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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1982 erschienen.

Heinrich Böll / Freimut Duve / Klaus Staeck (Hrsg.),
Verantwortlich für Polen


NEUE BRIEFE ZUR VERTEIDIGUNG DER REPUBLIK

"Verantwortlich für Polen" erklären sich 29 Repräsentanten dieses unseres Volkes: Literaten mit notorischer Verantwortung, Böll, Drewitz, Grass, Jens, Rühmkorf; solche mit einem höchstpersönlichen Ostblockschicksal, Biermann, Jürgen Fuchs, Jurek Becker; SPD- und überhaupt, fortschrittliche Theologen, Albertz, Greinacher, Sölle; Journalisten mit Spezialgebiet Osten, Entspannung und Polen, Peter Bender, Hendrik Bussiek, die Dönhoff und Fritz J. Raddatz; der SPD-Flügel, der Grundwerte, Kritik und Geist pflegt, Duve, Engelmann, Eppler, Lattmann, von Oertzen, Klaus Staeck, Carola Stern und Fritz Sänger - sowie ein Marxismusexperte, Fetscher natürlich, ein Ostpolitiker, Gaus, der DGB-Vorsitzende, ein ausländischer Polit-Wissenschaftler, Spezialgebiet: deutsche Tugend und Untugend, Grosser, und ein Historiker der nationalen Frage, Heinrich August Winkler. Was will man mehr!

"Wir mußten die Autoren unter fast unwürdigen Zeitdruck setzen.",

entschuldigen sich die Herausgeber, aber es ist den Genannten gelungen, auf 2 bis maximal 16 Seiten pro Kopf ihre Verantwortung für Polen zu dokumentieren, z.T. in Gedichtform, vorwiegend in Prosa, des öfteren mit bereits mehrfach benutzten Statements. Aber wie gesagt, der "unwürdige Zeitdruck". Die Honorare gehen übrigens nach Polen bzw. auf das diesbezügliche Konto des DGB.

Das Anliegen

Die Herausgeber, als solche gemeinsam tätig seit ihren "Briefen zur Verteidigung der Republik", informieren irrtümliche Käufer gleich vorweg:

"Dies ist kein Buch über Polen. Es ist der Versuch, eine Diskussion zu spiegeln - und weiterzuführen -, die nach dem 13. Dezember 1981 in der Bundesnepublik Deutschland stattgefunden hat."

Wieso auch ein Buch über Polen, wo sich doch sämtliche Autoren so einig mit Walesa erklären, daß es vor lauter idealistischer Kumpanei über die politischen Gründe und den Anlaß der allseitigen Betroffenheit nichts zu sagen gibt. Die "Solidarität" ist sakrosankt, was stellvertretend für die Gesamtheit Jürgen Fuchs erklärt, indem er sich über den einzigen häßlichen Ton in der deutschen Öffentlichkeit zu Polen hermacht und einen "westdeutschen Zeitschriftenverleger und Kolumnisten" - es muß sich um Gremliza von 'konkret' handeln - mit Haßtiraden, DDR- und Faschismusvergleichen in Grund und Boden stampft. Desgleichen ist eine weitergehende Auseinandersetzung mit den sozialistischen Staaten überflüssig. In der selbstverständlichen Verwendung von "real existierendem" Sozialismus als Schimpfwort sind sich alle einig, und nur Fetscher meint, ein bißchen ausholen und über die "Nomenklatur-Klasse" und deren "Unreformierbarkeit" schwatzen zu müssen. Aber das ist ja auch sein Beruf. Die überwiegende Mehrheit hält sich thematisch ganz im Rahmen des Vorworts:

"Eine politische Diskussion über unsere Reaktionen auf Polen, unseren ohnmächtigen Zorn über verhängtes Kriegsrecht und unseren gegenseitigen Groll über unterschiedliche Standpunkte. Worte bringen keinen aus dem Gefängnis, aber das Echo von Solidaritäts-Worten an Gefängnismauern kann den gezwungenen Aufenthalt erleichtern."

Worte

"Seitdem ich von dem erfahren habe, was in Polen vor sich geht, bin ich einer partiellen Lähmung erlegen. Und es hat mir die Sprache verschlagen ich kann das nicht anders ausdrücken. Die Lähmung ist noch nicht ganz gewichen und auch die Sprache ist noch nicht wieder da."

Was Böll nicht daran hindert, eine ganze Pressekonferenz zu bestreiten. Aber er steht da nicht allein, alle tun sich sehr hart mit ihren Worten. Die Literaten vorneweg. Peter Härtling -

"Sie baten mich, einen Beitrag zu schicken. Ich kann es nicht. Mir ist augenblicklich eher danach zu schreien, als zu schreiben." -

schreibt einen Brief. Biermann hat "versucht, in Prosa zu schreiben, aber es gelingt mir nicht", schreibt bloß eine Seite und dichtet dann wieder über Schnee und Blut. Ingeborg Drewitz verbeißt sich das Dichten:

"Nein, Poesie ist nicht (noch nicht) gefragt."

Nicht daß ihnen nichts einfiele, tut es dann ja auch in der Regel, aber es kommt ihnen nur ganz mühsam von den Lippen. Albertz:

"Zuerst einmal habe ich nicht völlig geschwiegen, aber richtig ist, daß keiner von denen, die in Bonn" (er meint den 10. Oktober) "etwas geredet haben, außer einem, nämlich Heinrich Böll, sich in diesem Stadium öffentlich geäußert haben. Ich breite hier öffentlich meine Unsicherheit aus..."

Die Sache scheint so schwierig zu sein, weil man einerseits etwas sagen muß -

"Zur Vergewaltigung von Menschenrechten, ganz gleich wo auf der Welt, sollte niemand schweigen..." (H.O. Vetter) -,

aber dann auch wieder alles falsch ist:

"Erbärmlich wortlos oder wortlos heuchelnd stehen wir alle da." (Grass)

Albertz hat "Gründe" für sein "Schweigen":

"Erstens, daß ich nicht mich plötzlich im Chor wiederfinde mit Leuten, die die polnischen Konflikte noch weiter anheizen wollen.",

beruft sich auf den Papst, der auch nichts sagt:

"Ich muß hier einfügen, daß die Leute, die wahrscheinlich von draußen am besten über die Lage Bescheid wissen, sich am stärksten zurückhalten: die römisch-katholische Kirche."

Das Problem ist also, daß so viele Falsche was sagen.

"In den Vereinigten Staaten scheint das Bedürfnis besonders stark zu sein, sich durch demonstrative Gesten selbst zu bestätigen." (Winkler)

"Da beteuern die Feinde und Verächter der heimischen Gewerkschaften lauthals ihre Solidarität..." (Grass)

"Wenn Ronald Reagan lauthals, dessen Mannschaft und das amerikanische Big Business...",

da läßt sich ein notorischer Sager nicht aufs Sagen vergattern. Jetzt gerade extra nicht. Walter Jens:

"Ihnen kommt es allein auf das erbrachte Empörungs- und Verurteilungs- und Forderungs-Quantum an. Wer der allgemeinen Hysterie nicht mit verfällt, ja, wer sich nur schämt, das Selbstverständliche expressis verbis zu formulieren - 'Abscheu aller Demokraten' etc. etc. -, der erklärt sich selber zum outcast."

Tapferer Walter Jens, er würde sich dafür kreuzigen lassen:

"...und kein markiges Wort, das nur deshalb nach Warschau geht, um, zackig wie es klingt, in Bonn oder München Eindruck zu machen. Soll erfüllt, Kameraden. Nein, so nicht."

So also nicht, schließlich lassen die Falschen bei ihrem Sagen auch noch jeden Stil vermissen -

"Die Fernseh-Show zum Thema Polen... eine peinliche Enthüllung amerikanischer Denkweise." (Fritz Sänger)

"...eine Schmierenpolonaise 'Laßt Polen Polen sein' (Ay, let it be, Mr. Reagan!)... Genauso kitschig militant wird auch bei uns argumentiert..." (Rühmkorf) -,

so daß dem Dichter das Dichten verleidet wird.

"Wo die Dinge freilich so lyrisch in Gang geraten," (die NATO ein Sonett? Polen-Sanktionen als Ballade?) "stehe ich immer ein bißchen grau und unbeteiligt an der Seite."

Er reklamiert zwar nebenbei noch schnell den polnischen Aufstand fur die Poesie:

in Polen "schien die schöne Literatur direkt in die werktätigen (oder streikenden) Massen hineinzuwirken",

aber von unbefugter Seite mag er solche Grenzüberschreitungen gar nicht.

"Diese immer etwas unbedachte Melange von Poesie (für die ich mich zuständig fühle) und Politik (auf die ich eher kühl herunterblicke), die mich, sei es in Rage, sei es in Reserve bringt."

In diesen Kreisen mit ihren Problemen, die sie mit ihrem Sagen haben und in die der Leser ausführlichst Einblick nehmen darf, ist das Sagen etwas Besonderes, mindestens ein Auftrag:

"Unsere, der Intellektuellen, Sache, ja Lebensprinzip, war es immer und hat es zu bleiben, sich einzumischen.",

ein Auftrag, der umso schwerer wiegt, als er stellvertretend für das gemeine Volk wahrgenommen werden muß, weil das sich nicht genügend darüber schämt, daß es nichts sagt.

"'Bitte frischen Hummer rechtzeitig zu den Feiertagen bestellen' - dieses Schild in einer Hamburger Ladenpassage kam mir obszöner vor als jeder Pornofilm. Wer oder was hat uns die Fähigkeit zur Scham abgekauft?... Ich stelle mir vor, die Hamburger hätten, als die Panzer in Polen zu rollen begannen, eine Stunde sich verweigert, nur eine Stunde... keine Cafes mit Musik und Schlagsahne..." (Raddatz)

"Vielleicht gehört jene Meldung eines Lebensmittelkonzerns, die Versorgung des Markts mit polnischen Weihnachtsgänsen sei gesichert, zu den wenigen ehrlichen Zeugnissen deutscher Anteilnahme... Unbedenklich spricht diese Meldung aus, wie schlimm es um Polen bestellt ist, wie erbärmlich um uns..." (Grass)

Diese Kreise haben eine hohe Meinung von ihrem Auftrag. Da kommt das Volk, diese Ansammlung von Nicht-Sagem zu der Ehre, auf die Gründe für sein Nicht-Sagen untersucht zu werden:

"Woher kam die Zurückhaltung, mit der viele Bürger auf die Ereignisse in Polen reagierten?" (Fetscher)

Etwa falsche Theorien über Jaruzelski geglaubt?

"Man ging davon aus, daß ein polnischer Patriot..."

Oder ein Schuld komplex:

"Wir haben eben lange, Etkind, Stroynowski und ich, darüber gesprochen, warum die Deutschen - ich muß das so nennen - merkwürdig zurückhaltend sind... Ich glaube, daß wir immer noch unter einem Schuldkomplex leiden Polen gegenüber..."

Da hat man noch nie im Leben einem Polen die Hand geschüttelt, von Unterhaltung ganz zu schweigen, allenfalls mal eine Ente aus diesem Land verspeist oder Marek und Vacek im Fernsehen vermieden - es hilft alles nichts, man ist den Brüdern auf Tod und Teufel verpflichtet. Peter Bender verordnet

"das Bewußtsein einer Verantwortung gegenüber den Europäern im Osten, die unter deutschem Terror mehr hatten leiden müssen als die Europäer im Westen..."

Von Erhard Eppler muß man sich die Unsitte eines "rechten Polenbildes" vorhalten lassen:

"Nun steht den Deutschen nach allem, was sie den Polen angetan haben, das linke Polenbild besser an als das rechte.",

und von Alfred Grosser auch noch falsche Sprechweisen:

"Von Polen nur 'realpolitisch' zu sprechen, ziemt sich nirgends den Intellektuellen, wenn sie nicht überhaupt das Recht zum moralischen Protest verwirken wollen. In der Bundesrepublik ziemt es sich auch nicht den Verantwortungsbeladenen."

Daß das Recht des "moralischen Protests" bei seinen Inhabern einen Hang zum Größenwahnsinn erzeugt, ist wohl berufsbedingt. Die selbstkritische Variante:

"Wut und Protest sind am Platz, nur: sie sind auf Dauer sprichwörtlich ohnmächtig." (Bussiek)

Stimmt, die Bundeswehr oder das Auswärtige Amt befehligen sie nicht, die Schriftführer des deutschen Geistes. Aber, die hoffnungsvolle Variante, ihr Lied kann eine Brücke sein:

"Was nützt unser Protest? Zunächst einmal ist er ein legitimer Ausdruck unserer Solidarität mit Menschen, die ähnlich wie wir für eine demokratische und sozialistische Gesellschaft gekämpft haben." (Iring auf den Barrikaden?) "Sodann zeigt er jenen, die jetzt verfolgt werden, daß sie nicht alleine stehen... Endlich macht er den Angehörigen der Nomenklatur-Klasse klar, daß ihre verbalen Scheinmanöver durchschaut werden."

Und dem bohrenden Blick von Fetscher und Konsorten ausgesetzt, bricht Jaruzelski zusammen:

"Auf die Dauer hält ein solches System nicht stand. Es braucht wenigstens eine Illusion von Legitimation."

Peter Härtling dichterisch:

"Diese Kohorten der Staatsmächte, diese uniformierten Gehilfen der Sprachlosigkeit... Umso nötiger sind jene, die die Stirn haben, der wortlosen Macht die Stirn zu bieten und nicht aufhören zu reden..."

Na dann mal los. Wäre bloß die Sache nicht wiederum so ungemein gefährlich.

"Die Lage in Polen ist ungemein gefährlich. Alles ist möglich. Darum ist Behutsamkeit vonnöten, lautstarke Aufgeregtheit von Übel." (Dönhoff)

Hätte Walter Jens zur Unzeit geredet, was hätte er in Polen damit alles angerichtet!

"Anders werde ich also dort sprechen, wo, wenn überhaupt, die dramatische Verurteilung hilft (im Hinblick auf El Salvador zum Beispiel), anders dort, wo, wie in der Türkei, zumindest ein Hoffnungsfunken bleibt, anders dort schließlich, wo, wie in Polen, die Lage auf des Messers Schneide steht."

Die Kraft des Wortes ist überhaupt gar nicht zu überschätzen:

"Was wir denken und träumen, bleibt ja wirklich gar nicht für sich. Was zuerst als Stimmung um sich greift, das kann leicht zum politischen Klima werden..." (Rühmkorf)

Und eben deshalb heißt es, vorsiehtig damit umzugehen,

"vor allem können und müssen wir ehrlich mit dem Begriff Solidarität umgehen." (Lattmann)

Z.B. so verantwortlich und leise wie unser DGB.

"Hätten unsere Kollegen von der Solidarnosc mehr geräuschvolle Demonstrationen von uns gewollt, dann wären wir auch dazu bereit gewesen. Stille mit Desinteresse und Inaktivität gleichzusetzen, ist wohl so falsch, wie geräuschvolle Schaftlhuberei mit wirksamer Hilfe zu verwechseln." (Vetter)

Und so sind sie sich zuguterletzt alle fürchterlich einig. Die, die das Wort aus Scham über die Wortlosigkeit ergreifen müssen -

"Hängen wir den moralischen Protest, die Freiheitsmütze, zu rasch an den Nagel der Notwendigkeit?" (Wenn einer schon vorne Freimut und hinten Duve heißt...) -,

die, die die Gefahr des Wortes kennen -

"Alle reden von Polen - wir müssen aufpassen, daß wir unsere Solidarität mit den Polen nicht zerreden lassen." (Staeck),

(Keine Angst: -"Polen ist nicht aus Europa wegzudiskutieren", Fritz Sänger!) -

und der DGB. Der sieht sich von der genüßlichen wechselseitigen Gewissensprüfung auch noch dazu veranlaßt, wieder einmal den sozialen Frieden zu retten:

"Ich halte es schlicht für falsch, wenn wir versuchen, uns gegenseitig zu bescheinigen, was für miese Typen wir sind. Erstens stimmt das nicht. Und zweitens: Wem hilft das?"

Den Polen, Heinz Oskar, den Polen!

Worte zur Verteidigung der Republik

Leute, die in der Mehrzahl das ganze Jahr über sowieso nichts anderes tun, als die deutsche Politik in viele gute Absichten und zahlreiche Schwierigkeiten zu übersetzen, aus demselben idealen Stoff erbauliche Geschichten erfinden oder wissenschaftlich-moralische Betrachtungen anstellen, machen aus ihrem Beruf auf einmal eine extra wichtige Sonderveranstaltung. Schleudern in der Pose 'Hier stehe ich, ich kann nicht anders' ihre Worte als Protest in die Zeitungswelt, kokettieren auf die abgeschmackteste Weise mit der Notwendigkeit und Gefährlichkeit dieses Unterfangens, führen sich als verbale Freiheitskämpfer und Revolutionäre auf oder zeigen ihre großen schönen Seelen vor sowie deren Schreibkrämpfe, Schnee-, Blut- und Stacheldrahtmetaphorik. Und das alles bloß wegen Polen? Gewiß nicht, es ist die jetzt fällige Neuauflage der "Briefe zur Verteidigung der Republik".

"Was für ein erbärmlicher Maßstab: Seit Wochen wird die Moral der Nationen und das Mitgefühl, das ihre Bürger für die Polen empfinden, an der jeweiligen Lautstärke der verbalen Proteste gemessen..." (Dönhoff)

"Die Polenkrise hat einen deutschen Wechselbalg geboren: die heuchlerisch geführte Diskussion um die deutsche Protestmoral gegen Kriegsrecht und Sowjetdrohung... Sind ausgerechnet wir Deutschen zu Zynikern geworden, die das Leid der Polen nicht bewegt? Die französischen Beschimpfungen sind ungerecht und treffen uns doch ins Selbstbewußtsein." (Duve)

"Die Bundesdeutschen reiben sich die Augen, wenn sie in die Weltpresse blicken... Wenige Deutsche können sich in diesem Zerrspiegel wiedererkennen..." (Winkler)

Und da steht nun die bundesdeutsche Intelligenz, Gewehr bei Fuß, rettet den guten Ruf der Nation und liefert haargenau das "Empörungs- und Verurteilungs- und Forderungsquantum" ab, an dem Walter Jens so scharfsinnig die Heuchelei entdeckt, weil und solange es auf ausländische Bestellung hin geliefert werden soll. Bestellt ist er nämlich für anderes: für die zusätzliche Artikulation von Gewissensskrupeln, wie wichtig, aber auch schwierig und gefährlich der Protest ist, um zu demonstrieren, daß die Deutschen nicht häßlich sind, daß ihre sogenannte "Zurückhaltung" gegenüber Polen keine niederen Motive hat, vielmehr eine ganz besondere Moral beweist, die uns so leicht keine Nation nachmacht.

Die Deutschen sind nicht häßlich!

Wenn nämlich jemand auf der Welt für Polen zuständig ist, dann wir; weil erstens haben wir mit ihnen gemeinsam ein "deutsch-polnisches Schicksal" veranstaltet, das uns zu allem Möglichen verpflichtet. In den Details herrscht Freiheit. Zweitens haben wir selber genügend Pfaffen, Dichter und sonstige professionelle Sykophanten, die uns das Urteil, was gut und was böse ist in der Welt, mit eigenen Worten sagen können dürfen.

Dementsprechend servil fällt die Absetzung vom westlichen Ausland dann auch aus.

Warum Walter Jens, Heinrich Albertz, Bernt Engelmann etc. nicht im Chor mit Ronald Reagan protestieren können:

- Weil Reagan sich von Gefühlen hinreißen läßt, wo doch politische Vernunft gefragt ist, "Verantwortungsethik":

"Im Fall Polens hat Präsident Reagan mit voller Lautstärke reagiert... Er sagt, er habe sehr an sich halten müssen, um die Polen nicht zum Widerstand aufzurufen - ein Ausspruch, der viel menschliche Anteilnahme und wenig politisches Gespür zum Ausdruck bringt..." (Dönhoff).

  • Weil die Vereinigten Staaten egozentrisch protestieren: "zur moralischen Erbau ung Amerikas" (Winkler).
  • Weil sie immer, 17. Juni 1953, Ungarn 1956, Berlin 1961, CSSR 1968, bloß Sprüche machen:

"Doch es blieb bei der Demonstration der Teilnahme. Kein amerikanischer, britischer oder französischer Panzer fuhr die wenigen Meter über die Grenze, um den Stacheldrahtverhau niederzumachen." (Bender).

  • Weil man ihnen ihre Sprüche nicht glauben kann; Biermann kann Reagan nicht einmal das Adjektiv "rechts " mehr abnehmen: "dieses rechts- und linksgetünchte Pack wie Reagan und Breschnew...".
  • Weil sie rundum nicht glaubwürdig sind:

"Reagan, der Herr über die Fischgründe, der die Duvalier-Sklaven nach Haiti zurückschicken will, die sich in sein Reich der Freiheit geflüchtet haben, pfeift uns die falschen Töne der Freiheitsmelodie um die Ohren: Marschmusik im Machtpoker der Supermächte." (Duve)

So kärglich fallen die kritischen Leistungen aus, zu denen der deutsche Geist die Intellektuellen befähigt. Gehorsamst im Rahmen ihrer Bündnistreue befinden sie, daß der amerikanische Präsident entweder des Guten zuviel tut vor lauter Gefühlsüberschwang oder für die gemeinsamen Werte ein wenig tatkräftiger Vertreter bzw. ein schlechter Bürge ist, und eröffnen eine trostlose, vorab entschiedene deutsch-amerikanische Konkurrenz darum, wer am glaubwürdigsten für die Freiheit in Polen eintreten darf.

Auf dem rechten Auge blind, auf dem linken wie ein Geier? Wir nicht!

"Vor allem steht uns die moralische Entrüstung über die gewaltsame Einschränkung von Grundfreiheiten solange schlecht zu Gesicht, wie der Westen unter Führung seiner US-amerikanischen Vormacht mörderische Militärdiktaturen billigt... Nach wie vor trauern und trommeln wir wenn in Bolivien Gangster Demokraten töten und foltern..." (Duve)

Die methodischen Gründe, warum der Dreck am Stecken der USA besichtigt werden muß, erläutert der Nord-Süd-Theologe Greinacher, der so auch sein Thema auf halbwegs passende Weise im Polen-Protest plazieren kann:

"Wir kommen auch in unseren Alltagserfahrungen und in unserem Alltagswissen, auch und gerade in unserem sittlichen Urteil und in der Reflexion darüber, in der Ethik nicht ohne den Vergleich aus...

Eine Arbeitsteilung nach dem Muster: Die Linken protestieren gegen die Unterdrückung in El Salvador und die Rechten gegen die Unterdrückung in Polen, macht beide Seiten unglaubwürdig."

Und Heinrich Böll faßt auf seine dumm-ehrliche Weise den höheren Sinn dieser Saubermanns-Methodologie zusammen:

"Ob die Vereinigten Staaten in ihrem Machtbereich eine vergleichbare Wende zulassen würden, ist für die Polen uninteressant, aber interessieren müßte sie die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten, die in Mittel- und Lateinamerika auf dem Spiel steht... Es könnte den Polen helfen, weil die Glaubwürdigkeit ihrer Freunde deren Hilfe und Unterstützung glaubwürdiger macht."

In seiner erlesenen Sorge um ein Optimum an Glaubwürdigkeit, mit dem man dann unbeschwert für die Befreiung Polens eintreten kann, ist der alte Böll überhaupt nicht mehr zu bremsen. Da will er sich dann auch noch den Ehrlichkeitsbonus mit seinen Geständnissen über fehlenden Freiheitsmut verdienen:

"Wer demonstriert in Port au Prince? Ich bin zu feige dazu, aber vielleicht könnten ein paar amerikanische Abgeordnete es riskieren. Ich bin auch zu feige, mir ein Transparent unters Hemd zu stecken, nach Prag zu fahren, dort das Transparent zu entrollen: Freiheit für Vadav Havel! Mut hat sehr viel mit Nerven zu tun, und ich habe weder den Mut noch die Nerven."

Das ist eine nützliche Arbeitsteilung; ganz anders als der Vergleichstheologe Greinacher meint: Die Intellektuellen sorgen für eine einwandfreie Glaubwürdigkeit und die Politiker erledigen die Sache der Freiheit mit ihren Methoden.

"Protest zwischen Moral und Politik" (Fetscher)

Entgegen den zahlreichen Klagen befinden sich nämlich Moral und Politik in bestem Einvernehmen. Lauter herzzerreißende Widersprüche und erbauliche Dilemmata haben sie zusammengekarrt, die Verteidiger der Republik: "Die Moral der Entspannungspolitik" (Duve); "Die Bundesrepublik, die Ethik und die Selbstbeschränkung" (Grosser); "Entspannung mit Moral" (Vetter); "Gesinnungsethik und Verantwortungsethik - wo die Moral ihre Grenzen hat" (Dönhoff). ...

Es sich damit garantiert nicht einfach machen; alle Welt daran teilnehmen lassen, wie wohnlich es sich mit einem so zerquälten Gewissen leben läßt -

"Das regt mich eben am meisten auf, damit will ich gar nicht von mir ablenken..." (Albertz) -,

das ist die hohe Kunst der Glaubwürdigkeit - im Dienste der Nation. Denn es geht um

die Moral der Entspannungspolitik,

wegen der die Republik sich nun Beschimpfungen gefallen lassen muß.

"Wir sind wieder wer - aufgrund der Entspannungspolitik. Und das haben wir jetzt davon: Wir werden mehr, als uns lieb ist, in die weltpolitischen Konflikte einbezogen," (Bussiek)

Aber die Entspannungspolitik war gut, nicht zuletzt wegen der beteiligten Intellektuellen:

"Die Ostpolitik Willy Brandts war ein großer befreiender Schritt, bei dem die Intellektuellen dieses Landes von Günter Grass bis Karl Steinbuch mitgewirkt haben... keine Leistung der Beamten allein, oder der Handelskammern... Tutzinger Reden und Dönhoffsche Polenreisen.,. Nicht Berthold Beitz, ... sondern Heinrich Böll, Siegfried Lenz..."

Die Ostpolitik der BRD war das einzig Mögliche:

"Die Ostpolitiker Bonns reagierten aus erlittener und erworbener Erfahrung. Sie hatten gelernt, weil sie es lernen mußten, daß es nichts nützt, mit Protesten gegen die Macht einer Großmacht anzurennen. Die Vergeblichkeit der leeren Gesten, die Hohlheit der großen Worte und besonders die Schnelligkeit, mit der all das dann wieder vergessen wird und die lautesten Protestierer als erste wieder am Verhandlungstisch sitzen..." (Bender)

- die amerikanische Ostpolitik: ein einziges Appeasement. Die BRD dagegen sorgte für wirkliche Hilfe:

"Verhandeln und Verträge schließen bilden die einzige Möglichkeit, den 'Eisernen Vorhang' zu zerfasern und den abgeschnittenen Nationen im Osten Verbindungen mit dem Westen sowie einige Erleichterungen zu verschaffen..." (Bender)

Und eben deshalb geriet sie in ein schreckliches Dilemma:

"Ein Widerspruch dieser Politik, der sozusagen entspannungsimmanent angelegt ist. Voraussetzung einer europäischen Zusammenarbeit ist die Anerkennung des status quo, damit zwangsläufig die Konsolidierung der Herrschaftsverhältnisse auf beiden Seiten." (Bussiek)

So schlimm kann es mit der Konsolidierung auf der einen Seite, die gemeint ist, zwar nicht gewesen sein, denn darin, daß auch der Westen beim Aufschwung der "Solidarität" Pate gestanden hat, sind sich alle einig - geistige Patenschaft, natürlich; die Frage, warum es in Polen kein Fleisch gibt, ist diesen Moralaposteln zu ordinär.

Aber das "wahre Dilemma der Entspannungspolitik" rührt aus einem viel unbescheideneren Maßstab, der mit den bisherigen Erfolgen hinter dem Eisernen Vorhang nicht zufrieden sein kann:

"Entspannungspolitik kann die Veränderung des anderen Blocks zwar praktisch bewirken..., sie darf sie aber nicht offenkundig wollen oder gar öffentlich proklamieren." (Was von Oertzen alles gar nicht heimlich proklamiert.) "Ich kann - so scheint es nicht gleichzeitig verhandeln..., unvermeidlicherweise damit erst einmal den status quo der Herrschaftssysteme sichern - und durch die Entfesselung von sozialrevolutionären Bewegungen... eben diesen status quo in Frage stellen."

Carola Stern entdeckt ein noch viel vertrackteres Dilemma bei der Frage, wie die Entspannungspolitik die Revolution im Ostblock fördert:

"Dieser dialektische Zusammenhang von außenpolitischer Entspannung, innenpolitischer Stabilität und positivem Wandel enthielt auch schon vor dem polnischen September und Dezember eine außerordentlich komplizierte Problematik."

Denn wie sollen die Ostregierungen unterscheiden können zwischen ihren Entspannungsfreunden, die von ihnen bloß "die Modifizierung kommunistischer Herrschaftsmethoden" verlangen, und denen, die daraus perfiderweise eine "politische Waffe" gemacht haben und "das politische System Osteuropas ganz beseitigen wollen"? Kompliziert!

Ob es nun gerade die Moral war, die die Ostpolitik in das Dilemma gebracht hat, den Ostblock, den man eliminieren will, dazu immer erst anerkennen zu müssen, ob umgekehrt die Ostpolitik notwendig unmoralisch sein muß, ob die Ost-West-Grenze nun wirklich die persönliche Schuld von Heinrich Albertz ist, der der "taz" auf die Jalta-Frage sein mea culpa beichtet:

"Ja, die Aufteilung der Welt, Europas, nehmen wir seit spätestens 1947 in Kauf. Das haben wir in der DDR in Kauf genommen, wir haben es in der CSSR und in Ungarn in Kauf genommen..."

- alle unterhalten sich jedenfalls gemütlich darüber, daß eigentlich die Übernahme der osteuropäischen Völker unter unser freiheitliches Kommando ansteht und ein Gebot der lautersten Moral ist, die von der deutschen Ostpolitik immer schon mit bestem Wissen und Gewissen probiert wurde.

Die saubere deutsche Beendigung der Entspannung

Die Ehrenrettung der Ostpolitik erledigt, zehnmal den Kniefall in Polen der undankbaren Welt in Erinnerung gebracht, wissen sie ja auch alle, was eine zeitgemäße Legitimation der BRD verlangt. Sie haben längst ihre Maßstäbe entsprechend radikalisiert, leiden entweder maßlos darunter, daß die deutsche Politik den Kommunismus noch nicht erledigt hat -

"Aber die deutschen Gartenzwerge in Ost und West machen in Weltpolitik und Entspannung, alle Worte, alle Begriffe stehen blutig auf dem Kopf" (von Biermann) -,

oder retten die Entspannung, indem sie dem Osten einen ganz privaten deutsch-russischen Polen-Handel vorschlagen. Eppler:

"Wenn wir dies respektieren", daß Polen Mitglied des Warschauer Pakts ist, "dann muß sich die Sowjetunion mit allem abfinden, was diese drei Grundbedingungen unberührt läßt. Sie muß es schlucken, daß die Katholische Kirche mehr Vertrauen genießt als die Vereinigte Arbeiterpartei. Sie muß es ertragen, daß in Polen freie Gewerkschaften arbeiten. Sie muß damit leben, daß die Polen in Presse, Rundfunk und Parlament frei diskutieren. Sie muß zur Kenntnis nehmen, daß Polens Wirtschaft mehr Selbstverwaltung und wohl auch mehr Markt braucht."

Die Russen brauchen sich um nichts mehr zu kümmern, Erhard Eppler steht ihnen dafür gerade, daß das Polen dann immer noch ein "Teil des östlichen Paktsystems" ist und bleibt. Wer aber in der Ostpolitik lieber mit einem Dilemma weiterleben will, wird auch bedient:

"Angesichts der Aufrichtigkeit und Konsequenz einer solchen Haltung" - von Oertzen schleimt sich an Bahro und sein "Wiedervereinigtes blockfreies nichtkapitalistisches Europa" an - "fällt es dem professionellen Politiker nicht leicht, auf der Differenz zwischen der großen Vision und der schäbigen Realität des politischen Alltags zu beharren."

Duve, als erfahrener SPD-Methodiker assistiert und verteilt die Aufgabenbereiche:

"Die Regierung ist für den status quo unter atomaren Risikobedingungen zuständig, wir sind zuständig nicht nur für die Friedenshoffnung, sondern auch für die Freiheitsutopie."

So vergnüglich läßt es sich zwischen "Moral" und "Realpolitik" leben, schließlich ist dieser sogenannte Widerspruch ja extra dafür erfunden worden.

Während die sogenannte "schäbige Realität des politischen Alltags" die Sache der Freiheit vorantreibt, die Freiheit des Privateigentums und die der sie verwaltenden imperialistischen Staatsgewalten, messen die Apologeten die Politik an der idealisierten Fassung ihres Zwecks: immer noch keine Menschenrechte im Ostblock, keine endgültige Befreiung der Völker, immer noch wird Breschnew die Hand geschüttelt, und Böll kann sich nicht trauen, Transparente auf dem Roten Platz auszuwickeln. So hat die Freiheit als "Utopie" und "Vision" die Lauterkeit des kompromißlosen Maßstabs auf ihrer Seite, während die Realpolitik ihre wirklichen Waffen als lästige Fesseln deklariert, als endloses Scheitern etc. dasteht, umgekehrt aber auf ihre Vernunft gegenüber dem "visionären" Gefühlsüberschwang pochen kann. Als Streit macht sich das öde Thema: Freiheit - Ideal und Wirklichkeit, Gefühl und Vernunft, am besten:

"Wir Herausgeber waren uns nicht ganz einig. Freimut Duve sah zuviel Außenamts-Vernunft in den Analysen vieler Schriftsteller. Klaus Staeck zuviel gefühlsmäßige Unvernunft im Solidaritätsschrei der spontanen Empörung."

Und so prächtig, wie sich die Herausgeber mit ihrem Schmarren vertragen, so prächtig vertragen sich ihre ideellen Konflikte mit der Weltlage.

"Das Kriegsrecht in Polen hat Friedens- und Freiheitsgespräche in Deutschland ausgelöst, die wir vielleicht früher hätten führen sollen... Diese Diskussion ist für uns wichtig..." (Vorwort)

Es ist schließlich noch nicht so lange her, daß das Wort "die Freiheit am Mekong verteidigen" in Deutschland auch Widerspruch gefunden hat. Wenn es jetzt diese "Utopie" an Elbe und Weichsel verteidigen heißt, sind ein paar solcher "Diskussionen" wohl angebracht - auf deutsch natürlich. Denn so, wie die 29 die Reputation der BRD und ihrer Ostpolitik gerettet haben, mit dem einhelligen Befund, daß die Beseitigung des Kommunismus schon rauskommen müßte, bleibt ein letzter kleiner Widerspruch zum moralisch-nationalen Wälzen übrig: Ohne Krieg wird das schwer zu machen sein, und den wollen wir doch alle nicht, schon wegen der Kultur:

"Es ist doch offensichtlich, daß niemand heute... innerhalb der Blocksysteme Ost und West kurzfristig eine grundlegende Machtveränderung herbeiführen kann, ohne dadurch den Dritten Weltkrieg und das Ende der europäischen Kultur wie ihrer Menschen insgesamt zu riskieren." (Lattmann)

"Erzwingt die Friedenspflicht der Bombe Verständnis für das Kriegsrecht" (Duve)

"Die qualitative Gefährlichkeit eines Erdrutsches durch mehr Freiheit - ja, so makaber ist die Situation, ist eben in Zentraleuropa wesentlich größer als irgendwo anders." (Albertz)

Aber auch das läßt sich regeln, die Phrasen dafür liefert ja der eigene Berufsstand, und mit dem "Erdrutsch" hat Albertz schon das Stichwort gegeben.

"Die ostpolitische Lehre des 13. Dezember" ist die, "daß wir uns künftig auf revolutionäre Bewegungen im sowjetischen Machtbereich einstellen müssen." (Bender)

Auch Peter von Oertzen weiß, daß sich der Ostblock von selbst auflöst und uns damit die Dilemmata der Entspannungspolitik abnimmt:

"Insofern innere Entwicklungen - sozialrevolutionäre und demokratische Freilieitsbewegungen die Stabilität der politisch-sozialen Systeme in beiden großen Blöcken" (immer dieser höfliclie Plural) "in Frage stellen, wird Entspannungspolitik im traditionellen Sinn nicht mehr den allein entscheidenden Inhalt von Friedenspolitik darstellen können... Friedenspolitik muß in Zukunft deutlicher als bisher über den Status quo hinausweisen."

Und da entdeckt er in Bahro die geistesverwandte Seele des Ostblockauflösers ganz zu recht:

"Das ist der rationale Kern von Bahros Utopie eines blockfreien nichtkapitalistischen Europa..."

Die Blöcke sind ja eigentlich schon tot:

"Das nach wie vor ohrenbetäubende Getöse der beiden herrschenden Ideologien - Kommunismus und Kapitalismus - ist nichts als das Arbeitsgeräusch ihres weltweiten Leerlaufs" (Grass).

Eroberung des Ostblocks, europäisch autonom und blockfrei, bitte ohne Krieg, am Einfallsreichtum deutscher Intellektueller wird dieses Programm nicht scheitern. Ihre Staatsbürgerpflicht erfüllen sie vorbildlich

"gegenüber einem innenpolitischen Gegner, der auch noch die letzten Reste nationaler Würde und Identität bereit ist, zu verraten und die eigenen Landsleute bei Ronald Reagan denunziert" (Staeck),

und lassen für ihre Parteiklientel und alle guten Menschen nicht den Schatten eines Zweifels gegenüber der Republik aufkommen, sie hätte eventuell bei der "Kriegsgefahr" ihre Finger mit im Spiel. Nachrüstung - nie gehört! Die Kriegsgefahr kommt aus Amerika, das bekanntlich den Plan ausheckt,

"einen auf Europa begrenzten Atomkrieg führen und gewinnen zu können." (Engelmann)

Sanktionen der BRD gegen Polen und die UdSSR - nie was davon gehört. Die BRD ist "besonnen" und "zurückhaltend" und ernährt ganz Polen.

"Der ganze Kramladen, den Reagan jetzt den Sowjets vor die Füße knallen möchte, ist durch die Entspannungspolitik erst entstanden, ebenso wie das verzweigte und verzwickte Netz der wirtschaftlichen Hilfsmöglichkeiten, mit denen wir Polen immer wieder durch den Winter helfen müssen" (kleiner Versprecher) "und wollen." (Duve)

Wenn es schon dem deutschen Kanzler erlaubt ist, ein ganz eigenes nukleares Gleichgewicht gegen den Ostblock aufzumachen, wird es den intellektuellen Stützen seiner Partei schließlich auch gestattet sein, den NATO-Auftrag zu einer eigenen europäisch-deutschen Angelegenheit zu erklären und sich an ihrem mutigen Antiamerikanismus das Herz zu erwärmen: Die Auflösung des Ostblocks machen wir ganz allein!

"Die Europäisierung europäischer Politik..., dann hätte Polen auch wieder Freiräume für Reformen..." (Bussiek)

Engelmann gräbt den Rapacki-Plan für ein atomwaffenfreies Europa wieder aus; Eppler befreit Polen ohne die USA -

"Erstens, mit Verlaub, liegt Polen in Europa und ist daher zuerst einmal Sache der Europäer", -

und unterstreicht seine beispiellos mutigen Worte mit dem starken Argument, daß wir schließlich der allerbrävste Satellit der USA in Europa sind:

"Die Deutschen tragen die Hauptlast der Hilfe, die dem wirtschaftlich zugrundegerichteten NATO-Staat Türkei zugutekommt."

Günter Gaus schließlich prophezeit schon die

"Selbstauflösung der NATO in ihrer hergebrachten Form."

Bei soviel verteidigter nationaler Würde darf zuletzt auch nicht vergessen werden, daß alle die, die sich "verantwortlich für Polen" erklären, ja auch noch ein besonderes nationales Anliegen im Ostblock haben.

"Für die Bundesrepublik geht es bei ihrer Ostpolitik nicht um Geld", das fällt wirklich nur nebenbei an, "sondern um etwas Existentielles: ihre Identität. Die Bundesrepublik hat auf eine nationalstaatliche Wiedervereinigungspolitik verzichtet. Die sozial-liberale Ostpolitik ist der Versuch, die Folgen der Teilung erträglicher zu machen." (Winkler)

Man könnte bereits im Falle Polen z.B. mit Günter Grass ein kleines deutsches Vorspiel veranstalten:

"Und wagen wir noch einen weiteren Schritt, indem wir versuchen, unsere Hilfsaktionen mit denen der DDR zu koordinieren. Die gemeinsame Vorgeschichte der beiden deutschen Staaten... Deshalb stellt sich die Solidarität mit Polen als gemeinsame nationale Aufgabe."

Und dann müssen wir uns wohl an die größere Aufgabe machen, die Alfred Grosser dankenswerterweise als Nicht-Deutscher formuliert, und unsere Dankesschuld im Osten abtragen, der mit seiner Unfreiheit für unsere Freiheit geradesteht:

"Nicht nur die bundesdeutsche Politik, aber sie mehr noch als die französische, beruht auf einem Opfer, das man nicht selbst bringt. Wir haben keinen Grund dafür, besonders stolz darauf zu sein, in Frieden und Freiheit leben zu dürfen. Der Preis wird ja von den Tschechen, den Polen, den DDR-Bürgern bezahlt, deren Freiheit uns ziemlich gleichgültig ist, deren Freiheitsbestrebungen uns sogar allzu schnell als eine Bedrohung unseres friedlichen Lebens erscheinen."