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Vom Ende aller Demokratieillusionen
WAS HEUTE ALLES SELBSTVERSTÄNDLICH IST
Wenn die Inhaber der vier Gewalten, in die das politische Leben in der BRD einmal aufgeteilt wurde, ihren Pflichten nachgehen, bekommt der mündige Bürger aus berufenem Munde nicht nur mitgeteilt, was alles von ihm verlangt wird und worauf er sich praktisch einzustellen hat. Die Inhaber von Regierungsämtern, Parlamentsabgeordnete, die Hüter des Rechts und die Damen und Herren von den freien Medien sind noch allemal bemüht, dem Bürger die Maßstäbe zu erklären, an denen sie selbst gemessen sein wollen und mit denen sie die Herrschaften aus den jeweils anderen Abteilungen begutachten. Gegenwärtig halten es die Inhaber des öffentlichen Lebens in der BRD für ihre vornehme Aufgabe, "überholte Ansichten" über unsere Freiheit, den Staat und die Demokratie zurückzuweisen, und verkünden dafür neue Erkenntnisse über die Aufgaben der gesamten Einrichtungen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: alles für den Staat!
Wenn die offiziellen und halboffiziellen Inhaber der Macht mit "Illusionen" aufräumen wollen, die einstmals niemand anders als sie selbst in die Welt gebracht haben, und sich zur Abwechslung an die "Wahrheit" - die dann übrigens gleich unbequem ist - halten wollen, dann sind ihnen offensichtlich die Kalauer, mit denen sie ihrem Volk vor 10 Jahren die Vortrefflichkeit der BRD nahebrachten, selbst unpassend und unnütz geworden für die "schwierigen Aufgaben", die sie dem Bürger für die 80er Jahre zugedacht haben. Das deutsche Volk, vorerst mit einem sozialen Sparprogramm für die Aufrüstung in die Pflicht genommen, soll eben auch umdenken. Und man baut darauf, daß es das schleunigst macht, wenn es angeordnet wird. Wenn Politiker und die Leitartikler von aufgeklärten Weltblättern heute von der
Freiheit
reden, dann gewiß nicht nach Art eines Ludwig Erhard, der gerne von ihren "goldenen" Seiten sprach und den "Wirtschaftswunder" Schein pflegte, die Freiheit sei etwa zu umschreiben mit dem neuen Auto, der Italienreise und der Wahl zwischen freien Arbeitsplätzen in Hamburg und Dortmund. Als "höchstes Gut", das man gerade nicht wegen des schnöden Lebensstandards schätzen dürfe, galt "unsere Freiheit" zwar schon immer - wo kämen wir auch hin, wenn das gemeine Volk seine Treue zur freiheitlichen Ordnung des Staats vom eigenen Wohlergehen abhängig machte -, doch ist von ihr heutzutage ausschließlich in dieser Eigenschaft die Rede. Wo die Politiker dem deutschen Normalbürger in ein paar kurzen Jahren den teuer bezahlten Lebensstandard samt dem "Sozialklimbim" abknöpfen, da halten sie und ihre Freunde in den Redaktionsstuben die eigene Ideologie aus alten Tagen, zur Freiheit müßten auch die gewohnten Umstände und Lebensmittel der deutschen Arbeitnehmerexistenz dazugehören, für völlig unzeitgemäß. Sicher möchte man sagen, daß sich die Freiheit auch für den kleinen Mann lohne, doch dafür werden die mehr ideellen Güter wie Meinungs- und Koalitionsfreiheit bemüht, von denen im gleichen Atemzug festgestellt wird, daß man mit ihnen nichts anmelden, schon gar nichts durchsetzen darf und nur ihr staatsfrommer Gebrauch in Betracht kommt. Die Erhaltung der Freiheit, von der man nichts hat, soll Anliegen des Bürgers sein, damit ausschließlich die Gesichtspunkte seiner demokratischen Herrschaft Gültigkeit besitzen.
In solchen "Betrachtungen über die Freiheit" werden deshalb in ihrem Namen Feststellungen über Freund und Feind getroffen, die mit der Politik bundesdeutscher Regierungen identisch sind. Neben der zufriedenen Bemerkung "wir Bürger der Bundesrepublik sind freie Menschen" (Stern) ist es üblich geworden, recht genau zu unterscheiden zwischen der Freiheit in Polen und in der Türkei. Weil Polen zum Ostblock gehört, dem der eigene Staat den Kampf angesagt hat, kommen westliche Beobachter polnischer Zustände im Namen der Freiheit zum immer gleichen Resultat: Egal ob das polnische Militär Verhaftungen vornimmt oder Inhaftierte freiläßt, als Beleg für die fehlende Freiheit gilt beides gleichermaßen, sei es, daß sie in einem Fall "mit Füßen getreten" wird, oder sich im anderen Fall "das Militär offen sichtlich um ein freundliches Gehabe bemüht. Aber Freiheit?" Weil Polen zum Ostblock gehört, gilt das polnische Volk von vornherein als ein Haufen von Freiheitsidealisten, die die höchste Wertschätzung und wohl auch materielle Freiheitshilfe der NATO verdienen. In anderen Brennpunkten staatlicher Gewaltausübung können westdeutsche Berichterstatter ähnlich Wertvolles nicht entdecken: Weil die Türkei und El Salvador zum Westen gehören, treten die dortigen Machthaber mit Mord und Folter nicht gegen ihr freiheitsliebendes Völkchen an, sondern gegen das "Chaos", wenn nicht gegen noch Abscheulicheres wie den Kommunismus, Türkische und mittelamerikanische Militärs treten eben minder wertvolle Güter, als dies die polnischen Generale tun. Im Namen der Freiheit läßt sich beides haben, das verständnisvolle Bedauern der mittelamerikanischen Schlächterei ebenso wie der grenzenlose Abscheu vor der Internierung polnischer Gewerkschaftler.
Wo in solch radikaler Weise für die Freiheit plädiert wird, daß außer den Gesichtspunkten der Bundesrepublik, der NATO und des Westens nichts gilt, da hat von der Freiheit auch nur einer was: der Staat selbst, dem keine Vorschriften gemacht werden, er solle sich bei der Indienstnahme seiner Untertanen mäßigen oder ihnen gar nützlich sein. Dem unbedingten Souverän wird hier das Wort geredet, das nationale "Wir" ist zum einzig gebräuchlichen Subjekt geworden, wenn über die Politik geredet wird: "England" führt mit Unterstützung der NATO-Brüder einen mittleren Krieg im Südatlantik. "Die NATO" bekräftigt ihren Anspruch auf weltweite militärische Präsenz und will Regeln für den Einsatz der Streitkräfte einzelner Mitgliedsstaaten außerhalb des NATO-Gebietes festlegen. Der Bundespräsident hat die Deutschen vor einer Abwendung von den USA gewarnt; "zur Wahl stehe nur die Abhängigkeit von der Sowjetunion oder die Partnerschaft mit Amerika", hat er gemeint, so als ob's da was zu entscheiden gäbe, "Wir", so Carstens, "haben diese Wahl getroffen", und wer sich für's westliche Lager entschieden hat, muß nun mal militärisch gegen den Osten rüsten. Das will in der Republik offenbar niemand anzweifeln, nicht einmal die Friedensbewegung, die sich inzwischen eine starke Großmacht Europa und ein alternatives Verteidigungskonzept bis zum Ural ausdenkt, So viel muß der bundesdeutschen Öffentlichkeit klar sein: An dem, was die Inhaber der Macht verkünden, hat man als Untertan was zu finden; zumindest muß man die Problemstellung auch so sehen und bei den nationalen "Alternativen" eines westdeutschen Oberhäuptlings darf man nicht sich selbst zum Maßstab machen, sondern muß sich fragen, was denn "für Deutschland" das Beste wäre.
So geht Untertänigkeit heutzutage - Vergleiche mit der unseligen Vergangenheit sind hier völlig unangebracht. Denn im Unterschied zum Großdeutschen Reich, bei dem man ab 1945 die Problematik des "Kadavergehorsams gegenüber einem verbrecherischen Regime" entdeckte, haben wir es heute mit einer demokratischen und rechtsstaatlichen Herrschaft zu tun, die den Gehorsam mit Fug und Recht beanspruchen darf. Bei uns gibt es einen
Rechtsstaat,
weshalb der Bundesjustizminister die Rede vom "bürgerlichen Ungehorsam" als "gefährliches Gerede" bezeichnen darf. Gegen "ordnungsgemäß zustandegekommene politische Entscheidungen" ist Protest auf jeden Fall moralisch illegitim, wenn nicht gleich mehr, weshalb sich der Startbahngegner Schubart nicht nur wegen Landfriedensbruch, sondern auch wegen Nötigung des Staats verantworten muß: "Die politischen Entscheidungen könnten in demokratischen Verfahren korrigiert werden" - an was hat Herr Schmude da wohl gedacht? Vielleicht an den ordnungsgemäß zustandegekommenen Rentenklau, die jüngsten Zumutbarkeitsregeln und den NATO-Doppelbeschluß? Da sollen sich "unzufriedene Bürger" wohl an ihren Bundestagsabgeordneten wenden, der den einschlägigen Beschlüssen schweren Herzens gerade zugestimmt hat. Die Absurdität solcher Vorstellungen und die völlige Leichtigkeit mit der die Demokraten gerade heutzutage den Rechtsstaats handhaben, heißt wohl eher, daß es sich hier einfach um ein ordnungsgemäßes Verfahren des Staats handelt, seine Politik durchzusetzen. Wenn das "Demonstrationsrecht nicht ausreicht", so der Bundesanwalt, werde man schon Mittel und Wege finden, den Demonstranten mit neuen Straftatbeständen beizukommen; wenn ein Staatsanwalt die Parteienfinanzierung in die Nähe der Steuerhinterziehung rückt, na dann ändern wir eben das Parteienfinanzierungsgesetz, und daß es dann den Staatsanwalt nichts angeht, versteht sich von selbst.
Unsere Staatsgewalt ist nämlich so souverän, daß sie aus der Rechtsstaatlichkeit auch kein theoretisches Problem gemacht sehen will, und das umständliche Vorstelligmachen von Rechtsproblemen, von Schwierigkeiten, Gesetzesvorhaben mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen, gehört der Vergangenheit an. Das endlose Hin und Her, ob die Gewissensprüfung für Wehrdienstverweigerer mit dem Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, ob der Waffendienst bei der Bundeswehr und die Abschiebung von arbeitslosen Ausländern mit der Menschenwürde vereinbar sei, ist erstens geklärt und zweitens ganz und gar pragmatischen Erwägungen gewichen, seit die einschlägigen Dienststellen bei Bund und Ländern gehalten sind, ganz unbelastet zu verfahren. Und unbefangen dementieren Politiker die früher so gern gepflcgte Lüge, das Grundgesetz oder sonstige Rechte stellten eine Fessel für staatliches Handeln dar: Rechtens ist genau das, was von Amts wegen beschlossen und im Bundesgesetzblatt verkündet ist.
Daß wir einen Rechtsstaat haben, sollte also nicht damit verwechselt werden, daß die Bürger vorm Staat geschützt- würden und die Staatsmänner deswegen etwas nicht tun dürften. Im Bewußtsein, daß es heutzutage nur um Deutschland geht, dementieren sie solches selbst. Als Kanzler der Nation ist man schließlich seinem Gewissen und der "Nation als ganzer" verpflichtet, und da weiß man, was man zu tun hat: Innere Ordnung schaffen für die gewalttätigen Aufgaben nach außen! Sollen sich die Politiker bei diesen verantwortungsvollen Aufgaben vielleicht durch "Rechtsillusionen" dreinreden lassen, für die zwar immer das Grundgesetz herangezogen wird, das aber so doch nicht gemeint war. Wer will schon einem Rechtsstaat, bei dem eben alles "ordnungsgemäß zustandekommt", bestreiten, daß er das darf? Nichts charakterisiert die Durchschlagskraft des demokratischen Rechtsstaats besser als die Tatsache, daß sich hierzulande Protest ausschließlich unter Berufung auf grundgesetzliche und rechtliche Prinzipien vorträgt, in dieser Beziehung also das Vertrauen zur Herrschaft ungebrochen ist.
Das ist eben das Schöne am Rechtsstaat, daß er sich beim Untertanen so viel Vertrauen verschaffen kann, daß selbst das Verlangen nach unbedingter Gefolgschaft keine and ere Frage aufkommen läßt als die nach der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen. Und die entscheidet im äußersten Fall - die Gerichte und die Polizei. Wenn über den
Sozialstaat
geredet wird, dann nur in einer Weise: Hier muß gespart werden, und dazu braucht man außer dem idiotischen Hinweis auf das nichtvorhandene Geld keine Argumente anzubringen oder den 1981 erfundenen Arbeitslosen in der Hängematte zu bemühen. Es muß sein, lautet die bündige Auskunft, die Christ-, Sozial- und Freidemokraten geben, und während die emsig dabei sind, dem Volk noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen, und alle einschlägigen Sozialleistungen für Rentner, Kranke und Arbeitslose und sonstiges unnützes Volk zusammenstreichen, kommen auch neue Töne in Umlauf, welchem Credo sich die Sozialpolitik eigentlich zu verschreiben habe. Eigens und ausschließlich für diesen Bereich wird die Entdeckung gemacht, daß es hier "zu viel Staat" gebe - und so was ist bekanntlich immer von Übel. Wo bleiben die Selbstverantwortung und die Freiheit des Bürgers - wird ausgerechnet da gefragt, wo Leute selbst nicht mehr zurechtkommen. Ganz offiziell gilt heute das Prinzip, daß der Sozialstaat nicht nur vor Mißbrauch, sondern überhaupt vor Inanspruchnahme geschützt werden muß. Ab sofort soll man bei den immer mickrigeren Zahlungen der halbstaatlichen "Versicherungs"-Anstalten meinen, daß hier doch eigentlich eine Ausbeutung des Sozialstaats durch Alte, Kranke und Hungerleider vorliegt.
Im Gesundheitswesen gilt mittlerweile ganz unisono der Herr Patient als Opfer des großen Aufwands, der mit ihm getrieben werde, gerade so, als ob umfangreichen und teuren Apparaturen die Absicht innewohne, den Menschen ins Jenseits zu befördern. Die öffentlichen Beobachter der Volksgesundheit finden die Krebsvorsorge auch schon wieder problematisch - und zwar mit dem absurden Argument, daß die erzielte "Trefferquote" gegenüber der Zahl der Untersuchten doch recht bescheiden ausfalle.
Dem Arbeitslosen wird neben neuen Zumutungen und Zahlungskürzungen inzwischen ein viel prinzipielleres "Problem" angehängt: Kann man sich die teuren Zahlungen des Herrn Stingl und die Bundeszuschüsse an die Nürnberger Anstalt eigentlich leisten, wenn das Geld einfach Leuten zugutekommt, bei denen abzusehen ist, daß sie es doch nie zu einem Arbeitsplätz bringen? Vom "Problem Nr. 1", das den Hütern unserer Ordnung und vor allem der Gewerkschaft schrecklich auf den Nägeln brennt, ist die Arbeitslosigkeit auch bei den Gewerkschaften nämlich zu einem Thema geworden, über das, man folgendermaßen redet: Sind die Arbeitslosen nicht eigentlich ein Klotz am Bein "der Gemeinschaft"; belasten sie nicht die Staatskasse in unerträglicher Weise; wie soll der Kanzler Politik machen, wenn sein ganzes Geld für solche Wohltaten draufgeht? Der Arbeitslose darf sich bereits als unwerter Mitesser betrachten, der sich nicht wundern soll, wenn "die Gemeinschaft" Ballast abwirft. Die Politiker haben in diesen Fragen nur ein paar Monate gebraucht, um das in der Vergangenheit so gern gepflegte Dogma zu tilgen, der Sozialstaat sei zur Abmilderung von Härten da, die der werktätigen Bevölkerung nun einmal dann widerfahren, wenn sie bei der Arbeit alt und krank geworden ist oder die Hersteller von Arbeitsplätzen ihre Leistungen im Betrieb für überflüssig erklären. Wo sich der Staat für höhere Aufgaben rüstet und hierfür seinem Volkskörper gesteigerte Leistungen abverlangt, da entdeckt er auch die vielen Nutzlosen und streut den bekannten Gedanken unters Volk, daß, wer nicht arbeitet, auch nicht essen soll.
Wo die außenpolitischen Ambitionen der BRD, die "Verpflichtungen" in der NATO und die "Notwendigkeiten" der Verteidigung schon steigenden Tribut fordern, ein deutscher Bundeskanzler also weiß, was zuallererst erledigt sein will, da findet er in seinem
Haushalt
reihenweise überflüssige Posten und in seiner "Staatsverschuldung" lauter gute Gründe, für seine Mehrausgaben am Bürger ein Sparprogramm nach dem anderen zu exekutieren. Jeder hat für den Staatshaushalt dazusein, für den umgekehrt alle bisherigen sogenannten "sozialen Hilfen" zu teuer geworden sind. Sogar bei der Förderung der Konjunktur wird gespart, so daß mancher Unternehmer auf liebgewonnene "Subventionen", "Investitions- und Innovationshilfen" verzichten und gleichzeitig in der Gestalt von hohen Zinsen neuen Maßstäben der Profitlichkeit genügen muß, also mindestens so erfolgreich sein muß wie der Staat, der die hohen Zinsen festsetzt, um Geldkapital ins Land zu ziehen für seine militärpolitischen Programme. Kein Wunder, daß mancher Kapitalist sich umstellen muß, wozu aber auch mannigfache Gelegenheit besteht, weil es neben siechen Branchen auch solche mit erstklassiger Konjunktur gibt; man denke nur an die Investitionsgüterindustrie oder die Rüstung, wo der Besteller und Abnehmer immer Hans Apel heißt, der zahlt, was es kostet. Trotz schwerer Zeiten gibt es bei den Kapitalisten also keine Arbeitslosigkeit.
Wenn die Bundesregierung ihre Leitlinie zur
Wirtschaftspolitik
verkündet, Konjunkturprogramme für "nicht hilfreich" und Subventionen als "schädlich für den Anpassungsprozeß" bezeichnet, dann will sie damit nicht ihre Gleichgültigkeit gegenüber ihren Unternehmern verkünden - abgelehnt wird nur das, was staatlicherseits Kosten verursachen könnte. Für den Erfolg des eigenen Kapitals macht man sich selbstveiständlich stark - mit einem gewichtigen Plädoyer für "maßvolle Lohnabschlüsse". In Frage kommt sogar ein "Beschäftigungsprogramm", das vor allem die SPD ihrem Ansehen und Heinz-Oskar Vetter meint schuldig zu sein, wobei sie andererseits aber so frei ist, von vornherein Skepsis zu verbreiten, ob dieses überhaupt "greift" - kein Wunder angesichts der Tatsache, daß hier Mieten freigegeben werden und Unternehmer eine Prämie für erfolgreiche Investitionen bekommen, was bekanntlich durch das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen zu bewerkstelligen ist. Klar war bei alledem, so der Bundeskanzler, daß für den Staat keine Kosten entstehen dürfen, so daß man sich in der Koalition über Alternativen der Schröpfung des Normalverbrauchers streiten mußte - lieber eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die nur den Endverbraucher trifft, oder eine Finanzierung aus dem allgemeinen Haushalt, wobei sinnigerweise "erneut" der Sozialhaushalt zur Verfügung stehen soll. Ein Beschäftigungsprogramm, bei dem alle den "beschäftigungspolitischen Effekt" für mehr als fraglich halten, worauf es anscheinend aber nicht ankommt, weil sich alles nur um die "Finanzierbarkeit" dreht, die nicht der Staat, sondern das Volk zu bewerkstelligen hat - man könnte dies für absurd halten, wenn dieses Ergebnis der Debatte nicht ihr einziger Zweck gewesen wäre: Die Nation hat ein neues Argument, warum der Bürger zahlen muß, sei es nun in seiner Eigenschaft als Verbraucher oder als Krankengeldberechtigter. Der Virtuosität der offiziellen und inoffiziel len Fachleute sind hier keine Grenzen gesetzt. Obwohl es um ein Beschäftigungsprogramm nicht geht, lassen sich mit diesem neue Abgaben begründen und durchsetzen. Obwohl die Staatsausgaben beträchtlich steigen - die beschlossene Aufrüstung will bezahlt sein -, gilt ab sofort das 'Argument' vom "begrenzten Haushalt" für jede Steuererhöhung und jede Streichung der früher so gelobten staatlichen "Leistungen", wofür die Betroffenen selbst das Geld gezahlt haben. Und wenn die SPD zum hundertsten Male verkündet, daß 2 Millionen Arbeitslose ein Skandal sind, daß man beim sozialen Netz in jedem Fall "die Substanz" erhalten werde, dann folgt daraus nur eins: neue Abgaben, für deren Bezahlung sich angeblich neue "soziale Gruppen", etwa die sogenannten "Besserverdienenden", schon werden finden lassen, während umgekehrt neue Haushaltslöcher angekündigt werden, die weitere Ausgabenkürzungen bei sozialdemokratischen Tabus leider unumgänglich machen. Hier wird die alte Steuerideologie, daß die Abgaben der unumgängliche Preis für die Leistungen des Staats sind, offiziell dementiert. Was zählt, ist einzig der Gesichtspunkt, wo noch was zu holen ist.
Die Themen, mit denen die
politischen Parteien
heutzutage die Konkurrenz um die Macht austragen, gestalten sich dementsprechend einfach. Die Frage, welche Partei zur Regierung fähig sei, soll sich am übergeordneten Gesichtspunkt der Außenpolitik und der davon abgeleiteten Fähigkeit, hierfür die Nation im Inneren auf Vordermann zu bringen, entscheiden. Die SPD will ihre - natürlich nicht untertänige - Bündnistreue zur westlichen Allianz und zu den USA als gewichtigen Pluspunkt verbucht haben; die CDU wirbt mit außerordentlich guten Beziehungen zum großen Bruder. Die Alternativen, die die Parteien ihrem Wahlvolk offerieren, bestehen in der Versicherung, daß die eigene Partei bei der Sicherung des Weltfriedens durch westliche Überlegenheit alles geben werde, daß man Härte gegen alle Gruppen an den Tag legen und rigoros sparen werde. Und die demokratische Berufung auf den Wählerwillen läßt diesen nur noch in einer Eigenschaft gelten: als Willen des totalen Staatsbürgers, der sich nur deutsche Gedanken um die Größe seiner Herrschaft macht. Die Diagnose "wachsender Ausländerfeindlichkeit", die die Politik selbst entfacht hat, wird heutzutage angeführt, um die Abschiebung arbeitsloser Ausländer zu begründen; der "Sparwille" des deutschen Volkes begründet neue Renten-"Anpassungen ", und die nach wie vor freundlichen Gefühle des Bürgers für westliche Lebensart verstärkte Aufrüstungsbemühungen. Was in den freien Medien heutzutage zur Sprache kommt, ist von nicht minder kollektiver Eintönigkeit.
Bei der
Kommentierung der Politik
gilt außer den Gesichtspunkten des Westens gar nichts mehr, was offene Worte über die Absichten des Westens einschließt und geradezu möglich macht. Die Frage nach der erfolgreichsten Methode einer Politik in Vorkriegszeiten, diese Frage wird tatsächlich gestellt, weil die Politiker sie schon beantwortet haben. Daß neueste Abrüstungsvorschläge aus den USA einzig der Schwächung des Gegners dienen, wird als geschickter Schachzug besprochen, der keine Zweifel an der Lauterkeit der eigenen Seite aufkommen läßt. Militärische Strategiediskussionen, auf denen ein General, ein Politiker (am besten noch Hauptmann der Reserve), ein Friedensforscher (am besten ein Ex-General) über die beste und friedlichste Abschreckung reden, sind an der Tagesordnung. Auch über so spannende Themen wie "Treue zum Staat" werden Diskussionsrunden angesetzt, deren meinungsfreier Charakter darin besteht, daß möglichst viele - aber nur einmal - drankommen dürfen und auf ihre jeweilige Art sagen, daß es ohne Treue und Gehorsam seinen Regierenden gegenüber einfach nicht geht. Wer von Treue zum und Opfer fürs Vaterland nichts hält, hat damit zu rechnen als dieser toleranten Diskussion unwürdig angesehen und bald kaltgestellt zu werden. Kritik ist sofort verdächtig, wo es doch darauf ankommt, soldatische und Staats-Tugenden für zeitgemäß zu halten. Ganz am Puls der Zeit wird erst einmal die Fernsehserie "Beim Bund" produziert, um neben der Sympathiewerbung für unsere Jungs in den nnodernen Panzern, Fregatten und Abfangjägern für die Selbstverständlichkeit Propaganda zu machen, an die man sich gefälligst gewöhnen soll: daß unsere Soldaten und Waffen nicht nur abzuschrecken vermögen, sondern auch..
Die Serie "Das Bündnis" ist angelaufen, um klarzustellen, daß die Werte der NATO sie dazu berechtigen, die ganze Welt zu beherrschen. Brandaktuell auch die Wiederholung der "Jahre unseres Lebens", damit Cornelia Froboess eine Hymne auf den deutschen Aufbau- und Opfermut in - damals schon "schweren Zeiten" singen darf. - Die öffentlichen Meinungsbildner pflegen einen Kollektivismus, der sich nur durch eins von dem verhaßten drüben unterscheidet: Hier soll der politische Wille sich bedingungslos für diesen demokratischen Staat starkmachen.
Die Hochachtung der politischen Kommentatoren und sonstigen Fernsehfritzen, egal welches Ressort sie moderieren, vor ihren Herrschaften in Bonn ist allumfassend. Und das Volk kriegt gesagt, wann und wofür es allein die Fresse aufmachen darf. Doch nicht gegen den NATO-Doppelbeschluß, doch nicht gegen die Startbahn-West, doch nicht gegen Rekrutenvereidigungen, doch nicht gegen Lohnsenkungen, doch nicht gegen die eigene Regierung... für Reagan aber schon!