zu einem Buchformat erweitert hat, sich zur 'Lage der Nation' geäußert. Über den Horizont seines Faches brauchte er dabei nicht hinwegzublicken, denn - und das soll man ihm glauben "die Lage der Philosophie ist die Lage der Nation". Daß er und seinesgleichen die Geschicke der Nation und die Entscheidungen der Politiker wirklich bestimmen würden, will er damit zwar nicht behaupten. Wohl aber das Umgekehrte: Der Staat und die von ihm ausgeübte Gewalt, mit der seine Staatsbürger auf ihn verpflichtet werden und darin ihre nationale Existenz haben, ist ein philosophisches Argument und zwar das einzige 'a priori', das Denken ermöglicht.
Weil der Zwang, den Gesetzen und Maßnahmen des Staates zu gehorchen, unausweichliche praktische Gültigkeit hat und Widerstand dagegen existenzgefährdend ist, ist der Staat für Willms ein unwiderlegbares Argument; nur uneingeschränkte Gewalt stiftet Sicherheit des Denkens - diese denkerische Gewißheit verfehlt zu haben, wirft er seinen Kollegen vor.
"Philosophie muß einen festen Boden gewinnen und es darf kein bloß ausgedachter sein".
Dieser philosophische Anspruch, eine letzte Begründung des Denkens zu finden, die den Mangel "bloß ausgedacht" nicht mehr aufweist und dennoch als theoretische Begründung gelten soll, ist eine logische Unmöglichkeit. Auch Willms liefert ja nichts anderes als Sinnstiftung für die Macht und Bekenntnisse zur existierenden Staatsgewalt, wenn er seiner Begeisterung für sie jede theoretische Begründung verbietet. Die Aufgabe des Denkens, die er als letztes, unumstößliches a priori der Philosophie empfiehlt, hindert ihn keineswegs daran, sich weiterhin am philosophischen Geschäft zu beteiligen, daran also, ganz jenseits und unabhängig von der Untersuchung all dessen, was es gibt, letzte Gründe dafür auszumachen.
Was ihn an der "Trostlosigkeit" idealistischer Philosophie seiner Kollegen stört, ist die Tatsache, daß deren grundlose Zustimmung zu einer Welt, der sie ja immerhin einen nachweisbaren tieferen Sinn attestieren, in diesem Z u noch eine Distanz des Bekenntnisses enthält. Vnd das führt zu unerlaubten Zweifeln an einer Wirklichkeit, deren Existenz schon ihr bester Grund ist:
"Schlimmstenfalls wird es (das Individuum) an der Wirklichkeit verzweifeln, weil es sie nur an ausgedachten Möglichkeiten mißt."
Weg mit geistigem Anspruchsdenken - und sei es auch nur in der Form einer nicht vorab entschiedenen nationalen Sinnsuche! Gehorsames Denken kennt seinen einzigen Grund im vorfindlichen "Schicksal" deutscher Staatsbürger, die mit den Ansprüchen ihrer Politiker unausweichlich konfrontiert werden:
"Aber die Nation ist kein 'Wert', zu dem man sich beliebig entscheiden kann, welche Entscheidung dann als objektiv nicht begründbar aufgefaßt werden müßte. Nation ist ein objektiver, nicht hintergehbarer Befund, mit einem alten Ausdruck: ein Schicksal, also eine existentielle Wirklichkeit, die man als freies Subjekt zwar verfehlen, der aber als objektive nicht ausgewichen werden kann".
Der Staat, der seine Bürger in die nationale Pflicht nimmt, kommt ohne Begründung aus und ist gerade darin der einzig feste Boden für absolutes Denken. Wem an Gedanken freilich nichts weiter auffällt, als daß sie keine Befehle sind und den Mangel besitzen, fiktiv zu sein, weil niemand sie zu glauben und zu beherzigen braucht, dem leuchtet die "Wirklichkeit" - von der er nichts weiter wissen will, als daß sie schicksalhaft zu akzeptieren ist - als oberste Vernunft ein. Eine ziemlich aparte Begründung, mit der Verwechslung von faktischen Zwängen und Denken sich als Hurra-Nationalist zu bekennen, der mit dem Schicksal, für dessen Zurüstung bundesdeutsche Politiker heute ihr Volk verarmen, durch dick und dünn gehen will.
Gewalt gleich Logik
Lächerlich bleibt die Anstrengung, die staatliche Gewalt als Tugend und Grund des Denkens gerade darin bewiesen zu sehen, daß deren (moralischen Halt und geistige Sicherheit stiftende) Qualität ausgerechnet darin bestehen soll, für ihre faktische Geltung auf willentliche Zustimmung und gute Gründe gar nicht angewiesen zu sein:
"Unabhängig von diesen Differenzen ist die Hingabe des Lebens für oder im Dienste des Allgemeinen stets als höchste Tugend angesehen und verehrt worden. Diese Tugend muß auch dann zugesprochen werden, wenn der Grad an Manipuliertheit hoch war oder wenn das Bewußtsein, es sei keine gute Sache, der man diente, zu tiefer Irritation und individueller Erschütterung geführt hat. Die nationale Einstellung kann dumpf oder intelligent sein, immer geht sie aus von der Wirklichkeitsgrundlage, der Unausweichlichkeit, in der die Einzelexistenz in einem Aestimmten Allgemeinen in einem bestimmten Allgemeinen - in einem Staat oder seiner Nation begründet ist."
Eine intelligentere Begründung, als alles, was Politiker mit ihrem Volk anstellen, mitmachen zu wollen und dies sich zur Pflicht nationalen Anstands zu machen, ist Willms ja auch nicht eingefallen. Nicht einmal um die falschen Gründe, die sich ein normaler Nationalist zulegt, der sich vom Erfolg "seines" Staates und "seiner" Wirtschaft letztlich das eigene Wohlergehen verspricht, will er sich kümmern als begeisterter Fan einer Staatsgewalt, die von willentlicher Zustimmung gar nicht abhängig sein soll und nur darin die Wucht eines unbezweifelbaren logischen Arguments haben soll.
An Weltfremdheit ist das "Hurra!" des Philosophen zum 'nationalen Schicksal' nicht zu überbieten, denn nach ihm soll das gewaltsame Bemühen der Politiker, den nationalen Erfolg der Ausbeutung zu garantieren und für die Durchsetzung der Staatsgewalt gegenüber anderen Nationen ihr Volk kriegsfähig zu machen, keinen anderen Zweck haben als der Philosophie zu ihrem Paradigma des "Ganzen" zu verhelfen.
"Nation ist Staat - als Verwirklichung des allgemeinen Wesens des Menschen - insofern er als der je 'meinige', als der 'unsere' bewußt wird. Erst in diesem Bewußtsein ist die Allgemeinheit wirklich konkret. Philosophisch gesprochen ist die Nation ein Allgemeines, das als Bestimmtes, als Besonderes erfahren und bewußt wird - sie ist die Einheit des Allgemeinen und des Besonderen, das Paradigma des philosophischen Ganzen."
Bloß weil mit Willms die Begeisterung über die auf nackte Gewalt heruntergebrachte Existenz des Staates durchgeht - ein schönes Dementi und eine ehrliche Offenbarung des bei seinen Kollegen gängigen Glaubens, sich den Staat als Erfüllung der Menschennatur vorzustellen, die nach einer sie stützenden Ordnung schreit -, soll dieser nichts als ein wirklich gewordener logischer Schluß sein? Aus unschuldigen logischen Abstraktionen ergeben sich nun einmal keine Kriege - sie können nur richtig oder falsch sein! Da muß man schon über die Ignoranz eines Philosophen verfügen, um die Interessen zu vergessen, die nicht Menschen, sondern Staatsbürger dazu veranlassen, nationalen Gehorsam zu leisten, und um die Ziele staatlicher Politik zu teilen, für die dieser Gehorsam eingefordert wird. Denn weder haben nationale Staaten Gewalt zum Zweck - diese wird als Mittel zur Durchsetzung der Zwecke, auf die es Staatsmännern ankommt, eingesetzt -, noch ist staatliches Recht, mit dem Untertanen in die Pflicht genommen werden, so etwas wie reines Denken. Das Verbot einer bewußten und willentlichen Stellung zum unbestreitbaren "nationalen Befund" des Staates soll diesem ausgerechnet zu einer Realität reinen Denkens verhelfen? Weil es ihn gibt und weil es kein guter Grund, sondern die Souveranität der Macht ist, der gefolgt wird, sollen die Maßnahmen, mit denen und für die Staatsmänner die Dienstleistung ihrer nationalen Untertanen einfordern, gleich nicht hinterfragbar sein? Nur wem einleuchtet, daß jedes Festhalten an einem Gedanken eine Vergewaltigung des Denkens ist, der ist auch des Gedankens mächtig, daß die Staatsgewalt pures Denken ist und der Wahrheitsanspruch so etwas wie Staat total. Für dieses Bekenntnis zum "nationalen Schicksal", im Staat pur die Wahrheit des Denkens gegründet zu sehen, steht eben nur dieses Bekenntnis ein - und das ist schon lächerlich genug: Zu einem Schicksal braucht sich nun niemand zu bekennen. Noch lächerlicher freilich ist das Bemühen des Philosophen, er hätte eine Begründung seiner radikalen nationalen Gesinnung anzubieten. In seinem Credo: Nation muß sein, damit das Denken sich ihr unterwerfen kann, soll Philosophie ja nicht abgeschafft und Denken verboten, sondern zu radikaler Freiheit erhoben sein - und da kommt so alles durcheinander:
"Diesen Rückhalt gibt die deutsche Philosophie, ihr Widerstandswille, ihre bohrende Gründlichkeit, ihre Unzufriedenheit mit partikularen Lösungen, ihr Wille zum Absoluten, ihre Entscheidung für kategorische Imperative. Der 'nationale Imperativ' ist kategorisch."
Diesen impeiativen "Beweis" für ein "gründliches", sauberes "deutsches" Denken, das eine anständige nationale Gewalt verdient, weil es ihr "Rückhalt" geben will, soll glauben, wer mag.
Der philosophische Anspruch: Der totale Staat
Ein Denken, das sich dem totalen Halt verschrieben hat, den nur ein "nationales Schicksal" geben kann, ist gegenüber der existenten = wahren = nationalen Herrschaft nicht unkritisch. Wenn schon die Welt auf dem Kopf steht und es den Staat gibt, damit das Denken zu seiner Wahrheit findet, sich ihm unterwerfen zu können, dann stellt sich die Frage: Verdient die BRD dieses philosophische Bekenntnis? Und dies, weniger philosophisch gedacht als faschistisch gesonnen, führt zu einem für Willms bedauerlichen Resultat:
"Abstraktheit, Dummheit, Intransigenz und Gewaltsamkeit des verweigernden Verhältnisses zu Staat und Nation hängen nicht nur von den einzelnen, sondern auch von dem Grad ab, in dem der Staat selbst sich der Substantialität des nationalen Problems bewußt ist. Ein Staat, dessen Nationvergessenheit so weit geht, daß er seine Substanz nicht in seinem Charakter als Paradigma der Totalität, als Identität von Allgemeinen und Besonderen und in nationaler Selbstbehauptung zu sehen in der Lage ist und der sich etwa nur als 'Verteiler' von gesellschaftlich erwirtschaftetem Wohlstand ansieht, kann auf 'Massenloyalität' nur solange rechnen, als das 'Brot', das er verteilt, ausreicht, oder soweit, wie es ihm gelingt, klarzumachen, daß der Mensch von diesem 'Brot' und von nichts weiterem zu leben habe." (Ein schlimmeres Verbrechen kann sich Willms gar nicht denken!) "Dies aber wird ihm auf Dauer niemand glauben."
Sieh da, der feste Boden eines nicht ausgedachten letzten Grundes des Denkens, die pure Existenz der Nation, ist so fest gar nicht; ihm muß erst gewaltsam Boden geschaffen werden. Fest ist eben nur der Wille, der Wahrheit einer keinen Widerspruch seines Volkes duldenden Staatsgewalt Geltung verschaffen zu wollen - ausgerechnet mit der Macht gedanklicher (Un)Logik -, und hierin können die Philosophen in Bonn ihrem Bochumer Kollegen das Wasser nicht reichen. Daß es in der Politik auf etwas anderes ankommt als einen geistigen Grund zu stiften, will Willms in seiner Unzufriedenheit auf einmal bemerkt haben. Was sich seine Brüder im Geist an guten Zwecken nationaler Politik ausspinnen, so als könnten sie keine Zeitung lesen, teilt er (Kohl - unser aller Brötchengeber!), befindet dies aber für ein Verbrechen gegen die eigentlichen Aufgaben des Staates - und auch hierin teilt er die Intention seiner staatsfrömmelnden Kollegen, die ja ihr Sorgenkind auch nicht auf die Verwirklichung seiner eigentlichen guten Absichten drängen, sondern ein umstandsloses Verständnis für die "Notwendigkeit" der Opfer einfordern, die der Staat abverlangt.
Aber dieser Schein einer guten Begründung für die Maßnahmen des Staates, diese geschähen im Namen und im Auftrag einer nationalen Versammlung, gegenüber der sie repräsentierende Staatsmänner zu steter Dienstleistung bereit wären, ist Willms zutiefst zuwider. Eine - und sei es auch noch so zustimmungswillige, also falsche - Begründung für eine Sache zu geben, ist leider kein Haftbefehl und deshalb keine umstandslose Verpflichtung, der nicht mehr ausgewichen werden kann. 'Demokratisches' Denken ist Klassenkampf, weil es die Existenz des Staates von Werten und Normen abhängig sehen will, denen die Politiker in ihrer Tätigkeit verpflichtet sein sollen - und diese können anerkannt oder auch einfach nicht geglaubt werden. Daß der Staat beschränkt ist durch demokratische Spielregeln, nach denen er die Zustimmung und praktische Benutzung seines Volkes organisiert, ist zwar ein Gerücht, aber dieses Gerücht ist ein Verbrechen für jemanden wie Willms, dem "gute Gründe" für das Wirken der Staatsmänner wie eine Bezweiflung der nackten = wahren Gewalt des Staates vorkommen.
"'Spielregeln' oder 'Grundwerte': gemeinsames Kennzeichen ihrer jeweiligen Normativität ist deren Bestreitbarkeit. Wertpositionen, die nichts anderes sind als dies, sind potentielle Bürgerkriegspositionen."
Diese Modernisierung des Demokratieverständnisses beweist keineswegs undemokratischen Ungeist und unreflektierten Nationalismus; er paßt zu der "Lage der Nation", zur "geistigen Wende", die demokratische Politiker damit verkünden, daß sie keine Beschränkung ihres freien Umgangs mit ihrem Volk mehr kennen wollen. Die Gleichung, Gewalt ist Geist, beherzigen sie umgekehrt: Die bewußte Zustimmung und Dienstverpflichtung zu allen Opfern, die der Nation wert und teuer sind, wird verlangt und eingetrieben; und wo die höchste Ehre der Nation sich verwirklicht, ist auch kein Ge ins Blickfeld.
Die philosophische Faschisterei, mit der im Namen der "Identität von Allgemeinem und Besonderem" ein Aufruf zur bedingungslosen A n-Erkennung der "Realität" der Staatsgewalt ergeht, weiß auch keine anderen Zwecke für die deutsche Nation zu benennen als diejenigen, denen sich die berufenen Vertreter der Nation mit allem Ernst widmen: die Bereinigung der äußeren nationalen Front gen Osten (Willms: "Die Frage der Nation ist eine Frage des Schicksals Europas und das Schicksal eines freien Europas setzt den nationalen Selbstbehauptungswillen seiner Völker voraus. Rußland steht an der Oder.") und die innere Frontbereinigung: Weg mit dem nationalen Schuldkomplex, nieder mit den Staatsgegnern und Ausländer raus. Das überschäumende Hurra eines absoluten Denkens paßt nur zu gut in die nationale Landschaft, gerade weil es den Beweis antritt, daß der Verstand da aufhört, wo die nationale Ehre anfängt.
Zitate aus:
Bernard Willms, Politische Identität der Deutschen, in: Der Staat 1/82,
Antaios - oder die Lage der Philosophie ist die Lage der Nation, in: N. Bolz, Wer hat Angst vor der Philosophie, 1982.
Die deutsche Nation, 1982