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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1982 erschienen.

Psychologie der "Kriegsgefahr"
KONJUNKTUR DER ANGST

Unter der Parole "Fürchtet euch - der Atomtod bedroht euch alle!" etablierte sich eine positiv geannte Menschheit, die es sich leutete, selbst angesichts der offenkundigsten Taten und Absichten der Politiker sich von "dem" Atomtod bedroht zu fühlen; die nicht im Traum daran dachte, das Vertrauen in die Figuren, von denen jedermann abhängig ist, aufzugeben, sondern sich im Gegenteil mit einer, wie die öffentliche Meinung kritisch anmerkte, "plakativ zur Schau getragenen", Angst vertrauensselig an die Angstmacher wandte.

Der Ausruf "Ich habe Angst, Herr Bundeskanzler!" ist nichts als die Mitteilung an die eigene Herrschaft, daß man sich von ihr betroffen fühlt, ist eben das Gegenteil eines Angriffs auf sie, weil es ausgerechnet von denen, die einem schon in Friedenszeiten mit ihren Kriegsvorbereitungen das Leben schwer machen, die Anerkennung des eigenen Ausgeliefertseins verlangt, also als Opfer Berücksichtigung fordert. Ein schöner Freibrief an die Politiker, sich bei ihrem Treiben durch keinerlei Ansprüche der Beherrschten stören zu lassen!

Der Kanzler zeigte von Anfang an, daß ihm auch diese brave Opposition noch zu kritisch war: Friedenssehnsucht ist ja schön und gut, darf aber auf keinen Fall ihrer verantwortungsvollen Umsetzung in Friedensliebe in die Quere kommen, weil es schließlich nicht angeht, daß sich die Politik nach den Gefühlen der von ihr Betroffenen richtet, und riet bei Angstsymptomen zum "Seelsorger und in letzter Instanz zu dem Vertrauen in Gott". Zwar wurde der Glauben, mit der eigenen Betroffenheit Eindruck zu schinden, durch die Beflissenheit der Politiker, die von ihnen beschlossenen täglichen Aufrüstungsmaßnahmen zu finanzieren, glänzend widerlegt; - doch auch für die Friedensbewegung blieb der Lohn der Angst nicht aus: sowohl zahlenmäßig als auch im Urteil der Öffentlichkeit wurde sie zu der anerkannten Agentur der Friedenssehnsucht in unserem Lande.

Die Angst der jungen Generation wurde zu einem Standardthema der Politiker, zu der sich wirkungsvoll eine "nicht vom Irrationalen" begründete Aufrüstungs- und Sicherheitspolitik kontrastieren ließ. Allen voran SPD-Ideologe H.-J. Vogel, der

"die Sorge vor Katastrophen bisher unbekannten Ausmaßes für nicht unbegründet" anerkannte und forderte, ihr ausgerechnet "mit Hoffnung zu begegnen". Schließlich habe immerhin "Christus den Tod und die Ewigkeitsangst (?) überwunden", und letztendllch bedeute "die Bejahung dor Lernfähigkeit des Menschen ja auch, daß seine Kräfte zur Abwehr der Gefahr in einem raisonablen Verhältnis zur Größe der Gefahr wachsen",

wofür kein anderer als der Kanzler selbst als Beleg herangenommen werden kann, der regierungsamtlich erklärt:

"Wir in der Bundesregierung dürfen uns von der Angst nicht überwältigen lassen. Wir sind dem Volk verantwortlich dafür, daß wir auch im Zustand der Ängstigung vernünftig handeln."

Daß der Bitte der Friedensbewegung, in ihrem friedliebenden Protest Anerkennung zu finden, von den Politikern ganz offensiv entsprochen wird, wurde von den friedensbewegten Leuten mit Befriedigung als Beleg dafür zur Kenntnis genommen, daß man nun nicht mehr einfach an ihrer Angst vorbeiregieren kann.

Man übernimmt daher auch ganz freiwillig alle Maßstäbe der Glaubwürdigkeit, die einem die Politik vorsetzt, und das sind immer die ihren Zwecken gemäßen. Das Programm der Glaubwürdigkeit hat so das Gerede von der Angst vor dem Krieg aus den Reihen der Friedensbewegung verschwinden lassen oder anders gesagt: Die Angst ist vollends politisch berechnend geworden. Man soll sich nämlich vor einem Schlachtfeld Europa fürchten, das die Großmächte für ihren Krieg mißbrauchen, weil die Russen nicht nachgeben wollen. Das größte Opfer ist überhaupt die BRD, weil sie von fremdem Militär statt bloß vom eigenen besetzt ist, weshalb man den Russen das friedensstiftende Angebot macht, mindestens die DDR und Polen, am besten aber gleich den ganzen europäischen Teil des Ostblocks herauszurücken, so daß ein vereintes Europa mit einem Großdeutschland an der Spitze wieder soviel Souveränität erlangt, daß es mit Hilfe einer wirklich sinnvollen und nur verteidigungsmäßigen Aufrüstung selbst entscheiden kann, wann und wo es zuschlägt und sich dies nicht mehr von den Weltmächten vorzuschreiben lassen braucht, weil es selber eine ist. Der Unterschied zur offiziellen Politik besteht nur noch darin, das alles ohne Krieg haben zu wollen. Dieser Imperialismus von unten, der seine Kriegsangst inzwischen schon auf ganz Europa ausgedehnt hat, ist daher von den professoralen Begutachtern des Volkes, der Öffentlichkeit und der Wissenschaft, in einer Weise gewürdigt worden, die er durchaus verdient hat.

Auf der Suche nach der verlorenen Angst

Einem kritischen Psychologen in der Zeitschrift 'Warum' fällt an der "drohenden Weltkriegsgefahr" als erstes auf, daß er nicht so viel Angst davor habe, wie er eigentlich haben müßte.

"Jeden Tag lese ich in der Zeitung neue Meldungen über die steigende Kriegsgefahr aber eigenartigerweise: ich habe keine Angst und ich weiß, daß ich Angst haben müßte."

Durch die psychologische Diagnose - dem "Ich"-Publikum fehlen Schweißausbrüche und weiche Knie - bereitet er seine Suche nach der verlorenen "Angstfähigkeit" vor, die er zu dem Menschheitsproblem erklärt:

"Wir haben zu wenig Angst. Unsere Angstfähigkeit ist vernichtet. Und damit ist der Weg zur Selbstzerstörung bereitet."

Es geht also um die Fähigkeit zur Angst, und das hat mit dem Gefühl ohnmächtiger Betroffenheit, das die Angst ist, geschweige denn mit ihren Gründen, nichts mehr zu tun. Nicht "Was ist Gegenstand meiner Angst?", sondern die Fähigkeit zur Angst und ihre Wirkung auf das eingebildete psychologische Subjekt, das wie immer von der "Selbstzerstörung" bedroht sein soll, ist der Gegenstand. Damit wird das Gefühl der Angst von seinem Inhalt getrennt und als inhaltsleere Möglichkeit seiner selbst, eben als die Fähigkeit zum Angsthaben, im Menschen erfunden. Auf der ganzen Welt gibt es dann auch keinen Grund mehr, zu erschrecken -- außer vor sich selbst -, weil es im Individuum liegt, was es auf der Welt als "auslösenden Reiz" für ein "Angstverhalten" determiniert.

"Ich sehe, wie dieser Mechanismus bei mir wirkt: Jede neue Schreckensmeldung ist mir eine Qual. Aber ich überlebe. Und so wird mir bestätigt, daß eigentlich alles gar nicht so schlimm ist. Gegenüber der großen Gefahr bin ich bereits desensibilisiert."

Die Logik d ieser geheuchelten Betroffenheit - weil ein Grund zur Angst nur ein Grund zur Angst ist und einen nicht gleich umbringt, soll die Angst vergehen -, will plausibel machen, daß der 3. Weltkrieg deshalb stattfinden wird, weil die Leute zu wenig "Angstfähigkeit" davor haben. Die traurige Wahrheit, daß die Kriegsvorbereitung der NATO niemanden besonders betroffen macht, benützt der Psychologe zur Illustration seiner Erfindung des Nicht-Erschreckens als massenpsychologisches Syndrom, wofür er sich selbst als "Fall" vorführt. Hier sieht er das Prinzip mangelnder Erlebnisfähigkeit am Werk und diese n-fähigkeit soll für den Krieg verantwortlich sein.

"Die Atomgefahr verkehrt die Werte von psychischer Pathologie in Normalität. Wer eine Höhle kauft in den Rocky Mountains oder - wie jener Pfälzer Pfarrer - für sich und seine Gemeinde in seinem Garten einen Atombunker baut, wer Vorräte anlegt, der verhält sich heuto normal, realistisch, realitätsgerecht.

Und doch sind dies nur symbolische Akte, die die Selbstzerstörung nicht verhindem können - die sie vielleicht sogar beschleunigen, weil sie das Gefühl der Sicherheit vermitteln. Zeitalter der Psychopathologie."

Für einen Psychologen, dem es um das korrekte Gewicht der Angst im Seelenhaushalt geht, sind ausgerechnet Leute, die aus ihrer Angst praktische Konsequenzen ziehen, verrückt - und die eigentliche Gefahr. Und zwar nicht deshalb, weil sie tatsächlich zu verrückten Taten schreiten, sondern weil sie damit angeblich ihre Angst überwinden.

Völlig verfehlt also, dieses Musterexemplar psychologischen Denkens zu fragen, wie er denn mit seiner Kultivierung der Angst einen Reagan hindern will, der UdSSR mit allen Mitteln den Garaus zu machen. Es ist eben der Mensch, der da vor sich selbst versagt.

"Angst, so wissen wir psychologisch Gebildeten, das ist emotionaler Ballast, den man abwerfen sollte. Angst ist ungesund. Angst, das ist der Bodensatz unserer Gefühle und gehört gefälligst aus der Person herausgekehrt, damit sie sich frei entwickeln kann. Aber gilt dies auch für die reale Angst, und haben wir zuviel Angst?" (Alle Z¡tate aus 'Warum', Dez. 81)

Die NATO-Aufrüstung hat also auch ihr Gutes: Sie gibt Gelegenheit, sich mit der Fruchtbarkeit der Angst als neuem theoretischen Ansatz zu profilieren und eine alte Debatte der Disziplin mit brandaktuellem Illustrationsmaterial wiederzubeleben. Was 'Warum' recht ist, ist anderen Psychologen nur billig: nämlich irgendwelche erfundenen Seelenregungen der Leute zum Grund für all das zu machen, was staatlicherseits mit ihnen angestellt wird. Und was liegt da näher, als die staatsbürgerliche "Stimmungslage" herzunehmen, die mit der Beschwörung "der Kriegsgefahr" öffentliches Thema geworden ist.

So werden die Reaktionen der Leute zum Grund für all das gemacht, was staatlicherseits mit ihnen angestellt wird:

"Wenn der Angstspiegel steigt", weiß der Münchner Psychologieprofessor Willi Butollo, "verhalten sich die Menschen eher so, daß das Ereignis, vor dem sie Angst haben, wahrscheinlicher wird."

Die Gefahr ist unübersehbar. Da schüren sich überall Ängste und Feindbilder, so daß man am Ende befürchten muß,

"daß die Eigendynamik dieses Teufelskreises eines Tages außer Kontrolle geraten könnte",

meint die Psychologin Eva Dane, TU Braunschweig.

Krieg essen Seele nicht auf

Wer so mehr Hygiene der Angst fordert, der hat längst keine mehr, und das liegt nicht zuletzt an dem falschen Urtell, es gäbe eine ominöse Kriegsgefahr, die die Menschheit mit ihrem Untergang bedrohe, womit die eigenen Führer schon im voraus entschuldigt sind für den Fall, daß sie einmal zurückschießen lassen müssen. Von der eigenen Herrschaft will es eben niemand glauben, daß sie zur Verteidigung ihrer weltweiten Interessen ihre Jungs auch mal am Persischen Golf oder im Südatlantik verheizt, sondem man malt sich eine Abartigkeit des Menschen aus, spürt "fatale Sehnsüchte nach Stahlgewittern" in ihr auf und macht empirische Untersuchungen des Inhalts, daß sich die psychischen Schäden bei Kindern, die in den beiden Bürgerkriegsgebieten Nordirland und Libanon aufgewachsen sind, in Grenzen hielten, sie es also ganz gut noch ein paar Jährchen aushalten dürften.

"Die Psychologinnen von der Queens University befürchten, ihre Erkenntnisse könnten als Zeichen dafür gewertet werden, daß Ulster gut mit der Gewalt leben kann, oder daß wir Akademiker über die sozialen Konflikte völlig erhaben sind. Es geht lediglich darum, daß heute die psychologische Forschung zu der Schlußfolgerung kommt, die Kinder seien wesentlich normaler und widerstandsfähiger als bisher erwartet wurde. ... Den meisten der Kinder ginge es heute wieder gut."

Auch eine bemerkenswerte wissenschaftliche Leistung, am Menschenmaterial dieser Kriege nach wie vor eine intakte Psyche festzustellen, weil die Menschen die Fähigkeit zum Aushalten haben. Wer hätte das gedacht - der Mensch ist kriegstauglich.

Angst fressen Wehrkraft auf

Die Verwaltung der Angst gehört also endlich in die richtigen Hände gelegt, und das sind immer die der Politiker,

"deren selbstgewählte Aufgabe es schließlich ist, Bedingungen zu schaffen oder zu erhalten, unter denen es für die einzelnen möglich ist, ihr Leben sinnvoll zu gestalten", (ibid.)

damit die Leute wieder wissen, wofür es sich lohnt, Angst zu haben.

"Unterdrückte, nicht gezeigte Angst führt nämlich zu Hoffnungslosigkeit" (ibid.), und da seien Gott und die Politiker vor, denn sonst frißt die Angst noch die Wehrkraft auf. Dies zumindest befürchtet die "FAZ", die ihren Herrn Held formulieren läßt, daß es

"eine Erosion der Werte gibt, die bewirkt, daß Angst nun in freimütigem Exhibitionismus zum gesellschaftlich bestimenden Wert erhoben wird."

Dies ist natürlich eine

"Verwirrung der Rangfolge der Werte", an der die Politiker nicht ganz unschuldig sind, hätten sie doch schon früher "das Volk über militärische Erkenntnisse und Notwendigkeiten in Kenntnis setzen müssen".

Der Schluß ist für einen Hetzjournalisten dieses Kalibers klar: Vorfindlich ist ein Volk, in dem die "Kultivierung der Angst" Mode geworden ist, anstatt ein Volk zu haben, das die jetzigen Gegebenheiten mit "guten Nerven und gefaßtem Mut" ertrüge. So aber konnte die Angst zur "vierten Gewalt" werden, womit er nur sagen wollte, daß der bloße Hinweis auf die eigene Betroffenheit sich den Verdacht staatsfeindlicher Umtriebe gefallen lassen muß.

Mut ist die adäquate Haltung in diesen schweren Vorkriegszeiten, erst recht für deren Ende. Ein Ronald Reagan darf versichern, auch er habe Angst vor einem Atomkrieg, weil er damit die Notwendigkeit der Abschreckung unterstreicht. Der normale Mensch hat sich in dieses für ihn gefährliche Programm zu schicken und die freie Kalkulation seiner Politiker mit Krieg und Frieden nicht mit falschen Gefühlen oder Angstgerede zu behindern. Angst ist keine Tugend des Krieges. Also wird sich in Zukunft auch die Psychologie der zeitgemäßen Aufgabe widmen, an der Heimatfront und im Felde, die Leute fähig zum Mut zu machen. 1914 jedenfalls schickte man auch Psychiater zur Bekämpfung der "Unterstandsangst" in die Schützengräben...