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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1982 erschienen.

Systemvergleich kulturell
DA-DA-DA HÜBEN UND DRÜBEN

Daß die Staaten des Ostblocks eine Kultur haben, wird hierzulande immer mit einer besonderen Betonung vermerkt - als sei sie dort eigenlich gar nicht zu vermuten. Daß "wir" dagegen einen "Kulturstaat" haben, gilt als ausgemachte Sache und animiert engagierte Intellektuelle wie z.B. Grass, Lenz oder Raddatz dazu, auf "geistiger Führung" zu bestehen und sie mit den Mächtigen im Land am besten gleich selber zu praktizieren:

"Dieser Kniefall in Warschau vor dem Mahnmal für die Opfer des deutschen Faschismus... Ein Zeichen war das, daß Macht und Geist, Politik und Moral, Handel und Humanität zu vereinigen seien." (Walter Jens)

Drüben soll das anders sein. Für den Westler ist die Kultur (Ost) eine, die nicht den dortigen Ländem zuzurechnen ist, sondern in einem "problematischen Verhältnis" zu diesen stehen soll. Da kann die Sowjetunion ruhig in ihrer Verfassung stehen haben (und entsprechend praktizieren):

"Artikel 27: Der Staat sorgt für den Schutz, die Mehrung und umfassende Nutzung der geistigen Werte der Gesellschaft, für die ethische und ästhetische Erziehung der sowjetischen Menschen und für die Erhöhung ihres kulturellen Niveaus.

In der UdSSR wird die Entwicklung der Berufskunst und des Volkskunstschaffens auf jede Weise gefördert."

Das nimmt ihr im Westen doch niemand ab: Was im Osten als kulturelles Leben existiert, wird eigens als eines "entdeckt", das seine Existenz dem alle Grenzen des östlichen Herrschaftsbereichs freizügig überschreitenden "Geist der Freiheit" verdankt, sich also trotz der sozialistischen Staaten und gegen sie entfaltet.

Umgekehrt wird an allem, was drüben "doch" an kulturellem Erbe, gepflegter Massenkultur und fortschrittlichem Kunstschaffen ausgemacht wird, die Förderung durch die Staatsparteien als Behinderung besprochen und das Prädikat "frei" in Gänsefüßchen gesetzt: Im russischen Staatszirkus z.B. wird - man denke! - "bis zur Perfektion" geübt, die östliche Körperkultur beruht auf "Drill" und fängt schon beim Training der Kleinsten an, das Spiel der Mannschaften von drüben ist entsprechend "roboterhaft einstudiert" usw. - als ginge es im "Freien Westen" beim Einüben anders zu. Die Kleinigkeit, die hiesige Intellektuelle am Kulturbetrieb des Ostens zu bemängeln haben, ist also die staatliche Obhut - die sie hier nie und nimmer zu kritisieren gedenken. Westliche Experten in Sachen östlicher Kulturszene sind eben zuallererst, weil m Prinzip erklärte Feinde des dortigen "Systems" - Antikommunisten im Namen der Freiheit von Kunst und Kultur, die ihnen nie so wichtig sind, daß sie sie schlicht zur Kenntnis zu nehmen und vielleicht ob ihrer Qualität zu goutieren bereit wären.

An Kulturaustausch, Begegnungen, Dialogen etc. darf es bei dieser Einstellung dann allerdings um so weniger fehlen - die eigene Überheblichkeit, die sich nicht den Vorzügen westlicher Kultur, sondern der Ideologie verdankt, sie auf der "besseren Seite" zu pflegen, will schließlich offensiv zur Geltung gebracht werden. Ginge es diesen Kulturschaffenden bei ihrer Kontaktnahme mit den Kollegen jenseits - des "Eisernen Vorhangs" tatsächlich um Lernen in der Sache und deren Voranbringen, so könnte ihnen nur die Empfehlung mit auf den Weg gegeben werden, doch nach drüben zu gehen und an der "Mehrung und umfassenden Nutzung der geistigen Werte der Gesellschaft" teilzunehmen.

Diesen Rat will aber hier keiner dieser Leute hören; denn der von ihnen in aller Selbständigkeit exekutierte Auftrag lautet ja, die Bastionen der (kulturellen) "Unfreiheit" anzugreifen und madig zu machen: Jubel also für offenkundige Feinde des "Sowjetsystems" wie den Klerikal-Faschisten Solschenizyn, aufs schönste ergänzt um Hetzreden gegen die (Kultus-)Behörden des Ostens und ihren "Sozialistischen Realismus". So heißt es etwa zur gegenwärtigen großen "IX. Kunstausstellung der Deutschen Demokratischen Republik" in Dresden schulterklopfend, die Kunst (Ost) habe ihren Auftrag (West) schon ganz ordentlich eigenständig wahrgenommen:

"Kritik an der Monotonie im Alltag... Es muß nicht alles aufbauend sein... So vielfältig war die DDR-Kunst noch nie... Der neue sozialistische Mensch bleibt aus... Sie passen in kein Schema mehr... Die Funktionäre sind oft ratlos..." (Stern)

Andererseits erwartet man von der 5. Kolonne nichts Übermenschliches; mit Leinwand und Pinsel ist da drüben nur bedingt etwas auszurichten:

"Denn dem Zufall wird im durchgeplanten anderen Deutschland nichts überlassen, schon gar nicht die Lockerung der Leine. Gestern waren die Schriftsteller privilegiert und durften (bis zur Ausweisung des oppositionellen Liedersängers Wolf Biermann 1976) die 'Widersprüche im Sozialismus' aufdecken und in den Westen reisen, heute sind es die Maler. Warum jetzt die? Weil Bilder auslegbar sind, also weniger gefährlich als Worte. Und weil die DDR es mittlerweile für ihr Prestige braucht, den Anschluß an die 'Weltkunst' zu finden..." (ebd.)

"DDR-Art" ist eben immer noch eine der DDR - pfui! Aber Einbrüche an der kulturellen Front läßt sich ein BRD-Artist - hier kein Pfui! - überaus angelegen sein. Ganz in seinem Element "geistige Führung" der Sache der Freiheit des Westens meldet sich z.B. Günter Grass zu Wort, der je schon Gesamtdeutsche, der das nationale Anliegen bis zur Oder-Neiße-Linie und darüber binaus bis Danzig usw. vorträgt:

"In der DDR wird deutscher (!) gemalt. Dieser Staat und seine Bürger tragen sichtbar schwerer und ausfluchtloser an der deutschen Vergangenheit."

Höchste Zeit, diese nationale Bürde auf den Schultern der mühseligen und beladenen Ost-Menschen mitzutragen und gemeinsam den großdeutschen Weg in die Zukunft zu schreiten: Dank Hitler und der Nazis ist "die deutsche Frage" in der DDR und weiter östlich hesonders "offen", weil "schwer und ausfluchtlos". Schon mit Ulbricht mußte um sie gerungen werden; heute sollen sich die DDR-Künstler damit anfreunden, daß der "Geist der Nation", wie Grass ihn meint, am deutschesten ist, wenn sie rein in den Farben Schwarz-Rot-Gold ohne störende Beimischung von Hammer und Zirkel malen.

Ihre Bekundungen, sie hätten es mit der Darstellung des "sozialistischen Lebens", gelten als bloße Lippenbekenntnisse prinzipiell oppositioneller Geister, die nur "noch nicht" so auftreten können, wie sie "eigentlich" wollen. Diese durch und durch botmäßige Vorstellung westlicher Kulturbonzen vom politischen Zweck verantwortungsvoll wahrgenommener kultureller Arbeit entdeckt den "Zwang zur Anpassung" östlicher Künstler als Diener ihrer Herren - der falschen Herren. So betrachtet, kanri man kein Verständnis dafür haben, daß die Kulturschaffenden (Ost) das Angebot, das sozialistische Staaten ibnen offerieren, wahrnehmen und ihren Beitrag zur "Entfaltung des sozialistischen Individuums" leisten: einfach so als Künstler! Das darf es drüben nicht geben, daß dortige Leute ihre Kultur als eine Extra-Sphäre ansehen, die der real existierende Sozialismus eingerichtet hat und in der sie sich - die Profis wie ihr Publikum - wie die Fische im Wasser tummeln.

Dabei haben sich die sozialistischen Länder mit der Etablierung eines eigenen Berufsstandes für die

kulturelle Ausschmückung des Lebens im Sozialismus

und die Erziebung der Bevölkerung zu deren Genuß eine Abteilung geistiger Freiheit geschaffen, die genutzt wird - und wie! Da ist im Osten eine ganze Kulturszene vom "Reich materieller Notwendigkeiten" freigesetzt, die ihre "disposable time" ausgerechnet dazu nutzt, am Rest der Bevölkerung ein umfangreiches Bildungsprogramm ins Werk zu setzen, das sie sich neben der Arbeit auch "verdient" habe: Nach getaner Pflicht erhalten die braven "Handarbeiter" von ihren nicht-arbeitenden Kollegen das Recht eingeräumt, ihre freie Zeit für sich zu haben - eine gelinde Unverschämtheit, die den Arbeitern ein kontemplatives Verhältnis zu sich selber abfordert, in dem sie sich ibre Ansprüche aufmachen dürfen. In feierabendlicher Zufriedenheit mit der Freiheit, sie sich als Verdienst für harte Arbeit zurechnen zu können, soll sich der "sozialistische Mensch" erfüllen: Vergnügt bis ernsthaft pflege er sich "Sozialistischen Realismus" und/oder "Sozialistische Moral" zuzuführen, statt sich den Marxschen Gedanken zu eigen zu machen, daß im Sozialismus die "disposable time aller" das "Maß des Reichtums" darstellt und dieser Reichtum vermehrt gehört. (Vgl. Grundrisse, 596)

Solche Bedenken gegen sozialistische Kulturpflege drücken einen westlichen Staatskulturhänger natürlich nicht. Mit der "kulturellen Identität" der Bürger in ihren Gemeinwesen hält er es allemal - wenn's nur das westliche ist. Daß die Staaten des "freien Westens" im Unterschied zu denen des Ostens keine Freizeit für ihre arbeitende Bevölkerung einplanen, in der diese sich bildet, rechnen sie ihnen nicht weiter an - wozu auch, wo hierzulande die Menschen nach dem Dafürhalten der Intellektuellen sowieso zuviel Freizeit haben, die sie nicht gescheit zu nutzen verstehen, weil sie sich der "geistigen Führung" entziehen. Ja, sie träumen ganz schön "totalitäre" Träume, unsere Herren Kritiker östlicher "Unfreiheit".

Derweil führen ihre Ost-Kollegen eine regelrechte Auseinandersetzung mit ihrem Staat, wie die behauptete, nach dem Selbstverständnis einer "Volksdemokratie" grundsätzliche Identität zwischen sowjetischem, bulgarischem etc. Staat und sowjetischen/bulgarischen etc. Bürgern am sinnreichsten und daber schönsten darzustellen sei. Da wälzen die Kunst- und Kulturexperten des Ostblocks in ernster Eigenverantwortung das Problem des"Formalismus", eine

Sinnfrage

an die Adresse der Kunst, wie sie sich der Gestaltung des "sozialistischen Lebens" anzunehmen gedenke. Seitdem wird in problembewußter Weise - versteht sich - adaptiert und weiterentwickelt, was die Künste nur hergeben. Mit den Augen westlicher Gehässigkeit stellt sich das etwa im Gebiet der Malerei der DDR wie folgt dar:

"Und die Kulturideologen sind flexibel genug, die expressive Häßlichkeit, die der Künstler wahrnimmt, gemäß den Erkenntnissen der marxistischen Dialektik als fruchtbar zu bejahen und auch Stilanleihen etwa bei Otto Dix, Max Beckmann und George Grosz als 'Aneignung unseres kulturellen Erbes' aufzuwerten." (Stern)

In der Tat ist bei unseren östlichen Nachbarn nicht nur prinzipiell alles an Kunstabteilungen, -themen, -richtungen usw. erlaubt, es existiert auch bis in den letzten Winkel ihrer Provinzen. Das kleinste Dorf hat seine Bühne, seine Theatergruppe. Im fernsten Sibirien weiß man von Goethe und Schiller, hat sie gelesen und versteht sie wie die eigenen Klassiker zu rezitieren - mit Vorliebe in öffentlichen Parks vor den Statuen der so Verehrten. Religiöse Malerei und Musik haben ihren Platz im sozialistischen Volksbildungsprogramm. Moderne Stilentwicklungen der Kunst finden Berücksichtigung und ihre Liebhaber - alles in allem existiert eine

Gebildetheit der Massen,

von der Humanisten des 19. Jahrhunderts nur geträumt haben; und von der auch ein Heinrich Böll nur angetan sein könnte, angesichts eines Leserkreises, der drüben größer ist als hier, wenn ihm seine Hetze gegen das "sowjetische System", das das immerhin fördert, nicht sein wichtigstes Anliegen wäre: Er meint nur "Polen! Polen!" rufen zu müssen, wo doch gerade dort unter den Augen des großen Bruders Sowjetunion die "westlichsten" Filme produziert werden - mit staatlichen Mitteln - und ein kafkaesk die "Anonymität" aller "Beziehungen", "Strukturen" "Institutionen" usw. beschwörendes literarisches Gewerbe sein Wesen treibt.

Es braucht schon eine bornierte, parteiliche "Systemkritik", um aus diesem Tummelfeld realsozialistischer Freiheit eines von Zwängen zu konstruieren, die den lieben Mitmenschen (Ost) das Leben schwer machen. Ausgerechnet dort, wo es um die Entfaltung und Betätigung von Fähigkeiten des Genusses geht, die einem Arbeiter in der Bundesrepublik vom Kapital systematisch mit jedem Tag (oder Nichttag) Lohnarbeit zerstört werden, glauben Westler mit Kategorien der "Ausbeutung" hausieren gehen zu müssen, die sie zwar nicht von Marx haben, von denen sie jedoch originellerweise annehmen, es mache sich gut, sie seinen Frühschriften abzulauschen. Den Unterschied, als westdeutscher Werktätiger dem Kapital zu gehören und sich dessen Anspruch auf Vernützung von Geist und Physis zur Verfügung zu stellen oder als Ostdeutscher dem "Arbeiter- und Bauemstaat" zu Diensten zu stehen, - undenkbar allein, daß ein freies, westliches Unternehmen in der Arbeitszeit zur Begrüßung irgendeines ausländischen Gastes seine Belegschaft abkommandieren würde, von den zahllosen innerbetrieblichen Festivitäten und deren aktiver Ausgestaltung durch die Werksangehörigen nicht weiter zu reden nimmt der aufgeklärte Arbeiterfreund im Westen genüßlich für den frechen Deuter her: Seht,

"organisierte Freizeit"!

Beklagt man hier, daß an den Schulen zu wenig Musikunterricht betrieben werde, der den Kindern die Entwicklung ihrer "affektiven" Fähigkeiten zum gelungenen Volksgenossen beibiegt, so gilt das DDR-Lehrplanwerk, das ein mehrfaches an Singen, Musizieren und Musiktheorie vorsieht, als das Aufmachen einer insgeheim beneideten "Sing-Pflicht". Hier ein ewiges Gejammer über den Mangel an Sportplätzen, Turnhallen, Eisbahnen usw. für den jungen Staatsbürger; wo im Ostblock eine effektive Förderung des Breitensports existiert, entdeckt man "paramilitärische Formen" der sportlichen Ertüchtigung, die "bei uns" natürlich nur wünschenswert wären. Olympiade: Hier stehen die Darbietungskünste von Schäfflern und Goaßlschnalzern für die "heiteren Münchner Spiele"; Moskaus Schäffler und Schnalzer? Eine einzige "Spartakiade", die auch mal den Vergleich mit Berlin 1936 fällig sein läßt - nach außen mag man diese Gemeinheit nicht auslassen, die einem zu Westdeutschlands Ruf an "die Jugend der Welt" natürlich nicht einzufallen beliebt. Überhaupt die Heimatpflege im Osten, die Trachten, der Volkstanz und der dazu gehörige Gesang: "Wie beim Hitler", "Verführung der Massen", "Brot und Spiele" usw. Und das, wo hier der offene Revanchismus seine festen Tage eingeräumt bekommen hat, Tage der Heimatvertriebenen, an denen diese über alle Medien ihre Wimpel und Bänder zeigen, und bayerische Schulkinder das Lied der Schlesier lernen müssen. Aber das gilt als "zurückhaltend" und "bescheiden", was allerdings wieder einiges über den staatstreuen Maßstab solcher Art kultureller Artikulation verrät.

Unbeirrt gegenüber einem Kulturprogramm, das für die Jungen "rollende Diskos" vorsieht -

"In allen größeren Städten der DDR gibt es heute Diskotheken, und die kleineren Orte werden regelmäßig mit rollenden Diskos versorgt, das heißt, für einen oder zwei Tage werden Kreiskulturhäuser oder FDJ-Klubs zu Jugendtanzgaststätten. Die technische Ausstattung liefern umherreisende Diskomoderatoren und deren Mitarbeiter." (FAZ) -

und sie mit den Erfindern des Deutsch Rock, der Gruppe "Karat", beglückt hat, ungeachtetet dessen, daß dieses Kulturprogramm für die schon etwas Älteren darüberhinaus einen Haufen religiöser Kunst bereithält, anstatt sie für staatsfeindlich zu erklären und unter Kuratel zu stellen, halten West-Intellektuelle daran fest, daß der

"Alltag im Sozialismus - grau"

ist. Was auch das feindliche System auf die Beine stellt, in der Bundesrepublik wird es zur Kenntnis genommen - negativ. Eine Ikonen-Ausstellung nach der anderen: "Religiöse Kunst wird unterdrückt". Werden rauf und runter die Kuppeln russischer Kirchen vergoldet, einige Hektar von Mosaiken an russischen Moscheen restauriert, ostdeutsche Dome und die Wartburg runderneuert, um nachzuweisen, daß der Reformator Luther einer der geistigen Ahnherrn des Sozialismus ist, dann ist all das Indiz dafür, daß die Kirche im "atheistischen" Osten einen schweren Stand hat, obwohl polnische Restaurier-Kolonnen seit Jahr und Tag als willkommene Meister ihres Fachs begrüßt werden und die Konkurrenz um Martin Luther als Ahnherrn der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne Erbitterung geführt wird.

Was würde der Hinweis einer Zeitung bringen, die Ateliers hiesiger Künstler befänden sich in unmittelbarer Nähe von US-Kasernen? Gegenüber der DDR ist das jedoch ein Argument. Da heißt es nämlich über einen der Maler der DDR:

"Werner Tübke... Dieser kühle Könner, der in einer Alt-Leipziger Nobel-Villa, ganz in der Nähe sind russische Soldaten einquartiert, residiert..." (Abendzeitung)

Steht da auch hinter jedem der über eine Million Besucher der letzten großen Kunstausstellung der DDR ein Wachsoldat? Das wäre immerhin ein ungemein friedlicher Auftrag der Rotarmisten. Daß DDR-Menschen jedoch ungefähr sechs- bis siebenmal so zahlreich zu diesem nationalen Ereignis strömen wie hier (verglichen mit der Staufer-Ausstellung in Stuttgart oder der Tutanchamun-Feier in München) erklärt sich ein Kulturmensch (West) nie und nimmer mit dem Interesse der Leute, die ein Angebot ihres Staatswesens wahrnehmen, sondern mit der "Ventilfunktion", die ein solches Unternehmen darstelle: ein beredtes Urteil über die Kriterien der eigenen Kunstfertigkeit, die Massen für blöd zu verkaufen. "Manipulation" ist eben ein so gängiges wie willkommenes Argument im Bereich westlicher Kulturpflege.

Ein überaus beliebtes Kapitel westlichen Kulturvergleichs ist das der sogenannten

Dissidenten:

Na klar, auch dort überwerfen sich Leute mit ihrem Staat. Doch warum sie das tun, ist diesseits der Zonengrenze von geringem Interesse. Vielmehr: Man glaubt zu wissen, was dort abläuft - "Systemkritik, Systemkritik"! Dabei ist das alles viel weniger im erklärten Westsinn als gewünscht. Da überwerfen sich ein paar Kulturbeauftragte des Ostens mit ihrem Auftraggeber darüber, worüber und wie die künstlerische Darstellung russischen, polnischen, ostdeutschen etc. Lebens am saubersten zu erfolgen habe. Um den unbändigen Wunsch nach westlicher Freiheit handelt es sich dabei aber sicher nicht, auch wenn sich die von der außerordentlichen Bedeutung ihres Auftrags Besessenen den Westen als das absolute Kunstpublikum vorstellen mögen. Der Streit geht normalerweise um die Ideale sozialistischen Lebens, gerade auch dann, wenn einige kunstbeflissene Ostler meinen, sie müßten um der Betonung der eigenen Unabhängigkeit willen jetzt ihre Kunstwerke unbedingt auf einem nahegelegenen Moskowiter Acker zur Vorführung bringen. Wenn das der zuständige Staat gar nicht leiden mag, dann gewiß nicht deswegen, weil er etwas gegen die z.T. religiösen Inhalte solcher Kunst oder gegen die z.T. abstrakten Formen der künsterischen Bearbeitung hätte, sondern einzig aus dem Grund, daß er die methodische Diskussion darüber, was als Sowjetkunst zu gelten habe, einvernehmlich mit seinen Experten zu regeln wünscht - loyale Kritik ist dort wie hier erwünscht. Wenn sich diesem Gebot ein paar Ostkünstler entziehen zu können glauben, wird ihnen - dort wie hier - die gelbe oder auch die rote Karte gezeigt, was nur darauf verweist, wie ambitioniert der "Dialogpartner" Staat die angestrengte Debatte zu führen beabsichtigt; Zerwürfnisse können dabei natürlich nicht ausbleiben, wenn sie auch zurecht weniger Publizität genießen, als ihnen hierzulande zubemessen wird. Was interessiert einen Sowjetmenschen die Frage, ob kirchliche Motive z.B. in öffentlichen Räumen oder auf freiem Feld ausgehängt werden, wo er gewohnt ist, sie auf jeden Fall vorgeführt zu bekommen? Die Einschränkung des Wirkungskreises gepäppelter Vertreter des sozialistischen Kulturprogramms wird ihm vielleicht zur Kenntnis gelangen, doch wird er sie aller Vornussicht nach als das nehmen, was sie ist, nämlich die Unterlegenheit einer methodisch engagiert vorgetragenen Position, die es - "leider" (hierzulande heißt das nicht anders) - nicht geschafft hat, sich erfolgreicher zur Geltung zu bringen. Daß drüben solch "problematische" Kunstwerke bisweilen unter die Grasnarbe gepflügt werden - was belegt dies erst einmal anderes als die Ernsthaftigkeit drüben laufender Kunstdebatten, die das Niveau hierzulande mühsam provozierter "Aktionen" und "Happenings" dort durchaus lässig vorlegen. Die Klage östlicher Dissidenten, sie seien nicht gebührend gewürdigt worden, entlarvt sich jedenfalls als eine ziemlich infame Lüge: Selten haben die Schwachheiten irgendeines Malers Klecksel größere Beachtung in der öffentlichen Diskussion gefunden als im Osten - wofür mit reichlicher Charakterlosigkeit, aber umso mehr innerer messianischer Freiheitsbotschaft die Kunst- und Kulturfanatiker der westlichen Hemisphäre gesorgt haben.