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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1982 erschienen.

Systematik

Frankreich
DIE GEWERKSCHAFTEN IM CHANGEMENT

  • Ein 4-monatiger Lohnstop, den die vormals regierende "Rechte" sich nicht zu erwägen getraut hat; geplante Abschaffung der Indexierung von Löhnen, d.h. eines automatischen Inflationsausgleichs; staatlich verordnete Mäßigungsabkommen für kommunale Tarifverhadlungen (8% Steigerung bis Ende '83!).
  • Eine 39-Stunden-Woche ohne vollen "Lohnausgleich", aber mit aller Freiheit fürs Kapital, Überstunden beliebig anzusetzen und die Auslastung der normalen Arbeitszeit zu erhöhen, also für die Betroffenen gewiß nicht weniger Arbeit.
  • Renten, noch dazu gekürzte, nur für diejenigen, die mehr als 37 Jahre gearbeitet haben; Verbot zur Rente noch dazuzuverdienen.
  • Erhöhung der Mehrwertsteuer, Sondersteuem auf Öl und Benzin, Alkohol und Tabak.
  • Einsparuneen bei den Sozialausgaben.

An diesen und an weiteren Reformen wird den französischen Arbeitern verdeutlicht, was "sozialistischer Aufbruch" in den von Mitterrand beabsichtigten nationalen Erfolg Frankreichs heißt. Kein Wunder, daß da bei manchen der politisch Verantwortlichen Neid auf deutsche Verhältnisse aufkommt, wo die gleiche Politik im DGB einen ganz überparteilichen, sich nur dem Wohl der Nation verpflichtet wissenden Partner gefunden hat. Für diese Sehnsucht werden Sozialisten und Kommunisten, die den in ihrer Regierung versprochenen Wechsel vorantreiben, freilich dadurch entschädigt, daß es sich bei den beiden wichtigsten französischen Gewerkschaften um Unterabteilungen ihrer Parteien handelt.

Gegen eine Politik, die in der selbständigen Übernahme des NATO-Rüstungsauftrags ihre internationale Bedeutung und ihr nationales Geschäftsmittel sieht; die ihr nationales Kapital zwingt und fördert, damit dieses die dafür nötigen wirtschaftlichen Mittel bereitstellt, koste es, was es wolle - am Währungsverfall darf diese Absicht nicht scheitern! -; und die alle dabei anfallenden Kosten auf den Rücken der Arbeiter ablädt, hätten die so Hergenommenen allen Grund, sich zu wehren. Für CGT und CFDT (die kommunistische und die sozialistische Gewerkschaft) ist das kein Grund, ihre Gefolgschaft zu Mitterrand und Marchais aufzukündigen. Die staatlich betriebene Verarmung der Massen behandeln sie vielmehr als Chance, die genutzt werden muß: mehr Mitbeteiligung der Gewerkschaften in Gesellschaft und Betrieb und rechtliche Absicherung der verantwortlichen Rolle, die sie im und für den Staat übernehmen wollen, lautet ihre Parole. Dementsprechend fällt der Kampf gegen die augenblicklichen Maßnahmen des französischen Staates, seine Arbeitsbürger betreffend, aus - auch für die französichen Gewerkschaften ist der DGB ein Vorbild.

Die Krise liegt tiefer

Wenn die nach wie vor stärkste Gewerkschaft CGT den Lohnstop für "inakzeptabel" erklärt, dann heißt dies nicht, daß sie ihn nicht hinnehmen will. "Inakzeptabel" ist er nämlich "nicht nur" (also nicht) wegen der handfesten "Senkung des Lebensstandards" der Arbeiter, sondern in einem sehr ideellen Sinn wegen der schreienden Ungerechtigkeit, daß die unschuldigen Opfer der Inflation diese ausbaden müssen und die schuldigen Kapitalisten (der Staat ist schön aus dem Schneider) trotz der gleichzeitig, geltenden Preisstops, ihre "Preistreiberei " ungestraft fortführen dürfen.

Die kommunistische Gewerkschaft

CGT bemängelt an dieser Art Inflationsbekämpfung, daß sie dem staatlichen Urheber mehr schaden als nützen soll. Der erzwungene Konsumverzicht der Massen bringe den Staat um die Frucht der "wirtschaftlichen Erneuerung Frankreichs", treibe einen Keil, zwischen Arbeiterklasse und eine Regierung, die in deren sozialistischem Auftrag an die Macht gekommen sei und nütze allenfalls dem Profit des Kapitals, der bekanntlich kein Vaterland kennt. Rettung freilich wäre zu haben: Die Unausgewogenheit eines Regierungsprogramms, das seiner proklamierten Arbeiterfreundlichkeit nur unvollkommen nachkommt, wäre schon halbwegs beseitigt, wenn die Gewerkschaft in rechtlich abgesicherter Form sich an seiner Durchführung beteiligen könnte. An ihrer staatsdienlichen Verantwortung soll es nicht fehlen, was sie mit ihrer Kritik an der Inflationsbekämpfung beweist. Diese Kritik verteidigt nicht etwa die Interessen ihrer Mitglieder, sondern bietet sie Staat und Wirtschaft als das Mittel einer "wirklichen" Inflationsbekämpfung und eines "neuen Wachstums" an. So will sie auch nicht länger auf dem Lohnstop herumreiten, sofern ihre grundsätzlichen Vorstellungen zur Sanierung Frankreichs nur irgendwie berücksichtigt werden. Der Lohnstop wird hingenommen - heißt das fiktive Angebot, das praktisch ohne großes Wenn und Aber längst erfüllt wird -, wenn mit dem Preisstop auch wirklich ernst gemacht wird, indem die französichen Arbeiter (über die Betriebsräte) an der Preiskontrolle beteiligt werden und auf diesem Wege (diesmal als Kontrollkraft) ihren Nutzen für die französische Wirtschaft klassenkämpferisch unter Beweis stellen können.

Die sozialistische Gewerkschaft

CFDT hat den Lohnkampf schon lange als "korporatistische" Sackgasse erkannt und behandelt. Ihre Anteilnahme gilt der Lohnstruktur, mit deren Veränderung "neue soziale Beziehungen" in Frankreichs Fabriken einziehen sollen, gegen die "patronalen Modelle sozialer Herrschaft". Erst wenn französische Arbeiter ganz objektiv leistungsgerecht und nicht nach Willkür, Lust und Laune der "patrons" bezahlt werden, ist das Glück, für iwenig Geld viel leisten zu dürfen, vollendet. Mit dieser verrückten Vorstellung über das Zustandekommen des Profits tritt diese Arbeiterorganisation als Fanatiker der Lohngerechtigkeit auf und teilt damit ihren Mitgliedern mit, daß es ihnen deswegen nicht auf den Lohn anzukommen hat.

Der Lohnstop ist nach ihren Worten keine - soziale Reform. Die Regierungsparteigewerkschaft beherrscht also die Logik, politische Zumutungen gegen das Proletariat an einem eingebildeten Maßstab politischer Wohltaten zu blamieren, genausogut wie der DGB, der von der Benzinpreiserhöhung bis zur Rentenkürzung auch alles damit kritisiert, es sei kein Beschäftigungsprogramm. Der Lohnstop rückt dem eingebildeten sozialen Übel des französischen Kapitalismus, nämlich den "entfremdeten hierarchischen Strukturen" und der darin begründeten "monarchischen Hegemonie" der Unternehmer nicht zu Leibe. Wahre Demokratie im Betrieb erfordert eine Hierarchie, die den Fauleren unter den französischen Arbeitern keine unverdienten Vergünstigungen durchgehen läßt. Im Appell an den Neid der Arbeiter und an die Erfahrung nie zu befriedigender Leistungsanforderungen des Kapitals profiliert sich die CFDT als bessere Betriebsleitung, die eine mitbestimmende Rolle verdient hätte.

Umgekehrt wird der Lohnstop für die CFDT zur begrüßenswerten sozialen Reform, wenn er so organisiert wird, daß dabei die "sozialen Ungleichheiten reduziert" werden. So ergänzt dieser Verein zur Förderung eines "neuen Typs Gesellschaft" die von der Regierung verfügte Lohnsenkung um das zahlenmäßig belegte Ideal einer gerecht ausbalancierten Schadensverteilung: Die niederen Löhne bis 4.100 F sollen die frühere Kaufkraft wiedererlangen, die mittleren Löhne zwischen 4.100 und 6.800 F sollen ihre (gesenkte) Kaufkraft (d.h. ihren Nominalwert) behalten und die reichen Lohnempfänger sollen etwas abgeben. Freilich ist auch ein derartiger Reformlohnstop für die CFDT erst dann eine wirkliche Reform, wenn ihm auch noch das letzte "hierarchische" Entfremdungsmoment genommen wird. Er darf nicht einfach von oben, "etatistisch" verfügt werden, sondern muß die geschröpften Arbeiter als "verantwortliche soziale Akteure" Verzicht üben lassen. So teilt man der Regierung und den Arbeitern unter Aufbietung aller auf die "Arbeitswelt" bezogenen Phrasen der Regierungspartei mit, daß man sich als ihre Gewerkschaftsorganisation für Lohn- und Preisstop-"Fragen" mitverantwortlich - fühlt, die "etatistisch" verfügten "Lösungen" also als "sozialer Akteur" mit "verantwortet".

Die Reformen reichen weiter

Es ist für die beiden Gewerkschaften keine Frage, b sie den Lohnstop akzeptieren. Alles dreht sich für sie um die Bedingungen, unter denen sie den Lohnstop als eine linke, reformerische, in die richtige Richtung weisende Maßnahme gutheißen wollen. Es kommt ihnen darauf an, sich als programmatische Verfechter eines arbeiterfreundlichen und sozialen Frankreich ins Spiel zu bringen, und dafür taugt ihnen selbst noch eine Maßnahme, mit der Mitterrand die Existenzsicherung der Arbeiter zum politischen Hindernis erklärt und den Gewerkschaften die Interessenvertretung ihrer Mitglieder verbietet. Diese Gewerkschaften haben es sich abgewöhnt, die Taten der Politiker vom Standpunkt der Betroffenen aus zu beurteilen, und malen sich angesichts der eindeutigen Maßnahmen stattdessen im Sinne einer linken Perspektive aus, was sie "eigentlich" sein sollten. Jede Härte bekommt so ihre soziale Dimension verpaßt. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze, zu der die Unternehmer durch Solidaritätsverträge verpflichtet werden, ist nicht der Zwang für die Arbeiter, zu den von den Kapitalisten bestimmten Ausbeutungsbedingungen - falls gebraucht - anzutreten. Sie gibt den Arbeitern ihr "Recht auf Arbeit" und bewahrt sie vor "Identitätsverlust". Die Verkürzung der Arbeitszeit bringt den Arbeitern nicht nur die Intensivierung der Arbeit bei gleichzeitiger Lohnkürzung. Sie gibt ihnen in Gestalt von Freizeit mehr "Menschenwürde" und schafft zugleich "neue Solidaritäten" zwischen Arbeitslosen und 'Arbeitsplatzbesitzern', zwischen den ihren Arbeitsplatz 'sich teilenden' Arbeitern usw. Die neuen Arbeiterrechte (Beschwerde- und Informationsrecht) sind zwar ein Schritt zur reibungsloseren Abwicklung von Rationalisierungen und Entlassungen, in den Augen der französischen Gewerkschaften bringen sie aber eine "Aufwertung der Rolle des Arbeiters" und bescheren ihm die Ehre eines "verantwortlichen Subjekts".

Kritik an der Regierung

Wenn CGT und CFDT die Regierungsmaßnahmen an ihrem Ideal eines sozialen Frankreich messen, so stellen sie heute "Differenzen", aber - im Gegensatz zu früheren Zeiten - keine grundlegenden "Divergenzen " fest. Sie haben nun einmal die prinzipielle Entscheidung getroffen, die Mitterrandregierung als günstige Bedingung zur Verwirklichung ihrer Sozialstaatsvorstellungen zu betrachten. So halten sie ihre Ideale der Regierung nicht - wie bei ihrer rechten Vorgängerin - entgegen, sondern unterstellen sie ihr als "Tendenz", die leider in den Maßnahmen noch unzureichend zum Ausdruck kommt.

"Unannehmbare ministerielle Erklärungen haben offen versucht, diese sozialen Beschränkungen und Rückschritte zu rechtfertigen. Wir ziehen daraus - nicht (!) den Schluß, daß wir unsere Meinung über die allgenieine Orientierung der Regierung ändern müßten: wir unterstützen sie als Tendenz, wir beurteilen die eingeleiteten großen Reformen positiv." (Krasucki, CGT)

Je brutaler Mitterrands Mannen zuschlagen desto wichtiger wird die "Aufgabe" der Gewerkschaften, die unterstellte "positive Tendenz" festzuhalten nach dem Muster: "Die Richtung stimmt, aber die Maßnahmen sind nicht konsequent genug" und widersprechen dem Geist der Regierung. So treten Krasucki (CGT) und Maire (CFDT) der Regierung "kritisch" als Leuchtturmwärter gegenüber und machen auf diesem kleinen Umweg ernst mit der Regierungsideologie, daß jeder Anschlag auf den Geldbeutel der Franzosen ein Beitrag auf dem Weg zu seiner sozialen Emanzipation und die neuerdings eingeläutete "Politik der Strenge" der sicherste Weg zum 'changement' sein soll.

"Kritik" der Mitglieder

Da den Arbeitern mit Lohnstop, Leistungssteigerung und programmierter Inflation ausgiebig zugesetzt wird, sehen es die gewerkschaftlichen Hüter des Linkskurses als ihre Aufgabe an, den Geschädigten Nachhilfe in Sachen 'changement' zu geben. Man muß nur die Unzufriedenheit über die Zumutungen der Regierung als Enttäuschung über die angeblich ausgebliebenen "Veränderungen" interpretieren, um einen dummen Arbeiter mit der Dialektik von eigentlichem Ziel der Regierung und gegenwärtigen unverschuldeten Hindernissen (das Patronat, die Amis) Schach matt zu setzen:

"Pierre: Für mich hat sich nicht viel geändert. Mein Lohn kommt den Preissteigerungen kaum nach. Es ist immer noch so schwer, am Monatsende über die Runden zu kommen. Die Regierung unternimmt nicht viel für die Kaufkraft.

Elyane: Vorsicht, daß man nicht alles auf den Rücken der Regierung lädt.

Gerard: Es ist immer noch das Patronat, das den Veränderungen die Haupthindemisse in den Weg legt. Es erhöht den Druck auf die Regierung, man kann sogar von Erpressung sprechen. Ganz allgemein stellt sich die Frage, ob das changement auf allen Ebenen - Löhne, Arbeitsbedingungen, Beschäftigung usw. - von uns selber, durch unsere gewerkschaftliche Aktion herbeigeführt wird?

Pierre: Aber was nützt es dann, eine Linksregierung zu haben?

Elyane: Das hilft natürlich!" (Zentrales CGT-Plakat)

Das ist ein offenes Bekenntnis der kommunistischen Gewerkschaft zur Regentschaft Mitterrands! Versprechen darf sich das Gewerkschaftsmitglied nichts von ihr, dafür verspricht sich die CGT von einer Linksregierung die Chance einer institutionalisierten Mitberücksichtigung beim "changement" und macht sich dafür zum unbedingten Anwalt aller Regierungsmaßnahmen. Für den französischen Arbeiter ist nichts nötiger als eine Partei an der Macht, die auf die Mitwirkung der Gewerkschaften bei allen Schädigungen der Arbeiter setzen kann und soll, die ein dem nationalen Wohl verpflichteter Staat für notwendig erachtet.

Daß er nichts davon hat, darf er sich als Lob der Regierung ausmalen, deren durchgesetztes Programm gerade weil es auf dem Rücken der Arbeiter abgewickelt wird, von dem guten, aber ohnmächtigen Willen der Regierung zeugt, der deshalb die Gewerkschaftsmitglieder gegen die finsteren Machenschaften des Kapitals beizuspringen haben.

Dieselben Arbeiter, die man vor dem historischen 10. Mai 1981 an die Wahlurnen agitiert hat, werden heute damit beschimpft, zu große Erwartungen in die Regierung zu setzen. Das "Alles hängt von euch ab!" - der Kongreßslogan der CGT - wird von der sozialistischen Gewerkschaft noch um einen Grad frecher den Mitgliedern zum Vorwurf gemacht. Der Sieg der Linken, moniert der CFDT-Chef Edmond Maire, "hat bei den Arbeitern keine soziale Gärung, keine Entwicklung vielfacher Initiativen in den Betrieben und Gemeinden, sondern ein passives Wohlwollen ausgelöst", an dem ihn stört, daß es passiv ist, weil man so "alle Schwierigkeiten auf den Rücken der Regierung lädt". Diese Mitterrandspezis sprechen offen aus, daß die entscheidende Reform, nämlich die Verwandlung der Arbeiter in "verantwortliche soziale Akteure" eine Forderung an die Arbeiter ist und kein Versprechen!

Kritik der Konkurrenz

Die Sozialstaatsideale, mit denen die französischen Gewerkschaften sich als Kursverwalter der Regierung einbringen und ihre Mitglieder zum Unterstützungskampf animieren wollen, sind zugleich Anlaß und Mittel ihrer Konkurrenz um Einfluß und Macht. Wenn z.B. die CGT anläßlich der 39-Stunden-Verordnung als einzige Gewerkschaft das vorgesehene sozialpartnerschaftliche Protokoll nicht unterzeichnet hat, so war diese demonstrative Kritik der allzu lohnkürzerischen "Anwendung" der Arbeitszeitverkürzung darauf berechnet, sich als einziger ernstzunehmender Anwalt der "Kaufkraft" in Szene zu setzen. Die CFDT nahm den Angriff offensiv auf, indem sie die Devise ausgab, man dürfe nicht "der Kaufkraft der höher Verdienenden den Vorrang vor der Schaffung von Arbeitsplätzen" geben. So können die Arbeiter sich aussuchen, ob sie lieber für die Kaufkraft oder die gerechte Lohnkürzung plus Arbeitsbeschaffung sein sollen, ob sie lieber die CGT oder die CFDT in der Rolle einer vierten Staatsmacht sehen wollen. Welche Gewerkschaft vermag den Draht zu ihrer jeweiligen Regierungspartei besser auszunützen, diese Frage wird im ebenso einvernehmlichen Streit abgewickelt, wie die Sozialisten und Kommunisten ihre gemeinsamen Regierungsentscheidungen zur Profilierung gegeneinander benützen. Die beiden Seiten bemühen sich um die entsprechende Klarheit, wenn sie sich als "Kapitalistenmauschler" oder "Agentur Moskaus" entlarven. Die weltpolitische Offensive des Westens und die damit gebotene "Solidarität mit Solidarität" eignet sich deshalb auch bestens dafür, klare Fronten zu schaffen: Die CFDT macht erbarmungslos damit Punkte, daß sie die CGT als "nur bedingte Anhänger der Freiheit" ins Lager des Feindes drängt, und die Revi-Gewerkschaft sieht schlecht aus, wenn sie, um "ein Blutbad zu verhindern", "kein Öl ins Feuer gießen will". So bleibt die Aktionseinheit der linken Gewerkschaften das zu ihrer Zerstrittenheit dazugehörige Ideal, das sich dann und wann auch einmal zynisch genug realisiert: "Wir haben ein wenig in der Polenfrage zurückgesteckt, und sie haben bezüglich des Erhalts der Kaufkraft nachgegeben." (1. Mai in der nord östlichen Stahlregion)

Dies Arrangement hat mit dem, was den Gewerkschaftsmitgliedern von seiten der Regierung abgefordert wird, absolut nichts mehr zu tun, sondern stellt sich einmütig und umstandslos hinter das außen- und innenpolitische Regierungsprogramm. Staatstreu und nationalbewußt wollen beide Gewerkschaften sein, aber der gewünschte Preis dafür, daß die Interessen ihrer Mitglieder dabei gar nicht mehr auftauchen: ihre Anerkennung als verantwortliche Ordnungsmacht zur Durchsetzung von allem, was die Regierung an nationalen Notwendigkeiten setzt, soll dem eigenen Verein und nicht der Gewerkschaftskonkurrenz zugestanden sein.

Die Kämpfe haben Perspektive

Entsprechend sehen die Gewerkschaftsaktivitäten aus, wenn sie in den Betrieben Kämpfe unterstützen oder selber welche anzetteln. Ob ihnen nämlich die laufenden Lohnsenkungen, Arbeitsintensivierungen und Entlassungen einen Streik wert sind, hängt davon ab, ob sich daraus eine erfolgreiche Demo für die vereinsspezifischen "changement"-Ideale machen läßt, mit der man der Regierung den Weg weisen, die Massen hinter sich bringen und die Gewerkschaftskonkurrenz aus dem Feld schlagen kann. Wenn ein "Konflikt" zu einem "exemplarischen" gemacht worden ist, ist der Erfolg des Kampfes nicht an den "unmittelbaren Ergebnissen" für die Betroffenen, sondern an der "Perspektive" zu bemessen, die er für weitere gewerkschaftliche Aktionen eröffnet. So werden die Franzosen daran gewöhnt, daß die "Bedeutung" der von den linken Gewerkschaften durchgefochtenen Kämpfe in umgekehrtem Verhältnis zu ihrem Nutzen für die Arbeiter steht. Die letzte große Auseinandersetzung bei Citroen zeigte dies in seinem ganzen Verlauf wieder einmal "exemplarisch".

Dort wurde eine Gruppe von Gastarbeitern, die mehr Lohn und die Reduzierung der Bandgeschwindigkeit erreichen wollte, von der CGT massiv unterstützt, obwohl, nein weil die kommunistische Gewerkschaft in den Betrieb bisher keinen Fuß hineinbrachte, da die als Werkschutz aufgebaute Hausgewerkschaft CSL bislang jedes "citroenfremde" Element aus dem Betrieb erfolgreich hinaussäuberte. Der Kampf der Marokkaner um ihre Moneten wurde so zu einem "Krieg" um das Recht der Arbeitervertretung: Die CGT zielte mit der Streikaktion auf Verhandlungen ab, um so die Betriebsleitung dazu zu zwingen, sie als "wirkliche" Arbeitervertretung anzuerkennen: Genau das suchten die Männer von Citroen und CSL mit allen paramilitärischen Mitteln zu verhindern. Als sich zwischenzeitlich der Kompromiß einer Verhandlung der Betriebsleitung mit CGT und CSL abzeichnete, nutzte die CFDT die Gelegenheit, um dem bedenklichen CGT-Teilerfolg ("Man darf sich nicht mit den Faschisten an einen Tisch setzen!") ihr fortschrittliches Kompromißmodell ("Verhandlungen in getrennten Sälen über Video!") entgegenzusetzen. Citroen nahm diese zukunftsweisenden Kommunikationsbeziehungen freilich nur auf, um die Verhandlungen mit dem Hinweis auf den andauernden Streik wieder abzubrechen... Das Thema, mit dem der Kampf fortan eskaliert wurde, war die Gewaltfrage. Mit der Parole "Freiheit bei Citroen" demonstrierten die linken Gewerkschaftsmassen für den "Einzug der Demokratie" in einen Betrieb, in dem immer noch "faschistische Milizen Schrecken verbreiten". Die Betriebsleitung karrte dagegen Tausende überzeugter Citroenler in Busse, um sie für ein von "kommunistischem Terror" freies Arbeiten bei Citroen antreten zu lassen.

Wo allenthalben der Ruf nach Ordnung laut wurde (von links: "Citroen au-dessus des lois, ca suffit" - von rechts: "la CGT audessus des lois, ca suffit"), war die Regierung angesprochen, die gerade in der Nationalversammlung in zähem Ringen mit der Opposition das neue Gesetz über die Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte im Betrieb verabschiedete. Gewissermaßen zur citroenspezifischen Erprobung seiner Reform setzte der Arbeitsminister einen Vermittler ein, der die Kampfhähne auf einen grundlegenden Wandel des sozialen Klimas bei Citroen -verpflichtete. Vor lauter Konzertationsausschüssen, Dolmetschern und Betplätzen für die arabischen Gastarbeiter, Anschlagtafeln zur Bekanntmachung der Bandgeschwindigkeit (ihre Reduzierung war gefordert !), freien Personalratswahlen (dafür wird das Band langsamer gestellt und eine 30minütige Pause eingerichtet!) konnte man die 10% Lohnerhöhung (bei 14% offizieller Inflationsrate) getrost vergessen, zumal dieses "Zugeständnis" mit dem kurz darauf verfügten Lohnstop schon wieder kassiert wurde. Für die linken Gewerkschaften aber war das ganze ein Erfolg, weil sie von Staats wegen und gegen den Willen der Citroenkapitalisten als deren Sozialpartner anerkannt wurden und mit dem von der Regierung gewünschten "neuen sozialen Klima" ein Ziel gesetzt bekamen, für das sie sich jetzt an der Betriebsfront stark machen können.

Ein gerechter Erfolg, den sich Krusicki da auf seine Gewerkschaftsfahne schreibt! Arbeitskämpfe werden von französischen Gewerkschaften - anders als der neubewegliche DGB - durchaus noch ab und zu initiiert: Sie dienen der politischen Aufwertung einer Organisation, die ihre dem sozialen Frieden dienliche staatsanerkannte Mitbestimmungsaufgabe als leuchtendes Ziel noch vor sich sieht. Anders als in der BRD nehmen sich Gewerkschaften in Frankreich dafür auch noch einmal das Kapital als Gegner ins Visier: Besser als durch Arbeitskämpfe kann der Regierung gar nicht mitgeteilt werden, daß sie gut daran täte, es gar nicht so weit kommen zu lassen, indem sie die Gewerkschaften in die von ihnen erwünschte staatliche Pflicht nimmt, sich an der Planung und Regelung des französischen Arbeitslebens schon im vornhinein beteiligen zu dürfen. Wo die Interessen der dafür mobilisierten Arbeiter bleiben, ist klar: auf der Strecke!

Die gewandelte Rolle der Gewerkschaften

Mit den unter der sozialistischen Regierung gewachsenen Ansprüchen des französischen Staats, den Erfolg der Nation immer maßloser von seinen Arbeitsuntertanen bezahlen und erst recht dessen Ausbleiben von diesen büßen zu lassen, gehen die Fortschritte der französischen Gewerkschaften in der Politisierung des Arbeiterstandpunkts Hand in Hand. CGT und CFDT versprechen sich von den sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen der Regierung ihre Chance, für deren Wahrnehmung sie ihre Mitglieder und deren staatlich bewirktes Schicksal zitieren: die Chance, vom Staat anerkannter Mitverantworter aller den Absichten der französischen Regierung dienlichen und deshalb ins Werk gesetzten Notwendigkeiten zu werden. Deshalb sind sie in aller kritischen Entschiedenheit dafür. CGT und CFDT verstärken diese Parteinahme für ihre Rolle im und für den Staat noch dadurch, daß sie jeweils auf einen Teil der Regierungskoalition zwischen Sozialisten und Kommunisten besonders setzen. Ihre Statthalterschaft für die kommunistische oder sozialistische Einfärbung des Regierungsprogramms macht aus der Gewerkschaftskonkurrenz darum, wer den Maßnahmen des Staates den Segen erteilen darf, im Namen der Arbeiter getroffen worden zu sein, eine nur um so entschiedenere Parteinahme für das Glück des Arbeiters, unter Mitbeteiligung der Gewerkschaft regiert zu werden. Kein Wunder, daß die rechte Gewerkschaft Force ouvriere als einzige den Lohnstop radikal ablehnte: Sie hat von dem auch von ihr geteilten Wunsch nach einer staatlichen Aufwertung der Rolle der Gewerkschaft nichts zu erwarten, solange Sozialisten und Kommunisten an der Macht sind.