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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1982 erschienen.
Dichter betrachten den Regierungswechsel
KAMPF UM DIE GEISTIGE FÜHRUNG
"Das gewöhnliche Kompliment ist Dutzendware, mechanisches Geplapper ohne Sinn und Verstand und Feinheit. Die Speichelleckerei als Kunst betrieben, schafft originelle, charakteristuche, tief empfundene Formulierungen: sie gestaltet." (B. Brecht, Die Kunst des Speichelleckens)
Der Regierungswechsel war noch nicht vollständig abgewickelt, da schwärmte das Feuilleton der "Zeit" schon aus, um den Künstlern, die "1969 die leidenschaftlichen Sympathisanten es politischen Neubeginns" waren, am Ende der "sozialliberalen Ära" folgende aufschlußreiche Fragen vorzulegen:
"Welches Gefühl bewegt Sie in diesem Augenblick? Trauer, Erleichterung oder Gleichgültigkeit? Und macht ihnen der Gedanke an die Regierung, die kommen wird, Mut zur Zukunft oder nicht?"
Zielsicher spricht die "Zeit" die zehn Künstler in dem Organ an, mit dem diese Spezies zu urteilen pflegt: dem Gefühl. Und das Ansinnen besteht in nichts Geringerem, als daß diese sensiblen Naturen betroffen sein sollen nicht von der Macht, sondern vom Machtwechsel. Nicht gefragt sind hier Urteile über so kleinliche Fragen wie die von der alten Regierung forcierte Aufrüstung, die großzügige Bedienung am "Sozialen Netz" sowie deren konsequente Fortsetzung durch den neuen Helmut. Gefragt ist vielmehr das Interesse an der Konkurrenz um die Macht und deren gepflegter Inszenierung durch die Politiker, persönliche Anteilnahme an den (Geschicken der Herrscherfiguren. Die "Zeit" kennt ihre Pappenheimer offenbar gut genug um zu wissen, daß das Ansinnen, das trickreiche Gerangel um die Macht auch noch als Sternstunde der Republik zu bestaunen, bei diesen nicht als Unverschämtheit zurückgewiesen, sondern als Chance begrüßt wird, die Verantwortlichkeit des künstlerischen Gefühlsapparates unter Beweis zu stellen.
"Ein kompaktes Stimmungsbild vom Rand der Republik"
Ob ein Filmer namens Flimm, der Betrachtungsweise sesnes Berufes folgend, den Regierungswechsel als Inszenierung, die nicht auf seinem Mist gewachsen ist, behandelt und entsprechend herablassend würdigt, dabei aber nicht vergißt, Schmidt den Filmpreis zu verleihen -
"Schmidt war klar der bessere Schauspieler, Kohl ist ja kaum zu besetzen. Welcher Manierisaius. Die leere Hülse des Wortes. Der uneigentliche Gestus."
- ob ein Alexander Kluge über Helmut Schmidt, der noch bis kurz vor dem "Königsmord" uninteressiert als 'prosaischer Macher' abgetan wurde, und seine "klare Stirn" gleich "euphorisch" wird -
"Trauer war mein Gefühl beim Rücktritt von Willy Brandt. Bei den jetzigen Ereignissen habe ich das euphorische Gefühl von Hochachtung und Stolz: daß diejenigen Politiker, denen ich noch am ehesten trauen könnte, bei ihrem Abgang eine Haltung zeigen, die ihre Gegner nicht besitzen. Scheinbar ist eine solche Frage der Haltung - wie einer redet oder steht, klare Stirn oder sechzehn Falten und so fort - das Unpolitische daran, für mich ist es politisch."
- ob der Schauspieler Bernhard Minetti die Staatsbürgeridiotie vorführt, die Politikerfiguren, unter denen er lebt, ausgerechnet nach seinem Vertrauen in sie zu unterscheiden:
"Ich bin sehr traurig. Unter Schmidt fühlte ich mich sicher. Für die Zukunft bin ich skeptisch," (Die Schlichtheit dieses Zweizeilers macht hier seine Bedeutsamkeit aus) -
oder ob Martin Walser die schreckliche, die kanzlerlose Zeit dräuen sieht:
"Ich sag halt: schade. Jetzt hätten wir endlich mal einen Bundeskanzler gehabt, und nun haben wir Aussicht auf keinen."
- stets sind in dieser eintönigen Vielfalt die wunderlichen Freunde der Innenseite der Außenseite der Macht am Werk.
Als Kunstrichter der Darstellung von Politik belieben sie diese auf den Kopf gestellt zu sehen, - als sei "die Zeit der Schaukämpfe, der Verstellungen, der alibihaften politischen Schauläufe" (Lenz) um die Macht bloßes Theater und nicht Mittel des politischen Erfolgs. Klar, daß dann Geschmackskriterien genügen, wie gelungen Politiker die Attribute der Arroganz der Macht an sich als Person zur Darstellung bringen. Wo Herrschaft zur Stilfrage ihrer Repräsentation wird, da kommen Inhalte der Politik nicht vor, ist ihr also alles erlaubt, wenn sie sich nur an die gefälligen und geziemenden Gesichtspunkte hält, an denen die Politiker sich selbst gemessen sehen wollen.
Nur wollen diese in der Feier ihres politischen Selbstverständnisses den Erfolg. Bleibt der im "historischen Augenblick" der "Wende" aus, so spendet die Verklärung Schmidts zum würdigen Herrscher diesem nur vor der Geschichte - allerdings reichlichen - Trost
"In Bonn hat am 17. September 1982 der alte Kanzler eine glänzende, eine zugleich wütende und würdige Rede. gehalten. Die ihn stürzen wollen (Genscher und Kohl), wirkten danach wie nervöse überforderte Prokuristen, sprachlos ausgerechne im historischen Augenblick. Es ist ja auch eher ein Handel, den sie miteinander vorhaben als eine geschichtliche Tat - das machte ihre Sprache hohl ihre Gesichter leer. Schmidt hatte wie ein Herrscher gesprochen, dann sprachen zwei Angestellte der Macht." (Benjamin Henrichs, ein höherer Angestellter der Macht)
Noch erdenfemer gedenkt Franz Xaver Kroetz der Mächtigen, unter denen er sich einst tummelte, bis er seinen DKP-Austrit beschloß: "Ich bin kein Leitartikler und will's nie mehr versuchen." Genau deshalb läutet die "Zeit" bei ihm an und 'nötigt' ihn, in aller Öffentlichkeit "privat zu reagieren", obwohl er doch so viel lieber weite Holz gehackt und "auf diese Art von Theate und auf diese Art 'Theater heute'" geschissen hätte, was er dank seines Ringens um die Möglichkeit seiner Stellungnahme in drei vollen Spalten damit also auch noch angebracht hätte. Und an einen "Sinn" glaubt er bei der Politik der Bonner Parteien schon gleich gar nicht. So illusionslos ist der Franz Xaver, daß er - Gipfel ästhetischer Verirrung - an der deutschen Politik rein gar keinen Gefallen mehr finden kann - außer dem, sie als Moloch zu vergeheimnissen
"Nein" das Ende der Koalition tut mir nicht weh und macht mir nicht mehr Angst als nötig und entmutigt mich gar nicht. Und trotzdem, ich will nich lügen, der letzte Gedanke, der mir noch (!) plötzlich (!) einfällt, der paßt nicht zu dem Bild, denn er heißt: Ich denk dran, ich hab noch nie einen Krie erlebt, obwohl ich bald 37 werde. Und ich denk plötzlich: Ob das so bleibt? Und hab Angst." (Schön hast das gsagt!)
Als Schmarotzer der Macht und ihrer Wechselfälle brauchen Künstler kein Parteibuch und keinen Auftrag - sie stehen zu ihr in Freud und Leid gleichermaßen, auf ihren ehrfürchtigen Genuß bedacht.
Denk' ich an Deutschland...
Stolz auf solchen geistigen Anstand ist Walter Jens in seinem Aufsatz "Die Blütenträume ausgeträumt":
"Als ob man sich, so mir nichts dir nichts, ein 'geistiges Profil' geben könnte! Als ob es darauf ankäme, 'interessant' zu werden! Als ob Moral - das Einigungsband von 'Geist' und 'Macht'- ein Maßanzug sei, in den einer hineinschlüpfen könne: Partnerschaft als Resultat des entsprechenden styling auf Seiten der politisch Handelnden - das eben gerade nicht."
Jens hat's nämlich mit der groß - und gesamtdeutschen Ehre, die über alle Grenzen bis Polen und weiter ausgreift:
"Dieser Kniefall in Warschau vor dem Mahnmal für die Opfer des deutschen Faschismus, es war eine Geste, die ich nicht vergesse... Ein deutscher Kanzler, der die Größe besaß, die Souveränität und Freiheit, stellvertretend für sein Volk - er, einer der wenigen Gerechten! - in die Knie zu sinken. Ein Zeichen war das, daß Macht und Geist, Politik und Moral, Handel und Humanität zu vereinigen seien."
Wie geistvoll, daß heute die Zuständigkeit für die polnische Ökonomie in der Vorstandsetage der Dresdner Bank human geregelt wird. Daß neben feinsinnigen Bedenklichkeiten a la Kroetz offene, parteiliche Lobhudeleien für die Männer deutscher Erfolgspolitik ganz auf der Linie eines überparteilich verstandenen Auftrags der Künste liegen, haben Politiker im übrigen schon immer zu schätzen gewußt: Weniger zur handfesten "Verteidigung der Republik", wie Künstler sich dies einmal zurechtgesponnen haben, als zur nationalen Selbstdarstellung ist es Brauch, stets ein paar dieser Exemplare im Tomister mitzuführen - von Karl-Heinz Rummenigge bis Günter Grass. Der tat sich mit folgendem Spruch zu seinem raschen Eintritt in die jetzt oppositionelle SPD hervor:
"Wenn wir nicht verzichten lernen, geben wir uns auf..."
Daß ihn dieser Satz nicht zum Eintritt in die CDU bewegte, der das sozialliberale Sparprogramm auch nicht weit genug ging, zeigt, daß Grass zusammen mit Eppler der geistigen Führerschaft der Nation zu Ehren verhelfen will, die einen Kohl alt aussehen läßt. Denn das soll Schmidts Fehler gewesen sein:
"(Er) lehnte es ab, etwa im Bereich der Kultur oder in dem Bereich, den man so schön Grundwerte nennt, Entscheidungen zu treffen und von sich aus Wege aufzuzeigen." (Spiegel)
Welche Konjunktur des Geistes! Da jubelt auch der Walter aus Tübingen, der bis jetzt immer nicht zu Worte kommen konnte:
"Dem Gefühl der Bedrängnis gesellt sich Aufatmen, ja ein gerüttelt Maß von Sich-befreit-fühlen zu. Endlich dürfen auch die entschiedensten Verteidiger des kleineren Übels... die Dinge ohne falsche Rücksichtnahme auf zu verteidigende Machtpositionen beim Namen nennen: Radikalen-Erlaß! Anti-Terror-Gesetzgebung!... und das Schlimmste: das Festhalten am Nachrüsturigsbeschluß in einem Moment, wo..."