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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1982 erschienen.

Vernünftige Territorialansprüche
FALKLAND UND ELBE

Großbritannien hat seine Soldaten in den Südatlantik geschickt, weil es sich in seiner Hoheit verletzt sah. Jeder Bundesbürger weiß das und mokiert sich trotzdem über den seiner Meinung nach zu billigen Kriegsanlaß. Die wahren Kriegsgründe will ein Demokrat solange nicht für triftig erachten, solange sie nicht die seiner Nation sind.

Während die "anachronistischen" britischen Territorialansprüche nicht mehr in die heutige Welt passen, beanspruchen und sichern seriöse BRD-Politiker zwischen Schnakenburg und Lauenburg die ganze Elbe bis ans östliche Ufer. Wir sparen uns hier den Nachweis, daß es um die ökonomischen Vorteile der dort ansässigen Pinguine nicht geht - die beiderseitige Benutzung der Elbe als internationale Wasserstraße ist ohnehin geregelt. Daß kein noch so kümmerliches Stück Erde einem Staat, der einen Rechtsanspruch darauf erhebt, zu gering ist, um diesen Anspruch gewaltsam geltend zu machen, kann man in der BRD vor Ort studieren, allerdings hat dieser Anspruch hier die ganze Wucht der BRD-Rechtsposition hinter sich, weshalb niemand auf den Gedanken verfällt, hier ökonomische Nutzen-Nachteil-Rechnungen aufzumachen.

Die Elbgrenze - Option auf die andere Hälfte Deutschlands

Ausgerechnet zwischen Schnakenburg und Lauenburg haben es die Alliierten in ihrer verständlichen Siegesfreude versäumt, eine klare Grenze zu ziehen, was die BRD gerne als Gelegenheit ergriffen hat, die Grenze entgegen internationaler Gepflogenheiten ans Ostufer zu verlegen. So etwas gestattet sich ein Staatswesen, das in 30 Jahren Deutschlandpolitik seinen Rechtsanspruch auf die Nachfolge des ehemaligen Deutschen Reiches gegen den anderen Unrechtsstaat befestigt hat. Die DDR will und muß die Grenze deshalb in der Flußmitte haben gemäß der völkerrechtlichen Konvention, daß Staatsgrenzen in der Regel in der Mitte von Grenzflüssen verlaufen. Die BRD will gerade dies nicht. Im Grundlagenvertrag hat sie die DDR unterschreiben lassen, daß die deutsch-deutsche Grenze als Nicht-Grenze definiert ist; sie gilt nach wie vor als Demarkationslinie der Besatzungsmächte und "kann" nur von diesen durch einen Friedensvertrag zu einer Staatsgrenze erklärt werden.

Ein besetztes Land wie die BRD kann daher eigentlich gar nicht mit der DDR über die Elbgrenze verhandeln, kann aber sehr wohl zum Ärger der DDR seine Patrouillenboote zur Sicherung der Grenze auch im Ostteil des Flusses herumfahren lassen, kann schließlich ganz ausgezeichnet die Kränkung der Souveränitätsansprüche des anderen deutschen Staates zu einem Verhandlungsgegenstand ausbauen.

Elbgrenze gegen Mindestumtausch

So souverän ist die BRD, daß sie über die Grenzziehung durchaus verhandelt, daß sie der DDR mögliches Entgegenkommen in dieser Frage andeutet, weil ihre souveränen Ansprüche auf die DDR viel grundsätzlicherer Natur sind. Solange die endgültige Wiedervereinigung noch nicht genehmigt ist, finden die Erpressungen des anderen Deutschland unter dem Titel Deutschlandpolitik statt und fordern freien Zugang zu ostdeutschem Boden mit der friedlichen Aufforderung, den Mindestumtausch zu senken.

Als Staatsgrenze steht bei diesem Handel die Elbgrenze selbstverständlich nicht zur Disposition. Die CDU, der an weiteren deutschlandpolitischen Erfolgen der SPD ohnehin nichts liegt und die vorsorglich durch den niedersächsischen Ministerpräsidenten ein Veto hat einlegen lassen, warnt vor der Heimtücke der DDR und beschwört den ehernen Zwang von BRD-Völkerrechtsansprüchen:

"Ostberlin erstrebt einen weitreichenden politischen Geländegewinn, der die besondere Rechtsnatur der innerdeutschen Grenze abbauen soll. Verfassungs- und Völkerrecht versagen der Bundesregierung jedes Nachgeben auf diesem Gebiet."

Der Minister für Innerdeutsches

"bekräftigt, daß beide Seiten den Grenzverlauf nicht aus eigener Souveränität festlegen, sondern nur feststellen können."

Mehr als eine "staatsrechtliche" Grenze, so eine wie zwischen Bayern und Hessen, ist nicht drin. Es werden also weiter BRD-Boote auf der Ostseite der Elbe patrouillieren und bundesdeutsche Sportfeste die ganze Elbe benützen, während die DDR Zettel an Kanufahrer verteilen läßt, daß sie ihr Staatsgebiet verletzen. So lange, bis diese Sorte diplomatischer Kriegsführung von Methoden abgelöst wird, die der grundsätzlichen Natur des völkerrechtlichen Anspruchs der BRD auf ein ganzes Deutschland eher angemessen sind.