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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1982 erschienen.
Italien
WAS SIND "SUPER-'PENTINI'"?
Gemeint sind Typen wie Peci oder Savasta, die als Kronzeugen in den Terroristenprozessen ihre Sache so gut gemacht haben, daß von ihren einstigen Genossen kaum noch einer frei rumläuft. Mit dieser Wortschöpfung gratuliert das öffentliche Bewußtsein dem italienischen Staat zu seinen Fortschritten in der Gewaltfrage.
Terroristen werden heute in canaglie, Hundsfötte, auf der einen und in
pentiti,
Reuige, auf der anderen Seite unterschieden. Durch die ausschließlich moralische Verhandlung des Terrorismus ist er als Verbrechen gebrandmarkt, das in seiner Verwerflichkeit alle Rechtsnormen sprengt. Anders als noch etwa bei der bundesdeutschen Endlösung der Terrorismusfrage - wo noch jede Gesetzesänderung von dem ausdrücklichen Kommentar begleitet wurde, daß man sich vom "bestialischen Morden" der Terroristen nicht den Rechtsstaat kaputtmachen lasse, sondern alle Vergehen streng rechtsstaatlich zu ahnden gewillt sei - werden in Italien dieselben Gesetze damit begründet, daß Terroristen nicht die Sprache des Rechts, sondern lediglich die der Gewalt kapieren. Angesichts der Ungeheuerlichkeit des ihnen angelasteten Vergehens, aus Italien schon beinahe so etwas wie eine "Bananenrepublik" gemacht zu haben, in der jeder, statt ausschließlich der Staat, sich Gewaltausübung anmaßt -
"Der Terrorismus will alle sozialen und politischen Konflikte auf südamerikanische Weise radikalisieren." (La Repubblica),
steht nicht der Rechtsstaat, sondern der Staat auf dem Spiel: Mit seinem propagandistischen Dauerbrenner Nr. 1: Der Terrorismus ist schuld an der "Krise" des italienischen Staats - wobei sowohl Ursache als Wirkung dem Reich nationalistischer Erfindungen angehören, die die Phantasie der Untertanen zur Sorge um das bemitleidenswert darniederliegende Ganze anregen sollen - hat der italienische Staat klargestellt, daß seine Erledigung der Terrorismusfrage nicht an der Einhaltung bestehender Rechtsnormen gemessen werden darf. Zur Ausschaltung der übermächtigen Bedrohung muß der Staat alle Hände frei haben - was hier allein zählt ist der Erfolg. Daher verbietet sich jede Kritik, ob mit den Notrtandsgesetzen zur Terrorbekämpfung nicht das bestehende Rechtssystem "unterhöhlt" werde. Auf der anderen Seite ist das Recht so als Gnade definiert, dessen man sich durch gesittetes Benehmen als würdig erwiesen haben muß, um nicht unmittelbar dessen nackte Gewalt zu spüren zu bekommen. Terroristen haben also Vorleistungen zu erbringen, um Aussicht auf einen "fairen Prozeß" zu haben; mehr als die Aussicht auf die Einschränkung der für Terroristen ausgetüftelten Sonderbehandlung wird nicht versprochen. Sobald sie ausgepackt haben und den staatlichen Instanzen zum Erfolg verholfen haben, wird illusionslos der Zweck der Strafe ausgesprochen: der Staatsgewalt wieder Geltung zu verschaffen. Sobald sie geständig waren, zeigt sich sofort das unmoralische Motiv ihrer unaufrichtigen Reue, die sich Strafminderung einhandeln will. Wenn man auch mit der Bezeichnung des Terroristen als Reumütigen der Strafe den moralischen Zweck unterstellt hat, das Individuum auf den Weg der Besserung zu führen, so verpflichtet das den Staat keineswegs zur Einhaltung etwaiger Zugeständnisse. Der angeblichen Unbedachtheit, sich in einer schwachen Stunde von der vorgespiegelten Umkehrbereitschaft der Terroristen geblendet haben zu lassen, schiebt man mit Anführungszeichen einen Riegel vor:
"pentiti"
werden auch "i killer pentiti" genannt. Hämisch wird ihnen jetzt die geballte Gewalt der Gegenseite vorgerechnet, die immer sie schlecht aussehen läßt: Jeder Versuch, sich mit dem Ankläger zu arrangieren, zeugt von Berechnung. Nicht von Belang, welch bescheidener Anteil den nach der Moro-Entführung erlassenen Notstandsgesetzen an ihrer unglaubwürdigen Bekehrung zukommt. Die verstehen sich nämlich von selbst:
"Seit dem 21.3.78 ist das geheime Verhör der Polizei erlaubt, ohne Beisein der Anwälte, über Wochen, an geheimen Orten. Notstand, wurde gesagt. Bene." (Espresso)
Unerheblich auch, welche Gedanken da in einem Staatsfeind vorgegangen sein müssen, wenn er nicht nur weitere Kampfhandlungen für "sinnlos" erklärt, sondern dafür sorgt, daß sie unterbleiben, indem er durch vorbehaltlose Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen seinen Beitrag zur Zerschlagung der Organisation leistet, der er jahrelang angehörte. Eine "Abkehr vom Terrorismus" ist so prinzipiell "unglaubwürdig": Wer sie als Kronzeuge dem Staat unter Beweis stellt, ist natürlich erst recht kein "geläuterter", sondern ein Terrorist, der seine Haut retten will.
'Pentiti' sind also uninteressante Figuren von ihrer unschwer zu entlarvenden Reumütigkeit läßt sich keiner beeindrucken: daß manch einer geständig wird, wenn er nur lange genug in der Mangel war, ist eine Selbstverständlichkeit. Und so wird mit der Unterscheidung in 'pentini' und
super-'pentiti'
ohne Umschweife herausposaunt, was an letzteren super ist: der Erfolg, den sie dem Staat beschert haben. Daß der Staat seit Jahresbeginn an die 500 Terroristen inhaftierte - daß es sich bei ihnen um "mutmaßliche Täter" handelt, ist angesichts der imponierenden Erfolgsquote außer Mode gekommen -, verdankt er ihrer "außerordentlichen Kooperationsbereitschaft". Endlich ist "der Mythos der Unbesiegbarkeit des Terrorismus zerschlagen"! Der Mythos der durch die Terroristen entwaffneten Polizei lebt zwar auch heute noch munter fort.
"Nachdem sie die Polizei und die Carabinieri eingeschüchtett und gelähmt hatten, indem man ihnen Putschpläne unterstellte und sie faschistischer Brutalität bezichtigte; und nachdem sie alle Nachrichtendienste - die Augen und Ohren der Ordnungskräfte - zerstört hatten, hatten wir keine Verteidigung mehr gegen den Angriff det Roten Brigaden. Und nun sagte man, sagten alle - auch die, die bis, dahin das Gegenteil behauptet hatten -, daß man sich nicht von Skrupeln irritieren lassen dürfe..." (Oggi)
Aber nur, um allen anderen wachsamen Staatsorganen den Dank für ihre selbstlose Härte abzustatten, mit dem sie sich und anderen Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Vorgehensweise verboten:
"Um der Bestütmung durch den Terrorismus gewachsen zu sein und ihn ausrotten zu können, sind alle Mittel recht." (Oggi)
Wenn Dozier bei seiner Befreiung durch die italienische Geheimpolizei das Gefühl hatte,
"von einer Gruppe von Terroristen in die Hände einer anderen zu fallen" (La Repubblica),
dann braucht dieser Eindruck der Öffentlichkeit nicht vorenthalten zu werden - sie versteht schon recht, was er, noch unter Schock stehend, hinzuzufügen vergessen hatte: einer viel perfekteren Terrorgruppe, weshalb von Terror nicht die Rede sein kann.
Als am nächsten Tag die Zeitungen ihre Schlagzeilen mit dem deutschen Wort "Blitz!" aufmachten, waren dem General denn auch passendere Dankesworte eingefallen: "O.K. Polizia Italiana!" Und der bei der GSG 9 in die Schule gegangene Chef der "Ledernacken" entwickelt Selbstbewußtsein:
"Jedes Land hat seine Spezialität. Die Amerikaner sind durch Vietnam im Bodenkampf am härtesten, die Deutschen schießen am besten, und wir Italiener hängen im Straßenverkehr jedes Auto ab." (Spiegel)
Jubel, Trubel, Heiterkeit, wo so sportlich Jagd auf Terroristen gemacht wird. Pertini schreit: "Bravissimi!", und das Volk, ob der Tapferkeit seiner mit "Nachtzielgeräten, Blendbomben und besonders leichten kugelsicheren Westen" ausgestatteten Polizisten entzückt, schreit zurück: "Wir haben es geschafft" und will die Terroristen lynchen. Dieser freudig erregten Atmosphäre können sich auch die gebildeten Vertreter des einstigen Sumpfes nicht entziehen:
"In Padua überreichte eine Studentin beinahe verschämt den verantwortlichen Beamten im Namen aller Hochschüler einen Strauß Mimosen." (Frankfurter Rundschau)
Wo der Sieg alle moralischen und juristischen Bedenklichkeiten im Umgang mit Staatsfeinden verbietet, da sie jetzt daran schuld sind, daß man so lange auf ihn warten mußte, da wird in der Feier des "Blitzkriegs" den italienischen Terroristen eine Ehre zuteil, die die deutschen noch vergeblich forderten. Ihnen wird mit allen Mitteln der Krieg erklärt, ohne daß sich die Regierung dabei die Verletzung der Genfer Vereinbarung oder der Haager Landkriegsordnung vorwerfen lassen müßte. Dazu sind die Terroristen denn doch ein viel zu jämmerlicher Gegner - ohne Verbündete im In- und Ausland. So bedeutet die Kriegserklärung nichts anderes, als daß alles im Kampf gegen sie erlaubt ist, was der Staatsgewalt gefällt.
Über die Folter soll jetzt ein jeder wissen, daß sie in keinem prinzipiellen Gegensatz zum Rechtsstaat steht; der einschlägige Paragraph 136a des StPO:
"Zwang darf nur angewandt werden, soweit das Strafverfahrensrecht dies zuläßt."
hat nämlich auch in Italien immer schon ähnlich gelautet. Nachdem "von einzelnen Mitgliedern der Polizeigewerkschaft wie auch von einigen hohen Justizbeamten" der "Vorwurf der Gefangenenmißhandlung" (Süddeutsche Zeitung) erhoben worden war, wollte dem der Justizminister nicht widersprechen. Mit einem "Ist alles halb so schlimm; schließlich ist noch keiner an der Folter gestorben" war die Öffentlichkeit mit dem Faktum der Folter in italienischen Gefängnissen vertraut gemacht - und zugleich jede Kritik daran untersagt. Wer immer noch auf dem Thema rumhacken wollte, wurde - wenn nicht gleich in Verwahrung genommen, wie geschehen - zum Sympathisanten der Terroristen erklärt. Denn deren neuester Trick der Staatszersetzung per Ausstreuen von Foltergerüchten muß hart geahndet werden:
"Ein pentito hat sein Geständnis zurückgezogen und behauptet, vor vier Jahren unter der Folter dazu gezwungen worden zu sein. Seine denunziatorische Behauptung hat ihm schon eine Verleumdungsklage eingebracht." (Espresso)
Die italienische Presse widerlegt die von den "Kanaillen" erhobenen Vorwürfe damit, daß sie die Folter verdient haben.
Was auch immer ein Linker, dessen die Staatsgewalt habhaft geworden ist, tut, hier gilt nur die eine Devise: in dubio contra reum! Daß die im Moro-Prozeß Angeklagten sich in ihren Käfigen wehrten, (nicht weil man sie hinter Gittern präsentierte: das ist gute Tradition in Italien -, sondern) weil sie dort mit denen zusammengesperrt wurden, die sie verpfiffen haben, beweist, daß die Anklage gar nicht hart genug mit ihnen ins Gericht gehen kann: Wer nicht alles widerstandslos mit sich anstellen läßt, dem muß seine terroristische Natur eben noch ausgetrieben werden.
Der peinliche Fall, daß ein super-,pentito' einen der einsitzenden Häftlinge ent-lastete, ist daher nur in einer Hinsicht ärgerlich:
"Dem Staatsanwalt blieb nichts übrig, als Toni Negri vom Fall Moro zu entlasten." (Espresso)
Heute, Jahre später, sitzt er immer noch, weil der Staatsanwaltschaft nichts übrig blieb, als sich eine neue Anklage für ihn aus den Fingern zu saugen. Dafür hat die Presse vollstes Verständnis: Wer bereits seit Jahren ohne Gerichtsverfahren eingesperrt ist, kann die Freiheit unmöglich verdient haben. Und so läßt sie unter der Überschrift "Die schon freigesprochen wurden" ihrer Empörung über die Vorstellung freien Lauf, einmal Inhaftierte nach erwiesener Unschuld wieder freizulassen.
Kritik ist also nicht ausgestorben in Italien. Unerbittlich wird an jede Regierungsaktion im Kampf gegen den Terrorismus der staatliche Anspruch angelegt. Die Frage wird doch noch erlaubt sein dürfen, ob wirklich hart genug gegen die Terroristen zugeschlagen wird! Und so erledigt sich jedes kritische Bedenken, sobald es angemeldet wird. Der Überlegung, ob der Staat sich nicht mit dem Kronzeugengesetz "diskreditiert" habe, ob also "die Zusammenarbeit mit Gewalttätern" wirklich nötig war - die laut wird, nachdem die Zeugen geplaudert haben -, kann der Staat nur zustimmen. Von wegen Diskreditierung - wo ihm der Erfolg jetzt so recht gibt, daß er die im Kronzeugengesetz zugesicherten Vergünstigungen für "zu permissiv", d.h. für hinfällig erklärt. Und mir nichts, dir nichts billigt der Senat das neue Gesetz, das "Gnade" nicht Reuigen gewährt, sondern auf die beschränkt, deren Aussagen "außerordentliche Relevanz im Kampf gegen die terroristischen Umsturz pläne" zukommt. Daß sich die "grandi pentiti" dabei nicht die Fäuste reiben können, dafür ist vorgesorgt: Wo finden sich heute schließlich noch Zeugenaussagen, "auf die die Staatsgewalt nicht von selbst hätte kommen können"?
Die super-'pentiti' haben ihre Schuldigkeit getan.
Gehen dürfen sie deshalb noch lange nicht. Warum auch? Wurde doch an ihnen vorexerziert, daß das Sehöne an der staatlichen Gewalt ihre Freiheit ist, niemandem als sich selbst verpflichtet zu sein. Der Erfolg im Zuschlagen ist heute das einzige Argument, mit dem die Staatsgewalt die gehörige Begeisterung für sich einfordert.