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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1982 erschienen.


EDITORIAL

Daß alles in der "Krise" ist, gehört heute zum Grundwissen eines jeden: In Bonn herrscht sie als eine der Regierung, wenn nicht des gesamten politischen Systems, was sich wiederum ihrer weltweiten Existenz als Strukturproblem der Wirtschaft und instabile Ordnung überhaupt verdanke. Im Innern hat sie sich als eine der menschlichen Beziehungen und aller Kultur niedergeschlagen, so daß sogar die Natur nicht mehr heile ist und die Welt der Wissenschaft vor lauter Krisenbewältigungsstrategien vor sich hinkriselt. Daß das Gespenst der "Krise" umgeht und sich alle Mächte vom Papst über die Politiker bis zu den radikalen AIternativen zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet haben, ist eine Tatsache, aus der allerdings keineswegs hervorgeht, daß die "Krise" deshalb eine reale Macht ist.

Ist denn dieser Staat in der Krise? Ihn könnte doch nur zweierlei gefährden: eine Aufkündigung des Gehorsams seiner massenhaften Gefolgschaft oder ein veritabler Krieg. Und den scheint er nicht zu fürchten, bereitet er sich doch zielstrebig darauf vor. Das wiederum fällt ihm um so leichter, als er bei sich zu Hause keinen Widerstand ausmacht, der ihn daran hinderte. Bedient er sich doch ganz ungeniert bei den Untertanen, die ihm die Mittel seiner Macht erarbeiten und doch jeden Tag zu hören bekommen, sie seien zu anspruchsvoll und an ihnen müsse noch mehr gespart werden. Ein derart unverschämter Patron soll in der Krise sein? Die Politiker konkurrieren heutzutage unverhohlen um die Ehre, die Präferenzen staatlicher Macht gegen ihr Volk durchsetzen zu können, und werben für diese Zumutung frech um Vertrauen. Ausgerechnet diese Emanzipation des Staates von jeder materiellen Erwartung der Bürger soll seine Krise ausmachen?

Die Rücksichtslosigkeit des Staats verweist auf bereits abgehakte Erfolge im Verelenden der Leute, so daß er jetzt für sich vorab freie Hand fordert und dazu ihre positive Einstellung für unabdingbar erklärt: Er hat's um jeden Preis nötig. In solcher Lüge verwandeln sich seine Ansprüche in "Sachzwänge", die nurmehr als "Probleme " zitiert werden, um zu belegen, wie "schwierig " Politik geht, die darüber um so dringlicher gemacht gehört. Die "schweren Zeiten" gibt es also nicht; sie sind eigens aus dem methodischen Arsenal der Polit-Profis entlehnt, um deren Regieren den Schein des Notwendigen zu verleihen. Alles Reden von "Krise" ist ideologisch in seinem Beharren auf dem Gelingen der jeweils mit dieser Redensart in Zusammenhang gebrachten politischen Absicht: "Regierungskrise" - Regieren ist nötiger denn je; "Krisenherd Libanon" - im Libanon muß interveniert werden; "Afghanistan", "Polen" (steht für "Krise der internationalen Beziehungen") - diese Länder brauchen gute Beziehungen; "Weltwirtschaftskrise " - "unsere" Wirtschaft soll weltweit laufen. Stets erteilt sich die Politik ihre unabdingbaren Aufgaben. Dazu erklärt sie sich lediglich für betroffen, was ihr insofern nicht schwer fällt und keine Extra-Lüge braucht, als ihr stets sich erneuernder Anspruch, alles zu regeln, kein bloßer Anspruch ist, sondern sich erfolgreichem staatlichen Engagement verdankt. Überall mit den Wirkungen ihrer selbst konfrontiert, reagiert solche Politik in der Tat lediglich, wenn sie keine "Krise" ausläßt, mag sie noch so "schwer" und in ihrer Betreuung "kompliziert" sein. Politiker lassen sich gern in "verwickelte" Aufgaben "hineinziehen", denn es be fördert ihre Macht.

Diese Ordnung imperialistischer Art kann nur gewinnen, solange es zu den abgeschmackten Selbstverständlichkeiten des politischen Lebens gehört, was auch passiert, als "Ausdruck von" ungeheuer tiefsitzenden "Problemen" zu nehmen und ausgerechnet in den Verantwortungsbereich der Politiker fallen zu lassen, die sowieso schon für alles zuständig sind und davon um so intensiveren Gebrauch machen, je mehr Vertrauen in ihre Führungskünste gesetzt wird. Das Krisenargument ist den Staatsbürgern u vertraut. Die MSZ will diesen politischen Standpunkt destruieren und sich nicht in eine Debatte einmischen, die den Regierenden das Regieren vergnüglich macht, indem die angeblichen Schwierigkeiten bequatscht werden, die das "heutige Leben" durchwalten. Weil sich da nichts waltet, sind von der MSZ keinerlei Aufschlüsse über Abgründe der Menschheit zu erwarten. "Rüstungswahnsinn", "ökonomische Fehlentwicklung", Fragen nach dem "Sinn " usw. interessieren nicht. Wir befassen uns mit diesen Ideologien, weil sie ein falsches Bewußtsein der Diskutanten von sich und der Welt darstellen, mit dem man sich jeder politischen Zumutung gegenüber aufgeschlossen zeigt. Die Grundlogik dieses Fehlers liegt darin, die imperialistische Gewalt für ihr Auftreten in Schutz zu nehmen: Wo sie erfolgreich, soll sie "gescheitert" sein, weil ihre "Probleme" fortdauern - was sie hätschelt und auf weitere Erfolge verpflichtet. Absehbar, daß dies bis zur Ausschaltung des angeblich auch krisengeschüttelten Weltmachtkonkurrenten geht. In ihm wird kein Pflegefall gesehen wie im eigenen System, sondern ein Fall für die Euthanasie. Daß die "Weltkrise" auch eigene Opfer kostet, wird ihr nicht angekreidet, sondern konsequent in die eigene Obhut genommen - "krisenbewußt" sucht man bei sich Mitschuld: zu anspruchsvoll oder zu aggressiv gewesen?

Die Unterwürfigkeit solchen Quatschs ist funktional: Der Staat inszeniert das Krisengeschwätz daher auch gleich selber. Die Methode dieser Politik gehört in dieser Nummer besprochen. Ebenso wie ihr Inhalt: Sie beschwört ja nicht nur "Krise", sondern hantiert an Symptomen wie Arbeitslosigkeit und Pleiten, die - Marxisten erinnern sich - mit Krise etwas zu tun haben, ohne sie doch anzugehen.