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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1982 erschienen.

Systematik

Kommentare zum Bonner Friedensfest
STÄRKE, DIE VOM HIMMEL KOMMT

Die Friedensbewegung hatte sich für den 10.6. in Bonn als friedlich angekündigt, und genauso lief ihr "Aufstehen für den Frieden" auch ab: Nicht als Kritik an der deutsch amerikanischen Kriegsallianz, die der Sowjetunion zur gleichen Zeit vorletzte Warnungen zukommen ließ, sondern als zur Schau gestellte Absage an eigene Opposition, als demonstrierte Wehrlosigkeit gegenüber einer Politik, die sich zu solcher freundlich-genügsamen Untertanengesinnung nur gratulieren kann.

Die deutsche Presse hat das für ihre Politiker jedenfalls sofort registriert und zufrieden festgestellt:

"Das farbenprächtige Spektakel gleicht mehr einem Sommerfest als einer radikalen Kampfansage an den amerikanischen Präsidenten." (SZ, 11.6.) "Nur wenige konnten ein richtiges Sonnenbad nehmen, der überwältigende Rest schmorte ganz einfach in der Brut, kroch unter alles, was irgendwie Schutz bot, und nahm sogar das unerträgliche Dröhnen der Lautsprechertürme in Kauf... Die Friedensbewegten reden untereinander nicht von Politik... Die Reden der vier Vorkundgebungen ließ man über sich ergehen." (FAZ, 11.6.1982)

Daß auch Reden gehalten wurden, braucht die Presse dann schon gar nicht zu stören. Beiläufig werden sie zitiert, was der Veranstaltung gegenüber alles andere als unverschämt ist, denn sie entsprachen inhaltlich durchaus dem äußeren Eindruck des heißen Rheinwiesenfestes:

"Seht zum Himmel. Noch schützt uns die Ozonschicht, die wir brauchen (Sonnenbrandgefahr?). Noch atmen wir (Danke!). Noch ist der Himmel über uns (du lieber Himmel!). Fühlt die Stärke, die vom Himmel kommt (Hitze?). Seht einander an, Brüder und Schwestern. Gebt euch ein Zeichen des Friedens, ein Lächeln, einen Händedruck, eine Umarmung. Wißt, daß wir mehr sind als die, die den Erstschlag vorbereiten". (Dorothee Sölle, Stuttgarter Zeitung, 11.6.82)

Auch letzterer wird freundlich gedacht durch ihren Ex-Kollegen Bastian,

"der nicht nur 'kriminelle Gewaltakte auf amerikanische Bürger und Einrichtungen' verurteilte (die staatlich organisierten sparte er netterweise aus), sondern Helmut Schmidt gar Anerkennung dafür zollte, 'daß der Bundeskanzler diese Demonstration vor Verdächtigungen in Schutz (schöner Schutz!) genommen hat.' Bastian ließ aufhorchen: 'Wir sehen darin ein begrüßenswertes Zeichen für seine wachsende Bereitschaft, den innenpolitischen Verhältnissen in höherem Maße Rechnung zu tragen (das Kräfteverhältnis wird immer weiser). als das bisher leider der Fall gewesen ist.'" (ebd.)

In der Tat hatte es noch Ende letzten Jahres beim Bonner Treffen zu einer ähnlichen Feierstunde "des Friedens" einige häßliche Töne aus der politischen Szene gegeben:

"Nach Ansicht des Verfassungsschutzes ist davon auszugehen, daß die Kommunisten auch in nächster Zeit die Friedensbewegung forcieren würden, 'nicht zuletzt, weil sie dort von den anderen beteiligten Kräften als gleichberechtigte Partner anerkannt werden'... In jedem Fall... würden über die Friedensbewegung Berührungsängste mit den Kommunisten abgebaut." (SZ, 9.12.1981)

Von solcher Unterwanderung ist heute - nur ein halbes Jahr später - kaum mehr die Rede. Dafür haben die Friedensmarschierer kräftig gewirkt, indem sie alles, was in ihren Reihen gegen die NATO und deren Kriegsplanung noch vorgetragen wurde, hinaussäuberten - unter dem von Reagan bis Schmidt und Strauß vertretenen Motto: "Frieden ist für uns mehr als de Abwesenheit von Krieg". Was denn noch? Eine alternativ zum NATO-Frieden in aller Welt aufgemachte, beschaulich ausgemalte und albern mit ihm wetteifernde Kampagne für diese Freiheit und Eierkuchen, die nach innen für die Durchsetzung des Latzhosenprinzips sorgt. Gilt ihre "Alternative" für Politiker und deren öffentliche Begutachter längst als schlechter Witz in der deutschen Landschaft, über den sie nur müde lachen können -

"Ihren Aufruf mit der Übeischrift 'Aufstehen! Für den Frieden' hatten insgesamt 1830 Gruppen unterzeichnet; dabei wurden vom Koordinierungsbüro 180 kirchliche Gruppen gezählt. Doch solche eindrucksvollen Zahlen offenbaren eher eine Schwäche als eine Stärke; dokumentieren sie doch die Zersplitterungen der Personen und Ansichten in der 'Friedensbewegung'. Aus der Stadt Schwäbisch-Hall mit ihren 57000 Einwohnem etwa haben sich nicht weniger als 14 verschiedene Friedensgruppen angesagt". (FAZ, 11.6.) -,

so bleibt für die besonders weiten Vorausdenker unter diesen als ungemein dialektisches "Problem", ob die Schwachmänner und -frauen für den honiggelben Frieden denn noch genügend Stärke zum Aufräumen bei sich selber haben, wenn sich bei ihnen immer noch chaotische Restexemplare umhertreiben. Unerfreulicherweise

"organisierten in Bonn sektiererische Konkurrenzdemonstrationen, so eine 'Marxistische Gruppe gegen NATO-Imperialismus und deutsch-amerikanische Kriegsallianz' im Schlachthofviertel." (FAZ, ebd.)

Wie konnte das Unglaubliche geschehen? Haben die "peace-freaks", die doch ihre je individuelle Andersartigkeit bis zur Konformität glücklicher Ohnmacht vorangetrieben haben, am Ende versagt? Ist auf diese 5. Kolonne im Lager der Staatsfeinde überhaupt Verlaß?

So weit hat es kommen müssen: Die antikommunistische Parteinahme, die der Friedensbewegung seit ihren Anfängen am heimatlich bewegten Herzen lag, wird mittlerweile im Namen der deutschen Regierung eingeklagt! Aber diese Schafsnaturen wollen nun einmal nicht merken, daß ihnen hier die Rolle der nützlichen Idioten auferlegt wird, die gefälligst für noch mehr Disziplin beim Mitmachen der Nation bei der offiziellen Politik der imperialistiachen Befriedung des Ostens zu sorgen haben. Läßt es sich deutlicher sagen:

"Es wäre töricht, die Friedensbewegung direkt (!) dafür verantwortlich zu machen, daß in scharfem Kontrast zur Bonner Massenveranstaltung in der alten Reichshauptstadt anläßlich des Reagan-Besuches bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten. Diese Friedensbewegung muß sich allerdings anlasten lassen, daß... (usw.)" (Westfälische Nachrichten, 11.6.)

Hat sie denn mit ihren Abgrenzungsarien der letzten Zeit nicht genug geleistet? Die eindeutige Antwort der Presse: Nein!

Sympathien kann man für den ao geforderten Friedenaverein deshalb wohl schwerlich entwickeln, dann schon eher für die "Rüpel" von der letzten Bank im Bundestag, die mit Trillerpfeife die "Ehre des Worts" des amerikanischen Präsidenten an "unsere" Nation befleckten. Daß Hansen und Coppik mit den "Händen in der Taache" durchs Parlament "schlenderten", ein paar kaum hörbare Zwischenrufe lancierten und schließlich "auf Hockern" die heilige Sitzordnung des andächtig seinem Kriegs- und Friedensauftrag lauschenden Parlaments "störten", nimmt sich nachgerade wohltuend aus gegenüber der Unterwürfigkeit, mit der die Friedensbewegung sich auf das Bürgerrecht ihres eigenen Wohlverhaltens beruft. Denn diesen Standpunkt teilt sie mit einer Presse; die in einer "Analyse des Beifalls" für die Bundestagsrede Reagans glaubt, das eher "müde, pflichtgemäße" Klatschen der SPD-Fraktion mit der "doppelten Schlag- und Phonzahl" der C-Parteien vergleichen zu müssen (Stuttgarter Zeitung, 11.6.). Ihr braves außerparlamentarisches Engagement für den Frieden ist zwar auf Beifall für den obersten westlichen Kriegsherrn nicht angelegt, aber "unregierbar wie in Hamburg" (Lo Leinen) wird diese Republik dadurch genauso wenig wie dort.

"Haßerfüllte Zwischenrufe" gegen "Treue zum Atlantischen Bündnis"

Am Vorabend der Demo vom 10.6. lud der AStA der Bonner Uni zu einer Podiumsdiskussion zum Thema "Amerikanioche Außenpolitik gegen Europa?" Eine rein rhetorische Frage selbstverständlich, die den Podianten Dr. Alois Mertes (CDU), Horst Ehmke (SPD) und Jürgen Möllemann (F.D.P.) Gelegenheit zu mehr oder weniger flammenden Bekenntnissen zu NATO verschaffte. Ein Prof. C. Hacke von der Hamburger Bundeswehrhochschule vertrat die Wissenschaft, ansonsten aber die Politik der Bundesregierung ("Verschiebung des weltweiten militärischen Gleichgewichts zugunsten der Sowjetunion", deshalb muß der "Westen nachrüsten" usw.). Eine Veranstaltung, die weiter nicht von sich reden gemacht hätte, wenn nicht die "Diskussionsteilnehmer (so berichtete der Bonner "General-Anzeiger" vom 10./11. Juni) von "zahlreichen offensichtlich eigens angereisten Mitgliedern der 'Marxistischen Gruppe' durch läutstarke Pfiffe und Zwischenrufe in ihren Ausführungen behindert" worden seien. Tatsächlich wurde der keinesfalls "eigens angereiste", sondern rein zufällig anwesende SPD-Ehmke durch ein "wütendes Pfeifkonzert mit dem Hinweis auf den Falklandkrieg" bedacht, als er den Spruch seines - Kanzlers, "solange man verhandelt, wird jedenfalls nicht geschossen", zitierte. Der Umstand, daß ein Teil des Publikums die Politikertiraden weder mit andächtigem Schweigen noch mit begeistertem Beifall quittierte, ist in der BRD des Jahres 1982 anscheinend eine solche Ungeheuerlichkeit, daß die NATO-Fans auf dem Podium vorübergehend den Hauptfeind östlich der Elbe vergaßen und verbal auf den im Saal anwesenden inneren Feind eindroschen: "Sie verhalten sich wie die jungen Nazis vor 40 Jahren!" So der junge Wehrexperte Möllemann, der wohl daran erinnern wollte, daß der letzte Weltkrieg beinahe am Widerstand der Hitler-Jugend gescheitert wäre.

"Sie zeigen jene bescheuerte Intoleranz, die jedem totalitären System zur Ehre gereichen würde!" Unüberhörbar, die Sehnsucht Horst Ehmkes nach einem solchen "System", in dem jeder, der dagegen ist, nicht nur für "bescheuert" erklärt, sondern auch entsprechend behandelt wird.

"Demokraten unterscheiden sich von Nichtdemokraten dadurch, daß Demokraten argumentieren und Nichtdemokraten brüllen." Stolz CDU-Mertes, der Cruise Missiles und das britische Falkland-Corps wohl für leise vorgetragene Argumente von erlesener intellektueller Brillanz hält.

Fazit des "General-Anzeigers": "Chaoten stören AStA-Diskussion". Da ist natürlich was dran: Wer die weltweite NATO-Ordnung auch nur durch einen Pfiff "stört", ganz zu schweigen von einem Zwischenruf, der ist in dieser Welt tatsächlich ein "Chaot".

Dümmer als der Kreml

Der "Rheinische Merkur" vom 4. Juni versucht, einen Keil zwischen die MG und den Kreml zu treiben. Als Spaltmaterißl greift er das Plakat auf, mit dem bundesweit für die MG-Demo in Bonn geworben worden ist...

"'Diese Herrschaften sind schlimmer als alle Raketen', verkündet neuerdings ein Großplakat in den Straßen von Bonn. Gemeint sind Helmut Schmidt, Ronald Reagan und Margaret Thatcher. Damit das auch jeder versteht, sind die 'Herrschaften' gleich mit abgebildet. Das Machwerk ruft auf zur 'Demonstration gegen den Nato-Imperialismus und die amerikanische Kriegsallianz' am 10. Juni in Bonn, jener Demo also, die von der 'Friedensbewegung' anläßlich des Nato-Gipfels in der Bundeshauptstadt organisiert wird. Nicht das Plakat an sich, sondern der Text läßt aufmerken. Behaupten der oder die Urheber doch, daß den Russen 'jede Weltpolitik' verboten gehört, weil sie den 'Nato-Weltfrieden' stören, 'dessen Macher sich alles erlauben'. Und schließlich: 'Frieden heißt nur noch: die Russen müssen nachgeben! Wer angesichts dessen für Frieden ist, macht sich zum nützlichen Idioten der Nato'. Ein gewisser T. Ebel, der als Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes für diesen Erguß zeichnet, hat sich da wenig originelle Gedanken gemacht. So dumm kann noch nicht einmal der Kreml sein, daß er ein solches Plakat auf Bonns Bürger losläßt. Doch die Urheber, die man mit Fug und Recht in irgendeiner Ecke der DKP vermuten kann, sind dumm genug, mit dem Holzhammer der Bevölkerung das nahezubringen, was ernstzunehmende Friedensfreunde als das Ende der Bewegung bezeichnen: Moskaus fünfte Kolonne in der Bundesrepublik Deutschland zu sein."

Demonstration der MG gegen NATO-Imperialismus und die deutsch-amerikanische Kriegsallianz am 10.6. in Bonn

An die 20.000 Leute folgten dem Aufruf der MARXISTISCHEN GRUPPE (MG) und demonstrierten am 10. Juni GEGEN DEN NATO-IMPERIALISMUS UND DIE DEUTSCHAMERIKANISCHE KRIEGSALLIANZ. Während die Führer der "Freien Welt" im Kanzlerpalast ihren Kriegsrat hielten und die Friedensbewegung sich im Rahmen eines Festes auf den Rheinauen als die Vertreter eines moralisch besseren Deutschland vergnügten, wandte sich der Protest der Demonstranten in der Bonner Innenstadt betont einseitig und ohne Wenn und Aber gegen den geplanten Krieg, seine Betreiber und Befehlshaber und verzichtete darauf, "für die menschenfreundlichen Ideale imperialistischer Politik einzutreten" oder sich gar zum Anwalt einer "scheinbaren weltpolitischen Unschuld der BRD" zu machen.

Auf der Schlußkundgebung stellte sich ein Genosse für den Bund westdeutscher Kommunisten hinter die Ziele der Demonstration und stimmte den "Argumenten gegen den Nationalismus" der MG zu. Manches von dem, was seitens des BWK zur NATO, zur Bundeswehr und zur Politik des Imperialismus vorgebracht wird, teilen wir nicht. Darüber wird mit den BWK-Genossen weiter gestritten werden. Gut und nicht schlecht ist jedoch, daß erstmals eine dernoch aktiven Gruppen der Linken in der BRD mit richtigen Argumenten zu einer Demonstration der MG aufgerufen und sich an ihr beteiligt hat.

Der Beitrag der MG auf der Schlußkundgebung befaßte sich mit den gängigen "Lügen und Gemeinheiten" westlicher Friedenspolitik, ging auf die mitten im schönsten NATO-Frieden laufenden Kriege im Libanon und auf Falkland ein und schloß wie folgt:

"Wir wollen nicht 'Aufstehen für den Frieden', wir sind für einen Aufstand gegen den Krieg! Der Frieden, das ist die Welt der NATO, wo an allen Ecken und Enden geschossen wird, um das Geschäft und seine Freiheit zu erhalten, wo gerüstet wird, um das letzte Hindernis der NATO-Welthetrschaft, den Ootblock, entweder totzurüsten oder - wenn es sein muß - totzubomben. Wo die Politik den Frieden benutzt, um den Krieg vorzubereiten, muß man ihr den inneren Frieden aufkündigen, damit sie keine Mittel und keine Leute mehr für den Krieg hat...

Was ist ein guter Deutscher? Einer, der immer mehr für immer weniger Geld arbeitet, seine Steuern bezahlt, sich die Abzüge abziehen läßt, alle vier Jahre zum Wählen geht, davon überzeugt ist, daß sich Frieden nur in Freiheit lohnt, wenn sich auch die Freiheit für ihn überhaupt nicht lohnt! Ein guter Deutscher macht nicht nur alles mit, was von oben verlangt wird, er ist auch noch dafür und stolz darauf, daß die Bundeswehr wieder die größte Wehrmacht in Europa ist. Und wenn es dann wieder einmal so weit ist, steht er stramm und schreit Hurra! Lauter gute Deutsche brauchen sie, Helmut Schmidt und seine NATO-Partner, drum sind sie so vergnügt auf Ihrem NATO-Gipfel. Hier demonstrieren lauter schlechte Deutsche, mit denen man nichts anfangen kann, schon gar keinen Krieg!"