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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1982 erschienen.

Falkland/Malvinas
ZUR UNZEIT AUF DEN FALSCHEN ZURÜCKGESCHOSSEN

"The next of kin have been informed."

Alles, was einen Krieg ausmacht, findet statt: Waffen, von Soldaten bedient, verrichten das beabsichtigte Zerstörungswerk. Regierungen beschwören ihre Völker, im Dienst an der nationalen Sache jetzt erst recht nicht nachzulassen. Über den Kampfverlauf werden die günstigsten Lügen in Umlauf gebracht. Völker beweisen, daß sie ihren Zusammenhang allein durch die Unterwerfung unter den Staat besitzen, also durch kein anderes "gemeinsames Interesse". Die Leichen werden gezählt und die Angehörigen benachrichtigt.

Und doch, von einem "regulären", "wirklichen" Krieg mit Strategie und Taktik mag niemand Kenntnis nehmen. Anstelle der im Kriegsfalle bewährten Kombination von zeitgenössischem Verständnis - für die Unausweichlichkeit - und Abscheu - vor dem Schrecken - tritt offene Mißbilligung - der "Episode" - und nüchternes Interesse - an den Kosten. Die weltweite Friedenbewegung hält sich vornehm zurück, denn wegen eines "Konflikts" dieses Kalibers - noch dazu weitab von den "Schlachtfeldern Europa bzw. USA" - ist sie schließlich gar nicht in Bewegung geraten.

Nicht vorgesehen

Was ist also los im Südatlantik, wenn kein Krieg? Gemäß dem amtlichen Sachverstand die nicht "geglückte Lösung eines Konflikts"; es hat bislang kein Ausgleich zwischen der britischen und der argentinischen Position gefunden werden können; die jetzt entstandene Lage verdankt sich einer mißlungenen Politik, die auf dem Verhandlungsweg nicht mehr weiterkam, einer momentanen Ausweglosigkeit usf. Diese Art der Einordnung der "kriegerischen Handlungen" um die falkländischen Malvinas als Nicht-Krieg ergibt sich nur von einem Standpunkt, der an das, was Krieg sein soll, einen etwas gehobeneren Maßstab anlegt. Die Friedensbewegung zeigt, was ihr Name wert ist. Sie nimmt aller Gelassenheit keine Notiz von der Existenz eines Krieges, als ob sie beweisen wollte, daß auch sie nur ein Abklatsch des offiziellen Standpunkts ist und bleiben will - in Sachen Definition, was eine ernstzunehmende "Störung des Weltfriedens" ist, vor der "wir" Angst haben dürfen.

S o nicht vorgesehen

Vorwurfsvoll wird der "Widersinn" festgehalten, daß sich die britische Flotte fernab von ihrem eigentlichen Einsatzgebiet befindet, wohl auch noch schwer beschädigt zurückkehren wird, insgesamt also bloß eine militärische Schwächung des Westens zustandebringt. Die Einheit des Westens nimmt Schaden, denn einer der treuesten Bündnispartner der USA gefährdet die mühsam aufgebaute Lateinamerikapolitik der Vormacht. Und manche versteigen sich sogar zu der Diagnose, die Aufrüstungspolitiker der Weltmacht Nr. 1 seien nicht mehr ganz Herr der Lage - während britische und US-Offiziere gerade gemeinsam den Nachschub aus USLagern organisieren. Daß der Krieg m Bündnis nicht die Sache des Bündnisses ist, daß neben den Hilfeleistungen für die wichtigere und daher berechtigtere Partei auch der "NATO-Vorbehalt" angemeldet wird, unterstreichen auch noch die albernen Schadensberechnungen wie die, daß das Ansehen der gemeinsamen Sache in der Dimension Nord Süd ungemein gelitten hätte und nunmehr mühsam Vertrauen zurückgewonnen werden müßte.

So auch gar nicht nützlich

Zur Bekräftigung, gewissermaßen als Nachdruck für das Argument 'sinnlos', wird der Streitgegenstand für nichtig befunden. Ein "Anachronismus", denn um das Empire geht es doch heute nicht mehr - ein paar Jahrzehnte früher wäre also vollstes Einverständnis angebracht gewesen.

Und so teuer

Die Inseln sind das Manöver doch nie wert. Ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnungen werden durchgeführt, als ob je ein Krieg diesem Kriterium standhalten würde. Welches Geld wird verfahren, wieviel Munition verbraucht, wieviel Material vergeudet... Kaum dementiert ein Staat, daß Kriegsrechnungen so angestellt werden, kaum demonstriert er, daß er der Ansammlung von Reichtum nur dient, indem er sich als Bedingung dieses Reichtums souverän, d.i. rücksichtslos aufführt, daß er sich deswegen auch des Reichtums umstandslos bedient, der unter seiner Herrschaft zustandekommt - er ist ja schließlich nicht eine, sondern mit seiner Gewalt die Bedingung für alles, was an Geschäften abgewickelt wird -, kaum verrichtet er seinen Dienst, indem er unabhängig von jeder Geschäftskalkulation für die Anerkennung seiner Gewalt sorgt, wird flugs die Milchmädchenrechnung aufgetischt, an deren Zirkulation den bürgerlichen Aufklärern von heute soviel gelegen ist: Irgendwie soll die Verteidigung der Nation doch mit dem Materialismus von Privatleuten verwandt sein.

Auch gar nicht verständlich

Einmal andersherum: Seit wann erscheinen denn 'Ehre der Nation', 'Souveränität', 'Hoheit', 'Recht auf Anerkennung', überhaupt 'die Rechte' eines Vaterlandes bürgerlichen Journalisten als 'hohle Phrasen', als 'überholte Werte'? Diese Dinge, die alle den Materialismus eines Staates zusammenfassen, der den Verzicht auf kleinliche Bilanzen - "ob wohl genug Geld in der Kasse ist?" noch allemal von seinem Volk bezahlen läßt. Sonst genügt doch auch das schlichte Argument, daß das Volk ja immer von seiner Größe, seinem Erfolg abhängt, daß dessen Lebensumstände schließlich tatsächlich von ihm, dem Staat, bestimmt werden - und dieses Argument sollte neuerdings bürgerlichen Kreisen suspekt sein? Sollten sie tatsächlich vergessen haben, daß sie mit diesem Standpunkt jeden Wahlkampf, jeden Leopard-Panzer glatt als Verstoß gegen die Volkswohlfahrt geißeln müßten? Nein, sie haben es nicht vergessen, nur meinen sie, im Falle Englands und Argentiniens eine "unsachgemäße" Handhabung staatlicher Gewaltmittel kritisieren zu müssen.

Daher wollen sie lauter Irrationalitäten, aber keinen Sinn in diesem Krieg entdecken; deshalb steigern sie sich zu Fragen wie "Wofür wird da eigentlich gestorben?" Aber das wohlfeile Mitleid mit den -"jungen Soldaten", die Infragestellung der staatsmännischen Qualitäten derer, die sie losschickten, und die Schlagzeile "Wahnsinn", schließen jede Verwechslung mit Gegnerschaft aus.

Aber doch ein wirklicher Konflikt für alle Beteiligten

Die Unsitte, die Politik eines verbündeten Staates mit der "Schuldfrage" zu traktieren, ist ja keineswegs eingerissen. Zwar waren die Waffen nicht die Schuldigen am Zustandekommen dieser "Verwicklungen", auch kein fehlendes Gleichgewicht, kein abgerissener Dialog, aber die Politiker schon gleich gar nicht.

So scheinheilig, wie an diesem Krieg das "Hineinschlittern" besprochen, so gekonnt, wie da die Trennung von Vorsatz und Tat durchgehalten wird, so unbedingt, wie also in dieser absichtlichen Gutgläubigkeit der Krieg als Not dahingestellt wird, in die die Politik "geraten" ist, als "tragische Verstrickung", die nicht das Geringste mit den politischen Beschlüssen zu schaffen hat, ist nur ein Schluß möglich: Die Prinzipien dieser Politik, die den Krieg herbeientscheidet, stehen nicht zur Debatte. Zwar weiß jeder, daß sowohl Großbritannien wie Argentinien sich ihren Nationalismus nur als Bündnispartner der großen Freiheit leisten können. Daß das "gestiegene Selbstbewußtsein" der argentinischen Militärs wohl etwas mit ihrer Einbeziehung in die lateinamerikanische Ordnungsstrategie der USA zu tun hat; daß gerade Großbritannien als ein Stützpfeiler des westlichen Bündnisses es nicht hinnehmen kann, die Geltung seines staatlichen Willens irgendwo auf der Welt anzweifeln zu lassen. Aber daß deshalb einer der beiden Parteien daraus ein Vorwurf gemacht würde, daß deshalb ein Verdacht auf das Bündnis, das solche Politiker vereint und fördert, fallen oder gar die Forderung an die eigene bündnistreue Regierung erhoben würde, deren Politik zu unterbinden - solche "abwegigen" Gedanken will sich niemand leisten.

So bleibt in einem ganz sicher die Bündnistreue zu England bewährt: Freiheitliche Politik ist es noch allemal; eine Politik, für die ein Krieg alles sein kann - Irrungen und Wirrungen, Sachzwänge, Tragik, Ausweglosigkeit bei der Suche nach Lösungen, Scheitern der Diplomatie - nur nicht ihr Ergebnis.

So sind alle doch einig mit Mrs. Thatchers und Galtieris Sicht der Dinge: "Es bleibt uns nichts anderes übrig." "Irgendjemand muß eine Entscheidung treffen." "Man läßt uns keine andere Wahl."

Aber eben deswegen doch nicht der Krieg

Es ist kaum zu übersehen, weshalb da ein Krieg zum "eigentlich" nicht erlaubten Konflikt herunterdefiniert wird, weshalb er nicht als Krieg unter Beschuß gerät, sondern als "Anachronismus", der gar nicht in die weltpolitische Szenerie hineingehört. So als wäre ein Programm durcheinandergeraten, wird das Ganze behandelt. Als wäre es schon vorbei - "Episode" -, während gerade die Leute sterben. Dieser Krieg ist ein Ärgernis, dem man nun in Gottesnamen und wegen der Lektionen, die er erteilt über Krieg und Frieden, über die Kalkulation von Staaten, die der Freiheit verpflichtet sind, nicht zuviel Gewicht beimessen soll. Nicht eigentlich, nicht wirklich, nicht ordentlich ist dieser Krieg, weil die Weltmacht, auf die sich die ganze Politik der westlichen Staaten konzentriert hat, auf die man weltweit achten muß, wegen der überall neue Verteidigungslinien aufgebaut werden müssen und die gesamte Wirtschaft umgestellt wird, nicht einmal ernsthaft der Beteiligung zu bezichtigen ist.

Ein Krieg ohne den Hauptfeind, ohne die Panzer und Raketen, die den Weltfrieden gefährden, ist eben ein "Konflikt". Seine Begrenztheit bezeugt es!

Solange diese Einordnung des Geschehens unbehelligt von irgendwelchen Kriegsgegnern vorgenommen wird, braucht man um die Rückkehr zur weltpolitischen Tagesordnung nicht besorgt zu sein. Die Alliierten haben es perfekt geschafft und waren darin gar nicht hilf- und tatenlos, einen ganzen Krieg zum bloßen Zwischenfall herabzustufen. Es war ja auch nicht das erste Mal, daß ein Krieg im Westen durch den Westen diese Einordnung erfahren hat. Insofern der Falkland-Konflikt höchstens noch bis Ende Mai alles zu "überschatten" droht, wird ab dem 10. Juni, Bonn, wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit dem Osten gelten. In Frieden und Freiheit!