Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1982 erschienen.

Systematik

Historisches zum Ost-West Gegensatz
DIE GENESIS DES HAUPTFEINDES

Die Geschichte der internationalen "Beziehungen" der Sowjetunion ist das glatte Gebenteil dessen, was sie beweisen soll. Bis herab zum arbeitslosen Jugendlichen mit Sonderschulabschluß weiß in Westdeutschland jedermann, die "Sünden" der"Russen" herzusagen, auch wenn er bis auf Polen keinen einzigen Ländernamen richtig buchstabieren könnte.

Im Bereich der höheren Bildung versteht man es, den Schandtaten der UdSSR auch noch die der Zaren hinzuzufügen, indem man in lustvollen Vergleichen im "ewig russischen Drang ans Meer" das naturgegebene Staatsinteresse oder den russischen Volkscharakter am Wirken sieht und in der sowjetischen Osteuropapolitik den "Panslawismus" auferstehen läßt. Ihren Vorsprung an Bildung beziehen solche Dummheiten gegenüber den oben erwähnten daraus, daß sie nicht einfach von "den Russen" sprechen, sondern gerade über die "Differenzierung" von damals und heute zu einer viel "fundierteren" Denunziation "sowjetischer Aggressivität" gelangen. Einer weit vornehmeren Gedächtnispflege erfreuen sich die Gewalttätigkeiten kapitalistischer Staaten - soweit sie ins vordemokratische Zeitalter fallen, werden sie als "Zeitalter des Imperialismus bis 1918" gegeilßelt. Um nicht alle von den Staaten der "Freien Welt" (die faschistischen Großtaten gar nicht eingerechnet) inszenierten Massaker, Putsche, Drohungen usw. aufführen zu müssen, soll an vier wesentlichen Daten gezeigt werden, wie mit dem historischen Ärgernis umgesprungen wurde, ehe seine Beseitigung zu dem einheitlichen und einmütig beschlossenen Gegenstand der gesamten Weltpolitik erklärt wurde.

1918: Intervention

"Für uns gibt es zur Zeit keine Alternative, als die Truppen, die wir haben, einzusetzen, so gut es geht, und dort, wo wir keine Truppen haben, Waffen und Geld zu liefern." (Lord Balfour, Britischer Außenminister)

Das erste demokratische Wort an die Sowjetmacht war der Einmarsch englischer, amerikanischer, japanischer und französischer Truppen in Rußland, nachdem diese der unerhörten Aggression gegen die Ententemächte für schuldig befunden worden war, den Krieg gegen das Deutsche Reich einfach zu beenden. Sechs Tage nach dem Annexionsfrieden von Brest-Litowsk hatte es die revolutionäre Macht anstelle der deutschen mit alliierten Truppen zu tun, weil die Ententemächte den Bündnispartner mit Gewalt zur Einhaltung seiner Bündnispflichten anhalten, auf jeden Fall die Vernachlässigung der Ostfront nicht ungestraft hinnehmen wollten. Daß es dabei jedoch von Anfang an weniger gegen das "Dekret über den Frieden", also um den erwünschten Beitrag Rußlands im Krieg gegen Deutschland ging, sondern um die bolschewistische Mißachtung des geheiligten Eigentums, also gegen das "Dekret über die Aufteilung des Bodens", zeigt nicht nur die Tatsache, daß die Entente nun einen Krieg an zwei Fronten - gegen die Mittelmächte einsetzte. Das zeigt vielmehr auch die umstandslose Verpflichtung des geschlagenen Feindes auf den Kampf gegen den Bolschewismus, indem nach Artikel 12 des Waffenstillstandsvertrags mit Deutschland, die Truppen erst dann aus den besetzten Gebieten (Baltikum, Ukraine usw.) zurückgeführt werden durften, als "die Allierten, unter Berücksichtigung der inneren Lage dieser Gebiete, den Augenblick für gekommen erachten". Daß hier ein Staat sich einrichten wollte, der die ewige Ordnung des Privateigentums außer Kraft setzte, war eine Unerhörtheit, die die siegreiche Entente nicht dulden wollte!

"Die Ententemächte erklären..., daß sie entschlossen sind, keine Störungen in ihrer Tätigkeit für die Wiederherstellung der Ordnung in Rußland und für die Reorganisation des Landes zu dulden, der Tätigkeit, die von den russischen Patrioten mit energischer Unterstützung der Alliierten begonnen worden ist. Die Wiederherstellung Rußlands als einer Macht, die zum siegreichen Block der demokratischen Ententeländer gehört, wird entsprechend den Wünschen aller Patrioten und überhaupt all der Elemente vor sich gehen, die für Ordnung in Rußland sind. Was die südrussischen Gebiete anbetrifft, sowohl die von den Deutschen besetzten, wie die nicht besetzten, aber von den Bolschewiki bedrohten, so erklären die Ententemächte ihren unbeugsamen Willen, auch dort für Ordnung zu sorgen. Diesem unerschütterlichen Beschluß werden in kürzester Zeit Truppen folgen in einer Stärke, wie sie die Umstände erfordern. Außerdem erklären sie, daß sie von nun an alle Partei- und Organisationsführer, ganz unabhängig von ihrer politischen Färbung, die Verwirrung oder Anarchie ins Volk tragen, verantwortlich machen werden." (Erklärung der Vier)

Diese Entschlossenheit setzte den Bolschewiki so zu, daß Lenin trotz des Wissens um die erpresserische Seite einer "Hilfe durch Handel" mit Kapitalisten seine Feinde eben darum ersuchte und weitgehende Zugeständnisse anbot, um Land und Leute nicht noch mehr durch den Krieg zu ruinieren. Daß das kapitalistische Lager aber nicht nur am Handel, sondern vor allem an seinen so schönen politischen Folgen interessiert war, zeigt die Zurückweisung durch die amerikanische Regierung ebenso wie die Befürwortung durch die Opposition: Die US-Regierung ließ das sowjetische Angebot, alle russischen Auslandsschulden anzuerkennen, Kapitalisten russische Rohstoffe ausbeuten zu lassen und enteignetes ausländisches Eigentum zu entschädigen, deswegen scheitern, weil Lenin auf einer Mitsprache bei der Regelung bestand. Die Befürworter des Handels spekulierten gleich ganz offen auf die Hungerwaffe:

"Wenn die Blockade aufgehoben wird und die Sowjetmacht sich mit allem Notwendigen versorgen kann, so wird man dem russischen Volk die Hände mit der Furcht vor einer Einstellung der Hilfesendungen weitaus besser binden als mit der Blockade." (Bullitt)

Daß die Entschlossenheit der alliierten Regierungen nicht den angestrebten Erfolg zeitigte (obwohl am Ende auch noch Polen zu einem Eroberungskrieg ermuntert worden war) und durch erneute britisch-französisch-amerikanische Intervention mit einer Annexion russischen Gebiets belohnt wurde, daß also der Geschichtsfehler nicht gleich korrigiert wurde, lag in erster Linie daran, daß damals der gemeinsame Zweck der kapitalistischen Staaten, überall auf dem Globus ihrem Kapital dem Privateigentum angemessene und darum eindeutig einseitig geordnete Verhältnisse zu schaffen, eben nicht in einem praktischen Willen existierte, der sich und den anderen diesen Zweck als Hauptaufgabe auferlegt. Die Gemeinsamkeit der kapitalistischen Staaten in der Feindschaft gegen die Sowjetunion fand ihre Grenze an der Konkurrenz um die Vorherrschaft bei der imperialistischen Nutzung des Erdballs.

Ebenso wie für den Sieg gegen Deutschland hätten die Ententemächte für ihr Vorhaben der Hilfe der USA bedurft, die an der Ausdehnung der Intervention zu einem regelrechten neuen Weltkrieg nicht interessiert waren. Vielmehr setzten sie auf die zerstörerischen Wirkugen der Intervention, die den friedlichen Vorstellungen von Handel und Wandel seitens der Opposition erst die realistische und vielversprechende Basis verschaffen sollten:

"Ich glaube, man sollte sie (die Russen) ihre eigene Rettung ausarbeiten lassen, auch wenn sie sich dabei eine Weile im Chaos wälzen. Ich stelle mir das so vor: Das ist ein Haufen unmöglicher Leute, die sich untereinander bekämpfen. Mit denen kann man keine Geschäfte machen. Drum sperrt man sie alle in einen Raum, schließt die Tür und sagt ihnen: Wenn ihr euch beruhigt habt, sperren wir wieder auf und machen Geschäfte."

In der Rolle des strengen Aufsehers einer Kinderbewahranstalt, der kräftig am Schaden seiner Lieblinge arbeitet, um ihre Klugheit zu befördern, offenbart der amerikanische Präsident Wilson (Der "Vater des Völkerbundes"), daß der Maßstab der "Vernunft" in der Weltpolitik noch allemal einer der imperialistischen Ordnung ist und daß auch die bloße Zerstörung von Land und Leuten nicht ohne "Sinn", sondern geradezu der Schaden anderer Nationen zu Nutz und Frommen der eigenen gereichen kann.

Auch wenn der Traum von der Öffnung der Weiten Rußlands sich bis heute nicht so recht erfüllt hat, erfolglos war die Intervention nicht: Sie war eine brutale Demonstration, um welchen Preis die Verabschiedung aus der Welt des Privateigentums nur zu haben ist und daß das Lösegeld, wie sich das für Erpressungen gehört, dem Opfer noch lange keine Ruhe beschert. Deshalb waren auch die Worte des Britenpremiers Lloyd George kein Eingeständnis von Schwäche, sondern kündigten die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln an:

"Der Gedanke, den Bolschewismus mit Waffengewalt vernichten zu können, ist glatter Unsinn."

1922: Isolation

"Es ist uns nicht gelungen, Rußland mit Gewalt wiederherzustellen. Aber ich bin überzeugt, daß wir mit Hilfe des Handels dies tun und so Rußland retten können." (Lloyd George, Britischer Premierminister, 1920)

Die "Rettung" und "Wiederherstellung Rußlands" bleibt also westliches Programm. Logisch, daß die Einstellung der militärischen (Ordnungs-)Hilfe nicht das Ende der Ruinierung des Sowjetstaates bedeuten konnte, schließlich sollte mit "Hilfe des Handels" der gleiche Zweck weiterverfolgt werden. Und das geschieht dadurch, daß man zuerst einmal die Früchte der Zerstörung einzufahren gedenkt und den Handel so einsetzt, daß man ihn nicht gewährt, bzw. das Angebot von Warenlieferungen nicht von ihrer Bezahlung, sondern von Bedingungen abhängig macht, die auf einer Selbstaufgabe des sozialistischen Staates beharren. Die Aufhebung der Goldblockade - bis 1920 war es den Banken verboten, russisches Gold anzunehmen - bedeutete noch lange nicht, daß der Sozialismus aus dem Interesse der kapitalistischen Staaten an der Aufstockung ihrer Goldreserven einen Nutzen hätte ziehen können. So wurde alles daran gesetzt, das Handelsmonopol des Staates zu brechen, indem zwar die Blockade eingestellt, den eigenen Kapitalisten aber zur Auflage gemacht wurde, nur mit den Genossenschaften, also nicht mit dem Staat in Verbindung zu treten. Die englisch-französischen Auflagen für die Herstellung diplomatischer Beziehungen zur Verbesserung des Handels dokumentieren den Willen der demokratischen Staaten, die "Freiheit" in Rußland wieder zu installieren.

Neben der Anerkennung der Auslandsschulden verlangten sie die "Wiederherstellung des ausländischen Eigentums" und den Ausschluß westlicher Kapitalisten von der sozialistischen Gesetzgebung, ein Anspruch, den sich kein kapitalistischer Staat von einem anderen aufmachen läßt:

"Unternehmen, die Ausländern gehören oder sich in deren Verwaltung befinden, sollen unter den Bedingungen völliger Freiheit betrieben werden können."

Die Klage über den "Rückzug Rußlands aus dem Welthandel", über die "Verschlossenheit seiner Märkte" erweist sich angesichts dessen, daß die Sowjets nur einen Bruchteil dessen bekamen, was sie gewollt und mit Gold oder Rohstoffen bezahlt hätten, als die Ideologie des Kapitals, das offen bekundet, daß sein Handel nicht mit dem einfachen Austausch von Gütern zu verwechseln ist, sondern auf Bedingungen pocht, die sein segensreiches Wirken profitabel machen - wie z.B. der Ungültigkeit des sowjetischen Arbeitsrechts für ausländische Ausbeuter.

Aus Einsicht in den erpresserischen Charakter dieser Geschäftsangebote vernichtete die Sowjetunion auf die dringend benötigten Lieferungen; der Handel mit den kapitalistischen Staaten hielt sich in engen Grenzen. Zum Haupthandelspartner wurde der Verlierer des Weltkrieges. Grundlage war der Vertrag der "Parias der Staatenwelt", der Rapallo-Vertrag. Nicht daß im deutschen Reich die russische Seele, noch dazu in bolschewistischer Gestalt, besondere Sympathien genossen hätte - immerhin drohten deutsche Politiker den Siegermächten immer mal wieder, wenn man Deutschland weiter so schlecht behandele, werde es dem Bolschewismus erliegen - und dann gnade ihnen Gott! Die Anbiederung der Deutschen als antibolschewistisches Bollwerk wurde bei den Siegermächten zwar nicht ungern vernommen, aber dafür den eben erst besiegten Konkurrenten um die Hegemonie in Europa zu stärken, lag weder im Interesse der beiden europäischen Großmächte, noch hatten sie die Mittel dazu. Und die USA hatten zwar den Weltkrieg entschieden, aber eben zugunsten der Großmächte England und Frankreich, die jetzt sogar mehr Territorium beherrschten als vorher. Mit dem von ilinen geförderten und eingerichteten Cordon sanitaire (Staaten zwischen UdSSR und Deutschland) wollten etwa die Franzosen zwei Gegner schlagen: den Erbfeind und den sich abzeichnenden Hauptfeind.

Aus dem praktischen Gegensatz der Großmächte, der noch nicht dem einen Gegensatz untergeordnet war, resultiert also, daß Deutschland auch als Verlierer behandelt und nicht gleich als Brückenkopf aufgebaut und gefördert wurde wie später die BRD. Mit Mangel an "Weitsicht" (= Haupfeind nicht gesehen, deshalb nicht sofort vernichtet) hat das nur bei Historikern zu tun, die bei atomarer Überlegenheit, Marschallplan und NATO ins Schwärmen geraten und nach 1945 eine höhere Vernunft der Geschichte Werke sehen als nach 1918, obwohl auch dann eigentlich noch viel zu spät. Der Versailler Vertrag war eben nicht der "gescheiterte Versuch einer europäischen Friedensordnung", sondern das diktierte Interesse der Siegermächte.

Von deutscher Seite aus war Rapallo erstens ein diplomatisches Druckmittel an die Adresse der Sieger, Versailles zu revidieren, und zweitens ein Mittel, seine Bestimmungen zu unterlaufen. Schon der gleichberechtigte Handel war da ein Vorteil angesichts der Bestimmung, daß Deutschland allen Siegermächten Meistbegünstigung zu gewähren hatte, ohne sie selbst zu erhalten. Aulßerdem verzichteten die Sowjets auf Reparationen, die die Sieger ihrem "wiederhergestellten Rußland" freundlicherweise mit in den Vertrag geschrieben hatten. Und schließlich erlaubte der geheime Zusatz die Umgehung der militärischen Beschränkungen (Waffenbau und Ausbildung der Reichswehrkader in der RSFR).

Dafür verzichtete Deutschland auf Ansprüche auf enteignete deutsche Kapitalien und Guthaben, jedoch nicht ohne sich die Zukunftsoption zu bewahren:

"Vorausgesetzt, daß die Weigerung der Russischen Föderativen Sowjetrepublik auch ähnliche Ansprüche dritter Staaten nicht befriedigt." (Art. 1 des Rapallo-Vertrages)

Die Gegensätze im imperialistischen Lager waren also die Grundlage dafür, daß der damalige Handel tatsächlich nur zum "gegenseitigen Vorteil" geriet und nicht zum Hebel der Wiederherstellung Rußlands durch die Ruinierung der SU wurde. Das Interesse der europäischen Siegermächte hatte Deutschland in einen Zustand versetzt, in dem es jenseits aller prinzipiellen Gegnerschaft darauf angewiesen war, sich ein paar Selbstverständlichkeiten eines souveränen Staates heimlich zu genehmigen, anstatt die Bedingungen zu diktieren.

1939: Hitler-Stalin-Pakt

"Wollte man in Europa Grund und Boden, dann konnte dies im großen und ganzen nur auf Kosten Rußlands geschehen, dann mußte sich das neue Reich wieder auf der Straße der einstigen Ordensritter in Marsch setzen, um mit dem deutschen Schwert dem deutschen Pflug die Scholle, der Nation das tägliche Brot zu geben." (Hitler, Mein Kampf, 1924)

"Sollte der Krieg beginnen, so werden wir nicht untätig zusehen können - wir werden auftreten müssen, aber wir werden als letzte auftreten. Und wir werden auftreten, um das entscheidende Gewicht in die Waagschale zu werfen." (Stalin, 1925)

Ausgerechnet dieses Stalinzitat dient ganzen Historikergenerationen als Beleg für den sowjetischen Willen zu Aggression und Expansion. Dabei dokumentiert es nichts als den Fehler der Stalinutischen Außenpolitik. Während Lenin der Auffassung war, daß "Gegensätze und Widersprüche zwuchen zwei kapitalistischen Mächten" den Druck auf die Sowjetunion vorübergehend abmildern könnten, beginnt mit Stalin der Eintritt der Sowjetunion in die Weltpolitik mit der gefährlichen Illusion, sie könne als Schiedsrichter und Nutznießer innerimperialistischer Händel gewinnen. Daß die Sowjets den Sozialismus in einem Lande aufbauen mußten, kann ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie daraus aber ein politisches Programm verfertigten, ist ein Fehler, der den Opportunismus Stalins gegenüber den kapitalistischen Ländern ebenso begründet wie das taktische Verhältnis gegen die Kommunisten in aller Welt, die er für eben diese außenpolitischen Zwecke funktionalisierte. Mit dieser Entscheidung war an die Stelle der Festlegung der KPR (B) auf die Weltrevolution ("die Außenpolitik der RFSR ist das Programm der Kommunistischen Internationale") die Außenpolitik eines sozialistischen Staates getreten, der die Prinzipien des Umgangs zwischen Staaten zur Richtschnur seiner Außenp olitik gemacht hatte und die antikapitalistische Opposition immer dann anordnete und wieder unterband, wenn es ihm in seine Bündniserwartungen paßte. Daß die Rechnung zumindest insofern aufgegangen ist, daß die SU nach dem 2. Weltkrieg ihren Machtbereich erweitern konnte, ist keineswegs die Rechtfertigung dieser Hoffnung.

Einen Nicht-Angriffs-Pakt mit dem erklärten und vielfach bewährten Feind des Kommunismus zu schließen, ist schon ein Fehler. Er war sicher kein Mittel, sich Hitler noch für eine Zeit vom Hals zu halten. Auf eine Unterstützung der Westmächte brauchte er nicht zu rechnen. Die hatten ihn an der "Verteidigung" Polens gegen Hitler beteiligen wollen, ohne die SU in Polen Krieg führen zu lassen (Verweigerung der Durchmarschrechte durch Polen). Deswegen sich in dem Vertrag auch noch über die beidseitigen Annexionen zu einigen, hat mit dem Ziel der Sicherung der UdSSR nichts zu tun. Eher dagegen mit einer Taktik "Friedlicher Koexistenz" bis zur letzten Konsequenz.

Ebensowenig wie die Lüge vom machthungrigen Aggressor trifft also die sowjetische Legende vom gelungenen Zeitgewinn für die Vorbereitung des "Großen Vaterländischen Kriegs" den Kern des Pakts. Tatsächlich hat die SU an diesen Pakt geglaubt und gehofft, die imperialistischen Mächte möchten sich selbst zerfleischen. Darum drängte Stalin auf die Einhaltung der Termine für Lieferungen von Rohstoffen und Getreide an die Deutschen noch im Monat vor dem deutschen Überfall, während diese mit ihren Maschinenlieferungen immer mehr in Verzug gerieten. Über Nacht wurde die antifaschistische Propaganda in der Sowjetunion eingestellt und es wurde der Versuch unternommen, die französischen Kommunisten zur Neudefinierung ihrer Hauptkampflinie zu bewegen.

Die Vorbereitung der Sowjetu nion gegen einen Überfall bestand jetzt auch darin, Territorien zu annektieren (Bessarabien, Baltikum und das finnische Karelien). Man hielt sich an die mit den Deutschen vereinbarte Grenze der Interessensphären, an die jene sich - zumindest auf dem Balkan - schon nicht mehr hielten.

1941: Krieg gegen die UdSSR

"Wenn wir sehen, daß Deutschland den Krieg gewinnt, sollten wir Rußland helfen, und wenn Rußland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen. Auf diese Weise sollen sie sich so viel wie möglich gegenseitig umbringen." (Truman nach dem deutschtn Überfall auf die Sowjetunion)

Derselbe Truman soll dann 1945 als frischgebackener US-Präsident aus lauter Unerfahrenheit die frühzeitige Realisierung des Ziels der amerikanischen Nachkriegspolitik vergeigt haben, anstatt auf den Rat des erfahrenen Churchill zu hören, nicht das "falsche Schwein" zu "schlachten"! Tatsache ist es, daß die USA eben nach obigem Motto schon unter Roosevelt gehandelt haben: Die Sowjetunion ist als Mittel im Kampf gegen Hitler einzusetzen, wobei sie gerade soweit zu unterstützen ist, daß sie Deutschland einen Schaden zufügt, der den des Westens in Grenzen hält.

Erstens wurde dementsprechend die Lieferung von Material reguliert. Unterbrechungen ergaben ach "zwangsläufig" aus der "Gefährdung der Transporte durch deutsche U-Boote". Die sowjetischen Proteste gegen die Verschleppung versprochener Lieferungen legen davon Zeugnis ab. Die Unterstützung der SU war gebunden an diese ihre Dienstleistung. Die Teilhabe daran sollte sie sich erst verdienen: Auf ein Ersuchen der Sowjets um 6 Mrd. Dollar Nachkriegskredite erklärte US-Botschafter Harriman noch mitten im Krieg:

"Den Russen muß klar gemacht werden, daß unsere Bereitschaft zur ehrlichen Zusammenarbeit bezüglich ihrer schwierigen Probleme beim Wiederaufbau abhängig ist, von ihrem Verhalten in internationalen Fragen." (Januar 1945)

Der Yankee dachte dabei an Segnungen der Freiheit, wie die Mitarbeit im Gatt, also die Anerkennung amerikanischer Handelsbedingungen, und an einen hervorragenden US-Einfluß in Osteuropa. Die sofort nach Kriegsschluß erfolgte Kündigung des Lendlease-Programms seitens der Amerikaner ließ an diesbezüglicher Klarheit nichts zu wünschen übrig. Zweitens aber sorgen die erfolgten Materiallieferungen durchaus dafür, daß der Krieg in Rußland weitergeht, während die von Stalin dringend verlangte, für 1942 versprochene "Zweite Front" im Westen erst 1944 mit der Landung in der Normandie verwirklicht wird, als die Entscheidung im Osten schon gefallen ist, die deutschen Truppen sich auf dem Rückzug befinden.

Die Bindung der deutschen Truppen durch die Russen erlaubt drittens den Krieg der Westmächte im Atlantik, Pazifik, Nordafrika - angeblich zwecks "Sicherung der Lieferungen für die Sowjetunion". Die USA errichten systematisch ihr weltweites Netz von Stützpunkten durch Eroberung oder auch dadurch, daß sie sich die Materiallieferungen an die Briten durch deren Verpachtung entgelten lassen. Die Briten erkennen schon früh die Bedeutung der Südflanke der NATO und intervenieren in Griechenland, aber weder gegen die Deutschen - die befinden sich gezwungenermaßen auf dem Rückzug - noch gegen eine sowjetische Bedrohung - Churchill verweist darauf, daß Stalin sich an die Abmachungen bezüglich der Aufteilung des Balkans gehalten und sich nicht in Griechenland eingemischt hat. Die Briten intervenieren gegen die griechische Befreiungsfront, die zwar nicht sowjetfreundlich war, aber für die strategische Bedeutung Griechenlands nicht das nötige Maß an Zuverlässigkeit bot. Im Fernen Osten wurde sogleich der Wert eines geschlagenen Gegners erkannt: Gefangene Japaner wurden in Korea und Indochina in amerikanische Unifomien gesteckt und beim Kampf gegen nationalistische und Hungeraufstände eingesetzt: Am 8. Mai 1945 ist die Sowjetunion bis an die Elbe vorgedrungen und - von allen Seiten eingekreist! Von einem Partner, der die Ernsthaftigkeit seines Werbens um freundschaftliche Beziehungen mit einer eindrucksvollen Demonstration unterstrichen hat: Zwei Bomben und Hunderttausende von Toten.

In der bürgerlichen Geschichtsschreibung wird die Propagierung des "Großen Vaterländischen Krieges" (verbunden mit der Einführung zaristischer Uniformien, Orden und heldenhafter Vorbilder: Im Film treibt Peter der Große seine leibeigenen Soldaten in den Kampf gegen die Schweden mit dem Ruf: "Vorwärts, Genossen!") als trickreicher Einfall des "teuflischen Georgiers" behandelt, der damit das hehre Ideal des Nationalismus für das Ziel der kommunistischen Weltrevolution mißbraucht habe. Tatsächlich vollendete er damit den mit der Theorie vom "Sozialismus in einem Land" begonnenen Abschied von der Absicht, die Welt zu revolutionieren, und etablierte die Sowjetunion als Vaterland, das mit den anderen Vaterländern um Macht und Einfluß in der Welt konkurriert. Deren Zufriedenheit, sich als Nummer 2 etabliert zu haben und deshalb allenthalben ihre "Friedensliebe " herauszukehren, ist konfrontiert mit der weltweiten Bedrohung durch die Nummer 1 und ihre Bündnispartner, die Tag für Tag in vielen Sprachen ihre Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Weltordnung proklamieren und den Umsturz der bestehenden Verhältnisse tatkräftig vorantreiben.