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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1982 erschienen.
Franz Alt, Günter Grass und Johano Strasser in Nicaragua
DAS BESSERE DEUTSCHLAND ZU BESUCH
"Das altmodische, wie man meinen möchte, im neunzehnten Jahrhundert begrabene Wort Solidarität tritt auf wie auferstanden. Ich bin ihm in Polen und Nicaragua begegnet. Im Vorfeld, im Hinterhof der Großmächte, lebt es auf. Es sollte auch bei uns wieder heimisch werden." (Grass)
Mit unfehlbarer Sicherheit in der Wahl seiner Gäste hat der Minister für Kultur in Nicaragua - selbst Poet und katholischer Priester ausgerechnet einen kritischen Katholiken, einen SPD-Dichter und einen Alt-Juso aus Deutschland-West zur Besichtigung der Fortschritte der sändinistischen Revolution eingeladen. Und einhellig haben die drei selbsternannten ideellen IWF-Prüfer die Feinfühligkeit seiner Wahl durch ihre Reiseberichte bestätigt: Die sandinistische Revolution - endlich einmal so gesehen, wie sie jeder bessere Deutsche sehen sollte, nämlich als eine Hoffnung nicht nur für die "dritte", sondern zugleich für die gesamte freie Welt.
Das geht dann so: Die selbsternannte Kontrollkommission tritt die Reise an mit allen Maßstäben westlicher Demokratie und sozialer Marktwirtschaft, die bekanntlich das Leben bei uns so frei und gemütlich gestalten, ergänzt durch einen hohen moralischen Anspruch an die Sauberkeit von Macht über die und ökonomische Benutzung der Menschen, und stellt "überrascht" fest, daß es sich bei Nicaragua um eine zwar etwas exotische, weil mittelamerikanische, Variante des "Modell Deutschland" handelt, wie sie es schon immer gerne gehabt hätten. Resultat dieser ebenso lächerlichen wie unverschämten Optik ist das Dementi, daß es sich bei der "sandinistischen Revolution" überhaupt um eine Revolution gehandelt hat. Der CIA und die bürgerliche Presse der Böswilligkeit überführt, kehrt die Delegation zurück und präsentiert ihr Nicaragua-Bild der bundesdeutschen Öffentlichkeit nicht nur als Forderung nach einem anderen Umgang mit dem Regime, sondern auch noch als überaus menschliches Vorbild, von dem sich die Bonner Republik eine Scheibe abschneiden könnte. Dahingestellt, inwieweit die sandinistische Ordnung der Verhältnisse in Nicaragua dieser Delegation des besseren Deutschland noch das Material für demokratisch-moralischen Revolutionstourismus geliefert hat, bleibt dennoch die Frage offen, wie es diese gewaltfreien, humanen, marktwirtschaftlich orientierten christlichen Sozialdemokraten dahinten jemals geschafft haben, mit dem Somozismus fertigzuwerden, noch dazu, wo sie damals über den Beistand von Alt, Grass und Strasser nicht verfügen konnten?
Für die Beweisführung, daß in Managua endlich das "Ahlener Programm" verwirklicht wird, führt das Gutachtertrio folgende "eigene Erfahrungen" an:
Beweisstück Nr. 1: Die Revolution ist human
was alle drei sinnigerweise durch ein ausführliches Lob des modernen Strafvollzugs belegen,
"wie er in keinem Land der Dritten Welt bekannt ist und allenfalls (!) in Westeuropa versuchsweise (!) Schule gemacht hat."
Intimbesuch am Wochende für ehemalige somozistische Totschläger und Musik am Gefängnisarbeitsplatz, so konnten die Reisenden zufrieden vermerken. Der Einfall, die "Humanität" eines Regimes an den Formen seiner Gewaltanwendung gegen Menschen zu messen, ist kein origineller Gedanke von Alt und Co., sondern ein durchaus gängiger Hinweis darauf, was unter Humanität in der Welt der Staaten zu verstehen ist: das Maß der Rücksichtnahme beim Durchsetzen des Staatsinteresses gegen die Leute. Legt man diesen Maßstab allerdings an eine Revolution wie die sandinistische an, die ja allen Grund hat, sich vor den Schergen des Somoza-Regimes zu schützen, so lauert dahinter die alte Denunziation des bourgeoisen Kopfes, jede Revolution sei der Auftakt zur allgemeinen Menschenschlächterei und den Revolutionären ginge es im Letzten um die Rache des Siegers an den Besiegten. Die Perfidie des, amnesty-Hilfstrios besteht darin, gerade im Dementi für die begutachtete Ausnahme dem allgemeinen Ressentiment rechtzugeben. Das merkt man u.a. auch daran, daß eine solche Optik beim Besuch polnischer Internierungslager zu ganz andere n Schlüssen gerät: Da "wirkt" ein gutgenährter Walesa "aufgedunsen" und "vollgemästet", und daß Jaruzelski seine Gegner nicht liquidieren läßt, gerät ihm nicht zum moralischen Ausweis, sondern wird als besonders raffinierte Perfidie geführt.
Beweisstück Nr. 2: Das sandinistische Wirtschaftskonzept
Was könnte den - wenn auch selbstverständlich kritisch distanzierten - westdeutschen Parteigängern der Verteidigung der freien Welt im Zusammenhang mit Nicaragua mehr beruhigen als die Nachricht, daß die Zeichen dort keineswegs auf Sozialismus stehen, daß nicht sämtlicher Grund und Boden verstaatlicht wird, sondern daß die Sandinisten geradezu ängstlich darauf bedacht sind, jeden Eindruck in diese Richtung zu vermeiden und dieser Absicht auch eine mögliche Effektivitätssteigerung ihrer Landwirtschaft opfern. Erleichtert soll man zusammen mit Alt, Grass und Strasser feststellen, daß die zuständigen Minister das sandinistische Programm der "gemischten Wirtschaft" vertreten, nach dem auch in Zukunft nur 20% des Landes staatlich bewirtschaftet werden sollen. Weshalb man auch noch erleichterter sein darf darüber, daß die vormals besitzlosen Bauern nach einer Landverteilung aus ehemaligem Somozabesitz zu Protokoll geben:
"Vorher hatten wir nichts und mußten viel arbeiten. Heute arbeiten wir auf eigenem Land mehr und wissen wofür."
Also auch in diesem Punkt alles in Ordnung: Ein Wirtschaftskonzept, das sich ärmlich aber redlich auf die dank ihres neuen Eigentums gegen jegliches kollektive Gedänkengut gefeite Bauern stützt. Spätestens aber dann muß jeder Zweifel zerstreut sein, wenn Grass die genossenschaftliche Wirtschaftsweise lobt als "Einladung an unsere (!) Raiffeisenbank, dort etwas (!) mit Geld... zu tun." Dieser Mann stellt sich vorsätzlich blöd gegen den Geschäftszweck der Raiffeisenbank, weiß nichts von den Absichten der BRD-Politik, denen auch eine landwirtschaftliche Genossenschaftskasse unterliegt, und hält anscheinend den Imperialismus für ein verfehltes System nicht wahrgenommener humaner Investitionsmöglichkeiten!
Beweisstück Nr. 3: Die Entfaltung des Pluralismus
Die Reisenden, bei aller Sympathie für die Revolution unbestechlich, scheuen selbstverständlich die Kritik an ihr nicht. Jawohl, mit dem öffentlich-politischen Leben in Nicaragua steht noch nicht alles zum Besten. Jawohl, es gibt eine Pressezensur, das darf nicht geleugnet werden. Aber man muß doch, wie Franz Alt, den rechten Maßstab anlegen:
"Das Nicaragua des Ausnahmezustands ist keine westliche Demokratie, aber ein Hort der Freiheit ist es immer noch, gemessen an der Somozazeit, an osteuropäischen Ländern oder am kommunistischen China."
Und in Anbetracht dieses schönen Vergleichs können die drei den USA und dem gesamten Westen den ebenso herben wie haltlosen Vorwurf nicht ersparen, in ihrer Kritik an Nicaragua nicht nur ungerecht, sondern blind für ihre eigenen Chancen zu sein. Mit hartnäckiger Ignoranz gegenüber dem Tatbestand, daß Friede, Freude und Menschenrechte eben nicht die Kriterien von auf- und wieder zugemachten Freundschaften zwischen Staaten sind, tun die drei Aufrechten so, als wäre das, was den Staatsmännern in West und Ost (und ausgerechnet auch noch den Bürgern, die über "ihre" Völkerfreundschaften eh nichts zu sagen haben) fehlt, die Erinnerung an ihre eigenen hehren Prinzipien, um sie vor weltpolitischen Dummheiten zu bewahren:
"Wer wie ich im Vorjahr in Polen gewesen ist und jetzt aus Nicaragua kommt, der hat zum einen und zum anderen Mal erfahren, wie bedrohlich und dumm die beiden Großmächte dort ihren Hinterhof, hier ihr Vorfeld zu beherrschen versuchen. Doch diesmal ist der Widerstand nicht zu brechen. Er ist von neuer, den Großmächten unbekannter Qualität."
Bei solchen Leuten ist es eigentlich ganz gleich, wo sie hinfahren, sie bringen immer dieselbe Botschaft mit: Alt zur "Bildzeitung":
"Solidarität ist für Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit. Gleichheit: daran hält sie trotz Verfolgung und Verbotes fest. Ihr Vorsitzender Walesa hat den Nobelpreis verdient."
Getreu der Parole, daß das Gute sich letztlich immer durchsetzt, stellt Grass seinem Publikum einen rechten Genuß in Aussicht: Es darf gespannt sein, wie die Sandinisten die Amis fertigmachen und sie den wahren Geist des persuit of happiness lehren, und hämisch soll es verfolgen dürfen, wie Polen den Ostblock aufrollt.
Aber nicht nur Dummheit der Supermächte im Umgang mit Nicaragua bereitet den Betrachtern Sorge. Schlimmeres macht sich breit: Peinlichkeit.
"...erst in Nicaragua wurde mir bis zum Schamgefühl deutlich, mit wem ich als Deutscher verbündet zu sein habe. Soweit es einer einzelnen Person möglich ist, will ich für mich dieses Bündnis aufkündigen: weil es seinen Auftrag, die westlichen Demokratien zu schützen, schon lange nicht mehr erfüllt..."
Ja, wenn es das täte (was es ohnehin täglich tut), ja dann...! Was, wenn nun die Einbildung von der Erfolglosigkeit eines obendrein auch noch unmoralischen westlichen Bündnisses um sich greift? Wer weiß, ob außer H.D. Genscher überhaupt noch jemand an dem Bündnis teilnimmt! Der Außenminister selbst ist freilich mitsamt allen gewesenen und zukünftigen Regierungen von Grass großzügig exkulpiert,
"...weil dieses Bündnis dem Zwang unterliegt, die Verbrechen der verbündeten Großmacht stillschweigend zu tolerieren oder gar gutzuheißen."
Wem da nicht die Mitleidstränen kommen für die in ein solch widerwärtiges Unternehmen gezwungene BRD. Und unschuldig, wie sie in Sachen Imperialismus nun einmal ist, sieht Grass sie zusammen mit einigen ebensolchen Unschuldslämmern zu der hehren Aufgabe bestimmt, Nicaragua in den Kreis der Guten auf dieser Welt einzuführen:
"Sollten nicht Holländer, Deutsche und Skandinavier, erfahren und leiderfahren im wechselvollen Alltag der Demokratie, nach ihren Kenntnissen behilflich sein, wenn es darum geht, einem kleinen, revolutionären, im Umgang mit der Demokratie noch unerfahrenen Land eine ihm gemäße Verfassung zu geben?"
Und für Leute, denen die Verpflichtung der eigenen Regierung, die Bevölkerung mit den Segnungen eines demokratisch abgesegneten Gewaltapparates bekanntzumachen, nicht unmittelbar einleuchtet, für die gibt es auch noch ein praktisches Argument: Es soll sich dabei nämlich zufällig auch noch um ein gutes Geschäft handeln. Und während Grass droht: "Das (die demokratische Unterweisung) kostet nicht viel. Aber ausbleibende Hilfe könnte teuer zu stehen kommen.", nennt Strasser freimütig, die eine Hälfte des Preises für unterlassne Hilfeleistung beim Namen:
"Nicaragua hat urigleich günstige Voraussetzungen. Es ist ein agrarisch ungeheuer reiches Land... Jeder Dollar, der hier investiert wird, kann reiche Früchte bringen. Nicaragua ist kein Faß ohne Boden."
In der Benennung der anderen Hälfte der drohenden Kosten gesteht Grass, daß er trotz allem in seinem Herzen doch noch beträchtlichen Raum für die Amerikaner hat, indem er sie inbrünstig davor warnt, "einen horrenden Fehler zu machen, dieses Land zu isolieren und es damit in die Abhängigkeit von Kuba und der Sowjetunion zu bringen". Was wäre denn daran eigentlich so schlimm, wo die Amis den Poeten gerade eben noch so angeekelt haben?
Eins ginge dann natürlich flöten: Nicaragua als Stecken und Stab, der quer durch alle Parteien vertretenen moralischen Saubermänner des Imperialismus. Sie verlören den derzeitigen Lieblingsgegenstand ihrer Empörung über ach so ungerechte wie kulturlose Begleitumstände des Imperialismus, die dessen Erfolg doch bittesehr nicht mit sich bringen sollte. Und weder könnte ein Franz Alt Nicaragua als Beweis für die Durchführbarkeit seines Ideals von Staatsräson mißbrauchen, indem er behauptet,
"Der Sandinismus (sei) heute für Nicaragua, was 1948 das Ahlener Programm für die CDU war: der Versuch, Christentum und Sozialismus zu vereinigen."
Noch könnte ein Günter Grass mit dem Facit seines Reiseberichts die Parole, mit der Helmut Kohl die Bürger für die ihnen angekündigten Zumutungen agitiert, als Botschaft der sandinistischen Revolution an "uns" ausgeben:
"Als wir heimkehrten, bot die Bundesrepublik den zwar erwarteten, aber mit seiner äußeren Härte und inneren Banalität doch überraschenden Kontrast. Ein reiches, auf den ersten Blick übermäßig ausgestattetes Land, dessen Gesellschaft, obgleich sie vorgibt, eine 'Solidargemeinschaft' zu sein, vor allem eines fehlt: Solidarität."
Alle Zitate aus den Reiseberichten in:
"Die Welt", 8.9.82
"Die Zeit", 1.10.82
"Süddeutsche Zeitung", 25./26.9.82
"Spiegel" Nr. 37, 13.9.82