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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1982 erschienen.
Der Papst in England
FILLED WITH THE HOLY SPIRIT
"Die päpstliche Flotte dampfte gestern nördlich Englands, bombardierte die Zweifler mit Glauben und die Widersacher mit der Liebe Gottes." (Guardian)
Alles war prächtig vorbereitet: Ein anglikanisch-katholisches Pfaffenteam war in zehnjähriger theologischer Kleinarbeit zu dem Ergebnis gelangt, daß die (durch den berüchtigten Frauenverschleiß eines Heinrich VIII. anno 1570 heraufbeschworene) Trennung ihrer Kirchen heute bei weitem durch die Gemeinsamkeit der organisierten Moralpflege ihrer demokratisierten Schäflein übertroffen wird. Der Papst Wojtyla erhielt in Wachs den ihm zustehenden Platz bei Madame Tussaud, Soutane und Papstmobil standen kugelsicher, Flughafen-Rollfelder und jede Menge Kleinkinder zum Abknutschen bereit. Pastor Paisley, der extra aus Irland angereist war, um dem Papst mit dem aparten Titel eines "vorsitzenden Bischofs der Synagoge des Satans" und einem - für ihn ganz untypischen - Eierwerftrupp seine Reverenz zu erweisen, sollte sich Sicherheitskräften gegenübergestellt sehen, wie sie - "historisch einmalig" in Anzahl und Auftreten - nicht einmal Prinz Charles und Lady Di zum Hochzeiten für sich beanspruchten. Und während noch nicht ganz feststand, ob die arbeitslosen, aber katholischen Elendsquartierler von Liverpool sich die eingeforderten zwölf Mark pro Kopf zur Deckung der Papstreisekosten aus den Rippen schneiden können, schickten einstweilen die tiefgläubigen Polenengländer schon eine Abgesandte mit der durchweg pastoralen Grußbotschaft los:
"Wir kämpfen mit Ihnen für ein freies Polen, sie können sich auf uns verlassen!"
The Pope konnte also kommen und auch auf seiner zwölften Auslandstournee ins protestantische Großbritannien vor ausverkauften Stadien Zeugnis von der vielgerühmten "Ausstrahlungskraft" geben, die die Herrschaften seiner Gastländer so schätzen, weil sie ihre Untertanen zu wahren Fangemeinden in der Tugend des selbstgerechten Mitmachens zusammenschweißt. Ein herzliches Treffen mit der eisernen Lady in Downing Street, bei dem sich weltliche und kirchliche Macht ihre überragende Rolle für ein gedeihliches Miteinander versichern, hätte also zu den traditionellen Höhepunkten der päpstlichen Tour gehört - wenn nicht Frau Thatcher unglücklicherweise gerade zu diesem Zeitpunkt mit Kriegführen beschäftigt gewesen wäre.
Nun wäre es abwegig, ausgerechnet dem Kirchenführer Wojtyla zu unterstellen, er hätte je die Gewalt von Staaten, mit der sie sehr zielstrebig nach innen und außen Opfer einfordern und schaffen, zum Argument für die Unappetitlichkeit eines Bruderkusses mit den verantwortlichen Politikern gemacht. (Außer selbstverständlich in der päpstlichen Heimat Polen, wo solche Zärtlichkeiten als Judaskuß verurteilt würden.) Der Not und Gewalt, wie sie von den Herren dieser Welt ausgehen, gewinnt ein Glaubenshüter wie er noch allemal die positive Perspektive einer vom Herrgott höchstpersönlich installierten Bewährungsprobe für seine Herde ab:
"No evil is more powerful than the infinite Mercy of god" lautete dementsprechend sein Trost für die Liverpooler Arbeitslosen, die jetzt wenigstens von höchster römisch-katholischer Stelle wissen, daß ihre von Staat und Kapital planmäßig betriebene Verelendung ein Dreck ist angesichts der von jeder materiellen Knappheit freien göttlichen Gnade. Justament als die Premierministerin das Leben ihrer Young people für die nationale Ehre des Empire einer kriegerischen Verwendung zuführte, verkündete dieser Pope in Coventry (einer Stadt, die gernde "um ihr Patenschiff trauerte"):
"My dear young people, the world today needs you, for it needs men and women, who are filled with Holy Spirit."
Während die siegreichen englischen Truppen - filled with holy national spirit - auf den Malvinen "nach erbitterten Kämpfen" 1400 Argentinier als Kriegsgefangene nahmen, goß der Vertreter Christi auf Erden seine schleimige Güte über einheimische Häftlinge in Manchester aus; indem er die Härte, mit der sie die Staatsgewalt zu spüren bekommen, begrüßte und mit Sinn versah:
"Bringing greetings to all prisoners in Britain, tbe Pope reminded them that Christ offered each one of them forgiveness and new hope." (The Times, 1.6.)
Und während nicht nur konservative Abgeordnete die "ruthless determination" ihrer Staatschefin feierten, mit der sie den Argentiniern mittels eines überzeugenden Verlustverhältnisses an Menschenleben und Material ihr Friedensangebot unterbreitete, verkündete der Papst auf dem heiligen Rasen von Wembley die dazu passende Moral:
"I believe in all mankind. I believe in tbe unique dignity of human being. I believe that each individual has a value that can never be ignored or taken away."
Es kann wohl nicht wahr sein, daß dieses Kirchenoberhaupt, das so skrupellos jede Sauerei der Subjekte der weltlichen Macht als dankenswertes Material begreift, um den Herrn Jesus durch sich einen Sinn dazu predigen zu lassen; daß dieser Wojtyla, dem die nationalistischen Tugenden des Sterbens und Sterbenlassens zur rechten Zeit schon auch gefallen: "It was the polish pilots, who saved England during the war" (Speks-Airport, vor polnischen Einwanderern); daß dieser Papst also ausgerechnet wegen der Tatsache des Krieges seine Aufwartung bei der Oberbefehlshaberin absagte und seine Englandreise in Frage stellte.
Ein "Disput im Südatlantik"
Es war schon gekonnt; wie der vatikanische Pole - ansonsten so beliebt für seine Forschheit, wenn's darum geht, seine östlichen Landsleute mit den westlichen Herrschaftsidealen gegen ihre Regierung aufzuhetzen - anhand eines Waffenganges zwischen Staaten der westlichen Hemisphäre sich friedenspolitisch "neutralisierte". Da war von einem "Disput im Südatlantik" die Rede und seine Heiligkeit zelebrierte ausgewogen mit den Führern seiner vaterländisch aufgegeilten Christenheit aus beiden Lagern eine "Friedensmesse", bei der er sich die Einsicht eingeben ließ, "er könne von einer Reise nicht zurücktreten, die so wichtig für die Ökumene sei." In gleichlautenden Telegrammen an Marqaret Thatcher und Leopoldo Galtieri äußerte der Papst "seine Besorgnis über die schweren Verluste an Menschenleben" und fand sowohl beim General wie der Lady (die sich extra für die von ihr veranlaßte Leichenproduktion ein schwarzes Kostüm angeschafft hatte) breite Zustimmung. Nur in seiner etwas kurzsichtigen Lehrmeinung: "Nichts ist mit dem Frieden verloren, alles jedoch mit dem Krieg" korrigierte die Staatsführerin den Glaubensmann: Erstens ist der Frieden dann nichts wert, wenn er keiner nach den Prinzipien der westlichen Freiheit ist - was sie dem Papst geschickt mit einem Fingerzeig auf die leider noch immer verabsäumte endgültige Befreiung seines Heimatlandes nahebrachte:
"Die Welt hat in diesem Jahrhundert zu oft die tragischen Konsequenzen des Versäumnisses gesehen, die Prinzipien von Gerechtigkeit, zivilisierten Werten und internationalem Recht zu verteidigen. Wir suchen den Frieden in Freiheit und nicht auf Kosten der Freiheit."
Zweitens ist mit dem Krieg nichts verloren, wenn man ihn gewinnt. Eine Tatsache, die Frau Thatcher dem Herrn Wojtyla in der Praxis zu beweisen versprach.
Damit waren die Felder der gegenseitigen Kompetenzen abgesteckt.
"Daß der Papst und Frau Thatcher sich... aus dem Weg gehen werden, liegt im beiderseitigen Interesse. Der Papst muß, über die Betonung des reinen 'Hirtenbesuches' hinaus einige Distanz wahren und Frau Thatcher hat diesen Preis für das Kommen gerne gezahlt. Worüber sollten beide auch reden?" (Süddeutsche Zeitung, 27.5.)
Alle anfänglichen Bedenken, der Papst schaffe mit seiner Reise in ein Land, das sich im Krieg befindet, einen fürs eigene Ansehen bedenklichen "Präzedenzfall", widerlegte derselbe nicht nur, indem er gleich auch noch der schwer gebeutelten argentinischen Nation seinen geistlichen Beistand anbot; auch die Art, wie er sich anhand der Gewalt zum obersten Friedensapostel profilierte, strafte alle kleinkrämerischen Krittler an einem möglichen Anschein von Differenzen zwischen staatlicher und moralischer Instanz Lügen. Mit Warnungen des folgenden Kalibers:
"Unsere Welt ist durch Krieg und Gewalt entstellt, die Ruinen der alten Kathedrale von Coventry erinnern an die Zerstörungskapazität unserer Gesellschaft.",
die partout kein reales Kriegssubjekt, dafür aber in einem kaputten Katholentempel ein wunderbares Kriegerdenkmal entdecken, störte er weder die englische Regierung beim Einsatz, noch die NATO beim Ausbau der ihnen zu Gebote stehenden militärischen "Vernichtungskapazitäten". Sie alle
"...sind dem Papst nicht besonders gram. Denn sie billigen ihm zu, daß er zunächst seine Pflicht erfüllt, wenn er für den Frieden und eine gewaltlose Lösung der menschlichen Auseinandersetzungen eintritt." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.6.)
Und wie nicht nur die Übernahme von päpstlichen Friedenssprüchen ("Laßt uns Steine beim Aufbau eines Domes des Friedens sein.") durch den Chef der westlichen Kriegsallianz zeigt, erfüllte der Pope diese seine Pflicht vortrefflich. Wo zuerst noch die kritische Befürchtung laut wurde, christlicher Idealismus könnte durch "fatale Realitäten" in seiner herrschaftsdienlichen Wirkkraft Schaden nehmen:
"Verkannte nun dieser Papst die Gefahr, der Falkland-Kanonendonner könne die Glocken britischer Kathedralen übertönen - selbst wenn die Salutschüsse aus dem Empfangsprotokoll gestrichen würden?" (Die Zeit, 28.5.)
da bewies Wojtyla, daß ein gestandener Christenführer erst so richtig bei "Kanonendonner" zur Geltung kommt. Der Umstand, daß er sich bei seinem "Hirtenbesuch" in England die Schlagzeilen der Titelblätter mit der euphorischen Kriegsberichterstattung teilen mußte, war keine Mißlichkeit, die gezeigt hätte, "wie sehr seine Worte zur Zeit auf steinigen Boden fallen"; vielmehr verstand es der Papst, den Boden, den ihm die englischen Herrschaften mittels eines Krieges bereitet hatten, fruchtbar zu machen, indem er die letzte Konsequenz der staatsbürgerlichen Unterwürfigkeit, den Einsatz des eigenen Lebens, zum Prüfstein der Tapferkeit des Christenmenschen erklärte:
"Laßt euch bei eurem Blick auf die erschütterte Welt nicht in eurem Vertrauen in Jesus erschüttern. Noch nirht einmal durch die Gefahr eines Atomkrieges. Erinnert euch an diese Werte, seid tapfer: 'Ich habe die Welt erobert'."
Kein Wunder, daß dieser Papst von den maßgeblichen Politikern des westlichen Kriegsbündnisses und ihrer schreibenden Mafia einhellig zum obersten Führer der Friedensbewegung ernannt wurde. Zumal Johannes Paul bei seiner Friedensmission zweifellos das Augenmaß besitzt, das ein Vorgänger sich schon wünschte:
"Es ist zu wünschen, daß die Verherrlichung des Friedensideals nicht die Feigheit jener begünstige, die sich fürchten, ihr Leben im Dienst ihres Landes einzusetzen." (Paul VI.)
Jetzt war der Papst auch in Argentinien; hat dort den Boden geküßt, den General Galtieri herzlich begrüßt, seine Friedenshymne runtergeleiert und auch den Schafen dort Mut gemacht. So haben die Katholen Englands und Argentiniens wenigstens eine Sicherheit: Wenn sie tapfer sind und fallen, kommen sie in den Himmel, während es im Großen Krieg noch längst nicht vor Gott ausgemacht ist, ob den tapferen Soldaten des Ostens dieses Glück zuteil wird.