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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1982 erschienen.

Systematik

USA:
SCHWARZE KNIEHOSEN FÜR FRIEDEN UND FREIHEIT

Worum ist es gegangen, letzte Woche in London, Versailles, Rom, Bonn, Berlin? Um die feierliche Bestätigung des gemeinsamen westlichen Beschlusses, die Freiheit in jeden Erdenwinkel zu tragen? Um neue Erpressungen der NATO gegenüber dem Osten? Um die Klarstellung des Beitrages, den jeder Bündnispartner zu diesem Programm zu leisten bereit ist? Irgendwie schon - aber doch eigentlich nebenbei.

Laut "Time" z.B. ging es um folgendes:

"Gipfeltreffen erinnern die meisten bewußt denkenden Menschen daran, daß amerikanische Nuklearwaffen die Russen im Zaum halten, amerikanische Kriegsschiffe die Frachtrouten sichern; sogar daran, daß britische Harriers in den Falklands amerikanische Sidewinder-Raketen abfeuern. Der wirklich entscheidende Gegenstand der extravaganten Schau in Europa ist die Führungsrolle der USA. Ronald Reagan scheint das begriffen zu haben. Als Yankee mit der Prärie im Blut, begleitet von einer schönen Frau in glitzernden Kniehosen, der auf Dinner-Parties Furore macht, hat er in dieser Hinsicht einiges zu bieten." (Time, 14.6.82)

Erstens also: die imperialistische Gewalt der USA ist der Garant des Weltfriedens, ihr Erfolg gibt allen dafür. benötigten Mitteln recht. Zweitens: Reagans Teilnahme am NATO- und Wirtschaftsgipfel ist die Reise eines Oberherrschers zu seinen Vasallen, was auch immer die sich an eigenständiger Weltpolitik gerade deswegen herausnehmen. Drittens aber: worauf es bei dieser Reise eigentlich ankommt, ist die adäquate Selbstdarstellung dieser Macht, ihrer Einigkeit und ihrer Freiheit. Viertens interessiert einen demokratischen Hofberichterstatter deshalb nichts so sehr wie die Frage: wie hat ER "es" denn "gebracht", die Verkörperung dieser Machtvollkommenheit? War ER der Aufgabe gewachsen, die die freie Presse als seine hervorragende hinstellen möchte: in seiner Person den Beweis anzutreten, daß ihm zurecht die Entscheidung über Krieg und Frieden anvertraut ist? In kniefälliger

Bewunderung für den Erfolg

einer Macht, die nur noch um das Wie ihrer endgültigen Vollendung zu verhandeln braucht, erlaubt sich die amerikanische Presse nur noch eine (Schein-)Frage, deren Antwort damit natürlich auch schon fentsteht! Die Fähigkeit zur Zerstörung ganzer Landstriche, so es für die Verteidigung westlicher Freiheit geboten erscheint, in Verbindung zu bringen mit dem Modefummel der Frau Präsidentin erscheint deswegen weder pervers noch peinlich: Schließlich sind neben dem amerikanischen Modellcharakter des Präsidenten selbst die Roben dieser altemden Ami-Schickse mit Bedacht unter eben diesem Gesichtspunkt gewählt: daß sie ein Attribut der Herrschaft sind, die es sich leisten kann, das Maß an Extravaganz zu zeigen, das nur den Erfolgreichen zusteht. So gesehen, sind Nancy's Klamotten ein Stückchen Beweis dafür, daß Reagan seine ganz persönliche Eignung für die schwierige Aufgabe unter Beweis gestellt hat, die die amerikanische Journaille für ihn in Versailles und Bonn entdeckt hat: der "natürlichen Fühnngsrolle" der USA im Bündnis Geltung zu verschaffen. Und wie?

"Das Weiße Haus betrachtet die Reise als eine wichtige Gelegenheit für den Präsidenten, dessen bedeutendste politische Qualität sein ansteckender persönlicher Charme ist, den in Europa noch immer weit verbreiteten Eindruck zu zerstreuen, daß die Führung der westlichen Allianz sich in den Händen eines schießfreudigen Cowboys befindet..." (Time, ebda)

Daß es im Ernst Reagans Charme wäre, der europäische Staatsoberhäupter dazu bewegt, nicht nur mit ihm auszureiten und zu tafeln, sondern dabei auch noch die Kreditzinsen für die Russen zu erhöhen und die Zuständigkeit der NATO auszuweiten, glaubt natürlich so niemand. Aber daß es letztlich irgendwie mit dem amerikanischen Nationalcharakter zusammenhängt, wenn Europa der "amerikanischen Führungsrolle" bewundernd zu Füßen liegt, soll sich der Durchschnitt schon vorstellen, wenn er im Geiste durch Versailles wandelt und Taubenbrust mit Hummersoße stellvertretend verspeisen läßt. Für wen, außer für einen amerikanischen Präsidenten, wäre europäisches Gepränge kaiserlichen Zuschnitts wohl ein angemessener Rahmen?

"Es war ein prächtiges Spektakel, das große Theater, mit der ganzen Welt als Bühne, wie Ronald Reagan es liebt. Treffen mit sechs internationalen Führern im atemberaubenden Palast von Verseilles. Staatsmännische Bestätigungen westlicher Einheit. Und natürlich, wie immer bei Reagan, freundlich neckende Wortwechsel mit ausländischen Politikern und amerikanischen Reportern gleichermassen."

Richtig beeindruckend wird das historische Szenario erst dadurch, daß der gewählte amerikanische Volksvertreter dort seine bürgerlichen Tugenden der Volksverbundenheit, gepaart mit staatsmännischem Schaueffekt, zur Geltung bringt. Schließlich sind die USA der wahre Repräsentant aller erlauchten europäischen Traditionen - das beweist gerade das Gepränge eines absolutistischen Herrschers, weil niemand mit größerer Machtvollkommenheit regiert als der, der über den freiwilligen Gehorsam seines Volks verfügt. Allein deswegen ist Reagan schon ein toller Bursche - weil er Amerikaner ist:

"Ein Börsenmakler, ein General und ein Schauspieler waren die drei wichtigsten Würdenträger der USA. Dieser Umstand erstaunt die professionellen Staatsmänner Europas immer noch. 'Woher kriegt ihr Amerikaner diese Burschen?' fragte ein Gastgeber. 'Wir wissen es nicht, aber sie sind trotzdem unser', kam die Replik." (Time)

Dem Land soll nicht die Weltherrschaft zustehen, wo jeder Bürger, wenn er es im Leben zu etwas gebracht hat, damit auch über die kaiserlichen Herrscherqualitäten verfügt, die es braucht, um die Welt im Einklang mit den Regierten zu dirigieren? So einer kann sich dann auch die Leutseligkeit leisten, auf Kosten anderer Staatsoberhäupter Witzchen zu reißen und beim Ausritt mit der Queen mit den Reportern zu scherzen. Man vergleiche nur den launigen Hinweis des Präsidenten auf die hausfraulichen Qualitäten der First Lady - hat sie doch vor der Abreise eigenhändig den Toasterstecker rausgezogen! - mit der kleinlich-bornierten Weigerung der Oberschichtenmieze Elisabeth, sich mit Nancy in ihren Privatgemächern fotografieren zu lassen!

"Natürliche Führungsrolle"

und der dazu passende "Charme" heißen also mitnichten, daß "Mr. President" zwar von der "Sache" keine Ahnung habe, es aber deswegen umso mehr darauf ankomme, daß er an der richtigen Stelle lächelt. Wer so argumentiert, macht die Lüge mit, zur Ausübung der Macht gehöre mehr als der absolute feste Wille, ihrer Durchsetzung mit der ganzen Person zur Verfügung zu stehen. Das ist in der Tat die "Sache"; und die kann die Journaille nur deshalb als die Aufgabe und das Problem der Herrschaft unterbreiten, weil diese sich über die Gefügigkeit der Beherrschton keine Sorgen zu machen braucht. Die "Leistung" Reagans besteht dann nicht etwa in dem, was er mit seinen Untertanen anstellt und über sie verfügt, sondern darin, als würdiger Repräsentant westlicher Geschlossenheit, als der "große Heiler und Versöhner", als "great communicator" ganz persönlich Frieden und Freundschaft zu stiften bei den Unterherrechern jenseits des Ozeans. Den Untertanen und Opfern dieser Gewalt kann zwar der Unterschied zwischen einem verbindlich lächelnden und einem grimmig befehlenden Kommandeur der westlichen Freiheitsbataillone ziemlich wurscht sein. Den professionellen Anbetern demokratischer Machtentfaltung kommt es auf eben diesen Zynismus sehr an: daß es sich für eine ordentliche Weltherrschaft nicht gehört, ja, daß sie es gar nicht nötig hat, als eigenmächtiger Herumkommandierer ihrer Verbündeten aufzutreten. Herumgeschubst werden die Unter-Souveräne nur im Osten, heißt die Botschaft; bei "uns" werden ihre nationalen Eitelkeiten hofiert (auch wenn es "uns" manchmal schwerfällt); hier wird für ihre Sorgen Verständnis geäußert, auch wenn diesen nicht entsprochen werden kann. Ganz im Einklang mit dieser diplomatischen Richtlinie für den Gipfel widmet sich die amerikanische Presse verständnisinnig den "Schwierigkeiten", die europäische Machthaber angeblich so plagen in ihrem Bemühen, dem großen Vorbild USA nachzueifem - und denen, die sie aufgrund dessen dem großen Bruder USA verursachen. Daß "Europa " dem gemeinsamen Anliegen verpflichtet ist, will man hiesigen Herrschern dabei gar nicht absprechen -

"daß die NATO nicht die militärische Stärke erlangen kann, die Reagan wünscht, wenn die Ökonomien des Westens durch hohe Arbeitslosenzahlen beeinträchtigt werden" -

wären sie nur nicht so ideologisch verbohrt: Mitterand mag die Reaganomics nicht, die Briten sind in Falkland etwas zu halsstarrig, Bonn will von seinem Osthandel nicht lassen, Japan hat eine unverständliche Vorliebe für hohe Einfuhrzölle und selbst die Italiener meckern am Dollarkurs herum. Genug zu tun also für den "grand impresario", trotz allem die wahren Werte der Gemeinsamkeit in den Herzen der Verbündeten wieder wachzurufen! Und wie er das macht - geschickt, geschickt! Mitterand hat er das Angebot eines gemeinsamen Anliegens in Sachen britischer "Zurückhaltung" in Falkland anzubieten, den Briten wiederum den Einklang in Fragen der Ökonomie. Bonn bekommt einen Besuch an die Mauer und die Aufforderung, die Verbindung zu Ostberlin zu stärken, die Italiener dürfen froh sein, daß er sie überhaupt besucht, und den Japanern verspricht er, nur einen "beruhigenden Einfluß" auf die anderen Oberhäupter auszuüben - die kann nämlich sowieso keiner leiden.

Für die Bewältigung dieser hohen Aufgaben ist dem Präsidenten keine Anstrengung zu groß und kein Sicherheitsrisiko zu brisant. Dem "pazifistischen Bazillus" tritt er entschlossen entgegen - und ansonsten wird alles getan, um den amerikanischen Bürgern sein weiteres segensreiches Wirken zu erhalten:

"Italienische Sicherheitskräfte, durch am erikanische Truppen unterstützt, haben die umfangreichsten Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die je für einen ausärländischen Würdentrager organisiert wurden, zum Schutz gegen Anschläge durch Gruppen von den Roten Brigaden bis zu der Geheimen Armee für die Befreiung Armeniens" (was es doch in Europa alles für seltsam-gefährliche Umtriebe gibt!) (Newsweek, 14.6.)

Den "Gewalttaten", die Reagans Besuch in Paris, Rom und Bonn "ankündigten", widmet Newsweek die Hälfte eines vierseitigen Artikels über Reagans Reise in die Höhle feindseliger Stimmungen - wobei Gründe und Motive solcher Aktivitäten keinmal erwähnt zu werden brauchen. Es reicht, daß sich Leute in Europa herausnehmen, etwas gegen den amerikanischen Präsidenten zu haben, um diesen ganzen Kontinent als einzige Herausforderung erscheinen zu lassen, der sich kein anderer als eben der amerikanische Präsident erfolgreich stellen kann - und mutig stellt:

"Er weiß, daß diese Reise eine physische Anstrengung sein wird, und er wird in einige schwierige Angelegenheiten verwickelt sein. Er arbeitet sich gründlich ein und verwendet viel Mühe auf seine Reden. Ich glaube, er ist diesem Abenteuer gewachsen (ein Sprecher des Weißen Hauses)."

Als Präsident Amerikas und

oberster Weltpolizist

kann er dabei natürlich seine anderen Pflichten nicht vernachlässigen: Nicht nur muß er sich gleichzeitig noch um die Abstimmung über das Budget im Kongreß kümmern, ihm kommen auch noch andere lästige Kleinigkeiten in den Weg. Ausgerechnet während seiner Europa-Tournee kamen z.B. die Israelis auf die Idee, im Libanon die Endlösung der Palästinenserfrage einzuleiten, so daß der Präsident ganz aus seinem Terminplan kam:

"Jede freie Minute, die er normalerweise gehabt hätte, wurde ihm durch Sitzungen über den Mittleren Osten, die Falkarlands und sogar über die Budget-Abstimmuag im Kongreß genommen." (New York Times, 12.6.)

Und überhaupt - nicht auszudenken, daß tatsächlich während des Reagan-Besuchs eine Weltkrise ausgebrochen wäre - bei Pannen folgender Art: in Rom funktionierten diverse von den Amerikanern installierte Telefone nicht, die Bundesdeutschen haben überhaupt ihre Hauptstadt für solche Zwecke ganz falsch gewählt ("half the size of Chicago cemetery and twice as dead"): keine großen Hotels, so daß der Stab des Weißen Hauses überall verstreut war, die Telefone dauernd besetzt und die nötigen Informationen nicht rechtzeitig zur Hand - und in Versailles passierte doch die unglaubliche Blamage, daß der Präsident nicht über das Abstimmungsverhalten der USA-Vertreterin in der UNO informiert war!

Nur "Flower Power"?

Kein Wunder, daß - trotz richtiger Gewänder der Gattin, kalifornischem Wein und markigen Worten an der Mauer - die amerikanischen Begutachter mit dem Ergebnis dieses schwierigen Unterfangens, genannt Gipfeltreffen, so recht nicht zufrieden sind. Ziehen denn jetzt alle am gleichen Strang?

"Unter den gegebenen Bedingungen verließ keiner der Teilnehmer den Gipfel mit irgendwelchen Illusionen über die Welt, die unten (!) auf sie wartet. Ihre Entscheidungen werden nicht viel dazu beitragen, den zerrütteten Zustand der westlichen Ökonomie zu verbessern. Ihr bescheidener Fortschritt in einigen Randfragen könnte die Atmosphäre für spätere Kooperation verbessert haben." (Newsweek)

Na klar - gemessen am Ideal imperialistischer Herrschaft, das die Amerikaner pur auf den Begriff bringen: Einigkeit - sofort und ganz! Durchschlagskraft: unbeschränkt! Frieden und Freiheit: bedingungslos! - sehen die praktischen Ergebnisse des Gipfels äußerst matt aus. Für die "New York Times" gelten sie gar als "flower power":

"Mr. Reagan will die Infrastruktur der Demokratie nähren - das System der freien Presse, Gewerkschaften, politische Parteien und Universitäten - die einem Volk erlauben, seinen eigenen Weg zu wählen. Seine Langzeit-Hoffnung besteht darin, den Marxismus-Leninismus auf dem Schutthaufen der Geschichte enden zu lassen. Er hat aber versäumt, den Weg von hier nach da anzugeben oder Moskau eine plausible Bandbreite politischer Alternativen anzubieten... (z.B. folgende:) Wann wird Mr. Reagan einen Verhaltenskodex für die Supcrmächte verfassen, dem er mit seiner Handelspolitik Nachdruck verleihen könnte? Flower power kann funktionieren, aber wo ist sein Spaten?"

Und wo bleibt - angesichts von "drei ausgewachsenen Kriegen" die NATO-Weltordnung? Die "Washington Post" beliebt sich den NATO-Gipfel als "bloße Theorie" vorzustellen, die sich an der Realität der gerade geführten Kriege blamiere, die angeblich beweisen sollen, daß die zuständigen Herren ihrer eigenen Kriegsführung gar nicht mächtig sind:

"Trotz der überlegenen Leistung der britischen Streitmacht und den starken Worten in London ist es schwer zu glauben, daß die britische Regierung die Navy auch dann geschickt hätte, wenn sie wirklich damit gerechnet hätte, sechs Schiffe zu verlieren."

Die weltherrschaftsbegeisterten Vertreter der westlichen Führungsmacht kennen nur einen Zweifel: ob die Juniorpartner auch über die notwendige Entschlossenheit verfügen, für den Sieg auch die notwendigen Opfer zu bringen. Mitten im Krieg erhält man sich und dem aufgeklärten Publikum die Überzeugung, daß hier letztlich unbezähmbare Mächte walten, die einzudämmen nicht einmal die Weltmacht Nr. 1 ganz schafft, was ein sehr überzeugender Grund für ihre weitere Stärkung ist:

"Mr. Reagan hatte ganz recht, das starke Interesse der USA an der Reduktion strategischer Waffen zum Ausdruck zu bringen. Aber wie die drei kleinen Kriege zeigen, hat das Prinzip weitergehende Anwendungsgebiete."

Demnächst also der Vorschlag, der UdSSR den Waffenexport zu verbieten?

Auch umgekehrt wird eine brauchbare Lüge aus dem Gedanken, das, was dem Westen fehle, sei der Beschluß zur konsequenten Verwirklichung seiner Ideale: Beschäftigt sich der Herr der Herrscher vielleicht zuviel mit kleinlichen Problemen wie dem Krieg im Libanon oder der Abstimmung in der UNO und bekommt so die großen Linien weltpolitischer Entwicklung gar nicht mit, für die er, als US-Präsident, allen der sichere Garant ist? Egal: zu einem anderen Vorwurf als dem, trotz aller gutgemeinten Absichten könnte sich vielleicht der westliche Oberführer (die europäischen Unterführer sowieso) dem selbstgesetzten Anspruch nicht gewachsen zeigen, bringen es amerikanische Journalisten nicht. Ein größeres Lob könnte man Herrn Reagan gar nicht aussprechen!

*

Die freie Presse der Weltmacht Nr. 1 macht sich die Welt nach dem Maßstab unbeschränkter Freiheit der Nr. 1 zurecht: Die Staatsmänner und Völkerschaften aller Herren Länder werden als Kulisse für die Profilierung des Chief Executive begutachtet und erhalten dementsprechend eine "gute" oder auch eine schlechtere Presse. Über die Untertanen außerhalb der USA ist dem amerikanischen Publikum genügend mitgeteilt, wenn es erfährt, daß die Deutschen "in ihrer Mehrheit zu den USA stehen", die Italiener den Präsidenten geradezu verehren und die Franzosen zwar einen sozialistischen Präsidenten gewählt haben, dem gewählten obersten Repräsentanten der USA aber seinen Aufenthalt in Versailles durch keinerlei Demonstrationen verunziert haben. Wenn in irgendeinem Landstrich Mittel- oder Südamerikas ein US-Vizepräsident mal mit Eiern beworfen worden ist, dann kann das nur der Drahtzieherschaft aufgehetzter Elemente geschuldet sein, genauso wie in den USA selbst von vornherein feststeht, daß es sich bei allen Anschlägen auf das Staatsoberhaupt um die Tat von Verrückten gehandelt haben muß. Die Perfektionierung demokratischer Machtausübung in den USA, die auch in den Formalia zur Schau stellt, daß erfolgreiche Politik mit dem Erfolg des Politikers identisch ist, kennt folglich nicht die in der "seriösen" Presse Europas übliche Trennung von Meldungen über Reden, Beschlüsse, Schlußcommuniques und Stimmungsbildern über "Atmosphäre", Ambiente und äußerliche Details eines Staatsbesuchs, die hierzulande auf den dritten Seiten der Gazetten angeboten werden: Wie sie auftritt, sich darstellt, sich "verkauft" ist für den US-Pressemann ebenso Inhalt der Politik, wie das, was die Politiker sagen und machen. Das Sich- Durchsetzen pur, der Erfolg, der ja immer einer der USA ist, sind die Kriterien, mit denen US-Journalisten ihre Präsidenten kommentierend begleiten. Die Differenz zum europäischen Journalismus ist keineswegs eine mangelnder "Kritik": Die leiseste Schwäche des Politikers wird da gnadenlos aufgespießt und an Respektlosigkeit vor dem großen Mann gemessen, sind die BRD-Fernsehreporter verglichen mit ihrem US-Kollegen allesamt langweilige Speichellecker. Es ist der Respekt vor der Macht, der US-Journalisten zu fröhlichen Zynikern bei der Bewertung ihrer Ausübung macht, während das "kritische Verständnis" westdeutscher Schreiber, mit dem sie die Probleme von Politikern beim Machterhalt als "Schwierigkeiten der Politik" verständnisvoll besprechen, sie zu devoten Bewunderern der Politiker macht.