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Kunst und Revolution
Eine Kontroverse, die ziemlich alt ist und von uns im wahrsten Wortsinne leidenschaftslos aufgegriffen wird, weil wir sie mit unserer Rezension des Peter-Weiss-Romans "Ästhetik des Widerstands" trotz gegenteiliger Absicht provoziert haben. Der in Hannover Philosophie lehrende Prof. Dr. Peter Bulthaup ließ uns unter der Kautele vollständigen Abdrucks eine Streitschrift gegen die Rezension in MSZ Nr. 3/1982 zukommen. Bulthaups Argumentation emanzipiert sich zwar weitgehend vom vorgegebenen Gegenstand ihrer Kritik, wirft aber Fragen auf, die wahrscheinlich (leider) noch viele unserer Leser interessieren. Deshalb eine ausführliche Replik, die auch MSZ-Leser Joachim L. aus Duisburg weiterhelfen dürfte, der von uns Schriftsteller benannt haben möchte, "deren Werk auf einer Euch ähnlichen politischen Linie liegt." Zusätzlich geben wir ihm noch zu bedenken, daß wir wohl kaum publizistisch tätig geworden wären, wenn die Urteile aus MSZ, MAZ, Resultate und dem übrigen Schrifttum der MfG bereits im Buchhandel in der Abteilung Belletristik geführt würden. Sollte hinter L.'s Anfrage jedoch allgemein das Bedürfnis nach Tips für Freizeitlektüre stecken, so überlassen wir diese ganz seinem guten Geschmack und erklären uns politisch für nicht zuständig.
MSZ-Redaktion
SHDANOVS SCHATTEN
von Peter Bulthaup
"Teurer Bruder, ich habe mit Betrübnis erfahren, daß das Schiff Dich forttrug, das mich brachte. Ich kann Dir jedoch eine wichtige Mitteilung machen: Wir haben soeben die Kultur gerettet. Es hat 4 (vier) Tage in Anspruch genommen, und wir haben beschlossen, lieber alles zu opfern als die Kultur untergehen zu lassen. Nötigen Falles wollen wir 10-20 Millionen Menschen dafür opfern. Gott sei Dank baben sich genügend gefunden, die bereit waren, die Verantwortung dafür zu übernehmen." (B. Brecht an G. Grosz, 1935)
Von Kunst läßt nur noch sich reden unter dem hypokritischen Vorbehalt, daß die Beschäftigung mit diesem Gegenstand auch inhuman sei, weil sie ablenke von dem, worunter die Menschen zu leiden haben, und von den Zwecken, zu denen sie ge- und verbraucht werden. Hyokritisch ist der Vorbehalt, weil er seine raison d'etre gerade in der Absicht hat, mit der Kunst sich zu beschäftigen. Die Einsicht in die
Hypokrisie des Vorbehalts
stellt solche Absicht vor die Alternative von vorbehaltloser Beschäftigung mit der Kunst, die dieser eine metaphysische Dignität jenseits menschlicher Interessen andichtet, und dem Verdikt über die Beschäftigung mit Kunst, das diese toto genere, vor allem Urteil über Form und Gehalt, zum Gegenstand privaten Interesses deklariert, das jeden Anspruchs auf objektive Bedeutung sich zu entschlagen habe. Durch diese vollständige Disjunktion ist nicht nur alle überlieferte Kunst, wird nur ihre metaphysische Dignität bestritten, zum Gegenstand des antiquarischen Interesses der Geistesgeschichte präpariert, auch die gegenwärtige erscheint dann als Sammlung archivierbarer Lebenszeugnisse exorbitanter Künsterpersönlichkeiten, was deren Narzißmus, der maßlosen Überschätzung ihrer Privatangelegenheiten, entgegen kommt. (1) Die selbst gehört zur Pathologie des Intellektuellen in der bürgerlichen Gesellschaft, der, was einst als ingenium im einzelnen die Gattung auszeichnete, als individuelle Fähigkeit, als seine Genialität auf den Markt werfen muß. Die Privatisierung des ingeniums zur Genialität hat die Diskrepanz von subjektivem Selbstbewußtsein und objektiver Einheit der Apperzeption zur Voraussetzung. In ästhetischer Gestalt erscheint diese Diskrepanz in der Darstellung der Bemühung der Subjekte um Bildung, die der Absicht nach durch die Aneignung des Überlieferten den Individuen ihre Erfahrung in der Weise erschließen soll, daß Individualität und Allgemeinheit, Empirie und Theorie übereinstimmen. Ihren Gehalt aber haben alle Bildungsromane von Rang daran, daß diese Absicht auch in der Darstellung als undurchführbar sich zeigt, en detail scheitert und selbst ästhetisch, zum Schein, als nur auf dem Wege der Zwangsvollstreckung erreichbar erscheint. (2) Die Turmgesellschaft, das ästhetische Korrelat der invisible hand, ist die Ausgeburt des erzbürgerlichen Traums vom autoritären Staat, in dem die Antagonismen als geschlichtet vorgestellt werden, die in Gestalt von Widersprüchen das Bewußtsein bürgerlicher Intellektueller behelligen. Deren Affinität zur Kommunistischen Partei ist dubios, weil diese in ihrer Vorstellung erst zur Turmgesellschaft stilisiert wird, um dann, weil sie die Hoffnung, die dadurch in sie gesetzt wurde, nicht zu erfüllen vermochte, als 'Gott der keiner war' verabschiedet zu werden. Solchen Versuchungen widersteht der Subjektivismus von Peter Weiss, dessen Poesie schon früh als haltlos sich einbekannte.
"...in eine Hand führt den Bleistift über das Papier, von Wort zu Wort und von Zeile zu Zeile, obgleich ich deutlich die Gegenkraft in mir verspüre, die mich früher dazu zwang, meine Versuche abzubrechen und die mir auch jetzt bei jeder Wortreihe die ich dem Gesehenen und Gehörten nachforme einflüstert, daß dieses Gesehene und Gehörte allzu nichtig sei um festgehalten zu werden und daß ich auf diese Weise meine Stunden, meine halbe Nacht, ja, vielleicht meinen ganzen Tag nutzlos verbringe; aber dagegen stelle ich folgende Frage, was soll ich sonst tun; und aus dieser Frage entwickelt sich die Einsicht, daß auch meine übrigen Tätigkeiten ohne Ergebnisse und Nutzen bleiben." (3)
Das ist nicht nur die Marotte eines Schriftstellers, der nur weiß, daß er schreiben will, aber nicht, was er schreiben soll, und der deswegen mit der minutiösen Beschreibung des Ortes beginnt, an dem er seine Scheiße von sich gibt (4), es ist auch der Geisteszustand der auf dem Zauberberg internierten Intelligenz, der inzwischen die Dekoration, die ein angenehmes Leben vorspiegelte, demoliert ward; es ist das Bewußtsein, daß die Entäußerung der Subjektivität nicht mehr bei der Objektivität anlangt, sondern es nur noch zu allerlei "phantastischen Konstruktionen" (5) reicht. Das lähmende Bewußtsein der
Irrelevanz ihrer Objektivationen
ist die Charakteristik aller Moderne, auch da noch, wo sie in die minutiöse Beschreibung eines Scheißhauses oder in die Vorstellung ihrer Wirkung als Agitprop sich flüchtet. Die Poesie leidet an dem der Vorstellung der leeren Tätigkeit immanenten Widerspruch, auf die sie sich reduziert, wenn alles durch diese Tätigkeit Hervorgebrachte irrelevant geworden ist. Es den Künstlern anzulasten, daß ihnen die Kunst problematisch wurde, weil sie nicht nur aufgehört hat, das höchste, sondern überhaupt ein Bedürfnis des Geistes zu sein, demonstriert eben das Einverständnis mit dem Zeitgeist, gegen das sich zu richten die Rezension vorgibt. Solchem Einverständnis hat die Poesie, die Kunst ingesamt, nichts entgegenzusetzen als das Paradox der Darstellung der schon in sich zurückgenommenen Geste des Hervorbringens, die ohne die Objektivation im Hervorgebrachten vollends in sich zurückfiele. Den unzähligen Versuchen, dem Verstummen noch eine ästhetische, sinnlich manifeste Gestalt zu geben, die allesamt die musikalische Vortragsbezeichnung morendo tragen könnten, stehen andere gegenüber, die Gleichgültigkeit des Hervorgebrachten dadurch zu akzentuieren, daß - Unvereinbares zu einer dem Schein nach bruchlosen Darstellung montiert wird. Daß dadurch Unvereinbares als unvereinbar erkennbar wird, revoziert die Behauptung der Gleichgültigkeit des Hervorgebrachten. Die willkürliche Verfügung über das Material, durch die das Verfahren der Collage zu kennzeichnen ist, dient dem Zweck zu zeigen, daß das Material solcher Verfügung Widerstand entgegensetzt. Wer, unter dem Vorwand, den Roman zu kritisieren, dessen Autor vorwirft, er benutze sowohl die Vorstellung von Kunst wie die vom Widerstand gegen den Faschismus zur Selbstdarstellung, der bekundet, daß er entschlossen ist, die Form des Romans nicht zur Kenntnis zu nehmen. Daß das 'ich' im Roman nicht das 'ich' des Autors ist, hätte auch dem klar werden müssen, der aus literaturwissenschaftlichen Seminaren einen möglicherweise irreparablen Schaden davongetragen hat, denn die Ästhetik des Widerstands ist offensichtlich keine Autobiographie. Das Subjekt der Imagination als imaginiertes Subjekt unter die Vorstellungen zu versetzen, hat in anderen Romanen die Funktion, dem, was Fiktion ist, Authentizität zu beglaubigen. In einer literarischen Collage wandelt sich diese Funktion, denn nur durch die fingierte Indifferenz von Subjekt der Imagination und imaginiertem Subjekt erscheint das Unvereinbare als unvereinbar, und nicht bloß als Assoziation von Vorstellungen. Mit dem Schein von Faktizität bekleidet, erscheint dann das Subjekt als Faktum unter anderen Fakten, die es, weil es ein Bewußtsein von ihnen hat, zu enfaßt, ohne doch, wie einstmals der omnipotente Erzähler, ihrer Herr werden zu können. Ein solches Bewußtsein, dem alles, was nur drei Schritte vom Leib ist, in Vorstellung sich verwandelt, wird zum Schauplatz der Vorstellungen divergierender Begebenheiten oder Bestrebungen, die nicht mehr auf einen ideellen Fluchtpunkt sich ausrichten lassen; die in den Vorstellungen sich abzeichnende Katastrophe kann dann nicht zum Gegenstand intellektueller Anschauung werden.
"Um vier Uhr Moskauer Zeit, am Sonntagmorgen, wurde den von Scheinwerfern grell bestrahlten Angeklagten beim Surren der Filmkameras das Urteil verkündet, dies ging schnell, kein Stöhnen, kein Schreien, keine Ohnmacht, schon wurden sie nacheinander, von je zwei Soldaten, hinausgeführt, Bucharin als letzter, totenblaß, mit seinem ergrauten Spitzbart Lenin sehr ähnlich. Durch die kalte Dunkelheit vor Sonnenaufgang wurden sie zum prunkvollen Gebäude mit den vermauerten Fenstern der unteren Stockwerke am Lubjanka Platz gefahren. Mittags dann, Grieg starrte übers weißlich flimmernde Meer, stand der Braunauer, tief ergreifendes unvergeßliches Erlebnis, ehrfurchtsvolles Schweigen, auf dem Friedhof von Leonding, am Grab seiner Eltern, Blums neugebildete Regierung lehnte jede Unterstützung der spanischen Republik ab, vorbei an Caspe, das die unseren noch hielten, drangen Keile der nationalistischen Armeen in Richtung Küste vor, und aus Valencia kam keine Nachricht." (1, 304) (6)
Die Destruktion einer vernünftigen Subjekten verständlichen Vorstellung der Politik der KPdSU (B), der Sieg des Faschismus in Österreich, die Neutralität einer Volksfrontregierung im Kampf gegen die spanischen Faschisten, die absehbare Niederlage im spanischen Bürgerkrieg, gehen nicht zusammen mit der Kontinuität des Bewußtseins eines Subjekts, das sich dem preisgegeben weiß (I, 305), und das sich, von seinen Vorstellungen zerrissen, doch als ein Bewußtsein versteht.
"Die Aufgabe, die sich mir stellte, hatte ich nicht um meiner selbst willen zu leisten, ich verstand sie als eine Kraft, die auch in vielen anderen wirksam war und uns alle einer Klärung entgegentrieb. Gemeinsam besaßen wir dies geschärfte Wachsein," (I, 305)
Das geschärfte Wachsein als Gemeinbesitz ist an der Stelle nicht nur eine mißglückte, sondern eine falsche Formulierung, und manches ist in dem Roman mißglückt, aber nicht das ist Gegenstand der Kritik in der MSZ, sondern das Dargestellte: daß die inkompatiblen Vorstellungen das Bewußtsein zu dem einer Empfindung trüben, in der die Vorstellungen ineinanderfließen, und daß das Bewußtsein dann sich dieser Empindung als seiner Empfindung bewußt bleibt. Die in der MSZ bemängelte Synästhesie hat ihren Grund in der Trübung des Bewußtseins derer, die heteronomen Notwendigkeiten der Selbsterhaltung unterworfen sind.
"Wir Zurückbleibenden fragten nicht mehr nach denen, die erschossen worden waren in den Kellern, niemand wollte jetzt nachdenken über das Recht oder das Unrecht der Urteile, den schuldigen oder unschuldigen Weg in den Tod, niemand wollte begangene Fehler, Mißgriffe, Wahngebilde erörtern, jetzt, da die Welt den Anschluß Österreichs an Deutschland ohne Widerspruch hingenommen hatte, da bei der Konzentration auf die eigne Verteidigung die sowjetischen Waffenlieferungen geringer werden mußten, da unser Land vor der Zerteilung, der Zertrümmerung stand, konnte es nur noch um das Nächstliegende gehen, um die Mobilisierung der letzten eignen Kräfte, um ein unmögliches Durchhalten zum Gewinnen von Zeit ehe ganz Europa in die entscheidende Auseinandersetzung gerissen würde." (I, 304f.)
So holprige Formulierungen wie die vom "unmöglichen Durchhalten zum Gewinnen von Zeit" sind nicht einfach falsch, denn durch die Präposition mit Dativ zur Bezeichnung des Zwecks wird das "unmögliche Durchhalten" von einer Feststellung zu einem Oxymoron, das das "wir", das Subjekt des Durchhaltens am Anfang des Satzes vor der heroisierenden Stilisierung und vor der Zustimmung zu seiner virtuellen Liquidation gleichermaßen bewahren soll. Die papierne, an die Bürokratie erinnernde Sprache, in der gemäß der Geschäftsordnung verfügt wird, einen 'Vorgang' mit dem Vermerk 'Wiedervorlage zu einem späteren Termin' abzulegen:
"Die Schritte, die mich zur Verwirklichurig meiner Absichten führen sollten, konnten jedoch nicht getan werden, die gewünschte Entwicklung war so verbaut, daß es eine Vermessenheit war, sie überhaupt zu erwähnen." (1, 305)
dient dazu, jede Vorstellung, die über die trübe Empfindung hinausgeht, zu widerrufen, und den Widerruf als das zu charakterisieren, was er ist, eine Verfügung, die über das Subjekt ergeht. Die Behauptung, aus dieser Passage des Romans sei zu entnehmen, der Autor betrachte die Kette von Niederlagen zugleich als politisches Scheitern und als ausgesprochene Bereicherung seiner Subjektivität, ist niederträchtig. Motiv solcher rancune dürfte gerade das sein, was von dem Roman getroffen wird, die
Inkonsistenz des Bewußtseins
der Subjekte, die der katastrophalen Entwicklung bislang erfolglos Widerstand entgegensetzten. Die ist nicht ausschließlich die malaise bürgerlicher Intellektueller, sondern sie berührt sich mit der von Proleten, die, um die Arbeitskraft, von deren Verkauf sie leben, auch verkaufen zu können, an der Erhaltung des Marktes für ihre Ware in der Produktionsweise interessiert sind, an der sie kein Interesse haben können. Bleiben sie in den Vorstellungen dieser Produktionsweise befangen, so sitzen sie der Ideologie der Gleichheit des Interesses aller Warenbesitzer an dieser Produktionsweise auf, die sie nur zu durchbrechen vermögen, wenn sie sich als Subjekte anderer Interessen als denen von Besitzern der Ware Arbeitskraft vorstellen können. Solche Vorstellung träte neben die ihnen selbstverständlich gewordene Form der Existenz in der kapitalistischen Produktionsweise.
"Die Marter des Traums und der Dichtung, hatte Heilmann gesagt, sei die Auslieferung an eine Situation, aus der es kein Entrinnen gab, alles würde uns dort widerfahren, als ob es wirklich wäre, nur führe im Traum das nicht mehr Erträgliche zum Erwachen, so wie es in der Dichtung durch Übertragung ins Wort befreie. Die Anästhesie gehöre auch zur äußerst beteiligten, Stellung beziehenden Kunst, denn ohne deren Hilfe würden wir entweder vom Mitgefühl für die Qualen anderer oder vom Leiden am selbsterfahrenen Unheil überwältigt werdern und könnten unser Verstummen, unsere Schreckenslähmung nicht umwandeln in jene Aggressivität, die notwendig ist, um die Ursachen des Ausdrucks zu beseitigen." (1, 83)
Jedes Urteil über die praktische Unterdrückung steht zwangsläufig neben der Unterdrückung, und die dazu notwendige Distanz setzt Unempfindlichkeit gegen Leiden, die fremden wie auch wohl die eigenen, voraus, denn nur dann können diese sich in Vorstellungen verwandeln, bewußt werden, was seinerseits die Voraussetzung für die Einsicht in die Ursachen ist. Als Modell dazu dient im Roman die Besichtigung des Infernos durch Dante (I, 79ff.). Die Darstellung der Notwendigkeit der Differenz auszugeben als Manifestation der Absicht, sich zweeks Selbstgenusses - was immer gegen den sprechen soll -, in der Phantasie als Betroffener zu fühlen (MSZ), ist, soll dem Rezensenten nicht Analphabetismus zugebilligt werden, nur als böswillige Denunziation zu verstehen, denn der Text des Romans ist darin nicht mißverständlich. Gleichwohl bleibt die Stellung dessen, der das Inferno besichtigt, kommentiert, erklärt, fragwürdig, ob sie nun, wie bei Dante, als metaphysisch durch den objektiven Geist abgesichert erscheint, oder als Isolation und in deren Konsequenz als Exil. Jeder, der eine sachgerechte Erklärung des Infernos auch nur versucht, erfährt sich bald als von jenen ausgeschlossen, die als wohnliche Behausung es auszugeben entschlossen sind. Isolation wird erfahren als Leere um einen herum, deren Metonym die ausgeräumte Wohnung ist, Station zwischen der nicht mehr zu haltenden Stellung des Widerstands in der ehemals vertrauten Umgebung und dem Elend des Exils (1, 95ff.). In der Isolation bekommt die Vorstellung von der eigenen empirischen Existenz Züge von Irrealität, ist sie vom Wahngebilde nicht mehr zuverlässig zu unterscheiden. Das Subjekt kann schließlich der Realität seiner Vorstellung von sich nur durch die Konstruktion seiner Genealogie, die in der seiner naturgeschichtlichen Grundlage fortgesetzt wird, sich versichern, Die naturgeschichtliche Grundlage aber ist gegenwärtig nur noch im naturkundlichen Museum, in dem die Funde der Paläontologie ausgestellt sind (1, 96ff.). Für das isolierte Subjekt ist das nicht mehr als eine Reminiszenz an die eigene Bildungsgeschichte. Als Reminiszenz erscheint auch die Geschichte der Arbeiterbewegung, die, als die eigene Geschichte einbegreifend, das Subjekt in die ausgeräumte Wohnung führte. Was über deren Bannkreis hinausreichte, die Fortsetzung des Widerstands im Exil, dessen auch bloß taktischer Wert trotz seiner trotz seiner
"zahlenmäßigen Geringfügigkeit, unschätzbar für den Standpunkt der Solidarität" (1, 280),
praktisch nicht feststellbar gewesen sein soll, erweist sich demnach als ideell. Analog zum Ende des Zauberbergs, aber ohne jede Spur von dessen Ironie, soll der
Bann der Irrealität
der Vorstellung der Intellektuellen von sich selbst durch die Teilnahme an einem Krieg gebrochen werden. Der Bürgerkrieg in Spanien war ein Krieg, auch wenn er von Seiten der Republikaner gegen den Faschismus geführt wurde, und ausgerechnet im Krieg, in dem die Subjekte unablässig Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind, sollen sie sich als "Urheber der Geschehnisse" verstehen dürfen (I, 282). Doch die Vorstellung von der kollektiven Einheit der im Bürgerkrieg handelnden Subjekte bleibt im Roman nicht ungebrochen, sie ist durchschossen mit den Nachrichten von den Moskauer Prozessen. Der Einsicht in die Notwendigkeit der Solidarität steht die Unmöglichkeit entgegen, mit dem sich zu solidarisieren, was unter Berufung auf die Notwendigkeit der Solidarität geschah, eine Aporie, die nicht dadurch verschwindet, daß in der Rezension unterstellt ist, sie existiere nicht, und ihre Darstellung sei nur die des Scheiterns der persönlichen Identifikation mit der Sowjetunion. Auch die Heroisierung des Aufstands gegen den Faschismus ist eine Affirmation der Notwendigkeit von Gewalt. Daß die mythische Gestalt der Aufklärung, Herakles, der die Welt von gewalttätigen Ungeheuern säubert, selbst zu den gewalttätigen Heroen zählt, ist nicht nur der Mehrdeutigkeit des Mythos, seiner Unbestimmtheit, geschuldet, es trägt auch der Tatsache Rechnung, daß auch die Gewalt, die der praktischen Unterdrückung sich entgegenstellt, von derselben Art sein muß wie die, der sie sich entgegenstellt. Alle Einsicht in die Antagonismen, die die Sowjetunion von innen und von außen gefährden, vemochte die politischen Mittel, mit denen die Antagonismen hätten geschlichtet werden können, nicht herbeizuzaubern, und über diese Mittel waren die Fraktionen zerstritten ehe Stalin, der mit der Organisation des Staatsapparates die Subjekte der antagonistischen Interessen unterdrückte, den Wortführern der Fraktion den Prozeß machen ließ. Die notwendige Kritik an der Politik Stalins beseitigt nicht die Antagonismen, die durch sie erfolgreich unterdrückt wurden. Dazu, das Bewußtsein gegen solche Aporien abzuschirmen, soll die naßforsch vorgetragene Anklage dienen, die beweisen will, die Quintessenz der Ästhetik des Widerstands sei der professionelle Anti-kommunismus von Schriftstellern, deren Tätigkeit darin bestehe, ihre selbstverliebte Subjektivität sich ausspinnen zu lassen. Daß die detaillierte Konstruktion der Aporie in Gestalten, Handlungen, Bildern, Reminiszenzen und Reflexionen, durch die ein theoretisch zu bestimmender Widerspruch ästhetisch, nach Analogien der Erfahrung, faßbar gemacht werden soll, die Aporie nicht löst, wird von der Anklage zu dem Vorhalt stilisiert, der Autor habe gar nicht die Absicht gehabt, den von ihm dargestellten Streit zu entscheiden, er wolle ihn offenhalten und statt der Kunst deren Problematisierung genießen, um ihn des Einverständnisses mit jenen zu überfübren, die aus durchsichtigen Gründen auf keinen Gegenstand sich mehr einlassen, und die den Streit über eine Sache durch die Diskussion von Ansätzen, durch die diese nicht tangiert wird, ersetzen. Damit ist nicht nur unterstellt, der Streit, in dessen Darstellung die Ästhetik des Widerstands auch seinen Gründen auf die Spur zu kommen versucht, sei der Sache nach schon entschieden, es wird dadurch auch die Kunst insgesamt zum unproblematischen Allotria erklärt. Nun ist die
Grundlage der Kunst fragwürdig
genug, denn niemand wird behaupten können, daß das Mehrprodukt, das die Existenz von Künstlern ermöglichte, von denen, denen es abgepreßt wurde, geschaffen worden sei, damit es Kunst gebe. Kant hat an der Erhabenheit monumentaler archaischer Kunstwerke den Ausdruck der Macht gewahrt (7), die sie als Demonstration verschwenderischer Verfügung über das Mehrprodukt aufführen ließ. Was an der Kunst den Eindruck des Erhabenen erweckt, leitet von dieser Demonstration sich her, doch zwischen den Beispielen für Monumentalität, die Kant anführt, den Pyramiden und dem Petersdom, gibt es Unterschiede, die nicht auf das Prinzip der Monumentalität sich zurückführen lassen. Diese Unterschiede resultieren aus dem, was einmal Entfaltung der menschlichen Wesenskräfte hieß, und daß die auch nur zu erwähnen heute wie eine Blasphemie wirkt, ist nicht ausgerechnet der Kunst anzulasten. Diese nur darauf zurückzuführen, auf wessen Kosten sie entstand und für wen sie dagegen gemacht wurde, unterschlägt in ihr das Moment objektiver Freiheit, dessen subjektive Aneignung Bildung wäre. Daß die den Proleten zu Recht vorenthalten bleibt, weil sie für sie zu nichts tauge, rechnet der Rezensent höhnisch dem Autor der Ästhetik des Widerstands vor, allerdings nicht ohne seinerseits durch die Plagiierung des Titels eines etwas entlegenen Werkes der Romantik mit ihr zu kokettieren; er greift auch, ohne sich zu zieren, auf den bürgerlichen Hausschatz von Faust-Zitaten zurück, aus dem die MSZ sonst belegt, daß Goethe der ihre nicht ist. Mit der überlieferten Kunst wird nicht anders verfahren als mit der Ästhetik des Widerstands, sie gilt als Sammlung verfügbaren Materials, das nach eigenen Zwecken zuzurichten den Eroberern nach dem Kriegsrecht zustehe (I, 36). Die Bourgeoisie verfährt längst nach diesem Recht, sie hat mit der kulinarischen Zurichtung der Kunst, die offensichtlich den Beifall der MSZ findet, das Moment objektivierter Freiheit an ihr getilgt. Danach muß es unverständlich sein, daß die antizipierte Idee eines Bildes bei dem Versuch, es auszuführen, auf Widerstand stößt, der, wenn jeder Versuch der Ausführung zwangsläufig der Gefahr der Heroisierung des Kampfes erliegt, bis zur Unausführbarkeit anwachsen kann, und vor der kann ein Künstler zu der Ohnmacht sich verurteilt sehen, die der eines Kommunisten so unähnlich nicht ist, wie die Rezension es wahr haben will.
"Das ist gut - die eigne Vorstellungswelt des Künstlers setzt diesem einen vergleichbaren Widerstand entgegen wie die Herrschaft dem Revolutionär." (MSZ, 3/82, S. 78)
Nicht die Vorstellungswelt des Künstlers wird in dem inkriminierten Passus abgehandelt, sondern Idealisierung und Heroisierung durch eine Darstellung, in der
"das Triumphieren (auf den Bildern des sozialistischen Realismus) die Wahrheit (ist)." (I, 65),
und die dem Triumphieren adäquaten Formen der Darstellung erweisen sich denen der Bilder, "die Augenweide der Spießer waren" (I, 65), zum Verwechseln ähnlich. In unheilvoller Dialektik wird dem Kampf gegen die totale Mobilmachung von dieser ihre eigene Form aufgezwungen, die ratifiziert wird, wenn, was als Moment nicht in sich subsistieren kann, umstandslos auf Grundlage und Zweck dessen reduziert wird, woran es als Moment existiert. Ohne Grundlage und Zweck dessen, wodurch Kunst existiert, zu verkennen, ohne ihr metaphysische Dignität zuzuschreiben, versucht Peter Weiss mit der Ästhetik des Widerstands die Kunst der Notwendigkeit der Mobilmachung gegen die totale Mobilmachung soweit zu entziehen, daß an ihr das Moment objektiver Freiheit erkennbar bleibt. Die Gratwanderung zwischen der einen Versuchung, Kunst als Gestalt gewordene, objektivierte Freiheit zu verhimmeln, und der anderen, sie als verfügbaren Fundus zur Dekoration anderer, politischer Zwecke anzusehen, geht nicht ohne einige - leichtere - Unfälle ab, und sie eröffnet keine andere Aussicht als der Appell an die Kunst, durch ihre Hoffnungslosigkeit sich nicht brechen zu lassen. Wer mit neutestamentarischer Radikalität "Laß die Toten ihre Toten begraben", (Luk. 9,60) von der Tradition sich abwendet, behält ihr gegenüber nur das leere Bewußtsein des besseren Bewußtseins, von dem jede Vergegenwärtigung des Vergangenen pauschal abgekanzelt werden kann. Sachlich enthält eine solche Abkanzelung nicht mehr als den Affekt moralischer Selbstgerechtigkeit, der in der Rezension an dem Roman von Peter Weiss exekutiert wird, sinnigerweise dadurch, daß dieser zu Unrecht zur Manifestation der eigenen Deformation erklärt wird.
Fußnoten
(1) Vgl. Peter Weiss, Notizbücher, 2 Bde., Ffm 1981.
Diese Notizbücher, in denen anderes als die Privatangelegenheiten des Autors das Übergewicht hat, werden zwar in dem Verriß in der MSZ nicht genannt, doch der angeblich rezensierte Roman wird ausschließlich als Zeugnis eines sich selbst bespiegelnden Subjekts ausgegeben. Daß dabei Dilthey, der Ahnherr deutscher Geisteswissenschaften, Pate gestanden hat, ist den Rezensenten, die ihrer Orthodoxie doch ein wenig zu sicher waren, nicht beigefallen.
(2) Mitgliedern des Vereins zur Förderung wissenschaftlicher und politischer Diskussionen müßte die Kenntnis des Unterschieds der von Germanisten gepflegten Ideologie des Bildungsromans zu diesen Romanen selbst abverlangt werden können.
(3) Peter Weiss, Der Schatten des Körpers des Kutschers, Ffm 1964, S. 48.
(4) a.a.O., S. 7ff.
(5) MSZ (Marxistische Studentenzeitung), München, Nr. 3/1982, S. 77.
(6) Peter Weiss, Ästhetik des Widerstands, Bd. 1, Ffm 1976, S. 304.
(7) Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, Paragr. 26. Obwohl Kant in diesem Paragraphen von der Größenschätzung der Naturdinge, die zur Idee des Erhabenen erforderlich ist, schreiben will, greift er zur Erklärung auf die Beispiele monumentaler Artefakte zurück, deren Monumentalität der empirischen Vorstellungskraft inadäquat sei. Der Tätigkeit einzelner Subjekte ist die Monumentalität solcher Artefakte inkommensurabel, als Resultate kollektiver Tätigkeit sind sie Manifestationen der Herrschaft über das K ollektiv.
Antwort der MSZ-Redaktion
Künstliches Licht im Inferno
Der Vorwurf, den Bulthaup mit seinem Traktat über die Welt im allgemeinen, das Subjekt im besonderen und die "Ästhetik des Widerstandes" im einzelnen gegen unsere Rezension erhebt, lautet (in unseren Worten ausgedrückt): Wir hätten den Roman einfach nicht verstanden, weil wir blind seien gegen die Bedeutung der Kunst.
So fängt Bulthaup denn damit an, uns bzw. unseren Lesern die "objektive Bedeutung" der Kunst überhaupt darzulegen. Worin soll die denn bestehen? Wodurch soll die Kunst als Kunst, also ganz unabhängig von der Verständigkeit der in den einzelnen Kunstwerken jeweils dargestellten Vorstellungen und vom sinnlichen Genuß, den die Darstellung bereitet, prinzipielle Anerkennung beanspruchen dürfen? Die Antwort ist drollig: Der Kunst darf weder "metaphysische Dignität jenseits menschlicher Interessen" zuerkannt, aber schon gar nicht "nur ihre metaphysische Dignität bestritten" werden; der Kunst fehlt solche "Dignität" nicht nur, sie hat sie auch.
Den Glaubwürdigkeitsbeweis für diese Kunstmetaphysik m.b.H. führt Bulthaup mit Aussagen nicht etwa über die Kunst sondern über den Rest der Welt, die ein solches Diesseits mit jenseitigen Eigenschaften hervorgebracht haben soll.
Sinnsuche negativ
Da soll es einmal eine "objektive Einheit der Apperzeption" gegeben haben, zu der in der "bürgerlichen Gesellschaft" das "subjektive Selbstbewußtsein" in eine "Diskrepanz" geraten sei, was irgendwie mit dem Markt zu tun haben soll. Wörtlich genommen, ist das ein sich selbst aufhebender Widerspruch: Entweder ist die "Einheit der Apperzeption" "objektiv", dann ist eine subjektive Distanz zu ihr nicht möglich; oder es gibt jene ominöse "Diskrepanz", aber dann kann von einer "objektiven Einheit der Apperzeption" nicht die Rede sein, und mit dem Markt hat diese Bulthaup'sche Begriffsverwirrung schon gar nichts zu tun. Verständlich ist sie trotzdem. Mit der "Einheit der Apperzeption" wird an den Leser appelliert, sich irgendeine (egal welche) von jedermann fraglos geteilte Weltanschauung vorzustellen und sich sodann an die gängige moralische Klage zu erinnern, daß es wegen des Markts auf der Welt so etwas nicht mehr gebe. Nur will Bulthaup diese Klage mit philosophischem Niveau vorbringen, als vergeblich erstrebte Übereinstimmung von "Individualität und Allgemeinheit, Empirie und Theorie". (Dies im übrigen ein alter adornitischer Fehler, alles und jedes, selbst noch die angehobensten Formen aus dem Reich der Ideologie schnurstracks aus den einfachen Formen des Warentauschs "ableiten" zu wollen und dabei den Kapitalismus ganz abstrakt als "Tauschgesellschaft" (nicht) zu bestimmen.) Diese Sinnsuche praktiziert nur das moralische Vorurteil über die Welt, daß sich irgendwie und letztendlich alle Gegensätze in harmonische Verhältnisse und damit in Wohlgefallen auflösen müßten. Bulthaup verdoppelt diesen Fehler, indem er die Nichtexistenz eines Prinzips der Weltharmonie konstatiert, aber nur, um jetzt alles aus der Abwesenheit der Welteinheit herzuleiten. Alles soll sich aus einer Kategorie ergeben, und zwar dadurch, daß diese gar nicht existiert! Und vollends lächerlich wird der negative Fanatismus des Sinns in der Auffassung, die mit der Sinnlosigkeit der Welt gegebene Sinnlosigkeit der Kunst bürde dieser eine ungeheure Last auf. Mal ehrlich: In den Augen eines negativen Sinnfexes kann die Kunst doch überhaupt nichts mehr falschmachen! Ob ein Peter Weiss, wie von Bulthaup zitiert, mit dem Argument, jede Alternative zum Schreiben sei ebenso bescheuert wie das Schreiben, letzteres zur selbstlosen Pflichterfüllung stilisiert; ob "minutiöse Beschreibung eines Scheißhauses" oder Agitprop stattfindet; oder ob eine eher positiv gestimmte Weltsicht "en detail scheitert" - ganz unabhängig von ihren Aussagen ist den Künstlern schon Wahrheit der Aussage bescheinigt: Schon indem sie einen Griffel in die Hand nehmen, können sie gar nicht anders, als Zeugnis abzulegen vom metaphysischen Abgrund der Welt.
Die Kunst zur "leeren Tätigkeit" mit einem "lähmenden Bewußtsein der Irrelevanz ihrer Objektivationen" zu erklären, ist nämlich nur die Einleitung dazu, ihr das glatte Gegenteil von Sinnlosigkeit zu bescheinigen, die vornehme Aufgabe, dem "Verstummen" zum Ausdruck zu verhelfen. Z.B. durch "das Paradox der Darstellung der schon in sich zurückgenommenen Geste des Hervorbringens, die ohne die Objektivation im Hervorgebrachten vollends in sich zurückfiele". Ein Zurücknehmen hervorgebracht, ergibt ein zwar Zurückgenommenes, aber Hervorgebrachtes, und schon ist dem "Einverständnis mit dem Zeitgeist" etwas entgegengesetzt.
Das muß man erst mal hinkriegen. Wenn Bulthaup gelegentlich einmal an die wirkliche Welt erinnert, dann jammert er stets in den höchsten Tönen: Das glatte "Inferno" soll sie sein, und das moralische Mitmachertum der Mehrheit bekommt von ihm gleich das Prädikat "totale Mobilmachung". Offenbar ist ihm der Alltag von Geschäft und Gewalt, von Armut und Moral viel zu banal -kritikabel wird das alles für einen negativen Metaphysiker erst durch die Übertreibung ins Maßlose, die Hölle oder sonst ein negatives Totales. Und dann läßt er sich, mitten im Inferno, ausgerechnet die Verdopplung der Hölle in sie selber und ihren ästhetischen Ausdruck angelegen sein. Dann entdeckt er in der ästhetischen Form der totalen Negativität plötzlich etwas absolut Positives und in der selbstgefällig ausgekosteten "Leere", die die Herren Schriftsteller in ihren "Vorstellungen" selber geschaffen haben, den Inbegriff aller "malaisen".
Bedeutung durch Interpretation
Bulthaups Attest, daß an Peter Weiss' "Ästhetik des Widerstands" ein "Moment objektiver Freiheit erkennbar bleibt", hat mit dem Roman herzlich wenig zu tun. Dieses Urteil über ihn geht erstens auf den Entschluß zurück, die Kunst "toto genere" zum Zeugen einer negativen Metaphysik zu machen und sie dafür vom Verdikt der durch nichts zu durchdringenden Negativität auszunehmen. Zweitens führt Bulthaup diesen Entschluß am Roman durch, indem er denselben interpretiert. Dieses Verfahren ist etwas ganz anderes als die unbefangene Kenntnisnahme und Beurteilung des Inhalts der "Ästhetik des Widerstands". Interpretieren heißt, dem Roman eine von seinem Inhalt und seiner Aussage durchaus verschiedene Bedeutung zu verschaffen. In Bulthaups Apologie des Romans gegen uns verteidigt er nicht eine einzige der von uns kritisierten Aussagen darüber, inwiefem Kunst Widerstand sei oder sein könnte. Solche Inhalte kommen bei ihm gar nicht vor, wenn er methodisch über sie redet und beteuert, daß er die Unvereinbarkeit der Vorstellungen (was nicht stimmt: die Auffassungen, die im Roman konfrontiert werden, sind sehr wohl vereinbar, und wir haben auch dargelegt, wie) für die einzige mit der Sinnlosigkeit der Welt zu vereinbarende Kunstform hält. Daß wir den Roman überhaupt nach seinen Aussagen beurteilen, verurteilt er als naive, bzw: bornierte Verwechslung von Autor und Erzähler, wenn nicht gleich als Rancüne. Dagegen ein Beispiel für seine von allen Aussagen souverän abstrahierende Interpretationskunst (Er bespricht da die "Funktion" des Ich-Erzählers in Weiss' Roman):
"...nur durch die fingierte Indifferenz von Subjekt der Imagination und im aginiertem Subjekt erscheint das Unvereinbare als unvereinbar und nicht bloß als Assoziation von Vorstellungen. Mit dem Schein von Faktizität bekleidet, erscheint dann das Subjekt als Faktum unter anderen Fakten, die es, weil es ein Bewußtsein von ihnen hat, zusammenfaßt, ohne doch, wie einstmals der omnipotente Erzähler, ihrer Herr werden zu können."
Erster Gedanke: Nur indem der Ich-Erzähler so tut, als wäre er genauso wie Peter Weiss der Erfinder der Geschichte, merkt der Leser, daß diverse Vorstellungen der Hauptperson sich widersprechen und nicht bloß nebeneinanderstehen. Das ist falsch, denn Widersprüche merkt der Leser am Inhalt der einander angeblich widersprechenden Vorstellungen - über den Bulthaup kein Wort verliert - oder gar nicht. Aber so wörtlich hat er das "nur durch... erscheint" wohl auch gar nicht gemeint, sondern wollte nur sagen: Daß der Roman die Form einer Ich Erzählung hat, ist sehr bedeutsam.
Zweiter Gedanke: Indem der Erzähler so tut, als ob (!) es ihn gibt, unterscheidet er sich nicht (!) von beliebigen Sachen, die es auch gibt. Insofern er ein Bewußtsein hat, unterscheidet er sich dann doch, aber doch auch wieder nicht so sehr, denn als z.T. bloßes Fakt ist sein Bewußtsein auch nicht mehr so allmächtig, wie es früher einmal war. Wiederum falsch geschlossen; aber mit einem Fortschritt in der Botschaft: Daß der Erzähler nicht mehr "omnipotent" ist, beweist, daß heutzutage sensible Naturen wie z.B. der von Peter Weiss erfundene Ich-Erzähler lauter "inkompatible Vorstellungen" aufweisen können, dürfen und müssen, die Ordnung der Welt also in einer systematischen Konfusion besteht, die Welt also sehr fragwürdig, dafür die von Bulthaup ausgemachte Konfusion im Roman über jede Kritik erhaben ist: Sie ist als seine Form anzuerkennen.
Mit dem Roman hat das sehr wenig zu tun, wenn Bulthaup ohne eine einzige seiner Aussagen darüber, worin die Kunst Widerstand sei, auch nur zu benennen, dem Roman eine "Form" hinkonstruiert. Das methodische Hinwegreden über seinen Inhalt ist eben die Weise, wie er ihn seinem Standpunkt, subsumiert und den Schriftsteller Peter Weiss zum wahren Zeugen der von ihm ausgemachten undurchdringlichen Unwahrheit ernennt. Es liegt uns übrigens nicht der Roman am Herzen, den wir da gegen seine Interpretation in Schutz nehmen. Wir halten es vielmehr für einen Verstoß gegen den Verstand, wie jemand der Kunst eine wasserdichte Verherrlichung zukommen läßt nach dem Muster: Ob die Kunst etwas Höheres ist, das ist sehr fraglich; wenn sie aber ihre Fragwürdigkeit zu ihrem Inhalt macht, dann ist sie das Höchste. Wir halten es weiterhin für eine intellektuelle Unredlichkeit, für die Fragwürdigkeit = wohlverstandene Relevanz der Kunst die moralische Wucht ins Feld zu führen, die sich aus der Berufung auf die existente Not und Gewalt gewinnen läßt. Und wir halten es für intellektuell und politisch völlig verkehrt, erst über die angeblich maßlos schlimme Welt zu jammern, dann nur noch um den adäquaten Ausdruck des eingebildeten Jammers besorgt zu sein und sogar das "Leiden" des Schriftstellers an vorgeblichen Schwierigkeiten des Ausdrückens sowie der "Isolation" von denen, mit denen er doch sowieso nichts zu tun haben will, zu dem Urteil über den Kapitalismus zu erheben.
Ein paar Anregungen
Ist das Verfahren, alles auf der Welt an dem Gesichtspunkt (nicht) vorhandener Einheit zu messen, nicht nur moralisch und dogmatisch, sondern auch langweilig und billig? Im negativen Falle kommt doch immer nur heraus, was von vornherein feststeht: daß alles nichts taugt und darin hervorragend zusammenpaßt. Wird diese Weltsicht einmal konkretisiert - wie bei Bulthaups Bemerkung über das falsche Bewußtsein der Arbeiter -, dann kommen lauter Fehlurteile zustande. Das eklatanteste: Daß die Arbeiter parieren, liegt nicht - wie nicht nur Bulthaup meint - daran, daß Proleten sich selber nicht "als Subjekte anderer Interessen als denen von Besitzern der Ware Arbeitskraft vorstellen können". Um einen Grund zu bekommen, den Gehorsam aufzukündigen, brauchen sie überhaupt keine neuen Interessen. Schließlich werden sie täglich gezwungen, sich Interessen abzuschminken, die sie haben. Warum sie sich darauf einlassen, ist eine Frage, auf die man mit hermetischen Weltbildern gar nicht erst kommt - geschweige denn auf eine Antwort.
Wer schon aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung die Freiheit hat, sich mit allem Möglichen vom Bildungsroman bis zum falschen Bewußtsein der Arbeiter zu befassen; wer sich schon über Not, Gewalt und Moral ärgert, der könnte sich ja glatt die Freiheit nehmen, ein paar richtige Urteile über Not, Gewalt und Moral zu fassen und unter die Menschheit zu bringen, damit sie aufhört, aich das alles gefallen zu lassen. Die MSZ, in der die Rezension über die "Ästhetik des Widerstands" stand, brachte 70 Seiten über Kapitalismus, Demokratie und Imperialismus. Den nächsten Streit führen wir doch lieber darüber!